Verwaltungsgericht Osnabrück
Beschl. v. 06.08.2010, Az.: 1 B 26/10
Anhörung; Beratungsgutachten; Beteiligung; Eltern; Elternrecht; Empfehlung; Förderbedarf; Förderkommission; Förderort; Förderung; Rechtswahrnehmung; Schulgutachten; Sonderpädagogik; sonderpädagogischer Förderbedarf; Sonderschule; Sonderschüler; Sorgeberechtigter; Sorgerecht; Verfahren
Bibliographie
- Gericht
- VG Osnabrück
- Datum
- 06.08.2010
- Aktenzeichen
- 1 B 26/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 47987
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 68 Abs 1 SchulG ND
- § 68 Abs 2 SchulG ND
- § 2 Abs 3 SonderPädV ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Eine abweichende Festlegung des Förderortes kann bei unstreitigem Förderbedarf nicht ohne Wahrung der Beteiligungsrechte der Sorgeberechtigten außerhalb des Verfahrens der VO-SF erfolgen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um den Ort der Förderung nach einem festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf mit dem Förderschwerpunkt im Bereich Sprache.
Die am 28.12.2003 geborene Antragstellerin besuchte vor der Einschulung zum Schuljahr 2010/11 den Sprachheilkindergarten in Georgsmarienhütte. Bereits am 05.01.2010 stellte die allein sorgeberechtigte Mutter der Antragstellerin bei der örtlich zuständigen Grundschule den Antrag, einen sonderpädagogischen Förderbedarf ihrer Tochter festzustellen. Dieser Bedarf wurde bei der Schuleingangsuntersuchung vom 26.01.2010, der in der ergänzenden Stellungnahme vom 04.02.2010 durch den Kinder- und Jugendgesundheitsdienst für Landkreis und Stadt Osnabrück bestätigt wurde, gleichfalls diagnostiziert. Unter dem 25.05.2010 erstellte der Förderschulleiter F., der Rektor der D. E., Förderschule Schwerpunkt Sprache, auf Veranlassung der Grundschule G. H. in Bad Iburg, das Beratungsgutachten zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs. Zum Sprach- und Kommunikationsverhalten der Antragstellerin führte er aus, diese habe deutliche Artikulationsstörungen, so dass Spontanäußerungen nur schwer verständlich seien. In der Lautbildungsüberprüfung könne die Antragstellerin fast alle Laut- und Konsonantenverbindung der deutschen Sprache artikulieren. Fehlbildungen seien aber durchgehend zu beobachten. Bei Lautverbindungen mit "s", "ß", "ch", "k", "g" und "r" durch (inkonsequente) Auslassungen von Lauten in entsprechenden Konsonantenverbindungen und Setzungen sei die Sprache der Antragstellerin verwaschen und extrem unverständlich. Das Lautinventar sei noch nicht vollständig. Auffälligkeiten zeigten sich auch in der phonematischen Differenzierung. Fünf-Wortsätze könne die Antragstellerin nachsprechen, bei längeren Sätzen vertausche sie Satzteile oder lasse Wörter aus. Das Nachsprechen von komplexeren Satzstrukturen mit Konjunktionen gelinge ihr noch nicht. Ihr Silben- und Zahlengedächtnis sei noch sehr gering. Das Ordnen einer Bildergeschichte aus vier Bildern gelinge, beim Erzählen derselben verwende sie aber ausschließlich einfache, verkürzte Sätze, die darüber hinaus grammatikalisch völlig inkorrekt seien (schwerer Dysgrammatismus). Zusammenfassend empfahl das Gutachten, um die Entwicklung der Antragstellerin nicht zu gefährden und ihrem individuellen Förderbedarf zu entsprechen, sollte sie die Chance erhalten, die Vorteile eines 1. Schuljahres 2010/11 in einer Förderschule mit dem Schwerpunkt Sprache zu nutzen. Mit
- durchgehender sonderpädagogischer Begleitung aus dem Bereich der Sprachbehindertenpädagogik,
- multisensorieller Gestaltung des Lese- und Schreiblehrgangs,
- Unterstützung durch Lauthandzeichen,
- einer überschaubaren Lerngruppe,
- Förderung der sprachbezogenen Wahrnehmungsbereiche und
- Psychomotorik zur Förderung der Wahrnehmung und der Gesamtkörperkoordination.
Das Gutachten berichtet weiter, im Elterngespräch habe sich die Mutter für die Antragstellerin die Einschulung in die D. E. Förderschule mit dem Schwerpunkt Sprache gewünscht und möchte keine Förderkommission einberufen. Entsprechend empfahlen die Leiterin der Grundschule G. H. in Bad Iburg, in die die Antragstellerin aufgrund ihres Wohnsitzes ohne einen besonderen Förderbedarf hätte aufgenommen werden müssen und die zugleich als unterrichtende Lehrkraft eingesetzt worden wäre, gemeinsam mit dem Förderschulrektor F. einen sonderpädagogischen Förderbedarf festzustellen und empfahl für den weiteren Schulbesuch "Förderschule Schwerpunkt Sprache".
Mit dieser Empfehlung vom 28.05.2010 zeigte sich die Mutter der Antragstellerin ausweislich des Vermerks vom 01.06.2010 einverstanden.
Durch Bescheid vom 22.06.2010 stellte die Antragsgegnerin unter Ziff. 1 für die Antragstellerin einen sonderpädagogischen Förderbedarf mit dem Förderschwerpunkt im Bereich Sprache fest und bestimmte unter Ziff. 2 als Förderort mit Wirkung vom 01.08.2010 die Grundschule I. in Hagen.
Gegen die Festlegung des Förderortes wendet sich die Antragstellerin mit dem am 26.07.2010 bei Gericht angebrachten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und sucht die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Schülerin vorläufig entsprechend der Empfehlung des Beratungsgutachtens zu beschulen. Am gleichen Tag hat sie hinsichtlich des Förderorts Verpflichtungsklage im Verfahren 1 A 170/10 erhoben.
Zur Begründung ihres Antrags im Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz macht die Antragstellerin geltend, sie habe bereits unter dem 05.07.2010 durch anwaltlichen Schriftsatz geltend gemacht, die Antragstellerin solle in der Förderschule Sprache D. E. eingeschult werden. Ihr sei durch die Antragsgegnerin mitgeteilt worden, dies sei nicht möglich, weil die D. E. lediglich Kinder aus dem Stadtgebiet Osnabrück aufnehmen dürfe und verwies auf einen Vermerk vom Schulamt der Stadt Osnabrück vom 15.10.1998 an den - damaligen- Oberbürgermeister. Zur Begründung der zugleich erhobenen Klage, auf die sie wegen des Anordnungsanspruchs verweist, macht sie geltend, das Beratungsgutachten stelle einen erheblichen Förderbedarf fest, insbesondere würden hartnäckige Sprachentwicklungsstörungen, Wortfindungsstörungen, schwerer Dysgrammatismus sowie selektiver Mutismus beschrieben. Die im Gutachten festgestellte Neigung zur Sprechverweigerung trage die Empfehlung, eine Förderschule mit dem Schwerpunkt Sprache nutzen zu dürfen. Diese Empfehlung korrespondiere auch mit dem Bericht des Sprachheilkindergartens J. in Georgsmarienhütte, den die Antragstellerin seit 2007 besucht habe. Hierzu verweist die Antragstellerin auf den Abschlussbericht des Sprachheilkindergartens vom 08.06.2010. Die gebotene bestmögliche Förderung könne die Antragstellerin daher nur in einer Förderschule mit dem Schwerpunkt Sprache erfahren. Für die D. E. gebe es aus Sicht der Antragstellerin eine Schulbezirkseinteilung nicht. Wenn der Landkreis Osnabrück nicht über Beschulungsmöglichkeiten verfüge, die dem individuellen Förderbedarf der Antragstellerin hinreichend nachkommen und ihn erfüllen könne, so habe diese einen Anspruch darauf, die D. E. besuchen zu dürfen, dort eingeschult zu werden und so die vom Gesetzgeber formulierte Förderung zu realisieren.
Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung gem. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu verpflichten, sie vorläufig zum Besuch der D. E., Förderschule Schwerpunkt Sprache in Osnabrück, zuzulassen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Sie meint, der Förderbedarf der Antragstellerin könne im Rahmen des sog. "koordinierten Systems Sprache" am besten gedeckt werden. Hierzu stellt sie die Lernbedingungen in der Grundschule I. im "koordinierten System Sprache" im Einzelnen dar, wie sie auch im schulfachlichen Vermerk vom 04.08.2010 niedergelegt worden sind. Sie sieht sich nicht verpflichtet, die Empfehlungen des Beratungsgutachtens bzw. der Förderkommission über den Förderort uneingeschränkt übernehmen zu müssen. Hiervon dürfe sie abweichen, wenn das in Rede stehende Beratungsgutachten bei der Empfehlung für den Förderort die regional vorhandenen besonderen sonderpädagogischen Fördermöglichkeiten völlig unbeachtet lasse und eine dem individuellen sonderpädagogischen Bedürfnissen mindest gleichwertige Förderung sichergestellt sei. Im Übrigen folge sie mit der Auswahl des Förderortes dem Vorrang der integrativen Beschulung. Die D. E. stehe zudem in Trägerschaft der Stadt Osnabrück und sei nach dem Willen des Schulträgers ausschließlich für solche Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf im Bereich Sprache gedacht, die in der Stadt Osnabrück wohnten. Auch wenn dies hinsichtlich der Entscheidung nach § 68 Abs. 2 NSchG keine rechtliche Bindungswirkung enthalte, habe die Landesschulbehörde hier dennoch die Vorgaben der Stadt zu respektieren.
Das Gericht hat zu der Annahme, bei der Erstellung der Förderortempfehlung sei der Umfang der Fördermöglichkeit in der Grundschule I. unbekannt gewesen, eine dienstliche Äußerung des Förderschulrektors F. und der Grundschulrektorin K. herbeigeführt.
Wegen dieser und des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakte in diesem und im Verfahren 1 A 170/10 sowie den Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin Bezug genommen. Sie sind in ihren wesentlichen Bestandteilen Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
II.
Der zulässige Antrag hat Erfolg.
Gem. § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei verlangt der Anspruch auf den in Art. 19 Abs. 4 GG garantierten effektiven Rechtsschutz eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle. Es wird grundgesetzlich garantiert, soweit wie möglich zu verhindern, dass durch die sofortige Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme Tatsachen geschaffen werden, die auch dann, wenn sich die Maßnahme bei richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Es muss sichergestellt sein, dass der Betroffene umgehend eine gerichtliche Entscheidung darüber herbeiführen kann, ob im konkreten Einzelfall das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung oder aber sein Interesse an der Aussetzung der Vollstreckung bis zur Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme überwiegt. Bei dieser Abwägung fällt der Rechtsschutzanspruch des Bürgers umso stärker ins Gewicht, je schwerer die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme Unabänderliches bewirkt (BVerfG, ständige Rspr., vgl. zuletzt wohl Kammerbeschl. v. 24.03.2009, 2 BvR 2347/08). Dieser Anspruch auf effektiven Rechtsschutz erstreckt sich nicht nur auf Anfechtungs-, sondern auch auf Vornahmesachen, jedenfalls dann, wenn ohne eine gerichtliche Eilentscheidung schwere Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Deshalb sind Gerichte gehalten, bei der Auslegung und Anwendung des § 123 VwGO der besonderen Bedeutung der jeweils betroffenen Grundrechte und der Erfordernisse eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen (BVerfG, Kammerbeschl. v. 27.10.1995, 2 BvR 384/94, DVBl. 1996, 196).
Für den Erfolg einer Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist nach der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte (BVerfG, v. 24.03.2009, 2 BvR 384/94) zu verlangen, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft macht. Die Vorwegnahme der Hauptsache widerspricht im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung dem Wesen und Zweck des vorläufigen Rechtsschutzes; dieser erlaubt dem Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen zu treffen und dem Antragsteller oder der Antragstellerin nicht schon im vollen Umfange das zu gewähren, was er im Hauptsacheprozess erreichen könnte (BVerwG, B. v. 27.05.2004, 1 WDS-R 2/04; Kopp/Schenke, § 123 Rdnr. 13, Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren,5. Aufl., Rdnr. 183 m.w.N.; A.A.: Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 123 Rdnr. 102 ff.; Schoch in Schoch/Schmidt-Assmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rdnr. 147 f.). Von einer - grundsätzlich unzulässigen - Vorwegnahme der Hauptsache im Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz ist dann auszugehen, wenn die erstrebte Entscheidung für die Dauer des Klageverfahrens dem Antragsteller oder der Antragstellerin bereits eine Rechtsposition vermittelt, die in der Hauptsache erst angestrebt wird. Das Rechtsschutzziel des Anordnungsverfahrens muss als mit dem des Klageverfahrens übereinstimmen, also bereits das einstweilige Rechtsschutzverfahren die Rechtsposition vermitteln, die der Antragsteller in der Hauptsache anstrebt; die eingeräumt Rechtsstellung steht lediglich unter der auflösenden Bedingung des Ergebnisses des Hauptsacheverfahrens (Nds. OVG, B. v. 08.10.2003, 13 ME 342/03; B. v. 22.09.2008, 13 ME 90/08, DVBl. 2008, S. 1399; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, aaO., Rdnr. 175). In eine solche Rechtsposition wird eine Entscheidung im vorliegenden Verfahren die Antragstellerin einsetzen: Mit der Aufnahmeentscheidung wird das Schulrechtsverhältnis im Sinne der §§ 58 ff NSchG konkretisiert. Der Schüler oder die Schülerin hat die betreffende Schule zu besuchen und ist deren Beurteilungs- und Versetzungsentscheidungen unterworfen. Die Inhaltsbestimmungen dieses Sonderrechtsverhältnisses wirken auch dann fort, wenn sich in einem nachfolgenden Hauptsacheverfahren die vorläufige Entscheidung als unzutreffend erweist.
Aus der Feststellung des Umstandes, dass eine Vorwegnahme der Hauptsache inhaltlich angestrebt wird, folgt jedoch nicht zwangsläufig, dass das Rechtsschutzziel im Rahmen des Eilverfahrens unzulässig wäre. Vielmehr ist eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache anerkannt, wenn eine Regelung erforderlich ist, weil effektiver Rechtsschutz in der Hauptsache wegen der langen Verfahrensdauer nicht rechtzeitig erlangt werden kann und dies für den Antragsteller oder die Antragstellerin zu schlechthin unzumutbaren Nachteilen führt, die sich auch bei einem späteren Erfolg in der Hauptsache nicht mehr ausgleichen lassen (Nds. OVG, B. v. 22.09.2008, 13 ME 90/08; B. v. 27.04.2010, 8 ME 76/10; B. v. 08.10.2003, 13 ME 342/03; Kopp/Schenke, VwGO, § 123 Rdnr. 14 m.w.N.; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, aaO., Rdnr. 193 ff.). Eine Ausnahme ist dann anerkannt, wenn das streitige Recht ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung nicht mehr rechtzeitig realisiert werden kann (BVerwG, B. v. 13.08.1999, 2 VR 1/99; Nds. OVG, B. v. 27.04.2010, 8 ME 76/10; B. v. 24.03.2010, 8 M 986/00) Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn das Recht nur zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgeübt werden kann (BVerwG, B. v. 13.08.1999, 2 VR 1/99; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, aaO., Rdnr. 199 m.w.N.). Den Besuch einer bestimmten Schule und die damit verbundene Deckung ihres unstreitig bestehenden Förderbedarfs kann die Antragstellerin im Schuljahr 2010/11 nur jetzt und gleich realisieren. Verstreicht dieser Zeitraum, ist die Förderung für die Vergangenheit nicht oder nur außerhalb eines schulischen Angebotes nachholbar; dies rechtfertigt es, die Hauptsache in Verfahren nach 3 123 VwGO vorwegzunehmen.
Der Anordnungsgrund ergibt sich aus dem Beginn des Schuljahrs 2010/11.
Der Anordnungsanspruch folgt daraus, dass die vorliegenden und verfügbaren Gutachten und Stellungnahmen sämtlichst davon ausgehen, dass der zwischen den Beteiligten des vorliegenden Verfahrens unstreitige sonderpädagogische Förderbedarf mit dem Schwerpunkt Sprache vorrangig durch den Besuch der Förderschule Sprache gedeckt werden muss.
Gemäß § 68 Abs. 1 NSchG sind Schülerinnen und Schüler mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf i. S. v. § 14 Abs. 1 Satz 1 NSchG zum Besuch der für sie geeigneten Förderschule verpflichtet. Eine Verpflichtung zum Besuch der Förderschule besteht dann nicht, wenn die notwendige Förderung in einer Schule einer anderen Schulform gewährleistet ist. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 NSchG werden in der Förderschule Schülerinnen und Schüler unterrichtet und erzogen, die einen sonderpädagogischen Förderbedarf haben und die entsprechende Förderung nicht an einer anderen Schule einer anderen Schulform erhalten können. Der Förderbedarf kann u.a. im Bereich Sprache festgestellt werden. Einzelheiten zur Feststellung und dem Verfahren dazu sind in der Verordnung zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs vom 01.11.1997, GVBl. S. 458 - VO-SF-, geregelt. Über diese Regelung hinaus sind durch Erlass des MK vom 06.11.1997 (SVBl. S. 385) "Ergänzende Bestimmungen zur Verordnung zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs" - EB VO-SF - getroffen worden. Nach der Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs in dem Verfahren, das durch vorstehende Regelungen bestimmt ist, ist die Entscheidung über die zu besuchende Schule zu treffen. Diese trifft nach § 68 Abs. 2 Satz 1 die Schulbehörde, also die Beklagte des vorliegenden Verfahrens. Nach § 3 VO-SF "berücksichtigt" sie bei der Entscheidung über eine sonderpädagogische Förderung den Bericht der Schule, das Beratungsgutachten der dort noch "Sonder"schule genannten Einrichtung und die Empfehlungen der einberufenen Förderkommission bzw. der in Ermangelung einer solchen die Vorschläge unterbreitenden Lehrkräfte. Dies sind nach § 2 Abs. 6 i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 VO-SF die Lehrkräfte die den Bericht und das Beratungsgutachten erstellt haben. Nach Ziff. 10 EB VO-SF verfasst die Förderkommission die Empfehlungen für die Schulbehörde. Sie kann als weitere Grundlagen für ihre Beratung die Ergebnisse der Untersuchung durch das Gesundheitsamt, Berichte vorschulischer pädagogischer Einrichtungen und weiterer mit Erziehungsaufgaben betrauter Personen und Institutionen nutzen. Wenn sonderpädagogischer Förderbedarf besteht, erstreckt sich die Entscheidungsbefugnis der Schulbehörde nach Nr. 16 EB VO-SF u.a. nach Nr. 1 auf die Aufnahme in eine andere allgemeinbildenden Schule mit sonderpädagogischer Förderung bei zielgleichen Leistungsanforderungen.
Die zur Umsetzung dieser Feststellung des Förderbedarfs getroffene Entscheidung über den Förderort durch die Antragsgegnerin hält einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand. Schon die Frage nach einem sonderpädagogischen Förderbedarf kann grundsätzlich nicht von schulfremden Personen geklärt werden, weil es um die Frage einer Förderung in der Schule geht, d.h. in einer Förderschule oder einer Schule einer anderen Schulform (§ 14 Abs. 2 Satz 1, § 68 Abs. 1 Satz 2 NSchG), deren Beantwortung schulfremden Personen in der Regel nicht möglich sein wird (Nds. OVG, B. v. 28.07.2003, 13 PA 146/03, VG Osnabrück, B. v. 18.02.2003, 3 A 161/02). Vielmehr ist das grundsätzlich bestehende Ermessen der Antragsgegnerin in dem Fall beschränkt, in dem die notwendige Förderung in einer Schule einer anderen Schulform als einer Förderschule nicht gewährleistet ist (Nds. OVG, B. v. 21.10.2004, 13 ME 422/04; VG Osnabrück, B. v. 20.08.2004, 1 B 27/04). Dafür sprechen im vorliegenden Fall der Bericht des Sprachheilkindergartens, das Ergebnis der Schuleingangsuntersuchung und das Beratungsgutachten.
Im Übrigen erwiese sich die Festlegung des Förderorts auch unter anderen Gesichtspunkten als fehlerhaft: Die Frage, welche schulische Förderung notwendig ist und welche Schule die erforderliche Förderung sicherstellen kann, hat maßgeblich auf der Einschätzung der insoweit sach -und fachkundigen Pädagogen zu beruhen. Dem tragen auch die Verfahrensregelungen Rechnung (vgl. VG Braunschweig, B. v. 20.08.2008, 6 B 196/08, m.w.N.; VG Osnabrück, Urt. v. 05.08.2010, 1 A 106/10). In letztgenannter Entscheidung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt:
"Die VO-SF hält ein dezidiertes Regelungssystem bereit, das unter Berücksichtigung des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung das Verhältnis zwischen staatlichem Bildungsauftrag und dem Erziehungsrecht der Eltern in Bezug auf die Wahl der Schullaufbahn ihres Kindes und die von Verfassungswegen geforderte Rücksichtnahme der Schulverwaltung auf die Bildungsvorstellungen der Eltern gewährleistet und zum Ausgleich bringt. Die geforderte Rücksichtnahme der Schulverwaltung auf die Bildungsvorstellungen der Eltern gewährleistet das auch von einer Beteiligung der Eltern geprägte Verfahren nach der VO-SF (vgl. VG Hannover, B. v. 02.10.2006, -6 B 6299/06- m.w.N.). Deshalb sieht § 2 Abs. 3 VO-SF ein Antragsrecht für die Erziehungsberechtigten vor, eine Förderkommission einzuberufen. Bei deren Sitzungen haben die Erziehungsberechtigten die durch Ziff. 11 der ergänzenden Bestimmungen geregelten Beteiligungsrechte und können sich auch nach § 2 Abs. 5 VO-SF und Nr. 12 EB VO-SF durch Personen ihres Vertrauens bei den Sitzungen vertreten oder unterstützen lassen. Dieses Verfahren stellt - letztlich auch in seiner Chronologie - den Ablauf sicher, der den Erziehungsberechtigten die Einflussmöglichkeiten bei der Gestaltung der Schullaufbahn ihres Kindes eröffnet. Zwar lässt der Wortlaut des § 68 Abs. 2 Satz 1 NSchG ("Die Schulbehörde entscheidet" … ) und des § 3 VO-SF ("Die Schulbehörde berücksichtigt" …) nicht notwendig eine Bindungswirkung der Schulbehörde an die Empfehlungen der Förderkommission erkennen. Die Überlegung, dass die Beschulungsprognose aber in der Regel Außenstehenden, die ihre Erkenntnisse nicht aus dem Wissen um Anforderungen und Ablauf des Schulprozesses ziehen, so dass regelmäßig Sachverständigenbeweise, die sich gegen die Feststellungsentscheidungen richten, erfolglos bleiben, muss hier zu einer beschränkten Abweichungsmöglichkeit der Schulverwaltung führen. Den Feststelllungen der von Bericht- und Beratungsgutachten beruhenden Empfehlungen der Förderkommission ist ein Prognosespielraum zuzugestehen, der durch eine abweichende, auch schulfachliche Stellungnahme, nicht ohne weiteres überlagert werden kann".
Die schlichte Ersetzung der Empfehlung der Förderkommission, die ihrerseits beruht auf dem Beratungsgutachten vom 25.05.2010, das seinerseits wiederum zwanglos in Einklang zu bringen ist mit dem Ergebnis der Schuleingangsuntersuchung vom 26.01.2010 und der ergänzenden Stellungnahme vom 04.02.2010, erweist sich demgegenüber auch als auf unvollständiger Grundlage beruhend. Nach Nr. 10 Ziff. 2 d EB SF-VO kann als weitere Grundlage für die zu erarbeitende Empfehlung ein Bericht vorschulischer pädagogischer Einrichtungen genutzt werden. Bei den Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin findet sich eine Stellungnahme des Sprachheilkindergartens, den die Antragstellerin tatsächlich besucht hat, nicht. Weder der angefochtene Bescheid noch der schulfachliche Vermerk vom 04.08.2010 verwertet den Bericht des Sprachheilkindergartens J. vom 08.06.2010, den die Antragstellerin als Anlage K 2 zu ihrer Antragsschrift vorgelegt hat. Auch dieser empfiehlt im Übrigen die Einschulung in die Sprachheilschule D. E..
Infolge der Ersetzung der Empfehlung wird das Beteiligungsrecht der Sorgeberechtigten ausgehöhlt, das die Verfahrensregelungen der VO-SF sichern sollen. Sie sind bei der Einleitung des Verfahrens zu informieren, Ziffer 3 EB VO-SF, haben der Einholung von Stellungnahmen zuvor besuchter Einrichtungen zuzustimmen, Ziffer 5 EB VO-SF, und sind in einem abschließenden Elterngespräch zu unterrichten, Ziffer 8 EB VO-SF. In Kenntnis des Inhalts des Beratungsgutachtens haben sie das Recht, auch dann noch einen Antrag auf Einrichtung einer Förderkommission zu stellen, Ziffer 8 EB VO-SF. Diese träfe dann unter ihrer Mitwirkung die Empfehlung. Stimmt hingegen - wie auch hier - die Vorstellung des oder der Sorgeberechtigten mit den Ausführungen des Beratungsgutachtens überein, besteht an sich kein Anlass mehr dafür, die Frage auch des Förderortes noch einmal in einer Förderkommission zu erörtern - es ist ja für alle Beteiligten dem Grunde nach klar, wo die Beschulung des Kindes erfolgen soll. Ersetzt dann die Schulbehörde - zudem ohne eine Beteiligung der Sorgeberechtigten - im Bescheid die Kernaussage der fundierten Empfehlung, konterkariert sie die Beteiligungsrechte der Eltern und die diese sichernden Regelungen der VO-SF und der EB VO-SF und damit das grundrechtlich geschützte Elternrecht, auf den Bildungsgang ihres Kindes Einfluss zu nehmen.
Im Übrigen ist die Entscheidung der Antragsgegnerin augenscheinlich von der Annahme getragen, Kinder mit dem sonderpädagogischen Förderbedarf Sprache könnten nicht die in Trägerschaft der Stadt Osnabrück stehende D. E. besuchen. Entsprechende Beschlüsse, welcher kommunalen Gremien auch immer, widersprächen der Regelung des § 68 Abs. 2 NSchG und entfalten gegenüber der Antragsgegnerin keine Bindungswirkung. Diese geht als speziellere der Vorschrift des § 63 Abs. 3 Satz 4 NSchG vor (so auch VG Braunschweig, B. v. 11.01.2006, 6 B 506/05). Zwar mag die Antragsgegnerin Belange des Schulträgers und des Trägers der Schülerbeförderung zu berücksichtigen haben (VG Braunschweig, B. v. 11.01.2006 6 B 506/05); diese können aber weder für sie und erst recht nicht für das Gericht Bindungswirkung entfalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG. Wegen der Vorwegnahme der Hauptsache sieht das Gericht von einer Verminderung des Streitwertes nach Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges der Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327) ab.