Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 12.01.1993, Az.: 4 W 221/92

Durchführen von Bauarbeiten ohne Information der Verwaltung; Notwendigkeit der Zustimmung der Wohnungseigentümergemeinschaft für bauliche Veränderungen; Rückgängigmachen von baulichen Veränderungen; Vergrößern der Terasse zu Lasten des angrenzenden Wohnraums

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
12.01.1993
Aktenzeichen
4 W 221/92
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1993, 17112
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1993:0112.4W221.92.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 30.09.1992 - AZ: 1 T 26/92

In der Wohnungseigentumssache
hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters ... sowie
der Richter ... und
...
am 12. Januar 1993
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 wird der Beschluß der 1. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 30. September 1992 aufgehoben.

  2. 2.

    Das Verfahren wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden hat.

  3. 3.

    Der Beschwerdewert wird - insoweit unter Abänderung der Beschlüsse des Amts- und des Landgerichts - auf 5.000 DM für sämtliche drei Instanzen festgesetzt.

Gründe

1

I.

Der Beteiligte zu 2 war bis Mitte März 1992 Eigentümer der Wohnung Nr. ... in der Wohnungseigentumsanlage ... in .... Nachdem er diese Wohnung im Jahre 1991 an den Beteiligten zu 3 veräußert hatte, ließ dieser in den Räumen durch die Firma ... einen Umbau durchführen, und zwar in der Weise, daß er auf der zweiten Etage der betreffenden Wohnung das in Flucht befindliche Fensterelement vor der kleinen Terrasse um etwa 2 m in den Wohnraum zurückversetzte, so daß die Terrasse um etwa 9 qm zu Lasten des angrenzenden Wohnraums vergrößert wurde. Der Beteiligte zu 3 hat die Bauarbeiten ohne vorherige Information der Verwaltung begonnen und sie fortgesetzt, obwohl die Beteiligte zu 1 ihn über die bauausführende Firma gebeten hatte, weitere Maßnahmen bis zu einem Beschluß der Eigentümerversammlung zurückzustellen.

2

Die Parteien streiten über die Frage, ob diese bauliche Veränderung der Zustimmung der anderen Eigentümer bedarf. Das Amtsgericht hat dem Antrag auf Beseitigung stattgegeben, das Landgericht hat ihn zurückgewiesen.

3

II.

Die gemäß den §§ 43, 45 Abs. 1 WEG, 27 FGG zulässige weitere Beschwerde hat Erfolg.

4

1.

Wie unter den Beteiligten nicht streitig und auch unzweifelhaft ist, handelt es sich bei den vom Beteiligten zu 3 durchgeführten Maßnahmen um eine bauliche Veränderung, die, weil es an einer Zustimmung der Wohnungseigentümergemeinschaft bzw. an einem einstimmigen Beschluß fehlt (§ 22 Abs. 1 Satz 2 WEG) wieder rückgängig gemacht werden muß, es sei denn, daß durch diese Veränderung die Rechte der übrigen Eigentümer nicht über das in § 14 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt werden.

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Da in der Beschwerdeschrift die Beeinträchtigung des optischen Gesamtbildes des Gebäudes nicht mehr gerügt wird, bedarf dieser Punkt keiner weiteren Erörterung.

6

2.

Das Landgericht hat unter Bezugnahme auf eine kürzlich ergangene Entscheidung des Bundesgerichtshofes (ZMR 1992, 168 ff.) die Ansicht vertreten, es liege nur eine allenfalls unbedeutende und damit nach Maßgabe von § 22 Abs. 1 Satz 2 WEG hinzunehmende Beeinträchtigung vor.

7

3.

Trotz des zutreffenden rechtlichen Ansatzpunktes des Landgerichts ist seine Würdigung im einzelnen nicht in jeder Hinsicht fehlerfrei.

8

Der Bundesgerichtshof hat in der erwähnten Entscheidung zunächst ausgeführt, einer Zustimmung der Eigentümer bedürfe es dann, wenn es sich nicht nur um ganz unerhebliche, sondern um konkrete und objektive Beeinträchtigungen handele, die ein Wohnungseigentümer nach der Verkehrsanschauung in der entsprechenden Lage verständlicherweise als beeinträchtigend empfinde. Keine Beeinträchtigung in diesem Sinne sei die bloß theoretisch in Betracht zu ziehende Zahlungsunfähigkeit desjenigen Wohnungseigentümers, der die Maßnahme durchführt und deshalb auch allein zur Kostentragung verpflichtet ist.

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Neben der hier nicht interessierenden Problematik der optischen Beeinträchtigung hat der Bundesgerichtshof zwei weitere Konstellationen angesprochen, in denen es der Zustimmung der übrigen Eigentümer bedarf, nämlich dann, wenn durch die Maßnahme des Eigentümers eine erhöhte Wartungsbedürftigkeit und Reparaturanfälligkeit eintritt oder mit höheren Folgekosten am Gemeinschaftseigentum zu rechnen ist, die der Eigentümergemeinschaft zur Last fallen.

10

a)

Soweit die Beschwerde rügt, der Beteiligte zu 2 habe in der Vergangenheit des öfteren Hausgelder nicht bezahlt und erst ausgeglichen, nachdem sie tituliert worden seien, so handelt es sich um einen neuen Vortrag, der im Rechtsbeschwerdeverfahren nach § 27 FGG nicht berücksichtigt werden kann, ganz abgesehen davon, daß Bedenken gegen die Zahlungsfähigkeit des Beteiligten zu 3, der die Kosten zu übernehmen bereit ist, nicht geltend gemacht werden.

11

b)

Entsprechendes gilt für den Vortrag, die entsprechenden Maßnahmen seien selbst nach Ablauf vieler Monate noch nicht endgültig durchgeführt, zumal der unfertige Zustand möglicherweise gerade die Folge der zwischen den Beteiligten bestehenden Auseinandersetzungen ist.

12

c)

Auch die weitere Rüge, der Gemeinschaft entstünden höhere Heizkosten, kann, weil neu vorgebracht, im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht - wohl aber im Rahmen der jetzt zu veranlassenden weiteren Sachaufklärung - berücksichtigt werden.

13

d)

Begründet ist das Rechtsmittel aber deshalb, weil die Beteiligte zu 1 bereits in den Vorinstanzen eine erhöhte Reparatur- und Wartungsbedürftigkeit behauptet hat. Wenn das Landgericht in diesem Zusammenhang die Ansicht vertritt, der unstreitige Umstand, daß in bestimmten zeitlichen Abständen die Sanierung von Flachdächern und Terrassen erforderlich werde, vergrößere die Wartungs- und Reparaturanfälligkeit der gesamten Wohnungsanlage durch die vergrößerte Terrassenfläche nicht unzumutbar , so wird diese Feststellung vom Parteivortrag beider Seiten nicht getragen.

14

Zutreffend ist allerdings der Gesichtspunkt, daß trotz erhöhter Reparatur- und Wartungsanfälligkeit die Maßnahme zulässig sein kann, wenn es um den Bagatellbereich geht. Bei einer um 9 qm vergrößerten Terrasse läßt sich das im Hinblick auf den unwidersprochenen Vortrag der Beteiligten zu 1, es hätten bisher mehr als 100 Terrassen zu je fünfstelligen Beträgen saniert werden müssen, indessen nicht sagen.

15

Die Aufklärung dieser Frage wird nachzuholen sein. In diesem Zusammenhang kann auch die Problematik eines erhöhten Wärmebedarfs berücksichtigt werden, denn die Beteiligte zu 1 weist zutreffend darauf hin, daß die Heizungskosten nur teilweise nach Verbrauch umgelegt werden und deshalb die Gemeinschaft für erhöhte Heizkosten eines Eigentümers zumindest anteilig mit aufkommen muß.

16

3.

Für die vom Landgericht zu treffende Kostenentscheidung weist der Senat auf folgendes hin:

17

Sofern ein Eigentümer bauliche Veränderungen vornimmt, die über den Bagatellbereich hinausgehen, wird man von ihm verlangen müssen, daß er diese Maßnahmen gegenüber der Verwaltung ankündigt und ihr auf Wunsch die Möglichkeit einräumt, sich über die technische Durchführung und die Art der Vornahme der Arbeiten durch Fachleute zu informieren und damit die Frage zu prüfen, ob voraussichtlich durch die Maßnahme die Rechte der übrigen Miteigentümer beeinträchtigt werden. Wenn sich den §§ 22 und 14 WEG entnehmen läßt, daß die Miteigentümer ihnen zumutbare Veränderungen dulden müssen, so handelt es sich bei Arbeiten, die den Bagatellbereich überschreiten, dann nicht mehr um zumutbare Maßnahmen, wenn sie, wie im vorliegenden Fall, hinter dem Rücken der Eigentümergemeinschaft vorgenommen werden und ihr damit die Möglichkeit verwehrt wird, sich ein Bild von der Art der Ausführung und dem Einsatz von Fachleuten zu verschaffen. Es ist deshalb für die Gemeinschaft gerade nicht zumutbar, in derartigen Fällen vorsichtshalber ein Verfahren nach dem WEG mit erheblichen Kosten anzustrengen und erst durch das möglicherweise vom Gericht eingeholte Sachverständigengutachten die beruhigende Gewißheit erhalten, daß gegen diese konkrete Maßnahme unter Berücksichtigung der gewählten Ausführung nichts einzuwenden sei.

18

Diesem Gedanken läßt sich materiell-rechtlich nicht Rechnung tragen, denn wenn der Sachverständige zu dem Ergebnis kommt, eine Beeinträchtigung der Miteigentümer liege nicht oder nur in ganz geringfügigem Maß vor, so läßt sich ein Beseitigungsanspruch nicht lediglich mit der formalen Erwägung rechtfertigen, die Maßnahme sei hinter dem Rücken der Wohnungseigentümergemeinschaft vorgenommen worden. Wohl aber kann es in derartigen Fällen billigem Ermessen entsprechen, die Kosten und Auslagen dem Eigentümer aufzuerlegen, der die Maßnahmen ohne Absprache durchgeführt und eine Kontrollmöglichkeit der Gemeinschaft nicht eröffnet hat. Ein derartiges Ergebnis ließe sich auch über die dogmatische Konstruktion der Erledigung der Hauptsache erreichen, indem man argumentiert, ein Anspruch auf Unterlassung der Arbeiten sei jedenfalls bei wesentlichen Veränderungen, deren Nachteile nicht ohne weiteres erkennbar seien, solange berechtigt, bis der den Umbau durchführende Eigentümer in nachprüfbarer Weise offengelegt hat, daß die Arbeiten von Fachleuten durchgeführt worden und auch ansonsten wesentliche Nachteile für die Eigentümergemeinschaft nicht zu erwarten sind. Wie die Beteiligte zu 1 in diesem Zusammenhang unwidersprochen vorgetragen hat, haben in der Anlage schon zahlreiche Eigentümer eigenmächtig ähnliche bauliche Veränderungen vorgenommen. Es entspricht deshalb nicht der Billigkeit, daß die Kosten zur Klärung der Frage, ob dadurch Rechte der Gemeinschaft beeinträchtigt sind, denjenigen Wohnungseigentümern aufgebürdet werden, die von den entsprechenden Maßnahmen überrascht worden sind.

Streitwertbeschluss:

Der Beschwerdewert wird - insoweit unter Abänderung der Beschlüsse des Amts- und des Landgerichts - auf 5.000 DM für sämtliche drei Instanzen festgesetzt.