Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 13.10.2020, Az.: 3 A 304/18

Bandenkriminalität; soziale Gruppe; Kolumbien; interner Schutz; Schutzbereitschaft; Verfolgungshandlung, asylerhebliche

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
13.10.2020
Aktenzeichen
3 A 304/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 71814
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Aufkündigung der Mitarbeit in einer kriminellen Bande begründet keine Zuge-hörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinne von § 3 b Abs. 1 Nr. 4 AsylG.

Tatbestand:

Die Kläger sind kolumbianische Staatsangehörige und lebten vor ihrer Ausreise zuletzt in Pereira. Der Kläger zu 3. (im Folgenden: der Kläger) ist der Lebensgefährte der Klägerin zu 1. (im Folgenden: die Klägerin) und der Vater der Klägerin zu 2. Am 04. März 2018 reisten die Kläger aus ihrer Heimat aus und am 05. März 2018 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Hier stellten Sie am 27. März 2018 Asylanträge, zu deren Gründen sie am 26. April bzw. 04. Mai 2018 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angehört worden sind. Bei der Anhörung gab der Kläger im Wesentlichen an, er sei Mitglied einer Bande mit den Namen I. gewesen. Wegen der hier begangenen Straftaten sei er zu einer Haftstrafe von 54 Monaten verurteilt worden. Er sei 2 Jahre und 9 Monate im Gefängnis gewesen. An anderer Stelle äußert der Kläger, er sei nach 39 Monaten entlassen worden. Für die Haftentlassung gab er den Zeitraum Juni 2017 an. Kurz nach seiner Inhaftierung sei er im Gefängnis mit dem Chef einer Bande verwechselt worden. Der Name dieses Chefs sei J. gewesen. Bei der Bande habe es sich ebenfalls um die I. s gehandelt. Er sei bedroht worden. Im Gefängnis habe er sich entschlossen, nicht mehr als Bandenmitglied aktiv zu werden. Dies hätten die Mitglieder der I. s gespürt und sie hätten den Druck auf ihn und seine Familie erhöht. Nachdem seine Frau ihn eines Tages besucht hätte, sei diese von einem Mithäftling aufgefordert worden, bei ihrem nächsten Besuch Drogen in das Gefängnis zu schmuggeln. Dies hätten sie gemeinsam abgelehnt. Auch seine Familie habe Probleme mit den Nachbarn bekommen, die der I. -Bande angehört hätten.
Die Klägerin gab im Wesentlichen an, hauptsächlich deshalb ausgereist zu sein, weil ihr Mann Probleme gehabt habe. Sie habe während der Haft ihres Mannes ständig Probleme mit den Nachbarn und der I. -Bande gehabt. Der Häftling, der sie erfolglos aufgefordert habe, Drogen in das Gefängnis zu schmuggeln, habe ihnen und ihrer Familie gedroht. Ihr Mann habe einen Antrag auf Unterschutzstellung gestellt. Das Ergebnis dieses Verfahrens habe man jedoch nicht abgewartet und sei ausgereist, weil man Schlimmeres befürchtet habe.

Mit zwei Bescheiden vom 03. Juli 2018 lehnte es die Beklagte ab, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen oder sie als Asylberechtigte anzuerkennen. Gleichzeitig stellte sie fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG - nicht vorliegen und forderte die Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss ihres Asylverfahrens zu verlassen, wobei sie für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung nach Kolumbien androhte. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot befristet sie auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Zur Begründung gab die Beklagte im Wesentlichen an, die geschilderten Verfolgungshandlungen hätten das Maß der Asylerheblichkeit nicht überschritten. Die geschilderten Handlungen knüpften zudem nicht an ein asylerhebliches Merkmal an. Ferner sei der Staat gegen kriminelle Umtriebe schutzwillig und –fähig. Dass die Kläger den Ausgang des bei der Staatsanwaltschaft eingeleiteten Verfahrens auf Unter-Schutz-Stellung nicht hätten abwarten wollen, bedeute nichts Anderes.

Hiergegen haben die Kläger am 25. Juli 2018 jeweils Klage erhoben.

Zu deren Begründung tragen sie im Wesentlichen vor, die Beklagte verkenne die Intensität der Verfolgung insbesondere des Klägers infolge dessen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, nämlich den I.. Er sei im Gefängnis sowohl von Gefängnispersonal wie auch von Mithäftlingen schwer misshandelt worden. Die Klägerin zu 1. sei gedrängt worden, bei ihren Besuchen Drogen zu schmuggeln. Nachdem sie dies abgelehnt habe, habe sie ihren Mann nicht mehr besuchen können. Nach seiner Haftentlassung habe der Kläger zu 3. nichts mehr mit der Bande zu tun haben wollen. Infolge dessen sei er bedroht worden. Er gehöre der sozialen Gruppe der „Gangmitglieder“ an. Durch das Friedensabkommen zwischen der Regierung und der Farc habe sich die Situation nicht verbessert. Andere Banden hätten das Machtvakuum besetzt. Die Bande des Klägers zu 3. arbeite mit der Farc zusammen. Eine inländische Fluchtalternative gebe es für die Kläger nicht, da sowohl die I. als auch die Farc im ganzen Land vernetzt und aktiv seien.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihrer Bescheide vom 03.Juli 2018 die Kläger betreffend zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise,

ihnen den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,

weiter hilfsweise,

festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte beantragt, dem klägerischen Vorbringen in der Sache entgegentretend,

die Klagen abzuweisen.

Die Kläger sind in mündlicher Verhandlung informatorisch zu ihren Asylgründen angehört worden. Wegen der Einzelheiten ihrer Aussagen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Die Kläger haben in mündlicher Verhandlung den Antrag gestellt,

zum Beweis der Tatsache, dass die Gruppe I. s in Pereira und landesweit in Kolumbien mit anderen Guerilla-Gruppen zusammenarbeitet und der Kläger, weil er nicht mehr für die I. s arbeiten will, für den Fall seiner Rückkehr mit überwiegender Wahrscheinlichkeit begründete Furcht vor Verfolgung zu befürchten hat,

eine Auskunft von

1. amnesty international

2. der Gesellschaft für bedrohte Völker und

3. der Schweizerischen Flüchtlingshilfe einzuholen.

Das Gericht hat diesen Antrag in mündlicher Verhandlung abgelehnt.

Die Verfahren 3 A 304/18 und 3 A 305/18 sind durch Beschluss in der mündlichen Verhandlung zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden; dabei führt das Verfahren 3 A 304/18.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die Ausländerakten der Stadt A-Stadt Bezug genommen. Diese Unterlagen sind ebenso der mündlichen Verhandlung gewesen wie die aus der den Beteiligten mit der Ladung übersandten Liste ersichtlichen Erkenntnismittel.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Bescheide der Beklagten vom 03. Juli 2018 sind rechtmäßig und die Kläger haben die von ihnen geltend gemachten Ansprüche nicht (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).

Ihnen ist weder die Flüchtlingseigenschaft noch der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen.

Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II Seite 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nach § 3a AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II Seite 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

Dabei muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von § 3 Abs. 1 und § 3b AsylG und der Verfolgungshandlung oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.

Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung im Sinne des § 3d AsylG zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn sich die Rückkehr in den Heimatstaat aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen als unzumutbar erweist, weil bei Abwägung aller in Betracht kommenden Umstände die für eine bevorstehende Verfolgung streitenden Tatsachen ein größeres Gewicht besitzen als die dagegensprechenden Gesichtspunkte. Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 – Qualifikationsrichtlinie – (ABl. L 337/9) ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie, dass der Ausländer erneut von einem solchen Schaden bedroht wird, setzt einen inneren Zusammenhang zwischen der Vorschädigung und dem befürchteten künftigen Schaden voraus (BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 – 10 C 5/09, juris Rn. 21). Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-)Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus.

Es obliegt bei alledem dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.02.1988 – 9 C 32/87; BVerfG, Beschl. v. 29.11.1990 – 2 BvR 1095/90, jeweils zitiert nach juris). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts findet dabei die Pflicht der Gerichte zur Aufklärung des Sachverhalts ihre Grenze dort, wo das Klagevorbringen des Klägers keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Sachaufklärung bietet. Lässt der Kläger es an der Schilderung eines zusammenhängenden und in sich stimmigen, im wesentlichen widerspruchsfreien Sachverhalts mit Angabe genauer Einzelheiten aus seinem persönlichen Lebensbereich fehlen, so bietet das Klagevorbringen seinem tatsächlichen Inhalt nach keinen Anlass, einer daraus hergeleiteten Verfolgungsgefahr näher nachzugehen (BVerwG, Beschl. v. 26.10.1989 – 9 B 405/89, juris Rn. 8). Es ist auch von Verfassungs wegen unbedenklich, wenn ein in wesentlichen Punkten unzutreffendes oder in nicht auflösbarer Weise widersprüchliches Vorbringen ohne weitere Nachfragen des Gerichts unbeachtet bleibt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.11.1990 – 2 BvR 1095/90, juris Rn. 14 ff.). Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 16.04.1985 – 9 C 109.84, zitiert nach juris).

Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft gem. § 3e Abs. 1 AsylG nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

Gemessen an diesen Vorgaben, steht den Klägern ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nicht zur Seite. Zur Begründung nimmt der Einzelrichter zunächst gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten in deren angefochtenen Bescheiden vom 03. Juli 2018 und stellt fest, dass er diesen Ausführungen folgt.

Ergänzend ist auszuführen:

Soweit sich der Kläger auf eine Gefährdung beruft, die durch seine Ähnlichkeit mit einem berüchtigten Bandenanführer Namens J. hervorgerufen ist, vermag dies die eingeklagten Rechtsansprüche schon deshalb nicht zu begründen, weil diese Verfolgung nicht an ein unveräußerliches Merkmal des Klägers anknüpft. Nicht er soll durch die behaupteten Handlungen im Zusammenhang mit der Verwechslung getroffen werden, sondern der J.. Die Verwechslungsgefahr entspringt damit einem allgemeinen Lebensrisiko und ist unter dem Gesichtspunkt des Flüchtlingsschutzes rechtsunerheblich.

Im Übrigen ist es im Zusammenhang mit dieser Verwechselung nicht fluchtauslösend kausal zu Übergriffen gegen den Kläger gekommen. Allenfalls zu Beginn seiner Inhaftierung Ende 2014 ist der Kläger eigenen Aussagen nach von Mithäftlingen misshandelt worden. Nachdem es ihm nach 3 – 4 Monaten gelungen war, das Missverständnis aufzuklären, ist es im Gefängnis zu keinerlei weiteren Übergriffen gegen den Kläger im Zusammenhang mit der Verwechslung mehr gekommen. Etwaige, vom Kläger geschilderte Einschüchterungsversuche, sind nicht asylerheblich, weil sie das hierfür gemäß § 3 a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG erforderliche Maß an Intensität nicht überschreiten. Auch, soweit der Kläger sich auf einen Vorfall auf dem Weg nach Hause von der Arbeit im Februar 2018 beruft, liegt eine Verfolgungshandlung nicht vor. Obwohl nach den Schilderungen des Klägers, ihre Wahrheit unterstellt, die Möglichkeit gegeben gewesen wäre, dass der im Dunkeln wartende Mann auf den Kläger, den er für J. gehalten hat, hätte schießen können, kam es zu einem derartigen Übergriff nicht. Blieb es demnach allein bei dem nächtlichen Anruf mit dem Namen „J.“, liegt hierin eine asylerhebliche Verfolgungshandlung nicht.

Im Weiteren hegt das Gericht Zweifel am Wahrheitsgehalt der klägerischen Aussagen. Wesentliche Teile des Verfolgungsgeschehens haben während der angeblichen Inhaftierung des Klägers in der Haftanstalt und im privaten Umfeld der Klägerin stattgefunden. Man könnte deshalb erwarten, dass die Kläger alles, was mit der Haft zu tun hat zeitlich genau und zutreffend einordnen können. Dies ist indes nicht der Fall. So sah sich der Kläger nicht in der Lage anzugeben, ob er nun für 54 Monate oder lediglich für 39 Monate zu Haft verurteilt worden ist. Die Reduzierung soll auf seinem Geständnis beruht haben, was eine Verurteilung zu 39 Monaten plausibel gemacht hätte. Woher der Kläger dann jedoch die mehrfach angegebenen 54 Monate Haft nimmt, bleibt ungeklärt. Sehr vage und in der zeitlichen Angabe auch widersprüchlich ist die zeitliche Einordnung des vermeidlichen Anwerbeversuchs der Klägerin während eines Besuches bei ihrem Lebensgefährten im Gefängnis, bei dem sie von einem Mithäftling zum Drogenschmuggel aufgefordert worden sein will. Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 04. Mai 2018 gab die Kläger insoweit an, dass es zu dieser Ansprache ca. 2 Jahre nach Haftbeginn bekommen sei. Demgegenüber hat der Kläger bei seiner Anhörung im Rahmen der mündlichen Verhandlung angegeben, dieser Anwerbeversuch habe so etwa 1 Jahr nach Haftbeginn stattgefunden. Erst nachdem seine Prozessbevollmächtigte ihn in einer Verhandlungspause auf diesen Widerspruch hingewiesen hat, gab der Kläger auf Nachfrage an, dass sich die Angabe eines Jahres nicht auf den Haftbeginn, sondern auf die Beruhigung der Situation nach den Übergriffen wegen der vermeintlichen Verwechslung bezogen habe und somit ca. 1 ½ Jahre nach Haftbeginn gemeint seien. Selbst die korrigierten Angaben stimmen nicht mit denjenigen der Klägerin bei ihrer Anhörung überein. Dies nimmt vor allem deshalb wunder, weil die Kläger übereinstimmend ihre Weigerung, diese Drogen zu schmuggeln als Ausdruck ihrer Abkehr von der kriminellen Bande der I. verstanden wissen wollten, mit der sämtliche Probleme sowohl für den Kläger während der Haft als auch für die Klägerinnen im privaten Umfeld zusammen gehangen haben. Schließlich geht es auch nicht um die Abweichung um einige wenige Tage im Datum, sondern um eine erhebliche, etwa ½ Jahr umfassende Differenz. Übertrieben, möglicherweise mit dem Ziel, das Schicksal der Kläger beeindruckender erscheinen zu lassen, ist schließlich der klagebegründende Vortrag, die Klägerin habe ihren Lebensgefährten nach der Aufforderung, Drogen zu schmuggeln nicht mehr im Gefängnis besucht. In der mündlichen Verhandlung hat sich demgegenüber herausgestellt, dass die Klägerin ihren Lebensgefährten nach dessen Verlegung in einen anderen Gefängnistrakt sehr wohl wieder in der Haft besucht hat.Andererseits hat der Kläger beim Bundesamt diverse Unterlagen nebst Übersetzung vorgelegt, aus denen sich gewichtige Anhaltspunkte für eine Inhaftierung des Klägers ergeben. Da offensichtliche Fälschungsmerkmale dieser Urkunden nicht zu erkennen sind, vermögen sie das von den Klägern geschilderte Verfolgungsgeschehen zu unterstützen. Das Gericht geht deshalb im Folgenden zugunsten der Kläger davon aus, dass die von ihnen geschilderten Verfolgungsereignisse so stattgefunden haben.

Gleichwohl bleibt der Klage aus Rechtsgründen der Erfolg versagt.

Zunächst fehlt es bereits an einer Verfolgungshandlung i. S. v. § 3 a Abs. 1 AsylG. Danach gelten als Verfolgung i. S. des § 3 Abs. 1 Handlungen, die

1. aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Abs. 2 der Konvention vom 04. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten keine Abweichung zulässig ist oder

2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

Solchen Handlungen waren die Kläger vor ihrer Ausreise zu keinem Zeitpunkt ausgesetzt. So hat der Kläger bei seiner Anhörung am 26. April 2018 angegeben, seine ehemalige Bande habe gespürt, dass er nicht mehr habe mitmachen wollen und sie hätten den Druck auf ihn erhöht. In welcher Form dies geschehen ist, sagt der Kläger nicht. Die Klägerin gab bei ihrer Anhörung am 04. Mai 2018 an, sie sei von dem Mithäftling ihres Mannes, der sie zum Drogenschmuggel habe überreden wollen, bedroht worden und auch ihre Familie sei bedroht worden. Auch durch die Befragung im Rahmen der mündlichen Verhandlung sind Verfolgungshandlungen i. S. v. § 3 a Abs. 1 AsylG nicht zutage getreten. Die Kläger haben übereinstimmend angegeben, zu tätlichen Übergriffen gegen sie sei es nicht gekommen. Sie seien jedoch sinngemäß mit dem Tode bedroht worden, würde der Kläger nicht zu der Bande zurückkehren. Im Übrigen sei es zu Schikanen der Nachbarn gegen sie gekommen wie etwa nächtliches Türbollern oder lautes Musik andrehen, so dass die Familie keine Ruhe mehr habe finden können. Zwar vermag eine Bedrohung mit dem Tode eine Verfolgungshandlung i. S. v. § 3 a Abs. 1 AsylG darzustellen, indes ist das Gericht überzeugt davon, dass dieser Drohung über ihre Worte hinaus keinerlei Bedeutung zuzumessen ist. Denn der Kläger hat bei seiner Anhörung im Rahmen der mündlichen Verhandlung angegeben, etwa ein halbes Jahr nach Haftbeginn, also Mitte 2015, entschieden zu haben, nicht mehr Mitglied der I. -Bande sein zu wollen. Er habe dies u. a. dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er sich z. B. bei den Mahlzeiten von den Mitgliedern dieser Bande, die ebenfalls mit ihm inhaftiert waren, getrennt gesetzt habe. Seit Mitte 2015 dürfte daher der Bande bekannt gewesen sein, dass der Kläger abtrünnig geworden ist. Gleichwohl hat sie weder im Gefängnis noch im privaten Umfeld der Klägerinnen irgendetwas konkret unternommen, um den Kläger wieder in die Struktur der Bande zu zwingen. Insbesondere auch nach der Haftentlassung des Klägers im Juni 2017 ist von den Klägern nichts zu Übergriffen geschildert worden, die über bloße Worte hinausgehen. Das Gericht geht deshalb nicht davon aus, dass die Kläger asylerheblichen Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen sind.

Selbständig die Entscheidung tragend kommt hinzu, dass die geschilderten Verfolgungshandlungen nicht an einen asylerheblichen Verfolgungsgrund anknüpfen. Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist Voraussetzung für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, dass sich ein Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung u. a. wegen seiner politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet.

Gemäß § 3 b Abs. 1 Nr. 4 AsylG gilt eine Gruppe insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn

a. die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und

b. die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.

Mitglied einer solchen sozialen Gruppe wird der Kläger nicht dadurch, dass er seine Mitgliedschaft in der kriminellen Bande I. aufgegeben hat. Diese „bestimmte“ soziale Gruppe muss als solche innerhalb der sie umgebenden Gesellschaft bestimmbar sein und eine fest umrissene Identität aufweisen. Es ist zu ermitteln, ob die Gruppe aufgrund ihres internen Merkmals von der sie umgebenden Gesellschaft deutlich abgegrenzt ist. Dieser Ansatz wird als externer bezeichnet, weil es auf die Sichtweise der Gesellschaft ankommt, ob bestimmte Merkmale einer Gruppe zugeschrieben werden und sich diese aufgrund dieser Zuschreibung von der Gesellschaft insgesamt unterscheidet. Es kommt danach darauf an, ob eine Gruppe durch die übrige Gesellschaft als eine abgegrenzte Gruppe aufgrund bestimmter, diese gemeinsam prägenden Charakteristika, Eigenschaften, Aktivitäten, Überzeugungen, Interessen oder Zielvorstellungen wahrgenommen wird. Ob ein Merkmal oder eine Glaubensüberzeugung fundamental für die Identität oder das Gewissen ist, ist abhängig davon, wie die Gruppe durch die sie umgebende Gesellschaft wahrgenommen wird (Marx, AsylG, 10. Auflage, § 3 b Rn. 21; VG G-Stadt, Urteil vom 11.12.2019 – 6 A 4815/17 -, Juris, Rn. 28 ff.). Die Kammer folgt nicht der Rechtsauffassung von Rauch und Lührs (ZAR 2020, 98, 102) wonach Personen, die unerlaubt aus einer Bande ausgetreten sind, eine bestimmt soziale Gruppe darstellen. Vielmehr geht das Gericht davon aus, dass der Kläger als Aussteiger aus der Bande I. für seine Umwelt keine abgrenzbare Identität aufweist. Er ist für seine Umwelt weder als Aussteiger aus einer Bande identifizierbar noch war er als Mitglied einer Bande identifizierbar. Vielmehr erscheint er seiner Umwelt nach wie vor als junger arbeitsfähiger Mann, der sich nach seinem Ausstieg aus der Bande, wie die Masse der Bevölkerung an die Gesetze hält, aber keiner besonderen Gruppe angehört. Selbst wenn man dies mit dem UNHCR (Guidance Note On Refugee Claims Relating To Victims Of Organized Gangs, März 2010) für den Fall anders sehen wollte, dass zuvor eine Zwangsrekrutierung zu einer solchen Bande stattgefunden hat (a.a.O. Rn. 38 ff.), würde dies dem Begehren der Kläger nicht zum Erfolg verhelfen. Denn der Kläger ist seinerzeit aus freien Stücken Mitglied der Bande geworden und auch nach Ansicht des UNHCR kann für diesen Personenkreis nicht angenommen werden, dass er nach Ausstieg aus der Bande zu einer bestimmten sozialen Gruppe gehört (UNHCR a. a. O. Rn. 43 f.). Festzuhalten bleibt, dass jemand, der freiwillig Straftaten begeht und sich dann entschließt, sich künftig an die Gesetze zu halten nicht als jemand identifizierbar ist, der einer bestimmten sozialen Gruppe angehört. Dieser Sichtweise halten Rauch und Lührs zu Unrecht entgegen, eine solche Einschränkung würde die Regelung des § 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AsylG umgehen, der die Flüchtlingseigenschaft nicht schon wegen der bloßen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ausschließe. Denn § 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AsylG sperrt den Anwendungsbereich des Flüchtlingsschutzes per se, die vom UNHCR gefundene Lösung stellt demgegenüber eine Auslegung des Begriffs der sozialen Gruppe i. S. v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 b Abs. 1 Nr. 4 a AsylG dar. Das eine hat mit dem anderen rechtlich nichts zu tun.

Als Verfolgungsgrund scheidet auch die politische Überzeugung nach § 3 b Abs. 1 Nr. 5 AsylG aus. Die Entscheidung, sich an Recht und Gesetz halten zu wollen, ist keine politische, sondern eine für das gedeihliche gesellschaftliche Zusammenleben unabdingbare, allem Politischen quasi Vorgelagerte. Andernfalls wäre jede menschliche Handlung oder Lebensäußerung eine politische; dies würde den Inhalt des Begriffs der politischen Überzeugung sinnentleeren.

Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wie des subsidiären Schutzstatus scheitert weiter, selbständig tragend daran, dass die von den Klägern geschilderte Verfolgung von nicht staatlichen Akteuren ausgeht, das Gericht aber davon überzeugt ist, dass der kolumbianische Staat in der Lage und willens ist, i. S. d. § 3 d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten. Gemäß § 3 d Abs. 2 AsylG muss der Schutz vor Verfolgung wirksam sein und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gemäß Satz 2 der Vorschrift gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat. Einen vollständigen Schutz vor jeglichen kriminellen Übergriffen vermag kein Staat zu bieten. Verlangt wird durch die genannten Vorschriften, dass der Staat die Verfolgungsgefahr durch effektiven Schutz minimiert. Selbst wenn es nicht ausreichen sollte, dass die zuständigen Behörden ihr Bestes tun, wenn der Ausländer darlegen kann, dass das Beste ineffektiv ist und er glaubhaft gemacht hat, dass der Staat zur erforderlichen Schutzgewährung nicht fähig ist (vgl. in diesem Sinne Marx, a. a. O. § 3 d Rn. 33), kann hier von einer solchen Gefahr nicht ausgegangen werden.

Unbestritten ist, dass der kolumbianische Staat über entsprechende Schutzgesetze gegen Übergriffe Dritter verfügt. Ebenso unbestritten und durch die Erkenntnislage belegt ist, dass der kolumbianische Staat in Gebieten, in denen es nach dem Rückzug der Farc-Rebellen infolge des Friedensabkommens 2016 zu Territorial- und Streitereien um Drogen und Rohstoffe gekommen ist, kaum effektive Präsenz auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zeigt. Er ist in den Bereichen der Strafverfolgung in diesen Gebieten quasi nicht existent (vgl. USDOS, Trafficking in Persons Report vom 25.06.2020, S. 1 f.; USDOS, Colombia 2019 Human Rights Report, S. 18; OHCR, Situation of human rights in Colombia, vom 08.05.2020 S. 3; BFA, Länderbericht Kolumbien vom 25.10.2018. S. 7, 11). Indes gehört die Heimatregion der Kläger, die etwa 200 km westlich von Bogota liegt, nicht zu den Gebieten, in denen bewaffnete organisierte Gruppen um Einfluss ringen und Übergriffe auf die dortige Bevölkerung stattfinden. Die mit knapp 500.000 Einwohnern als Großstadt zu bezeichnende Stadt Pareira liegt in der Provinz Risaralda (https://de.wikipedia.org/wiki/Pereira_(Kolumbien)). Die umkämpften und von der staatlichen Gewalt nicht effektiv geschützten Gebiete, sind ländliche und grenznahe Urwaldgebiete in den Provinzen Catatumba, Bajo Cauca, Sur de Cordoba, Choco, Norte de Cauca, Tumaco und Norte Santander (vgl. Stiftung Wissenschaft und Politik, Kolumbien auf dem Weg zum Minimalfrieden vom August 2019 mit Karte). Erkenntnisse darüber, dass der kolumbianische Staat außerhalb der umkämpften Gebiete nicht sein staatliches Gewaltmonopol durchsetzt, hat das Gericht nicht. Keine der aus der den Beteiligten mit der Ladung übersandten Lise ersichtlichen Erkenntnismittel berichtet über Derartiges

So haben auch die Kläger immerhin versucht, schon im Januar 2017 unter staatlichen Schutz gestellt zu werden. Sie haben darüber hinaus auch geschildert, dass sie, wenn die Übergriffe der Nachbarn zu arg geworden seien, die Polizei gerufen hätten, die auch gekommen sei. Die Kläger haben damit nicht glaubhaft machen können, dass der ihnen gewährte staatliche Schutz ineffektiv und nicht ausreichend ist. Schließlich zeigt auch die Inhaftierung und Verurteilung des Klägers wegen der als Bandenmitglied begangenen Straftaten, dass die Strafverfolgung in Pereira effektiv funktioniert.

Schließlich, und wiederum selbständig die Entscheidung tragend, steht den Klägern interner Schutz i. S. v. § 3 e Abs. 1 AsylG zur Seite.

Gemäß § 3 e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1. in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und

2. sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

Ein solcher interner Schutz steht den Klägern zur Überzeugung des Gerichts jedenfalls in den kolumbianischen Großstädten zur Verfügung, die nicht dem Einflussbereich der I. -Bande oder den zwischen der Guerilla und der Regierung umstrittenen Gebieten Kolumbiens gehören. Sämtliche dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel berichten von gezielten Übergriffen von Banden und Guerilleros auf die Zivilbevölkerung lediglich in den nach Rückzug der Farc-Rebellen umkämpften Regionen Kolumbiens. Hierzu gehört insbesondere die Hauptstadt Bogota nicht. Deshalb geht das Gericht davon aus, dass den Klägern etwa in Bogota, aber auch in jeder anderen kolumbianischen Großstadt, die nicht wie Pereira, Cali und Manizalis zum Einflussbereich der I. -Bande gehören, eine Wohnsitznahme möglich und zumutbar ist. Auf jeden Fall finden die Kläger hier effektiven Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 d AsylG (ebenso VG Braunschweig, Urteil vom 09.07.2019 -3 A 187/19-). Ob etwas anderes gilt, wenn der Ausländer zum herausgehobenen Führungskreis einer Bande zählt, der auch überregional Bekanntheit genießt, kann das Gericht offen lassen. Denn der Kläger zählt nicht zu diesem Personenkreis. Auf die Frage, welche Interna der I. -Bande er denn preisgeben könne, hat der Kläger lediglich lapidare Banalitäten genannt. Zudem wäre zu erwarten gewesen, dass es die Bande dann nicht bei Worten gegen die Kläger belassen hätte, als der Kläger sich entschlossen hatte, nicht mehr mit der Bande zusammen zu arbeiten.

Den Klägern ist es schließlich auch zuzumuten sich in diesen Großstädten in Sicherheit zu bringen. Zwar befinden sich in Kolumbien neben etwa 1 Millionen Binnenvertriebenen und 500.000 kolumbianischen Rückkehrern noch weitere etwa 2 Millionen venezuelische Flüchtlinge (USDOS, 2019 Human Rights Report, S. 18 f.; KAS, Länderbericht vom 11.06.2020, S. 1 f.). Das Gericht hat jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass arbeitsfähige junge Männer und Frauen, wie die Kläger, in Kolumbien nicht in der Lage wären, sich durch eigene Arbeit, ggf. durch Unterstützung der in Kolumbien vielfältig vorhandenen Flüchtlingsunterstützungsorganisationen, eine existenzielle Lebensgrundlage zu schaffen. So ging die Armutsquote Kolumbiens in den letzten Jahren deutlich zurück. Die offizielle Arbeitslosenquote lag 2017 bei 9,38 %. Fast die Hälfte der Beschäftigten sind im informellen Sektor tätig. In Städten ist das medizinische Versorgungsangebot mit dem in Europa vergleichbar (BFA, Länderbericht Kolumbien, S. 24 f.; ähnlich Bertelsmann Stiftung –BTI- 2020 Country Report Colombia, S. 17)). Ferner hat der kolumbianische Staat ein weites soziales Netz gespannt, das kostenfreie medizinische Versorgung für arme und benachteiligte Menschen ebenso umfasst wie Absicherung im Fall der Arbeitslosigkeit, wenngleich dies nicht für die im informellen Sektor arbeitenden Personen gilt (BTI, a.a.O., S. 23 f.)

Der in der mündlichen Verhandlung von den Klägern gestellte Beweisantrag war abzulehnen. Zum einen deshalb, weil er sich ausschließlich auf die Frage des internen Schutzes nach § 3 e AsylG bezieht, das Klagebegehren der Kläger aber bereits auch schon an § 3 a Abs. 1 und § 3 c Nr. 3 i. V. m. § 3 d Abs. 1 AsylG scheitert. Zum anderen war der Beweisantrag deshalb abzulehnen, weil mit ihm eine Beweisaufnahme ins Blaue hinein beabsichtigt ist. Sämtliche, dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel erwähnen an keiner Stelle asylrelevante gezielte Übergriffe krimineller Banden und/oder Rebellengruppen auf Privatpersonen in Großstädten. Dem Beweisantrag liegt damit eine durch keine Tatsachen erhärtete Behauptung zugrunde, weshalb er abzulehnen war.

Die Zuerkennung subsidiären Schutzes scheitert gemäß § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. §§ 3 d und 3 e AsylG aus den zuvor genannten Gründen.

Schließlich vermögen sich die Kläger nicht auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 S. 1 AufenthG zu berufen. Insoweit wird zunächst erneut auf die überzeugenden Gründe aus den Bescheiden der Beklagten vom 03. Juli 2018, denen das Gericht folgt, umfassend Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend gilt auch hier, dass etwaige Verfolgungshandlungen gegen die Kläger infolge des Verlassens einer kriminellen Bande durch die Kläger dadurch begegnet werden kann, dass sie sich in eine andere kolumbianische (Groß-)Stadt begeben, so dass die Bedrohung nicht, wie erforderlich, landesweit vorhanden ist.

Die in dem angegriffenen Bescheid des Bundesamtes ergangene Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 Abs. 1 S. 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG ist aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Die Ausreisefrist von 30 Tagen entspricht der gesetzlichen Regelung in § 59 Abs. 1 S. 1 AufenthG.

Schließlich begegnet auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gem. § 11 Abs. 1 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken. Die Ermessenerwägungen des Bundesamtes sind im Rahmen der auf den Maßstab des § 114 S. 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83 b AsylG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbar stützt sich auf § 167 VwGO i. V. m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.