Landgericht Hildesheim
Urt. v. 12.03.1991, Az.: 3 O 31/91
Verendung eines Dressurpferdes i.R.d. Durchführung einer tierärztlichen Routinebehandlung; Sorgfaltspflichten bzw. Kunstfehler eines Tierarztes; Pflichten eines Tierarztes zur Herausgabe von Krankenunterlagen; Rechtsanspruch auf Gestattung der Einsicht in Urkunden
Bibliographie
- Gericht
- LG Hildesheim
- Datum
- 12.03.1991
- Aktenzeichen
- 3 O 31/91
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1991, 21280
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGHILDE:1991:0312.3O31.91.0A
Rechtsgrundlagen
- § 242 BGB
- § 611 BGB
- § 810 1. Alt. BGB
- § 811 BGB
Fundstelle
- NJW-RR 1992, 415-416 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Urkundeneinsicht
In dem Rechtsstreit
...
hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim
auf die mündliche Verhandlung vom 26. Februar 1991
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Landgericht,
des Richters am Landgericht und
der Richterin
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Der Beklagte wird verurteilt,
- a)
dem Kläger in der Tierarztpraxis des Beklagten Einsicht in die tierärztlichen Krankenunterlagen betreffend den am ... geborenen westfälischen Fuchswallach " ... ", abstammend von "Glücksklee" aus einer Mutter von " ... " mit der Lebensnummer ... zu gewähren und
- b)
dem Kläger Ablichtungen der vorstehend bezeichneten Krankenunterlagen auf Kosten des Klägers herauszugeben.
- 2.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- 3.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2500 DM vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird gestattet, Sicherheit auch durch selbstschuldnerische, unbedigte, unwiderrufliche und unbefristete Bürgschaft einer deutschen Großbank oder einesöffentlichen-rechtlichen Kraditinstituts leisten.
- 4.
Der Streitwert wird auf 20000 DM festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger ist Landwirt, der Beklagte Tierarzt.
Der Kläger war Eigentümer des im Urteilstenor näher bezeichneten Dressurpferdes " ... ". Seit dem 08.10.1987 behandelte der Beklagte das Pferd zwecks Durchführung einer tierärztlichen Routinebehandlung. Im Verlaufe dieser Behandlung verendete das Pferd.
In dem Verfahren 3 0. 256/90 vor der Kammer nimmt der Kläger den Beklagten wegen kunstfehlerhafter Behandlung des Tieres auf Schadensersatz in Höhe eines Betrages von 76 000 DM in Anspruch. Die Kammer erließ am 25.07.1990 in jenem Verfahren einen Beweisbeschluß und ordnete insoweit die Einholung eines Sachverständigengutachtens an. Mit Schriftsatz vom 13.08.1990 beantragte der Kläger in jenem Verfahren, dem Beklagten aufzugeben, die tierärztlichen Behandlungsunterlagen betreffend das Pferd " ... " bis zum 24.08.1990 in Fotokopie zur Verfügung zu stellen. Zur Begründung verwies der Kläger darauf, daß er die Unterlagen benötige, um erschöpfend zur Klageerwiderung, zum Beweisbeschluß und zur (Feststellungs-) Widerklage des Beklagten Stellung nehmen zu können.
Freiwillig gab der Beklagte Ablichtungen der Krankenunterlagen nicht heraus. Dem Beklagten wurde in dem Rechtsstreit 3 0 256/90 LG Hildesheim auch keine entsprechende gerichtliche Auflage erteilt.
Mit Schreiben vom 23.08.1990 forderte der Kläger den Beklagten nochmals vergeblich unter Fristsetzung bis zum 04.09.1990 zur Gewährung der Einsicht in die Unterlagen bzw. zur Übersendung von Ablichtungen auf.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilten, dem Kläger in der Praxis des Beklagten Einsicht in die tierärztlichen Krankenunterlagen betreffend den am 19.04.1983 geborenen westfälischen Fuchswallach " ... " abstammend von " ... ", aus einer Mutter von " ... " mit der Lebensnummer ... zu gewähren und dem Kläger Ablichtungen der vorstehend bezeichneten Krankenunterlagen auf Kosten des Klägers herauszugeben;
dem Kläger zu gestattet, Sicherheit durch Bürgschaft einer deutschen Großbank oder einesöffentlich-rechtlichen Kreditinstituts zu leisten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte meint, er sei zur Herausgabe der Krankenunterlagen und auch zur Gestattung der Einsicht in die Unterlagen gegenüber dem Kläger nicht verpflichtet, weil diese Unterlagen nicht im Interesse des Klägers errichtet worden seien. Sie dienten dem Beklagten lediglich als Gedankenstütze hinsichtlich der durchgeführten therapeutischen Maßnahmen und als Grundlage für die Honorarabrechnung. Die für das Einsichtsrecht im Bereich der Humanmedizin entwickelten Grundsätze könnten auf den veterinärmedizinischen Bereich nicht übertragen werden. Zumindest aber könne dem Kläger kein derart weitgehendes Einsichtsrecht zustehen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der Kläger kann von dem Beklagten gemäß §§ 810 1. Alternative, 811, 611, 242 BGB die Bewährung der Einsicht in die tierärztlichen Krankenunterlagen betreffend den am 19.04.1983 geboren westfälischen Fuchswallach " ... " (Lebensnummer ... ) in der Tierarztpraxis des Beklagten verlangen. Zugleich ist der Beklagte verpflichtet, dem Kläger auch Ablichtungen der vorbezeichneten Krankenunterlagen herauszugeben.
Gemäß § 810 1. Alternative BGB besteht ein Rechtsanspruch auf Gestattung der Einsicht in Urkunden, die sich in fremdem Besitz befinden, wenn der Anspruchsteller ein rechtliches Interesse an der Urkundeneinsicht besitzt und wenn die Urkunde zumindest auch in seinem Interesse errichtet ist. Der Beklagte ist Besitzer der streitbefangenen Behandlungsunterlagen, die sich in einer Tierarztpraxis befinden.
Das rechtliche Interesse des Klägers als Eigentümer des behandelten Pferdes liegt darin, daß er die Einsichtnahme zur Förderung der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung in dem vor der Kammer rechtshängigen Verfahren 3 0. 256/90 benötigt, in dem er den Beklagten wegen angeblicher kunstfehlerhafter Behandlung anläßlich einer Routinebehandlung des Pferdes " ... " auf Schadenersatz in Anspruch nimmt, nachdem das Pferd im Verlaufe der Behandlung verendet ist. Der Beklagte macht in der Klageerwiderung auch deutlich, daß er sich nicht für verpflichtet hält, die Krankenunterlagen in jenem Prozeß herauszugeben.
Entgegen der Ansicht des Beklagten werden die Krankenunterlagen des Tierarztes durchaus zumindest auch im Interesse des Dienstberechtigten bzw. Tierhalters errichtet.
Für den Bereich der Humanmedizin hat der BGH (vgl. BGHZ 85, 327, 331 f im Anschluß an BGHZ 72, 132, 137) angenommen, daß den Arzt schon aus dem Grundsatz von Treu und Glauben nach§ 242 BGB eine ungeschriebene vertragliche Nebenpflicht treffen könne, dem Patienten Einsicht in Behandlungsunterlagen insoweit zu gewähren, als dieser ein ersichtliches Interesse hat und billigenswerte Gründe für die Verweigerung nicht vorliegen. Es erscheine im Regelfall nicht tragbar, daß dem Patienten gegen seinen ausdrücklichen und ernstlichen Wunsch persönliche Fakten vorenthalten werden, die in seinem Auftrag und in seinem Interesse vom Arzt nur im Rahmen des zwischen Arzt und Patienten notwendigen besonderen Vertrauensverhältnisses erhoben worden sind.
Die Kammer verkennt zwar nicht, daß das Einsichtsrecht des Patienten im Bereich der Humanmedizin insbesondere auch aus dem durch die grundrechtliche Wertung geprägten Selbstbestimmungsrecht des Patienten herzuleiten ist.
Ein Interesse des Tierhalters und Auftraggebers des Tierarztes an der Führung und der Einsicht in Krankenunterlagen bezüglich eines Tieres ist aber auch aus Sicht des Tierarztes von vornherein unmittelbar einsichtig. Zu der Verantwortung des Tierhalters gegenüber dem Mitgeschöpf Tier gehört insbesondere bei Säugetieren, die als Haustiere gehalten werden, die ordnungsgemäß Pflege und gesundheitliche Versorgung des Tieres im Interesse der Vermeidung unnötiger Leiden des Tieres. Diesem Gedanken ist neuerdings durch dasGesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres im bürgerlichen Recht vom 20.08.1990 (BGBl. I Seite 1 762), insbesondere in§§ 90 a, 251 Abs. 2, 903 Abs. 2 Satz 2 BGB und im Tierschutzgesetz, Rechnung getragen worden. Es bedarf freilich nicht des unmittelbaren Rückgriffs auf dieses Gesetz um ein Interesse des Tierhalters/Eigentümers an der Erstellung der Krankenunterlagen festzustellen. Es liegt nämlich für jeden Tierarzt von vornherein auf der Hand, daß die durch die Einsicht in die Krankenunterlagen zu vermittelnde Kenntnis der bei dem behandelten Tier erhobenen veterinärmedizinischen Befunde und der angewendeten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen für den Tierhalter/Eigentümer im Interesse einer sachgerechten tierärztlichen Behandlung in der Folgezeit - gerade auch durch einen anderen Tierarzt -von erheblicher Bedeutung ist. Insoweit besteht eine vergleichbare Lage wie für die Dokumentation der Behandlung des Patienten in der Humanmedizin. Die Krankenunterlagen in der veterinärmedizinischen Behandlung dienen eben auch als Beweismittel für den Fall einer erneuten Behandlungsbedürftigkeit des Tieres.
Da es sich im vorliegenden Fall um ein wertvolles Dressurpferd handelt, ist überdies für den Tierarzt schon im Hinblick auf die Vermögensinteressen des Eigentümers offenbar, daß der optimalen veterinärmedizinischen Versorgung und des Tieres und deren Dokumentation für den Eigentümer als Vertragspartner des Tierarztes eine erhebliche Bedeutung zukommt.
Demgegenüber hat der Beklagte billigenswerte Grunde für eine Versagung der Urkundeneinsicht nicht dargetan.
Es bedarf keiner Prüfung, ob der Kläger als Auftraggeber in der Lage ist, die Aufzeichnungen des Beklagten in den Krankenunterlagen zu verstehen. Der Kläger kann sich nämlich gegebenenfalls sachkundigen Rates von dritter Seite bedienen.
Ohne Erfolgt macht der Beklagte auch geltend, daß zumindest ein uneingeschränktes Einsichtsrecht nicht bestehe.
Die Rechtsprechung hat zwar den Umfang des Einsichtsrechts im humanmedizinischen Bereich regelmäßig auf die Aufzeichnungenüber naturwissenschaftlich objektivierbare Befunde und Behandlungsfakten betreffend die Person des Patienten beschränkt (vgl. BGH a.a.O., 334). Im vorliegenden Fall hat der Beklagte indes nicht einmal dargetan, daß auch Aufzeichnungen mit. anderweitigem Inhalt in den Krankenunterlagen vorhanden sind. Die Erwägungen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Einschränkung des Einsichtsrechts im Bereich der Humanmedizin lassen sich zudem auf die veterinärmedizinische Behandlung gerade nichtübertragen. Anders als bei der Behandlung eines Tieres kommt bei der Tätigkeit des Humanmediziners der personalen Komponente in den die Behandlung betreffenden Aufzeichnungen zumeist eine große Bedeutung zu (vgl. BGH a.a.O., 335). Die in diesem Bereich durch ein uneingeschränktes Einsichtsrecht für den Patienten selbst eröffnete Möglichkeit, auch von emotionell gefärbten subjektiven (insbesondere abträglichen) Wertungen und Verdachtsdiagnosen des Arztes Kenntnis zu nehmen, rechtfertigt die Einschränkung des Einsichtsrechts im Interesse des Patienten. Andererseits hat der BGH (a.a.O., 335) auch durchaus die Möglichkeit von Sonderfällen angesprochen, in denen die ärztliche Tätigkeit sich im technisch-somatischen Bereich erschöpft, so daß eine Einschränkung des Einsichtsrechts dann nicht tunlich ist.
Die Tätigkeit des Tierarztes beschränkt sich aber gerade auf diesen technisch-somatischen Bereich.
Für den Ort der von dem Kläger begehrten Urkundeneinsicht ist die Tierarztpraxis des Beklagten als derjenige Ort maßgeblich, an dem sich die Krankenunterlagen befinden (§ 811 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Der Kläger kann auch die Herausgabe von auf seine Kosten gefertigten Kopien der Krankenunterlagen verlangen. Insoweit gelten die von der Rechtsprechung für den Bereich der Humanmedizin aufgestellten Grundsätze. Danach (vgl. BGH a.a.O. 334; HansOLG Hamburg MDR 1985, 232; LG Köln VersR 86, 775) sollen auf ausdrückliches Verlangen die Aufzeichnungen des Arztes dem Anspruchsteller auch zum selbständigen Studium überlassen werden, wobei an die Stelle der Originale, gegen derenÜberlassung Bedenken bestehen könnten, auch auf Kosten des Einsichtsberechtigten zu fertigende Ablichtungen treten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 12 Abs. 1, 3 ZPO. Das begehrte Einsichtsrecht dient der Durchsetzung der vermögensrechtlichen Ansprüche des Klägers im Parallelprozeß. Der Streitwert für das Verfahren auf Urkundeneinsicht ist danach auf einen Bruchteil der geltend gemachten Ansprüche im Parallelprozeß festzusetzen. Insoweit war der Bezifferung des Interesses durch den Kläger auf 20 000 DM zu folgen.
Rebell
Thiele