Landgericht Lüneburg
Urt. v. 22.01.1993, Az.: 2 O 247/92

Amtspflicht der Länder; Pflichtwahrnehmung der Verwaltungshelfer; Einverständnis nicht als Pflichtentlassung

Bibliographie

Gericht
LG Lüneburg
Datum
22.01.1993
Aktenzeichen
2 O 247/92
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1993, 16915
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGLUENE:1993:0122.2O247.92.0A

Fundstelle

  • Kriminalistik 1994, 636

Prozessführer

Herr ...

Prozessgegner

...

In dem Rechtsstreit
hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg
durch
den Einzelrichter Richter am Landgericht ...
auf die mündliche Verhandlung vom 22. Januar 1993
für Recht erkannt:

Tenor:

Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 1.071,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 14.07.1992 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 100,00 DM, die übrigen Kosten des Rechtsstreits trägt das beklagte Land.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert beträgt 1.266,54 DM, ab der mündlichen Verhandlung und der Beweisaufnahme jedoch nur 1.111,00 DM.

Tatbestand

1

Der Kläger ist Inhaber eines Elektrogeschäftes, bei dem am 21.12.1991 eingebrochen worden ist. Die Täter flüchteten und hinterließen vor dem Geschäft ein zuvor gestohlenes Fahrzeug, welches bereits mit Diebesgut aus dem Geschäft des Klägers beladen war. Unter anderem befand sich im Fahrzeug ein gestohlener Herd mit Ceranfeld.

2

Nach Eintreffen der Polizei wurde der Sachverhalt aufgenommen. Die Gerätschaften, unter anderem der Herd, konnten nicht in das Geschäft des Klägers zurückverbracht werden, weil aus ermittlungstechnischen Gründen zunächst noch eine Spurensicherung erforderlich war. Ruf Veranlassung der Polizei wurde das gestohlene Fahrzeug mit dem Herd daher nach Winsen zur Firma ... gebracht, wo es im Ruftrage der Polizei untergestellt und später durch die Zeugen ... und ... untersucht wurde.

3

Da entsprechende Transportkapazitäten der Polizei nicht zur Verfügung standen, wurde im Einvernehmen mit dem Kläger und dem Eigentümer des entwendeten Fahrzeuges der Herd durch einen Angestellten des Fahrzeughalters auf der Rückführungsfahrt des entwendeten Fahrzeuges zum Kläger verbracht.

4

Der Kläger behauptet, daß der Herd ihm beschädigt übergeben worden sei, obwohl er zum Zeitpunkt der Mitnahme durch die Polizei unbeschädigt gewesen sei. Das Cerankochfeld sei gesprungen gewesen, an der Backofentür und am Backblech sei Emaille im erheblichen Umfang abgeplatzt gewesen.

5

Der Kläger beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen, an ihn 1.111,00 DM nebst 4 % Zinsen seit Klagzustellung am 14.07.1992 zu zahlen.

6

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Das beklagte Land ist der Auffassung, daß es für die behaupteten Beschädigungen nicht verantwortlich sei, weil der Herd zum Zeitpunkt der Übergabe an den Zeugen ... unbeschädigt gewesen sei und ein etwaiger Schadenseintritt auf der Fahrt zum Kläger nicht dem beklagten Land, sondern dem Kläger zuzurechnen sei. Das beklagte Land folgert dieses aus dem Umstand, daß es Vorschlag des Klägers gewesen sei, die Geräte anläßlich der Rückführung des entwendeten Pkw zu ihm zu bringen, mithin ein etwaiger Schadenseintritt nicht in der Obhut und dem Organisationsbereich des beklagten Landes erfolgt sei.

8

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die bis zur mündlichen Verhandlung gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

9

Die Akten 30 Js 5167/92 StA Lüneburg lagen zu Informationszwecken vor.

10

Das Gericht hat Beweis erhoben aufgrund des Beweisbeschlusses vom 09.12.1992 in Verbindung mit dem Beschluß vom 13.11.1992. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsprotokolle vom 09.12.1992 und 22.01.1993 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

11

Die Klage ist weitgehend begründet.

12

Der Kläger hat gegen das beklagte Land einen Anspruch aus § 839 BGB wegen Amtspflichtverletzung.

13

Die Beweisaufnahme hat zur Überzeugung des Gerichtes ergeben, daß der streitbefangene Herd zum Zeitpunkt der Übergabe an den Zeugen ... nicht beschädigt war, wohl aber zum Zeitpunkt der Übergabe vom Zeugen ... an den Kläger.

14

Der Schaden ist deshalb während des Rücktransportes eingetreten, ohne daß sich die genauen Umstände des Schadenseintrittes hätten aufklären lassen. Zur Überzeugung der Kammer steht aber fest, daß der Schadenseintritt auf dieser Rückfahrt auf einem dem beklagten Land zuzurechnenden Verschulden beruht.

15

Die Rückführung des streitbefangenen Herdes stellt sich als eine Amtspflicht des beklagten Landes dar. Das beklagte Land hatte den Herd des Klägers zum Zwecke der Spurensuche sichergestellt. Die Spurensuche stellt sich als eine hoheitliche strafprozessuale Maßnahme dar. Zum Zwecke der Spurensicherung ist der Herd aus dem räumlichen Bereich des Klägers in den Organisationsbereich des beklagten Landes überführt worden. Hätte das beklagte Land die vorgenannte strafprozessuale Maßnahme nicht durchführen wollen, so hätte nichts dem im Wege gestanden, den - unbeschädigten - Herd aus dem gestohlenen Fahrzeug wieder herauszuschaffen und in das Elektrogeschäft des Klägers zurückzutransportieren. Die Verbringung des Gerätes nach ... lag deshalb allein im hoheitlichen Interesse des beklagten Landes.

16

Das beklagte Land hatte deshalb auch die Pflicht, den Herd wieder in den räumlichen Bereich des Klägers zurückzuführen. Anders mag sich der Sachverhalt darstellen, wenn ein Amtsträger zur Eigentumssicherung einen fremden Gegenstand sicherstellt. Dann mag es zum Rufgabenbereich des Eigentümers gehören, aus dem Organisationsbereich des Hoheitsträgers sein Eigentum in seinen räumlichen Bereich zurückzuführen. Dieses gilt jedoch dann nicht, wenn die Fortschaffung des Gerätes aus dem räumlichen Bereich des Eigentümers allein im hoheitlichen, strafprozessualen Maßnahmeninteresse des beklagten Landes lag.

17

Wenn es danach Aufgabe des beklagten Landes war, den Herd wieder in den räumlichen Bereich des Klägers zurückzuführen, so oblag dem beklagten Land diese Rufgabe als Amtspflicht. Es bleibt dem beklagten Land unbenommen, wie es dieser Pflicht nachkommt. Im vorliegenden Fall hat das beklagte Land sich des Zeugen ... bzw. des Halters des entwendeten Fahrzeuges, d.h. eines Privaten bedient. Dieser Private war daher Verwaltungshelfer. Für das Verschulden eines Verwaltungshelfers hat das beklagte Land in gleichem Maße einzustehen, wie für das Verschulden eigener, beamteter oder angestellter Bediensteter.

18

Aus dem Umstand, daß der Kläger mit der Rückführung der Geräte durch den Zeugen ... einverstanden war, ergibt sich nichts anderes. Wenn gegen die Verwendung von nicht besonders verpflichteten Privaten zur Ausführung von Amtspflichten Bedenken bestehen könnten, so würden allein diese Bedenken durch das Einverständnis des Klägers ausgeräumt werden. Das Einverständnis des Klägers bedeutet aber nicht, daß er das beklagte Land von dessen Verpflichtung zur Verbringung des Gerätes zu seinem Elektrogeschäft entbinden oder mit dem beklagten Land insoweit einen Haftungsausschluß vereinbaren wollte. Weder ist ersichtlich, daß die Kriminalbeamten dem Kläger derartiges angesonnen hätten, noch ist ersichtlich, daß der Kläger einen derartigen Willen kundgetan hätte. Der Kläger war lediglich damit einverstanden, daß statt eines Kriminalbeamten ein anderer Privater, welcher zufällig im gleichen Zusammenhang geschädigt worden ist, im Ruftrage des beklagten Landes die Amtspflicht des beklagten Landes wahrnimmt.

19

Das beklagte Land hat entweder durch das Verschulden der eigenen Beamten oder aber durch das Verschulden des Zeugen ... die Amtspflicht zur Rückführung des Gerätes schlecht erfüllt und dadurch dem Kläger einen Schaden zugefügt.

20

Bei welcher Gelegenheit genau der streitbefangene Herd beschädigt worden ist, hat sich durch die Beweisaufnahme nicht feststellen lassen, Allein der Umstand, daß das Gerät bei der Übergabe an den Zeugen ... - wie das beklagte Land selbst behauptet - unbeschädigt und beim Eintreffen beim Kläger beschädigt war, läßt nur den Schluß zu, daß der Herd schuldhaft beschädigt worden ist. Weder ist der Kammer ersichtlich, noch konnte das beklagte Land auf ausdrückliche Befragung im Termin am 22.01.1993 Umstände darstellen, die ein schuldloses Beschädigen möglich erscheinen lassen. Sollte der Herd während der Fahrt gerutscht oder umgekippt sein, so wäre dieses in einer schuldhaften Nicht-Sicherung des Herdes gegen derartige Transportgefahren begründet. Der Zeuge ... hat bekundet, daß der Fußboden des Transportfahrzeuges eher glatt ist. Dieses ist auf dem Foto Bl. 27 unten der Ermittlungsakten auch deutlich sichtbar. Alle Gerätschaften, zum Beispiel auch die hochkantstehenden Geräte, waren offensichtlich gegen Verrutschen oder Umkippen ungesichert. Daß Umstände während der Fahrt eingetreten sind, die allein aus der Betriebsgefahr des Fahrzeuges heraus eine plötzliche, unvorhersehbare Bewegungsänderung des Fahrzeuges und damit ein Kippen, Umkippen oder ähnliches der Gerätschaften verursacht haben könnte, hat nach der Bekundung des Zeugen ... nicht vorgelegen. Im übrigen wären derartige Gerätschaften während der Fahrt auch gegen seltenes, aber im Straßenverkehr vorkommendes abruptes Bremsen pp. zu sichern.

21

Die offensichtlich während der Rückführungsfahrt des Herdes an diesem eingetretene Beschädigung beruht deshalb auf einem dem beklagten Land zuzurechnenden Verschulden.

22

Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß das Cerankochfeld beschädigt worden ist. Der Zeuge ... hat diesen Schaden ebenso wie der Zeuge ... bekundet. Zwar ist das Cerankochfeld nicht gesprungen, wohl aber die Metalleinfassung des Ceranfeldes so beschädigt worden, daß das Cerankochfeld ausgetauscht werden mußte.

23

Die Beweisaufnahme hat weiter ergeben, daß die Backofentür beschädigt worden ist. Zwar ist nicht Emaille abgeplatzt, sondern der Griff der Backofentür gebrochen. Die Höhe des Schadens hat das beklagte Land nicht angegriffen. Die Beweisaufnahme hat jedoch nicht ergeben, daß auch ein Backblech zu 40,00 DM beschädigt worden ist. Hinzu kommen Montagekosten in Höhe von 65,00 DM, so daß insgesamt ein Schaden von 1.071,00 DM entstanden ist.

24

Dem Kläger gebührt hierauf 4 % Zinsen seit Klagezustellung am 14.07.1992 gemäß § 291 BGB.

25

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO, da gegen dieses Urteil unzweifelhaft eine Berufung nicht statthaft ist.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert beträgt 1.266,54 DM, ab der mündlichen Verhandlung und der Beweisaufnahme jedoch nur 1.111,00 DM.