Amtsgericht Verden
Urt. v. 29.04.2010, Az.: 2 C 394/09

Bibliographie

Gericht
AG Verden
Datum
29.04.2010
Aktenzeichen
2 C 394/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 41520
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGVERDN:2010:0429.2C394.09.0A

In dem Rechtsstreit

...

hat das Amtsgericht Verden (Aller) auf die mündliche Verhandlung vom 08.04.2010 durch den ... des Amtsgerichts

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.)

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.)

    Auf die Widerklage wird die Klägerin verurteilt, an den Beklagten € nebst Zinsen von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 27.11.2009 zu zahlen.

  3. 3.)

    Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

  4. 4.)

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

  1. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, sofern nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist ein Energieversorger. Sie begehrt für die Verbrauchszeiträume vom 27.10.2005 bis 25.10.2007 ausstehende Rechungsbeträge für Gaslieferungen.

2

Die Klägerin versorgt neben dem Beklagten etwa 270 000 Haushaltskunden mit Erdgas. Dieses wird für Zwecke der Heizung, Warmwasserbereitung und auch zum Kochen verwendet.

3

Die Klägerin ist ein Energieversorgungsunternehmen, das aus der Fusion verschiedener regionaler Versorgungsunternehmen entstanden ist. Der Beklagte war zunächst Kunde der Gasversorgung Wesermünde GmbH. Diese wurde auf die EWE AG Oldenburg verschmolzen, bevor im Jahr 2000 die Rechtsvorgängerin der Klägerin, die Avacon AG, die Versorgung des Beklagten übernahm.

4

Einen schriftlichen Belieferungsvertrag haben die Parteien nicht geschlossen. Zum 1.10.2003 stellte die E.ON Avacon AG ihr Gas-Tarifsystem um. Sie unterbreitete den Bestandskunden ein Angebot auf neugeschaffene Tarife. Es gab ein bares Angebot für Geringverbraucher, den Avacon Erdgas-Tarif. Zur Flexilibität bei höherem Verbrauch bot die E.ON Avacon AG den Avacon ErdgasClassic-Tarif an. Darüber hinaus gab es Sparpreise für Treue, den Avacon Erdgaskomfort, sowie eine Preisgarantie für Planer, den Avacon ErdgasConstant. Für beide letztere Tarifgestaltungen war ein schriftlicher Vertrag vorgesehen. E.ON Avacon AG stufte ihre Kunden nach dem Verbrauch ihrerseits in den ClassicTarif ein, sofern die Kunden dieser Einstufung nicht widersprachen. Der Beklagte wurde nach dem ErdgasClassicTarif beliefert, weil er der Umstellung nicht widersprach. Erstmals mit Schreiben vom 22.12.2004 widersprach der Beklagte der Erhöhung der Belieferungspreise. Die Klägerin erhöhte ab 01.01.2004 mehrfach die den Kunden in Rechnung gestellten Arbeitspreise.

5

Die Klägerin ist der Auffassung, ihr stehe ein einseitiges Preisanpassungsrecht aufgrund der AVBGasV zu. Bei dem Tarif ErdgasCIassic habe sich nicht um einen Sondertarif gehandelt. Der Tarif ErdgasClassic sei in allen relevanten Punkten wie der Allgemeine Tarif behandelt worden. Die Tariferhöhungen entsprechen der Billigkeit. Sofern die Verordnung nicht Gegenstand der vertraglichen Beziehung geworden sei, ergebe sich die einseitige Preisgestaltungsbefugnis im Wege ergänzender Vertragsauslegung. Die Klägerin ist weiterhin der Auffassung, zum 01.10.2003 sei kein Neuabschluss des Gaslieferungsvertrages erfolgt. Die Vertragsänderung des ursprünglichen Vertrages sei hinsichtlich der Einbeziehung der AVBGasV nicht an § 305 Abs. 2 BGB zu messen. Aus dem von der Beklagten vorgelegten Sondervertrag mit der Gasversorgung Wesermünde GmbH ergebe sich die Einbeziehung der Verordnung. Im Übrigen bilde § 305 Abs. 2 erster Halbsatz Nr. 1 2. Alternative im BGB den wichtigsten Anwendungsfall eines konkludenten Vertragsabschlusses.

6

Die Klägerin beantragt,

  1. den Beklagten zu verurteilen, an sie ... € nebst Zinsen von 5 %-Punkten über dem Basiszins seit 05.10.2009 zu zahlen.

7

Der Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

8

Hilfsweise für den Fall, dass die Klage als unbegründet abgewiesen wird, erhebt der Beklagte Widerklage mit dem Antrag, die Klägerin zu verurteilen,

  1. an ihn ... € nebst Zinsen von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.11.2009 zu zahlen.

9

Der Beklagte rügt die Unzuständigkeit. Die Klage sei unzulässig, weil nach § 102 EnWG die Landgerichte ausschließlich zuständig seien. Die Entscheidung des Rechtstreites hänge ganz oder teilweise von einer Entscheidung ab, die nach vorgenanntem Gesetz zu entscheiden sei.

10

Der Beklagte ist weiter der Auffassung, bei der vertraglichen Gestaltung handele es sich um einen Sondervertrag. Dies sei schon bei dem ursprünglichen Vertrag mit der Gasversorgung Wesermünde GmbH so niedergelegt worden. Die Bestimmungen der AVBGasV seien nicht Vertragsgegenstand geworden. Aus diesem Grund sei die Klägerin nicht befugt gewesen, einseitig die Preise zu verändern.

11

Die Klägerin beantragt,

  1. die Widerklage abzuweisen.

12

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

13

Die Klage ist zulässig. Das Amtsgericht Verden (Aller) ist für die Entscheidung zuständig. Die ausschließliche Zuständigkeit der Landgerichte nach § 102 EnWG ist nicht gegeben. Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 EnWG sind für bürgerlich rechtliche Streitigkeiten ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes die Landgerichte ausschließlich dann zuständig, wenn sich die bürgerlich rechtlichen Streitigkeiten aus diesem Gesetz ergeben. Die Parteien streiten in diesem Rechtsstreit nicht über unmittelbare Folgen, die sich aus der Anwendung des EnWG ergeben. Es geht vielmehr um die Einordnung der vertraglichen Beziehung zwischen den Parteien. Auch dafür sind die Landgerichte nicht nach Satz 2 vorgenannter Vorschrift ausschließlich zuständig, weil die Entscheidung dieses Rechtsstreits nicht von einer Entscheidung abhängt, die nach dem EnWG zu treffen ist. Allein eine mögliche Heranziehung zur Auslegung vertraglicher Beziehungen reicht nicht aus, die ausschließliche Zuständigkeit der Landgerichte zu begründen.

14

Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin vermag den Klagbetrag nicht geltend zu machen, weil ihr ein einseitiges Preisanpassungsrecht nicht zustand. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Parteien einen schriftlichen Bezugsvertrag nicht geschlossen haben. Der Klägerin war es verwehrt, einseitig eine Anpassung der Gaspreise vorzunehmen, weil die Vorschriften der AVBGasV nicht Gegenstand der vertraglichen Beziehung geworden sind. Die Klägerin bzw. ihre Rechtsvorgängerin hat den ursprünglichen Tarif im Oktober 2003 automatisch ohne Widerspruch des Beklagten in den Tarif ErdgasClassic umgewandelt. Damit haben die Parteien einen Sondervertrag geschlossen. Für die Beurteilung, ob es sich bei öffentlich bekannt gemachten Vertragsmustern und Preisen für die Versorgung von Haushaltskunden mit Gas um Tarif- bzw. Grundversorgungsverträge oder um Norm-Sonderverträge handelt, kommt es darauf an, ob der Energieversorger die Versorgung aus Sicht eines durchschnittlichen Abnehmers im Rahmen einer Versorgungspflicht nach den genannten Vorschriften oder unabhängig davon im Rahmen der allgemeinen Vertragsfreiheit anbietet. Welche Art von Vertrag vorliegt, muss durch Auslegung ermittelt werden. Diese Auslegung ergibt, dass die Parteien keinen Tarif- bzw. Grundversorgungsvertrag, sondern einen Norm-Sondervertrag abgeschlossen haben. Dem Beklagten sind verschiedene Tarife angeboten worden. Dem Anschreiben, mit dem diese neuen Tarife den Bestandskunden nahe gebracht wurden, heißt es: "Mit unseren neuen Erdgasangeboten gehen wir auf die individuellen Wünsche unserer Kunden nach besonders günstigen Preisen, Preisgarantie oder vertraglicher Flexilibität ein." Die angeschriebene Kunden konnten zwischen vier Tarifen wählen, wobei davon auszugehen ist, dass der Avacon ErdgasTarif der Basistarif ist. Die Klägerin selbst hat die Vertragsbeziehung als Sondervertrag angesehen. Dies ergibt sich aus den Konzessionsabgaben, die die Klägerin an die Kommunen zahlt. Aus dem Verfahren 2 C 382/09 ist gerichtsbekannt, dass die Klägerin an die Kommunen Konzessionsabgaben, die sie für die Versorgung mit Gas zu zahlen hat, für den Tarif ErdgasClassic nur in Höhe der für Sonderverträge zu entrichtenden Verträge abführt. Dies hat zur Folge, dass die Verordnungen über allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden nicht von Gesetztes wegen Bestandteil des Versorgungsvertrages war und die Klägerin nicht unmittelbar gemäß § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV zur Preisänderung befugt war.

15

Diese Vorschrift ist auch nicht auf anderem Wege zur Allgemeinen Geschäftsbedingung und damit zur Grundlage des konkludent abgeschlossenen Belieferungsvertrages geworden. Allein dadurch, dass die AVBGasV dem Anschreiben an die Kunden beigefügten Broschüre aufgeführt wurde, wird diese nicht zum Vertragsgegenstand.

16

Entgegen der Auffassung der Klägerin gelten die sich aus dem Vertrag des Beklagten mit der Gasversorgung Wesermünde GmbH ergebenen Allgemeinen Geschäftbedingungen nicht. Der Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, die AVBGasV sei ihm bei Vertragsschluss nicht ausgehändigt worden, was zur Einbeziehung notwendig gewesen wäre.

17

Entgegen der Auffassung der Klägerin reicht der Aushang der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Räumen der Klägerin zur wirksamen Einbeziehung nicht aus. Wenn, wie hier, ein Norm-Sondervertrag abgeschlossen wird, ist zur Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen die Übersendung derselben an die Kunden, mithin an den Beklagten, unverzichtbar.

18

Die Regelungen der AVBGasV können auch nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zum Gegenstand der Rechtsbeziehungen der Parteien gemacht werden. Es fehlt bereits an einer Regelungslücke, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen werden könnte. Eine Regelungslücke liegt nur dann vor, wenn die vertraglichen Regelungen Bestimmungen nicht enthalten, die erforderlich sind, um den zugrundeliegenden Regelungsplan zu verwirklichen. Ohne einer Vervollständigung des Vertrages muss eine angemessene und interessengerechte Lösung nicht zu erzielen sein. Das Fehlen einer einseitigen Preisanpassungsregel erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Bei Sonderverträgen bleibt es den Parteien unbenommen, im Wege der Nachverhandlungen eine Preisanpassung herbeizuführen, sofern dies von einer Seite für erforderlich gehalten wird.

19

Auf die erhobene Widerklage war die Klägerin zur Zahlung von ... € zu verurteilen. Der substantiellen Aufstellung aus der Klagerwiderungsschrift vom 19.11.2009 (Seite 7 des Schriftsatzes) hat die Klägerin nicht hinreichend konkret erwidert.

20

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11711 ZPO.