Sozialgericht Hildesheim
Urt. v. 24.01.2003, Az.: S 15 P 34/01

Bibliographie

Gericht
SG Hildesheim
Datum
24.01.2003
Aktenzeichen
S 15 P 34/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 40054
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGHILDE:2003:0124.S15P34.01.0A

In dem Rechtsstreit

...

hat das Sozialgericht Hildesheim - 15. Kammer - ohne mündliche Verhandlung

am 24. Januar 2003 durch den Vorsitzenden,

Richter Pusch, - Vorsitzender -

sowie die ehrenamtlichen Richter Herr Kachel und Herr Köhler,

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Bescheide der Beklagten vom 03. Mai 2000 und vom 23. Februar 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. April 2001 werden abgeändert.

  2. 2.

    Die Beklagte wird verurteilt, über das abgegebene Teilanerkenntnis vom 18. Dezember 2001 (Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe I ab dem 01. Oktober 2001) hinaus der Klägerin Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe I ab dem 07. November 2000 zu gewähren.

    Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

  3. 3.

    Die Beklagte hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten zu % zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist noch die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe I in der Zeit von der Antragstellung am 20.01.2000 bis zum 30.09.2001 streitig. Für den Zeitraum ab dem 01.10.2001 hat die Beklagte bereits die Voraussetzungen der Pflegestufe I anerkannt.

2

Nachdem die Klägerin am 06.12.1999 infolge eines Unfalls eine Oberschenkelfraktur erlitten hatte und sich zwischenzeitlich in Kurzzeitpflege befand, beantragte sie am 19.01.2000 Leistungen der sozialen Pflegeversicherung. Die Beklagte veranlaßte die Erstattung eines Gutachtens durch den medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN). In dem Kurzgutachten nach Aktenlage stellte der Gutachter Dr. E.... ohne weitere Begründung fest, dass erhebliche Pflegebedürftigkeit nicht vorliege. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens legte die Klägerin einen Arztbrief von Dr. L.... vom Krankenhaus St.... vom 02.02.2000 und ein Attest des Hausarztes Dr. D.... vom 07.02.2000 vor.

3

Am 09.02.2000 stellte die Klägerin einen zweiten Antrag. Dieser lautete auf vollstationäre Pflege ab dem 29.01.2000. Dies führte zum MDKN-Gutachten vom 11.04.2000 nach Untersuchung durch die Pflegefachkraft Frau L..... Als pflegebegründende Diagnosen stelle Frau L.... einen Zustand nach Oberschenkelfraktur 12/1999, cerebrovaskläre Insuffizienz mit Vergeßlichkeit, nächtliche Teilharnschwäche, wiederkehrenden Schwindel sowie Herzrhythmusstörungen fest. Der Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege betrage 25 Minuten täglich (Körperpflege 22 Minuten, Mobilität 3 Minuten). Hinzu kämen 60 Minuten im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung. Mit Bescheid vom 03.05.2000 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen ab. Den eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin mit zusätzlichem, nicht berücksichtigtem Hilfebedarf. Die Beklagte veranlaßte daraufhin die Erstattung des MDKN-Gutachtens nach Aktenlage vom 26.06.2000. Dieses ergab auch unter Würdigung des klägerischen Vertrags keinen weiteren Hilfebedarf.

4

Unter dem 02.11.2000 (Eingang bei der Beklagten am 07.11.2000) stellte die Klägerin einen weiteren Neuantrag, nachdem es ihrem Vortrag zufolge am 31.10.2000 zu einem erneuten Unfall (Oberschenkelfraktur) mit anschließender stationärer Behandlung gekommen war. In der Folge holte die Beklagte das inzwischen vierte MDKN-Gutachten, diesmal nach Besuch der Klägerin in der Pflegeeinrichtung ein. Bei dem in Anwesenheit des Sohnes der Klägerin und der Pflegekraft erstellten Gutachten vom 16.02.2001 stellte die Gutachterin Frau L.... im Bereich der Grundpflege einen Hilfebedarf von 18 Minuten täglich (Körperpflege 12 Minuten, Mobilität 6 Minuten) fest. Mit Bescheid vom 23.02.2001 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag vom 02.11.2000 ab. Es folgte der Widerspruchsbescheid vom 19.04.2001, mit dem die Beklagte die Widersprüche gegen die angefochtenen Bescheide zurückwies. Zur Begründung führte sie im wesentlichen aus, dass mit dem festgestellten Hilfebedarf von 25 bzw. 18 Minuten die Voraussetzungen der Pflegestufe I nicht erfüllt seien. Bei der Ermittlung des Pflegebedarfs sei ein objektiver Maßstab anzulegen, der sich mit den oftmals sehr subjektiv geprägten Wahrnehmungen der Pflegeperson oder des Pflegebedürftigen häufig nicht decke. Die pflegerelevanten Verrichtungen, die von der Klägerin vorgetragen worden seien, seien sämtlich berücksichtigt worden. Die Überwachung der Medikamenteneinnahme gehöre nicht zu den berücksichtigungsfähigen Verrichtungen. Des weiteren könnten Arztbesuche und Behördengänge nicht berücksichtigt werden, weil sie seltener als regelmässig mindestens einmal wöchentlich anfallen würden.

5

Am 16.05.2001 hat die Klägerin Klage erhoben.

6

Das Gericht hat im vorbereiteten Verfahren den Befundbericht des Hausarztes Dr. D.... vom 25.06.2001 eingeholt. Es hat anschliessend Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens von Dr. Da ... vom 16.10.2001. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Bl. 57-108 der Gerichtsakte, wegen der eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 06.02.2002 auf Bl. 135-154 der Gerichtsakte Bezug genommen. Im Ergebnis hat Dr. Da ... festgestellt, dass bei der Klägerin seit der Antragstellung des dritten Antrages im November 2000 erheblicher Hilfebedarf besteht, vorher jedoch nicht. Im Zeitpunkt der Begutachtung hat Dr. Da ... im Bereich der Grundpflege einen Hilfebedarf von 68 Minuten täglich ermittelt (Körperpflege 47 Minuten, Ernährung 11 Minuten, Mobilität 10 Minuten). Die Beklagte hat daraufhin ein Teilanerkenntnis abgegeben und die Pflegestufe I ab dem 01.10.2001, dem Monat der Begutachtung durch Dr. Da ... anerkannt.

7

Auch nach Abgabe dieses Teilanerkenntnisses verfolgt die Klägerin für den davor liegenden Zeitraum ab der ersten Antragstellung ihr Begehren weiter. Sie meint, auch in diesem Zeitraum habe bereits erhebliche Pflegebedürftigkeit vorgelegen. Zur Begründung hat sie im wesentlichen vorgetragen, dass bereits nach dem ersten Unfall im Dezember 1999 die behandelnden Ärzte der Ansicht gewesen seien, dass die Klägerin aufgrund der Unfallfolgen und der cerebralen Situation auf ständige Pflege und Betreuung angewiesen sei. Hierfür spreche auch die ab dem 23.05.2000 eingerichtete Betreuung der Klägerin durch ihren Sohn. Nach der zweiten Fraktur im Oktober 2000 habe der körperlich und geistige Zustand der Klägerin eine erneute Entlassung in den eigenen Haushalt im Haus des Sohnes und Betreuers nicht zugelassen, die Klägerin habe sich seitdem in vollstationäre Pflege begeben müssen. Die Beklagte habe dem Sohn der Klägerin auch nicht Gelegenheit gegeben, bei den Begutachtungen anwesend zu sein. Nicht die Angaben des MDK, sondern diejenigen des Sohnes der Klägerin sowie die Pflegedokumentation seien zutreffend. Die Klägerin beruft sich hinsichtlich des Hilfebedarfes auch auf den Befundbericht von Dr. D.... vom 25.06.2001. Schließlich habe auch der gerichtliche Sachverständige ausgeführt, dass die Klägerin seit Antragstellung erheblich pflegebedürftig sei.

8

Die Klägerin beantragt nunmehr noch schriftsätzlich sinngemäß,

  1. 1.

    die Bescheide der Beklagten vom 03.05.2000 und vom 23.02.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.04.2001 über das abgegebene Teilanerkenntnis vom 18.12.2001 hinaus aufzuheben,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe I bereits ab Antragstellung am 19.01.2000 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

9

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

  1. die weitergehende Klage abzuweisen.

10

Sie beruft sich auf die Stellungnahmen des MDK. Danach sei ein Anstieg des Hilfebedarfs und ein Erfüllen der für die Anerkennung der Pflegestufe I erforderlichen zeitlichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Begutachtung durch den gerichtlichen Sachverständigen (ca. 9 Monate nach der Begutachtung durch den MDK) durchaus nachvollziehbar. Der Schlussfolgerung, dass ein entsprechender Hilfebedarf bereits bei der Begutachtung am 11.01.2001 bestanden haben soll, könne aber nicht gefolgt werden. Die Leistungen der Pflegestufe richteten sich nicht nach der Schwere der Erkrankung, sondern nach dem konkreten Zeitaufwand für die Grundpflege. Die Gutachten des MDK seien insoweit schlüssig. Wenn die Klägerin aufgrund ihrer Verwirrtheit einen erhöhten Aufsichtsbedarf habe, so gehörte dies nicht zur Grundpflege.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die Gerichtsakte sowie die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der gerichtlichen Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

12

Das Gericht konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben.

13

Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Entscheidung der Beklagten erweist sich insoweit als rechtswidrig. Die Klägerin hat bereits ab dem 07.11.2000 (Eingang des Antrags vom 02.11.2000 bei der Beklagten) und nicht erst ab dem 01.10.2001 Anspruch auf Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach Pflegestufe I. Für den Zeitraum davor besteht ein derartiger Anspruch jedoch nicht. Der Leistungsbeginn 07.11.2000 ergibt sich aus § 33 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch 11. Buch (SGB XI: ab Antragstellung).

14

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch sind die §§ 43, 14 und 15 Sozialgesetzbuch 11. Buch (SGB XI). Danach besteht Anspruch auf die Gewährung von vollstationärer Pflege und Übernahme der entsprechenden Aufwendungen nach Pflegestufe I, wenn häusliche oder teilstationäre Pflege nicht möglich ist oder wegen der Besonderheit des einzelnen Falles nicht in Betracht kommt und erhebliche Pflegebedürftigkeit vorliegt.

15

Erheblich pflegebedürftig sind nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen, soweit der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder andere, nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegepersonen für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis 3 SGB XI und der hauswirtschaftlichen Versorgung im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI benötigen, wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten beträgt; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen. Andere als die in § 14 Abs. 4 Ziffer 1 bis 3 SGB XI genannten Verrichtungen sind bei der Bestimmung des Grundpflegebedarfs nicht zu berücksichtigen. Der im Gesetz genannte Katalog ist abschliessend ( BSG-Urteil vom 19.02.1998, B 4 P 3/97  R= NZS 1998, 525). Diese Grundsätze gelten auch für die vollstationäre Pflege ( BSG, Urteil vom 10.02.2000, B 3 P 13/99 R ).

16

Die genannten Voraussetzungen liegen nach den insgesamt vorliegenden Feststellungen bereits ab dem 07.11.2000 und nicht erst ab dem 01.10.2001 vor. Dies folgt aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen, auf deren Grundlage sich die Kammer unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beteiligten eine eigene Überzeugung gebildet hat. Die Klägerin bedarf bei den Grundpflegeverrichtungen ab Antragstellung des dritten Antrages im November 2000 mehr als 45 Minuten Hilfe im Tagesdurchschnitt bei den Grundpflegeverrichtungen des § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis 3 SGB XI. Dass dies der Fall ist, ergibt sich insbesondere aus dem ausführlichen und überzeugenden gerichtlichen Sachverständigengutachten Von Dr. Da.... vom 16.12.2001 nebst ergänzender Stellungnahme vom 06.02.2002. Dieser hat in überzeugender Weise auf Basis der erheblichen Gesundheitsstörungen der Klägerin den erforderlichen Hilfebedarf ermittelt. Dr. Da.... hat dargelegt, dass im Verhältnis zum Vorgutachten vom 11.04.2000 bereits im MDKN-Gutachten vom 16.02.2001 (nach Besuch in der Pflegeeinrichtung vom 11.01.2001) eine durchgängige teilweise Unselbständigkeit im Bereich des Organsystems/Nervensystems/Psyche gutachterlich dokumentiert wurde. Dr. Da.... hat hier nachvollziehbar eine wesentliche Änderung im Gesundheitszustand sowie im daraus folgenden Hilfebedarf gegenüber dem Vorgutachten des MDKN festgestellt. Denn damals haben noch keine bzw. in ihren Auswirkungen geringere grundpflegerelevanten Fähigkeitsstörungen vorgelegen. Ausschlaggebend für das ermittelte Ergebnis sind Dr. Da.... zufolge die gravierenden und erheblichen Funktionsstörungen des zentralen Nervensystems der Klägerin, insbesondere des Gehirns, mit daraus folgenden gravierenden Funktionseinbußen der kognitiven Qualitäten. Auch der Hausarzt Dr. D.... hat in seinem Befundbericht vom 25.06.2001 - wenn auch nicht unter Angaben von Minuten - einen Hilfebedarf dokumentiert, der mit den Feststellungen von Dr. Da.... in Einklang steht. Er hat insbesondere darauf hingewiesen, dass bei der Klägerin ein ausgeprägtes Fassadenverhalten besteht, mit dem ihre geistigen Defizite kaschiert würden.

17

Mit Dr. Da.... geht auch die Kammer davon aus, dass die Grenze zur erheblichen Pflegebedürftigkeit nach dem erneuten Unfall der Klägerin Ende des Jahres 2000 mit der nachfolgenden Antragstellung überschritten wurde. Denn die Ausprägung der bei der Klägerin bestehenden vaskulären Demenz hat den Unterlagen zufolge im Verlaufe des Jahres 2000 ständig zugenommen: während nach dem Erstantrag im Januar 2000 die von Dr. L.... in seinem Attest vom 02.02.2000 festgestellten postoperativen Verwirrtheitszustände noch vorübergehender Art waren - so waren sie laut Dr. L.... in den letzten 14 Tagen vor der Entlassung aus dem Krankenhaus nicht feststellbar-, so führte die Zunahme dieser Krankheit doch zunächst dazu, dass im Mai 2000 eine Betreuung eingerichtet werden mußte. Dennoch konnte trotz mehrfacher vollstationärer Kurzzeitpflege innerhalb des Jahres 2000 (30.01.-29.02., 06.-21.04., 10.-18.06. und 05.-29.10.) die häusliche Versorgung der Klägerin noch aufrechterhalten werden. Erst nach dem Unfall vom 31.10.2000 war dies schließlich nicht mehr möglich. Objektive Anhaltspunkte dafür, dass der Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege auch vorher mehr als 45 Minuten täglich betragen hat, liegen hingegen nicht vor.

18

Zutreffend hat Dr. Da.... als grundpflegebegründende Gesundheitsstörungen die mittelgradige vaskuläre Demenz, die dauerhafte Urin- und Blaseninkontinenz, Störung des Ganges und der Mobilität, generalisierte Arteriosklerose, Zustand nach Fraktur des rechten Oberschenkels festgestellt, wobei er nachvollziehbar die hirnorganisch-demenziellen Beeinträchtigungen als im wesentlichen pflegebegründend herausstellt. Diese Beeinträchtigungen führen dazu, dass der Hilfebedarf bei den meisten erforderlichen Grundpflegeverrichtungen in Form von Beaufsichtigung/Anleitung und Unterstützung besteht, teilweise müssen die Verrichtungen auch übernommen werden (z.B. Waschen von Rücken und Unterkörper, Kämmen, An- und Auskleiden des Unterkörpers). Er hat in seinem Gutachten dann, auch nachvollziehbar die Punkte herausgearbeitet, die in dem MDKN-Gutachten vom 16.02.2001 - möglicherweise wegen des ausgeprägten Fassadenverhaltens der Klägerin, das eine Beurteilung des Hilfebedarfs schwierig macht - nicht in ausreichender Weise berücksichtigt worden sind (insbesondere im Bereich der Körperpflege und Intimwäsche, aber auch bei der Ernährung). Der Auffassung der Beklagten, dass dieses Gutachten den erforderlichen Hilfebedarf umfassend und vollständig erfaßt habe, kann deshalb nicht gefolgt werden. Hiergegen spricht auch, dass in Anbetracht des progredienten Krankheitsverlaufs kaum nachvollziehbar ist, dass der Hilfebedarf der Klägerin im Vergleich zum Vorgutachten vom April 2000 noch gesunken sein sollte. Vielmehr ist von dem von Dr. Da.... auf Blatt 35 bis 46 seines Gutachtens (Bl. 92-103 der Gerichtsakte) dokumentierten Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege auszugehen. Dies bedeutet im einzelnen: Im Bereich der Körperpflege besteht ein Hilfebedarf von

19

23 Minuten im Bereich des Waschens,

20

6 Minuten Zahnpflege,

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2 Minuten Kämmen,

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15 Minuten Darm- oder Blasenentleerung,

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mithin 47 Minuten Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege pro Tag.

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Im Bereich der Ernährung besteht ein Hilfebedarf von

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4 Minuten für mundgerechte Zubereitung,

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7 Minuten bei der Nahrungsaufnahme,

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insgesamt also 11 Minuten täglicher Hilfebedarf im Bereich der Ernährung.

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Bei den Verrichtungen aus dem Bereich der Mobilität besteht folgender Hilfebedarf:

29

1 Minute beim Aufstehen bzw. Zubettgehen,

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9 Minuten für An- und Auskleiden,

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insgesamt daher 10 Minuten Hilfebedarf.

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Es ist davon auszugehen, dass dieser Hilfebedarf von 68 Minuten täglich im Bereich der Grundpflege, den Dr. Da.... bei seiner Begutachtung am 2. Oktober 2001 festgestellt hat, wegen des schleichenden Verlaufs der demenziellen Erkrankung im November 2000 noch etwas darunter gelegen hat, ohne dass dies aber am Vorliegen erheblicher Pflegebedürftigkeit ab November 2000 etwas ändern würde. Denn angesichts der Tatsache, dass der Hilfebedarf von 68 Minuten erheblich über dem für die Pflegestufe I erforderlichen Hilfebedarf von 46 Minuten täglich liegt, hat die Kammer keine Zweifel daran, dass die Grenze von 46 Minuten Hilfebedarf - wie von Dr. Da.... in seinem Gutachten ausgeführt - jedenfalls ab November 2000 überschritten wurde: Insbesondere in seiner ergänzenden Stellungnahme ist Dr. Da.... ausführlich darauf eingegangen, dass die von ihm festgestellten Gesundheitsstörungen und der daraus resultierende Pflegebedarf im wesentlichen bereits seit November 2000 bestanden haben. Die Kammer folgt diesen Ausführungen aufgrund eigener Überzeugung. Es ist überzeugend, wenn bei demenziell bedingter fehlender Einsicht der Notwendigkeit zur Durchführung der Grundpflegeverrichtungen in erheblichem Umfang eine Beaufsichtigung und Anleitung erforderlich ist, wobei darauf hinzuweisen ist, dass diese Art der Hilfeleistung im Rahmen der auch vom Gesetzgeber gewünschten aktivierenden Pflege zeitlich aufwändiger sein kann als die Teil- oder Vollübernahme durch die Pflegeperson.

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Der für die Pflegestufe I erforderliche Hilfebedarf im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung liegt unproblematisch vor.

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Auch die weiteren Voraussetzungen des § 43 SGB XI liegen vor, da die häusliche Versorgung nach dem Unfall vom 31. Oktober 2001, nachdem im Verlauf des Jahres 2000 schon mehrfach Kurzzeitpflege erforderlich geworden war, Dr. Da.... zufolge nicht mehr aufrechterhalten werden konnte.

35

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz. Die Klage war zum überwiegenden Teil erfolgreich, und sie war auch bereits im Zeitpunkt der Klagerhebung im Mai 2001 begründet.

Pusch
Herr Kachel
Herr Köhler