Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 17.07.2023, Az.: 1 WF 41/23

Ehescheidung; Wert; Vermögen; Freibetrag; Zur Berücksichtigung des Vermögens beim Wert der Scheidung

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
17.07.2023
Aktenzeichen
1 WF 41/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 28838
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2023:0717.1WF41.23.00

Fundstellen

  • NJW-RR 2023, 1303-1305
  • NZFam 2024, 186

Amtlicher Leitsatz

Für den Wert der Scheidung ist dem aus den Einkünften folgenden Wert ein Anteil von 5 % des um Schulden und Freibeträge bereinigten Vermögens der Eheleute hinzuzurechnen. 2. Die Freibeträge werden für jeden Ehegatten in Höhe von 60.000 € und für jedes gemeinsame Kind, das noch nicht wirtschaftlich verselbständigt ist, in Höhe von 30.000 € angesetzt. Ein Kind ist regelmäßig noch nicht wirtschaftlich verselbständigt, wenn es noch im Kindergeldbezug steht.

In der Familiensache
des Herrn J. M.,
- Antragsteller und Beschwerdeführer -
Verfahrensbevollmächtigter:
Rechtsanwalt I. G.,
Geschäftszeichen: 1320/22,
gegen
Frau S. M.,
- Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin -
hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Braunschweig durch die Richterin am Oberlandesgericht W. als Einzelrichterin am 17. Juli 2023 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers wird der Wertfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Braunschweig vom 08.03.2023 abgeändert und der Wert für das Verfahren erster Instanz auf 26.320 € festgesetzt.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Das Familiengericht hat im vorliegenden Scheidungsverfahren in dem gesonderten Beschluss vom 08.03.2023 den Wert der Ehescheidung auf 14.100 € und den Wert für den Versorgungsausgleich für sieben Anrechte auf 9.870 € festgesetzt. Dem Wert der Ehescheidung hat es gemäß § 43 FamKG das in drei Monaten gemeinsam erzielte Einkommen der Ehegatten zugrunde gelegt. Die Berücksichtigung des Vermögens der Ehegatten hat das Amtsgericht mit der Begründung abgelehnt, das Vermögen der Eheleute habe lediglich in einer selbstgenutzten Immobilie bestanden. Da die Ehefrau für die Übernahme der Immobilie zu Alleineigentum einen Kredit in Höhe von 172.000 € habe aufnehmen müssen, sei lediglich von einem unbelasteten Vermögen in Höhe von 158.000 € auszugehen. Dieses habe jedoch als Schonvermögen außer Betracht zu bleiben, da insoweit Freibeträge in Höhe von 60.000 € für jeden Ehegatten und in Höhe von 15.000 € für ein minderjähriges Kind zu berücksichtigen seien.

Gegen den ihm am 27.03.2023 zugestellten Beschluss wendet sich der Verfahrensbevollmächtigte des Ehemannes mit seiner Beschwerde vom 11.04.2023, mit der er beantragt, den Verfahrenswert auf die Wertstufe bis 40.000 € festzusetzen. Zur Begründung trägt er vor, er halte einen Schonbetrag von 30.000 € pro Ehegatte und 15.000 € pro Kind für angemessen. Im Übrigen sei der von der Antragsgegnerin an den Antragsteller gezahlte Ablösungsbetrag nicht zu berücksichtigen, weil dieser Betrag sodann im Vermögen des Antragstellers vorhanden sei, so dass das Vermögen der Eheleute insgesamt gleich bleibe.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Braunschweig zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers ist statthaft und zulässig, sie wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt, §§ 59 Abs. 1, 55 Abs. 3 FamGKG, 32 Abs. 2 RVG. Sie ist in der Sache teilweise begründet, da das Amtsgericht den Verfahrenswert für die Ehescheidung zu gering angesetzt hat. Zwar hat das Amtsgericht das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen zutreffend mit 14.100 € angenommen. Jedoch rügt die Beschwerde zu Recht, dass bei der Wertberechnung nicht auch die Vermögensverhältnisse der Beteiligten berücksichtigt worden sind.

Gemäß § 43 FamGKG ist der Verfahrenswert für die Ehescheidung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Ehegatten, nach Ermessen zu bestimmen; für die Einkommensverhältnisse ist das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen der Ehegatten einzusetzen.

Bei der hiernach zu treffenden Ermessensentscheidung kann das Gericht zwar einzelne Umstände unterschiedlich gewichten. Das Ermessen wird jedoch dann nicht ordnungsgemäß ausgeübt, wenn die Wertfestsetzung allein auf das Einkommen der Beteiligten gestützt und die übrigen Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Vermögensverhältnisse, völlig außer Acht gelassen werden. Dies wäre willkürlich und würde die Beteiligten in ihrem Grundrecht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzen (vgl. BVerfG FamRZ 2009, 491, Rn. 14). Denn nach Sinn und Zweck des § 43 Abs. 1 FamGKG soll die Gebührenbemessung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Ehegatten ausgerichtet werden. Das Vermögen unberücksichtigt zu lassen, würde zu dem Ergebnis führen, dass vermögende und nichtvermögende Ehepaare, deren Einkünfte in den letzten drei Monaten vor der Antragstellung gleich hoch waren, trotz unterschiedlicher wirtschaftlicher Leistungskraft kostenrechtlich gleichbehandelt würden. Ferner verletzt eine zu geringe Wertbemessung den Verfahrensbevollmächtigten in seinem Grundrecht auf freie Berufsausübung gemäß Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG FamRZ 2006, 24, Rn. 16). Dementsprechend ist das Vermögen bei dem Verfahrenswert der Scheidung nach einhelliger Ansicht in der obergerichtlichen Rechtsprechung zu berücksichtigen (vgl. u.a. OLG Braunschweig NdsRpfl 1979, 272; OLG Hamm FamRZ 2015, 1748; OLG Bamberg FamRZ 2017,1771; OLG Karlsruhe FamRZ 2014,1226; OLG Brandenburg FamRZ 2011,755; OLG Sachsen-Anhalt FamRZ 2019, 304).

Für die Wertfestsetzung ist insoweit Spar-, Wertpapier- und Immobilienvermögen zu berücksichtigen, nicht jedoch Hausrat oder Fahrzeuge, die dem täglichen Leben dienen (vgl. OLG Braunschweig a.a.O.; OLG Hamm FF 2019, 167). Dabei ist es nicht geboten, einzelne Vermögensgegenstände - etwa das selbst bewohnte Hausgrundstück - in Anlehnung an die Regelung des § 90 SGB II von der Betrachtung auszunehmen, da die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Ehepaaren vergleichbar ist, unabhängig davon, ob sie ein Eigenheim oder ein entsprechendes Barvermögen besitzen, so dass eine gebührenrechtliche Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt wäre (so auch OLG Bamberg FamRZ 2017, 1771, Nr. 14; Thür. OLG FamRZ 2018, 1174; OLG Hamm FamRZ 2015, 1748; FF 2019, 167; OLG Frankfurt FamRZ 2017, 1769; a.A. OLG Köln FamRZ 2016, 1298; OLG Düsseldorf 7 WF 69/17 - über juris).

Als Vermögen der Ehegatten ist hier das als Ehewohnung genutzte Hausgrundstück benannt worden, dessen Wert das Amtsgericht unangegriffen mit 330.000 € angenommen hat. Hiervon sind die von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 06.06.2023 angegebenen und belegten Finanzierungskosten in Höhe von 43.000 € abzuziehen, so dass von einem Wert von 287.000 € auszugehen ist. Demgegenüber ist das Darlehen, das die Antragsgegnerin im Rahmen der Vermögensauseinandersetzung für die Abgeltung des Miteigentumsanteils des Antragstellers aufwenden musste, nicht zu berücksichtigen. Dies folgt zum einen daraus, dass für den Verfahrenswert das Vermögen zur Zeit der Verfahrenseinleitung maßgeblich ist, zum anderen daraus, dass das Barvermögen ebenfalls zu berücksichtigen ist. Die von der Antragsgegnerin an den Antragsteller zu erbringende Ausgleichszahlung ist daher weiterhin im gemeinsamen Vermögen der Eheleute vorhanden.

Jedoch ist der Wert des ehelichen Vermögens nach fast einhelliger Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht uneingeschränkt in die Bemessung des Verfahrenswertes nach § 43 Abs. 1 S. 1 FamGKG einzustellen, sondern für jeden der Ehegatten um einen Freibetrag zu bereinigen, der für die Wechselfälle des Lebens vorgehalten werden muss. Die angemessenen Freibeträge sind zwischen 15.000 € und 64.000 € bemessen worden. Der Senat setzt regelmäßig einen Freibetrag von 60.000 € für jeden Ehegatten an; der im Jahr 1979 vertretene Betrag von jeweils 70.000 DM ist aufgrund der inzwischen eingetretenen Preissteigerungen nicht mehr angemessen (für einen Betrag zwischen 60.000 € und 64.000,00 € siehe auch: Hans. OLG Hamburg, Beschluss vom 8.03.2019, 12 WF 184/18, JurBüro 2019, 260; OLG Bamberg, Beschluss vom 13.04.2017, 2 WF 51/17, FamRZ 2017,1771; OLG Brandenburg, Beschluss vom 19. Mai 2022,13 WF 70/22, FamRZ 2022, 1389; OLG Brandenburg, Beschluss vom 13.01.2021, 13 WF 198/20 - über juris; OLG Brandenburg FamRZ 2015, 529; OLG Koblenz, FamRZ 2003, 1681; OLG Hamm FamRZ 2006, 353; OLG Stuttgart FamRZ 2010, 1940; OLG München 26 WF 1314/97 - über juris). Freibeträge in dieser Höhe sind insbesondere deshalb erforderlich, weil ein gegebenenfalls vorhandenes Eigenheim inbegriffen ist. Bestünde das Vermögen allein in einem Hausgrundstück im Wert von 120.000 €, wäre eine hierauf gestützte Erhöhung des Verfahrenswertes nicht angemessen; für Vermögen in anderer Form kann nichts anderes gelten.

Auch für die gemeinsamen Kinder der Beteiligten sind Freibeträge zu berücksichtigen. Insoweit ist die obergerichtliche Rechtsprechung uneinheitlich. Während einige Oberlandesgerichte für Kinder keinen Freibetrag ansetzen (OLG Stuttgart Beschluss vom 04.01.2018, 18 WF 149/17, MDR 2018,411; KG, Beschluss vom 18.12.2017, 18 WF 51/17; Beschluss vom 20.01.2022,16 WF 4/22, FamRZ 2022, 1554), berücksichtigen andere Oberlandesgerichte pro Kind einen Betrag von 10.000 € (OLG Brandenburg, Beschluss vom 13.01.2021, 13 WF 198/20; Beschluss vom 19. Mai 2022,13 WF 70/22, FamRZ 2022, 1389; KG, Beschluss vom 05.05.2014, 18 WF 60/14 - über juris;) oder in Höhe von 30.000 € (Hans. OLG Hamburg, Beschluss vom 8.03.2019, 12 WF 184/18, JurBüro 2019, 260; OLG Bamberg, Beschluss vom 13.04.2017, 2 WF 51/17, FamRZ 2017,1771; OLG München, Beschluss vom 31.03.2009, 4 WF 36/09, FamRZ 2009, 1703). Dabei werden teilweise nur die minderjährigen Kinder berücksichtigt (OLG Brandenburg, a.a.O.; OLG München, a.a.O.), teilweise auch unterhaltsberechtigte volljährige Kinder (Hans. OLG Hamburg, a.a.O.; OLG Bamberg, a.a.O.).

Der Senat hält die Anrechnung eines Freibetrages von 30.000 € pro Kind für angemessen. Die Beträge, die eine Familie für die Wechselfälle des Lebens vorhalten muss, erhöhen sich, wenn Kinder vorhanden sind. Dabei spricht der Umstand, dass ein selbstgenutztes Eigenheim Teil des Vermögens ist, dafür, auch den Freibetrag für die Kinder großzügig zu bemessen, da auch sie den Wohnbedarf mitbestimmen. So erscheint es angemessen, wenn ein von vier Personen bewohntes Hausgrundstück im Wert von 180.000 € oder ein von sechs Personen bewohntes Hausgrundstück im Wert von 240.000 € den Verfahrenswert noch nicht erhöht.

Die Anrechnung eines Freibetrages kann zudem nicht auf minderjährige Kinder beschränkt werden, da auch volljährige Kinder, die noch nicht verselbstständigt sind, für die Wechselfälle ihres Lebens nicht selbst vorsorgen können. Vielmehr dient das bei den Eltern vorhandene Vermögen auch dazu, ihre volljährigen Kinder in der Ausbildung oder bei der Begründung eines eigenen Haushaltes zu unterstützen. Eine Anknüpfung an die Unterhaltsberechtigung erscheint zwar möglich aber zu aufwendig, weil damit unterhaltsrechtliche Erwägungen in die Ermittlung des Verfahrenswertes eingeführt würden, die Eltern bei der Unterstützung ihrer Kinder normalerweise nicht anstellen. Im Rahmen der Ermittlung des Verfahrenswertes bedarf es vielmehr einfacher und leicht feststellbarer Kriterien. Diese Voraussetzungen erfüllt das Kriterium des Kindergeldbezuges, der regelmäßig dafür spricht, dass ein Kind noch nicht verselbstständigt ist.

Der Senat bringt daher von dem bereinigten Grundstückswert von 287.000 € Freibeträge für jeden Ehegatten in Höhe von 60.000 € und für die vier Kinder der Beteiligten, die bei Verfahrenseinleitung alle noch im Kindergeldbezug standen, jeweils in Höhe von 30.000 € in Abzug, so dass ein Vermögenswert von 47.000 € verbleibt.

Von dem nach Abzug der Freibeträge verbleibenden Vermögen rechnet der Senat nach seiner regelmäßigen Rechtsprechung und in Übereinstimmung mit der ganz herrschenden obergerichtlichen Rechtsprechung einen Anteil von 5 % für den Wert der Scheidung an (vgl. u.a. die Oberlandesgerichte Karlsruhe FamRZ 2014, 1226; Brandenburg FamRZ 2015, 529; Hamm FamRZ 2015, 1748; Frankfurt FamRZ 2017, 1769; Stuttgart FamRZ 2010, 1940; Hamm FF 2019, 167; Hamburg JurBüro 2019, 260; Brandenburg FamRZ 2011, 755; Sachsen-Anhalt FamRZ 2019, 304; Thür. OLG FamRZ 2018, 1174).

Die Ansetzung eines Anteils von 5 % wird als angemessen angesehen. Dieser Prozentsatz trägt dem Gebühreninteresse der Anwälte hinreichend Rechnung und berücksichtigt gleichzeitig den sozialen Aspekt einer Ausrichtung der Gebühren an den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Ehegatten. Denn dieser Anteil führt bei großen Vermögen zu erheblichen Steigerungen des Verfahrenswertes, belastet aber Ehepaare, deren wesentliches Vermögen in einem Eigenheim von bescheidenem Zuschnitt besteht, nicht übermäßig.

Das Vermögen der beteiligten Eheleute in Höhe von 287.000 € abzüglich der Freibeträge von insgesamt 240.000 € ist daher in Höhe von 5 % des verbleibenden Betrages von 47.000, €, somit in Höhe von 2.350 € zu berücksichtigen. Zuzüglich des unangegriffen festgestellten gemeinsamen Einkommens in drei Monaten in Höhe von 14.100 € ergibt sich ein Wert für die Scheidung in Höhe von 16.450 €. Der Wert des Versorgungsausgleichs ist im Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 08.03.2023 mit 10 % des in drei Monaten erzielten gemeinsamen Einkommens der Eheleute für sieben Anrechte zutreffend auf 9.870 € festgesetzt worden. Zuzüglich dieses Betrages ist der Verfahrenswert das Scheidungsverfahren insgesamt auf 26.320 € festzusetzen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 59 Abs.3 FamGKG.

Die Entscheidung ist gemäß §§ 59 Abs. 1 Satz 5, 57 Abs. 7 FamGKG unanfechtbar.