Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 21.07.2021, Az.: 2 AR (Ausl) 40/21
Zulässige Auslieferung nach Ungarn nach Beseitigung dortiger Überbelegungsprobleme; EMRK-konforme Haftbedingungen in Ungarn; Ausreichende Zusicherung ungarischer Behörden zur Einhaltung der Standards
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 21.07.2021
- Aktenzeichen
- 2 AR (Ausl) 40/21
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 31551
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2021:0721.2AR.AUSL40.21.00
Rechtsgrundlagen
- § 73 Abs. 2 IRG
- Art. 3 MRK
- § 26 Abs. 1 IRG
- § 41 IRG
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Das in der Vergangenheit durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und das CPT (European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment) festgestellte erhebliche Überbelegungsproblem in ungarischen Haftanstalten wurde sowohl durch gesetzliche, als auch organisatorische und bauliche Maßnahmen beseitigt.
- 2.
Das Rechtshilfeverbot gem. § 73 IRG steht der Zulässigkeit der Auslieferung vor diesem Hintergrund derzeit nicht entgegen, wenn die ungarischen Behörden bezüglich der im Falle der Auslieferung zu erwartenden Haftbedingungen eine allgemeine Zusicherung dahingehend abgeben, dass der Verfolgte für die gesamte Haftzeit nach Überstellung kontinuierlich EMRK-konforme Bedingungen vorfinden wird.
Tenor:
- 1.
Die Auslieferung des Verfolgten an die ungarischen Justizbehörden zur Strafverfolgung wegen der in dem Europäischen Haftbefehl des Gerichts in Kaposvar vom 29.04.2021 (Az.: 11.Bny.189/2021/3) bezeichneten Straftaten ist zulässig.
- 2.
Der Auslieferungshaftbefehl des Oberlandesgerichts Celle vom 08.06.2021 bleibt aufrechterhalten. Die Auslieferungshaft hat fortzudauern.
- 3.
Die Zurückstellung der Übergabe des Verfolgten bis zur Erledigung etwaiger deutscher Strafansprüche ist zulässig.
Gründe
I.
Die ungarischen Justizbehörden betreiben auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls des Kreisgerichts in Kaposvár vom 29. April 2021 (Az.: 11.Bny.189/2021/3) die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung. Wegen des dem europäischen Haftbefehl zugrundeliegenden Tatgeschehens wird auf den Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 08. Juni 2021, Az. 2 AR (Ausl) 40/21, Bezug genommen.
Der Verfolgte wurde am 6. Juni 2021 in der Bundesrepublik Deutschland vorläufig festgenommen. Das Amtsgericht Hannover hat am 7. Juni 2021 gemäß § 22 Abs. 3 Satz 2 IRG angeordnet, dass der Verfolgte bis zur Entscheidung des Oberlandesgerichts festzuhalten ist.
Der Verfolgte hat sich mit einer vereinfachten Auslieferung nicht einverstanden erklärt (§ 41 Abs. 1 IRG). Er hat zudem auf die Beachtung des Grundsatzes der Spezialität nicht verzichtet (§ 41 Abs. 2 IRG).
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Auslieferung für zulässig zu erklären und Haft-fortdauer anzuordnen.
II.
Den Anträgen der Generalstaatsanwaltschaft war zu entsprechen. Darüber hinaus war festzustellen, dass die Zurückstellung der Übergabe des Verfolgten bis zur Erledigung etwaiger deutscher Strafansprüche zulässig ist.
1. Der Senat ist zu einer Entscheidung über die Anträge der Generalstaatsanwaltschaft berufen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit ihrem Zulässigkeitsantrag vom 14.06.2021 die in § 79 Abs. 2 S. 1 IRG vorgesehene Vorabbewilligungsentscheidung getroffen, denn es wird klar zum Ausdruck gebracht, dass Bewilligungshindernisse insgesamt nicht erkennbar seien. Zudem ist dem in § 79 Abs. 2 S. 3 IRG verankerten Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs hinreichend Rechnung getragen worden, denn der Zulässigkeitsantrag wurde dem Verfolgten und seinem Beistand mit Gelegenheit zur Stellungnahme übermittelt.
Die Generalstaatsanwaltschaft war trotz des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 24.11.2020 (EuGH, Urteil vom 24. November 2020 - C-510/19 -), ausweislich dessen die Generalstaatsanwaltschaften in Deutschland aufgrund ihrer gesetzlich geregelten Weisungsgebundenheit nicht als "vollstreckende Justizbehörde" i.S. von Art. 3 ff. RB-EuHB anzusehen sind, auch zur Vorabbewilligungsentscheidung gem. § 79 Abs. 2 S. 1 IRG befugt (vgl. Senat, Beschluss vom 08. März 2021, 2 AR Ausl 17/21).
2. Die Auslieferung der Verfolgten an die ungarischen Justizbehörden ist zulässig.
a) Der Europäische Haftbefehl liegt in deutscher Übersetzung vor und enthält alle nach § 83a Abs. 1 IRG erforderlichen Angaben.
b) Die Auslieferungsfähigkeit der Straftat(en) ist gegeben. Das Tatgeschehen, das dem Verfolgten zur Last gelegt wird, ist nach ungarischem Recht gemäß § 310 Abs. 1 Buchstabe a und § 222 Abs. 2 Buchstabe a des ungarischen Strafgesetzbuches strafbar. Das Tatgeschehen ist auch nach deutschem Recht als Bedrohung gem. § 241 Abs. 1 und 2, 53 StGB strafbar. Beiderseitige Strafbarkeit liegt damit vor.
Die dem Verfolgten vorgeworfene Tat ist nach ungarischem Recht mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht (§ 81 Nr. 1 IRG). Die Höchststrafe liegt nach § 310 Abs. 1 des ungarischen Strafgesetzbuchs bei 5 Jahren Freiheitsstrafe. Verfolgungsverjährung ist weder in Ungarn (§ 26 des ungarischen Strafgesetzbuches) noch - soweit eine Anwendung von § 9 Nr. 2 IRG in Betracht kommt - in Deutschland (§ 78 Abs. 2 StGB) eingetreten.
c) Die Grundsätze der Gegenseitigkeit und der Spezialität werden durch die von EU Staaten zu vollziehende innerstaatliche Transformation des insoweit bindenden RB-EuHB (vgl. Art. 27 RB-EuHB) gewährleistet. Einer besonderen Zusicherung des ersuchenden Staates bedarf es daher nicht (vgl. Böse, in: Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, § 82 IRG Rn. 2, 18; Zimmermann/Hackner, in: Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl. 2020, § 82 IRG Rn. 2, 5).
d) Durchgreifende Gründe, die der Auslieferung nach den Bestimmungen des IRG entgegenstehen, sind nicht ersichtlich.
aa)
Der Verfolgte besitzt nicht die deutsche Staatsangehörigkeit.
bb)
Die dem Verfolgten vorgeworfene Tat weist einen maßgeblichen Bezug zum ungarischen Recht auf. Denn die Wirkung seiner Drohungen sollte in Ungarn eintreten und die dort geführten Ermittlungen gegen ihn behindern. Es ist auch nicht ersichtlich, dass gegen den Verfolgten wegen dieser Taten ein Ermittlungsverfahren in Deutschland geführt wird oder geführt wurde.
e) Der beantragten Zulässigkeitserklärung steht auch insbesondere nicht das Rechtshilfeverbot des § 73 IRG entgegen. Nach dieser Vorschrift ist - europarechtskonform (vgl. Erwägungsgründe 12 und 13 der Präambel zum Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl [RB-EuHB] sowie Art. 1 Abs. 3 RB-EuHB) - die Leistung von Rechtshilfe im Auslieferungsverkehr mit Mitgliedstaaten der Europäischen Union unzulässig, wenn ihre Erledigung zu den in Art. 6 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) enthaltenen Grundsätzen im Widerspruch stünde. Dies aber ist vorliegend nicht der Fall. Denn es ist sichergestellt, dass die Haftbedingungen, die der Verurteilte im Falle seiner Auslieferung an Ungarn im dortigen Strafvollzug zu erwarten hat, den in Art. 3 EMRK verankerten menschenrechtlichen Mindestanforderungen genügen.
Die ungarischen Justizbehörden haben der Generalstaatsanwaltschaft Celle auf deren Anfrage hin durch Erklärung des Justizministeriums vom 06. Juli 2021 (Az.: XX-NBEJFO/1218/2021) die von dem Verfolgten zu erwartenden Haftbedingungen näher dargelegt. Danach wird der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung jederzeit Haftbedingungen vorfinden, die den Anforderungen der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte (EMRK) entsprechen. Ihm wird für die gesamte Haftzeit nach Überstellung kontinuierlich zugesichert, EMRK-konforme Bedingungen hinsichtlich Wohnraum, sanitärer Einrichtungen sowie Zugang zum Freien vorzufinden. Der mögliche Zutritt und die Besichtigung der Haftbedingungen in der jeweiligen Strafvollzugsanstalt für konsularische, diplomatische Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in Ungarn wird garantiert.
Der Umstand, dass die ungarischen Behörden mitgeteilt haben, es stehe noch nicht fest, in welchen Haftanstalten der Verfolgte nach seiner Auslieferung gegebenenfalls untergebracht werde, ist nicht geeignet, eine Besorgnis menschenrechtswidriger Haftbedingungen zu begründen.
Zwar haben die ungarischen Behörden damit die vom Senat im Haftbefehl vom 08. Juni 2021 explizit erforderte Mitteilung der voraussichtlichen konkreten Haftanstalten unbeantwortet gelassen; die von den ungarischen Behörden erteilte allgemeine Zusicherung ist indes unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EUGH sowie der im Folgenden dargestellten weiteren allgemein zugänglichen Informationen sowie der daraus ersichtlichen Entwicklung der Bedingungen im ungarischen Strafvollzug ausreichend, um ausschließen zu können, dass die Haftbedingungen in irgendeiner Haftanstalt im Ausstellungsmitgliedstaat nicht den Anforderungen der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte entsprechen.
Im Einzelnen:
Nach der Rechtsprechung des EuGH dürfen vom Ausstellungsmitgliedstaat allgemein erteilte Zusicherungen, dass die betroffene Person unabhängig von der Haftanstalt, in der sie im Ausstellungsmitgliedstaat inhaftiert werden wird, keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung aufgrund ihrer konkreten und genauen Haftbedingungen erfahren werde, nicht ignoriert werden, denn ein Verstoß gegen eine solche Zusicherung, soweit sie den Erklärenden bindet, könnte diesem gegenüber vor den Gerichten des Ausstellungsmitgliedstaats geltend gemacht werden. Hat die ausstellende Justizbehörde diese Zusicherung erteilt oder zumindest gebilligt, nachdem sie erforderlichenfalls die oder eine der zentralen Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats im Sinne von Art. 7 des Rahmenbeschlusses um Unterstützung ersucht hat, muss sich die vollstreckende Justizbehörde in Anbetracht des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten, auf dem das System des Europäischen Haftbefehls beruht, auf diese Zusicherung zumindest dann verlassen, wenn keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Haftbedingungen in einer bestimmten Haftanstalt gegen Art. 4 der Charta verstoßen (EuGH, Urteil vom 25.07.2018, C-220/18, Celex-Nr. 62018CJ0220; BVerfG, Beschluss vom 01. Dezember 2020 - 2 BvR 1845/18 -, juris).
Im vorliegenden Fall besteht angesichts des Umstandes, dass die Generalstaatsanwaltschaft die vom Senat im Haftbefehl vom 08. Juni 2021 aufgeworfenen Fragen zu den Haftbedingungen, die der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung an Ungarn zu erwarten hätte, mit Schreiben vom 11. Juni 2021 an das Kreisgericht in Kaposvár übermittelt hat, woraufhin das ungarische Justizministerium die bereits dargelegte Erklärung vom 06. Juli 2021 übermittelt hat, kein Zweifel daran, dass die ausstellende ungarische Justizbehörde die erteilte Zusicherung gebilligt hat.
Der Senat ist mithin unter Berücksichtigung der dargelegten Rechtsprechung gehalten, sich auf diese Zusicherung zumindest dann zu verlassen, wenn keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Haftbedingungen in einer bestimmten Haftanstalt gegen Art. 4 der Charta verstoßen. So liegt der Fall hier.
Der Senat hat insoweit in die Bewertung eingestellt, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte noch mit Urteil vom 10.03.2015 (siehe EGMR, Urteil vom 10.03.2015, Varga u.a. v. Ungarn - Nr. 14097/12, 45135/12, 73712/12, 34001/13, 44055/13 und 64586/13) es für erwiesen erachtete, dass der für Häftlinge in der Republik Ungarn verfügbare beschränkte Haftzellenraum (vielfach weniger als 3 qm, oftmals sogar weniger als 2 qm), verstärkt durch andere ungünstige Umstände, eine erniedrigende Behandlung darstellte und im konkreten Fall eine Verletzung des Verbots unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung aus Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) begründete (siehe EGMR, Varga u.a. v. Ungarn, a.a.O., §§ 91-92). Zudem ergibt sich noch aus dem Bericht des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment, CPT) vom 30.04.2013 ein erhebliches Überbelegungsproblem in ungarischen Haftanstalten; so soll im Jahr 2013 insgesamt 18.120 Häftlingen die Gesamtzahl von 12.573 Haftplätzen gegenübergestanden haben (siehe CPT/Inf (2014) 13, S. 19). Vor diesem Hintergrund ist in der Rechtsprechung in der Vergangenheit das Vorliegen systematischer oder allgemeiner Mängel der Haftbedingungen in Ungarn angenommen worden (Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 16. März 2020 - 1 Ausl A 78/19 -, juris; Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 21. September 2018 - 1 Ausl A 21/17 -, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 31. Januar 2018 - Ausl 301 AR 54/17 -, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. Mai 2017 - Ausl 301 AR 54/17 -, juris).
Dem Senat ist indes aus weiteren hier (z.T. ehemals) anhängigen Auslieferungsverfahren (Az.: 2 AR Ausl 25/21) die aktuelle Entwicklung in Ungarn bzgl. der Bekämpfung der Überbelegungen in den dortigen Haftanstalten bekannt.
Im Verfahren 2 AR Ausl 69/19 hatte der Senat mit Beschluss vom 06.01.2020 (Bl. 177 Bd. I der BA) die Auslieferung des Verfolgten nach Ungarn zwar für zulässig erklärt, allerdings bereits zuvor im Auslieferungshaftbefehl vom 11.10.2019 explizit darauf hingewiesen, dass die ungarischen Behörden im Verlaufe des Verfahrens Gelegenheit haben werden darzulegen, dass die Haftbedingungen, die der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung im ungarischen Strafvollzug zu erwarten haben wird, den in Art. 3 EMRK verankerten menschenrechtlichen Mindestanforderungen genügen werden. Mit Schreiben vom 29. Oktober 2019 teilte das ungarische Justizministerium daraufhin mit, der Verfolgte werde nach Übergabe an die ungarischen Behörden zunächst der Strafvollzugsanstalt Budapest zugeführt und im Anschluss entweder in der Vollzugsanstalt Szombathely oder Tiszalök untergebracht werden. Zudem wurden die Haftbedingungen in den dortigen Anstalten näher dargelegt und garantiert, dass dem Verfolgten in allen drei Haftanstalten eine anteilige Haftraumgröße von mindestens 3 qm gewährt werde. Dem von den ungarischen Behörden im derzeit hier anhängigen Verfahren 2 AR Ausl 25/21, welches sich gegen denselben Verfolgten richtet und ein Nachtragsersuchen nach § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IRG beinhaltet, übersandten Anhörungsprotokoll des Bezirksgerichts Kiskunhalas vom 29. Januar 2021 konnte der Senat indes entnehmen, dass sich der Verfolgte offenkundig jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt weder in der JVA Budapest, noch in der JVA Szombathely oder Tiszalök befunden hatte, sondern in der JVA Kiskunhalas. Ausweislich des Protokolls gab er dort an, bereits am 28. Juli 2020 und damit zwei Tage nach seiner Überstellung an die ungarischen Behörden dort inhaftiert worden zu sein. Angesichts der Rechtsprechung, ausweislich derer das Vertrauen in weitere Erklärungen und Auskünfte der Justizbehörden des ersuchenden Staates erschüttert ist, wenn die Behörden des um eine Auslieferung ersuchenden Staates in vorangegangenen Auslieferungsverfahren erteilte Zusicherungen bzw. Erklärungen und mit der Auslieferungsentscheidung verbundene Bedingungen nicht eingehalten haben und diese Vorgänge nicht nachvollziehbar aufklären (vgl. hierzu: Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 16. März 2020 - 1 Ausl A 78/19 -, juris) erachtete der Senat eine nähere Aufklärung der dargelegten Vorgänge für unerlässlich. Mit Verfügung vom 12. März 2021 wurden die ungarischen Behörden im Verfahren 2 AR Ausl 25/21 mithin um nähere Aufklärung der Vorgänge ersucht.
Hierauf hat das ungarische Justizministerium darauf hingewiesen, dass keine zentralen nationalen Vorschriften existieren, die eine Zuweisung des Verfolgten nach seiner Auslieferung in eine bestimmte Haftanstalt regeln. Die Nichteinhaltung der im Verfahren 2 AR 69/19 übermittelten Zuführung des Verfolgten zu bestimmten Haftanstalten sei jedoch angesichts der jüngeren Entwicklung des Strafvollzuges in Ungarn nicht relevant. Die ungarische Regierung habe im Jahre 2020 unverzügliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Missbräuche der Entschädigungen für die Überbelegung der Justizvollzugsanstalten angeordnet, deren konsequente Umsetzung zu einer Verminderung der durchschnittlichen Auslastung der Justizvollzugsanstalten von 112 % auf 96 % geführt hätten. Die Auslastung jeder einzelnen Haftanstalt in Ungarn übersteige nicht 100 %. Zudem werde die Auslastungsquote aller Haftanstalten ständig überwacht und so gewährleistet, dass es in keiner Haftanstalt zu einer Überlegung komme. Vor diesem Hintergrund könne garantiert werden, dass in allen Haftanstalten die Haftbedingungen im Einklang mit den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention erfolge.
Die dargelegte positive Entwicklung erscheint auch belastbar. Bereits aus dem CPT-Bericht vom 17. März 2020 über den Besuch ungarischer Haftanstalten vom 20. - 29.11.2018 lässt sich insgesamt betrachtet im Vergleich zu den Erkenntnissen des CPT über das Jahr 2013 eine deutliche Verbesserung der Bedingungen in den besuchten Haftanstalten entnehmen (vgl. CPT/Inf (2020) 8). Zudem ergibt sich auch aus dem Schreiben des Bundesamtes der Justiz vom 23. April 2018 (Az.: III-1 9351 - U 1 - B 3 2015/2016), dass Ungarn seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 10.03.2015 sowohl gesetzliche, als auch organisatorische und bauliche Maßnahmen ergriffen hat, um die im Urteil festgestellten Verletzungen von Art 3 und 13 EMRK zu beseitigen. Durch diese Maßnahmen, die noch nicht abgeschlossen, sondern sich weiter in der Umsetzung befanden und die u.a. in der Renovierung und Erweiterung von bestehenden Gefängnissen bestanden, konnte die Überbelegung von 143% auf 126 % reduziert werden. Ziel sei, den Häftlingen in Einzelzellen 6 qm Grundfläche und in Gemeinschaftszellen mindestens 4qm anteilige Grundfläche zur Verfügung zu stellen. Diese Information korrespondiert mit der Stellungnahme des "Hungarian Helsinki Committee (HHC)" vom 27. August 2020, einer Nichtregierungsorganisation, die 1989 zur Sicherstellung der in nationalen und internationalen Gesetzen garantierten Umsetzung von Menschenrechten gegründet wurde, ausweislich derer im Zeitraum von Januar 2013 bis Ende November 2019 eine rückläufige Auslastung der ungarischen Gefängnisse zu konstatieren war und die durchschnittliche Auslastung in diesem Zeitraum von 139 % auf 112% sank (https://helsinki.hu/wp-content/uploads/HHC_prison_conditions_august_2020.pdf).
Ferner ergeben sich aus einer Internetrecherche sowohl Einträge, die die von der ungarischen Regierung eingeleiteten Maßnahmen zur Beseitigung der Überfüllung der Gefängnisse thematisieren (vgl. www.balaton-Zeitung.info/15071/ungarn-wird-gegen-die-ueberfuellung-der-gefaengnisse-vorgehen), als auch Einträge, die das positive Ergebnis der Bemühungen bestätigen (https://dailynewshungary.com/hungarian-prisons-no-longer-overcrowded).
Darüber hinaus ergibt sich aus einer Mitteilung des HCC vom 13. August 2020, dass die von der Regierung am 13. Juli 2020 bekannt gegebene Neuschaffung von 2.750 neuen Haftplätzen zu einer deutlichen Verbesserung der "Ist-Situation" in den ungarischen Haftanstalten geführt habe; die Grundfläche der Zellen für 3 Häftlinge betrage nunmehr 12,5qm und von 6 Personen 25,5qm (https://helsinki.hu/wp-content/uploads/addendum-to-rule_9_Varga_2020_08_13-1.pdf).
Nach alledem bestehen keinerlei konkrete Anhaltspunkte mehr dafür, dass die Haftbedingungen in einer bestimmten Haftanstalt in Ungarn gegen Art. 4 der Charta verstoßen. Vielmehr erscheint insbesondere gewährleistet, dass dem Verfolgten in jeder ungarischen Haftanstalt eine anteilige individuelle Haftraumgröße von mehr als 3 qm zur Verfügung gestellt wird.
f) Der Auslieferung stehen auch keine Bewilligungshindernisse nach § 83b Abs. 1 und 2 IRG entgegen.
Insbesondere ist ein der Auslieferung widerstreitendes schutzwürdiges Interesse des Verfolgten im Sinne von § 83 b Abs. 2 Nr. 2 IRG nicht gegeben. Es ist nicht ersichtlich, dass der Verfolgte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, obwohl dieser im Rahmen seiner Anhörung beim Amtsgericht Hannover vom 07. Juni 2021 angegeben hat, er sei bereits 2010 oder 2011 nach Deutschland eingereist. Nach ständiger Rechtsprechung liegt ein gewöhnlicher Aufenthalt i.S.v. § 83b IRG lediglich dann vor, wenn der über fünfjährige ununterbrochene Aufenthalt in Deutschland auch rechtmäßig war, was eine - bei dem Verfolgten nicht vorhandene - amtliche Meldung voraussetzt (OLG Frankfurt, Beschluss vom 10. Mai 2016 - 2 Ausl A 202/15 -, juris Rn. 25). Bei einem nichtangemeldeten Aufenthalt ist vielmehr davon auszugehen, dass dieser nicht auf Dauer im Sinne eines gewöhnlichen Aufenthalts angelegt ist (vgl. OLG Hamm Beschl. 08.06.2010 - 4 AuslA 117/09 -, juris Rn. 12; OLG Karlsruhe, Beschl. 10.11.2015 - 1 AK 111/14 -, juris Rn. 90 ff.). Hierauf deutet auch der Umstand hin, dass der Verfolgte nach seinen eigenen Angaben im Rahmen seiner Anhörung bis zu seiner Inhaftierung im vorliegenden Verfahren über keinen festen Wohnsitz im Bundesgebiet verfügte. Der Verfolgte verfügt im Bundesgebiet zudem über keine engen familiären Bindungen und war dauerhaft nicht erwerbstätig. Er ist ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland der deutschen Sprache zudem offenbar nur sehr eingeschränkt mächtig, während er ungarisch spricht und mit den Sitten und Gebräuchen des ersuchenden Staates als dessen Staatsbürger gut vertraut ist. Nach alledem erscheint seine Resozialisierung im ungarischen Strafvollzug sogar chancenreicher als bei einer Strafvollstreckung in Deutschland.
3. Es ist zulässig, dass die Übergabe des Verfolgten bis zur Erledigung etwaiger deutscher Strafansprüche zurückgestellt wird. Gegen den Verfolgten ist ein inländisches Verfahren bei dem Amtsgericht Hannover (Az.: 220 Cs 340/20) anhängig.
4. Es besteht die Gefahr, dass sich der Verfolgte ohne die Anordnung der Auslieferungshaft dem Auslieferungsverfahren entziehen würde (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG). Fluchthemmende Faktoren, insbesondere festere soziale Bindungen, die dem aus der Straferwartung resultierenden hohen Fluchtanreiz hinreichend entgegenwirken könnten, bestehen nicht. Der Verfolgte verfügt - wie bereits dargelegt - über keinen festen Wohnsitz, keine Arbeit und keine familiären Beziehungen in Deutschland. Nach den Erkenntnissen der Polizei hält er sich im Obdachlosenmilieu auf. Auch das Tatgeschehen selbst, bei dem es dem Verfolgten um die Behinderung eines gegen ihn in Ungarn geführten Ermittlungsverfahrens ging, stützt die Annahme, dass er sich dem Verfahren entziehen würde.
Weniger einschneidende Maßnahmen als der Vollzug der Auslieferungshaft erscheinen hiernach nicht geeignet, deren Zweck, nämlich das Durchführen der Auslieferung, zu gewährleisten (§ 25 IRG). Die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Maßnahmen steht gleichfalls nicht in Frage.
III.
Der Senat wird gemäß § 26 Abs. 1 IRG eine Haftprüfung durchführen, wenn sich der Verfolgte zwei Monate in Auslieferungshaft befunden haben wird.