Landgericht Hannover
Urt. v. 05.05.2004, Az.: 64 b 2/04
Strafrechtliche Verurteilung wegen Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs von Kranken in Einrichtungen; Kriterien einer angemessenen Strafzumessung
Bibliographie
- Gericht
- LG Hannover
- Datum
- 05.05.2004
- Aktenzeichen
- 64 b 2/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 37282
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGHANNO:2004:0505.64B2.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- StA Hannover - AZ: 3774 Js 43939/03
Rechtsgrundlagen
- § 52 StGB
- § 174a Abs. 2 StGB
- § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB
- § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB
- § 177 Abs. 5 StGB
- § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB
- § 179 Abs. 5 StGB
Verfahrensgegenstand
Vergewaltigung u.a.
In der Strafsache
...
hat die 8. kleine Strafkammer des Landgerichts Hannover
auf die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft
gegen das Urteil des Schöffengerichts in Hannover vom 13.11.2003
in der Sitzung vom 5. Mai 2004,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Landgericht R. als Vorsitzender,
Edelgard S., Hameln, Friedhelm G., Bad Pyrmont, als Schöffen,
Staatsanwalt F. als Beamter der Staatsanwaltschaft,
Rechtsanwalt S., Hannover, als Verteidiger,
Frau Iris L., Gifhorn, als Nebenklägerin,
Rechtsanwältin E., Gifhorn, als Nebenklägervertreterin,
Justizangestellte B. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Angeklagten wird verworfen.
Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft wird das angefochtene Urteil teilweise aufgehoben und insoweit wie folgt neu gefasst:
Der Angeklagte wird wegen Vergewaltigung und wegen sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kranken in Einrichtungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 10 Monaten verurteilt.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Nebenklägerin.
Gründe
I.
Das Amtsgericht - Schöffengericht - Hannover hat den Angeklagten in seiner Sitzung vom 13. November 2003 wegen sexuellen Missbrauchs Hilfsbedürftiger in Tateinheit mit sexuellen Missbrauch von widerstandsunfähigen Personen in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen dieses Urteil wenden sich der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft Hannover mit ihren jeweils zulässigen Berufungen.
Die Berufung des Angeklagten hatte keinen Erfolg, die Berufung der Staatsanwaltschaft war erfolgreich.
II.
Der Angeklagte wurde am ... in ... geboren. Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Zur Zeit hält sich in seiner Familie ein Enkelkind auf, für das die Eheleute aufkommen. Der Angeklagte hat über Jahrzehnte in seinem Beruf als Krankenpfleger gearbeitet. Als Folge der im Weiteren festgestellten Straftaten hat ihn sein Arbeitgeber, die Medizinische Hochschule Hannover, gekündigt. Im Rahmen einer arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung hat der Angeklagte im Vergleichswege diese Kündigung letztendlich akzeptiert. Der Angeklagte ist arbeitsunfähig erkrankt und hat in der jüngeren Vergangenheit ein monatliches Krankengeld in Höhe von 1.200,00 EUR erhalten. Mit Wirkung vom 1.5.2004 ist seine Verrentung wegen Erwerbs- und Berufsunfähigkeit anerkannt. Über die Höhe seiner Bezüge hat der Angeklagte noch keine Kenntnis.
Die Ehefrau des Angeklagten erzielt als examinierte Krankenschwester in der Medizinischen Hochschule ein monatliches Nettoeinkommen von ca. 1.300,00 EUR.
Der Angeklagte ist nicht bestraft.
Der Angeklagte wurde in dieser Sache am 29.08.2003 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Hannover vom 18.07.2003 festgenommen und befand sich bis zur Außervollzugsetzung desselben am 05.09.2003 in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl wurde am 13.11.2003 aufgehoben.
III.
Im Tatzeitraum (Anfang April 2003) war der Angeklagte als Krankenpfleger in der Medizinischen Hochschule Hannover beschäftigt. Er war zuständig für die Betreuung der Patienten in einem Aufwachraum des Operationsbereichs der Hals-Nasen-Ohren-Abteilung der MHH. Die Patienten wurden nach erfolgter Operation noch im OP-Bereich in diejenigen Betten, in denen sie auch auf den Stationen lagen, umgebettet und von dort durch Transportpersonal in den vom Angeklagten betreuten Aufwachraum geschoben. Je nach Narkoseintensität und persönlicher Disposition der Patienten waren sie bei Übergabe an den Angeklagten noch vollständig narkotisiert, in einer erwachenden Phase oder bereits wieder vollständig orientiert. Die Aufgabe des Angeklagten bestand darin, für das körperliche Wohlbefinden dieser Patienten Sorge zu tragen und sie den jeweiligen Erfordernissen entsprechend medizinisch und damit auch psychisch zu betreuen.
Tat 1.:
Am 31.3.2003 begab sich die am 17.9.1970 geborene Nebenklägerin, die Zeugin Iris L., in die Medizinische Hochschule Hannover, um sich einer geplanten Stimmbandoperation zu unterziehen. Sie wurde für einige Tage stationär aufgenommen. Die Operation wurde am Vormittag des 1.4.2003 durchgeführt. Vom Anästhesisten wurden der Zeugin folgende Medikamente verabreicht:
Dormicum 7,5 mg
Propol-Perfusor 340 mg
Esketamin 7,5 mg
Analgetica
Uletiva-Perfursor 0,8 mg
Gegen 11.00 Uhr wurde Frau L. in ein Bett umgelagert und in den Aufwachraum geschoben. Sie war bereits bei der Umlagerung wieder erwacht und bei ihrem Eintreffen im Aufwachraum bei klarem Bewusstsein. Da sie an den Stimmbändern operiert war, war sie jedoch nicht in der Lage zu sprechen. Außerdem war sie müde. Wenige Minuten nach ihrer Ankunft im Aufwachraum wurde ein weiterer dort zunächst betreuter Patient aus diesem verbracht, so dass die Zeugin die einzig verbliebene Patientin war. Vom Pflegepersonal waren der Angeklagte sowie zwei bis drei weitere Personen anwesend. Zu diesem Zeitpunkt erlitt Frau L. einen starken Hustenanfall, der dazu führte, dass sie das Wasser nicht halten konnte und sich einnässte. Mit Gesten wies sie den Angeklagten darauf hin. Der näherte sich ihr daraufhin, fasste zwischen die Beine der Geschädigten und stellte die Nässe fest. Diese Tatsache erregte den Angeklagten sexuell. Er entschloss sich, die Nebenklägerin zur Befriedigung seines Geschlechtstriebes sexuell zu missbrauchen. Dabei war ihm klar, dass die ihm bis dahin völlig unbekannte Frau L. mit keiner einzigen Form sexueller Interaktion einverstanden war. Gleichwohl entschloss er sich, sich über den entgegenstehenden Willen der Zeugin hinwegzusetzen. Um dies gefahrlos tun zu können, entschied er, für die Zeugin eine Lage zu schaffen, in der sie ihm völlig schutzlos ausgeliefert sein würde. Er wandte sich deshalb an das anwesende restliche Pflegepersonal und schickte dies in eine Zigarettenpause. Dabei stellte er sich vor, dass er, nachdem das übrige Personal den Aufwachraum verlassen haben würde, mit der Zeugin allein in dem Raum sein würde, so dass sie seiner Einwirkung völlig schutzlos ausgeliefert sein würde. Sie hatte dann keine Chance andere um Hilfe zu bitten, zur Gegenwehr oder Flucht. Dazu war sie als unmittelbare Folge der erst einige Minuten zurückliegenden Operation nicht in der Lage. Wegen der Stimmbandoperation war sie auch nicht fähig, sich akustisch bemerkbar zu machen. Eine Möglichkeit, sich seiner geplanten Handlung irgendwie zu entziehen oder ihr zu widerstehen, bestand nicht. Der Angeklagte beabsichtigte diese Lage auszunutzen und setzte seinen Plan sogleich in die Tat um, nachdem das übrige Personal den Raum verlassen hatte. Er führte, um sich selbst sexuell zu erregen, seine zur Faust geballte Hand in die Scheide von Frau Lack ein. Anschließend drehte er sie mehrfach in verschiedene Richtungen und fragte die Geschädigte, ob ihr das gefalle. Dieses Vorgehen verursachte Frau L. erhebliche Schmerzen. Ihr wurde schnell klar, dass es sich bei dem Vorgehen des Angeklagten nicht um ein medizinisch indiziertes, sondern um ein sexuell motiviertes handelte. Wie vom Angeklagten vorhergesehen und beabsichtigt, war sie aufgrund der beschriebenen Umstände nicht in der Lage, ihren entgegenstehenden Willen in körperlichen Widerstand umzusetzen oder sich der Situation sonst zu entziehen. Der Angeklagte beendete sein Tun erst, als eine Pflegekraft zurückkehrte. Von dieser unbemerkt zog er seine nicht behandschuhte Hand aus der Scheide von Frau L. zurück und ging irgendeiner Beschäftigung nach.
Frau L. leidet unter den Folgen dieser sexuellen Handlungen des Angeklagten schwer. Sie befindet sich bis heute und bis auf Weiteres in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung. Sie leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung mit ausgeprägten depressiven Anteilen und suizidalen Tendenzen. Neben der ambulanten Therapie musste sie sich in der Zeit vom 9.2. bis zum 20.3.2004 einer stationären Behandlung unterziehen.
Die Nebenklägerin war nach den Ereignissen vom 1.4. psychisch nicht in der Lage, sich dem übrigen medizinischen Personal der Medizinischen Hochschule oder anderen Personen zu offenbaren. Erst etwa 14 Tage nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus gelang es ihr, diese Blockade zu überwinden und zumindest mit ihrem Ehemann die Geschehnisse zu erörtern, der sie darin bestärkte, Anzeige zu erstatten, was sie schließlich auch tat.
Tat 2.:
Am 6.4.2003 begab sich die am 10.2.1936 geborene Zeugin Edith W. ebenfalls in die Medizinische Hochschule Hannover, um sich in der HNO-Abteilung einer Operation zu unterziehen. Frau W. wurde stationär aufgenommen und am 10.4.2003 entlassen. Wie beabsichtigt wurde bei der Zeugin am Vormittag des 7.4.2003 eine HNO-Operation durchgeführt. Dabei wurde die Anästhesie mit folgenden Medikamenten durchgeführt:
Propofol - Boli 250 mg
Rapifen - Boli 1 mg
Nach der Operation wurde Frau W. ebenfalls in ein Bett umgelagert, in dem sie auch bis zu ihrer Entlassung gelegen hat. Vom Transportpersonal wurde sie in den Aufwachraum geschoben, in dem sich der Angeklagte aufhielt. Anderes Pflegepersonal oder andere Patienten waren nicht anwesend. Frau W. schlief zum Zeitpunkt des Eintreffens im Aufwachraum als Folge der Medikamentengabe und der Operation tief und fest. Nach dem Eintreffen der Zeugin entschloss sich der Angeklagte wie auch im Falle L. die vorhandene Situation auszunutzen und sexuelle Handlungen an Frau Wendt zur Befriedigung seines eigenen Geschlechtstriebes vorzunehmen. Ihm war dabei bewusst, dass Frau W., die tief und fest schlief, sich zumindest seiner ersten sexuellen Annäherung nicht bewusst sein würde und einen Widerstandswillen nicht würde entwickeln können. Im Übrigen ging er davon aus, dass die Geschädigte sich auch nach einem eventuellen Erwachen ihm nicht würde widersetzen oder entziehen können. In Ausführung dieses Tatplans näherte er sich der Patientin, die mit aufgestellten Beinen im Bett lag und berührte diese an der nicht bekleideten Scheide mit der bloßen Hand. Er begann sie in sexueller Absicht zu streicheln. Zeitgleich entblößte er sein Glied. Frau Wendt wurde von der Manipulation des Angeklagten an ihrer Scheide wach. Sie nahm die weiteren Vorgänge wahr, war jedoch aufgrund der Nachwirkungen der Narkose nicht in der Lage, sich dem Angeklagten körperlich zu entziehen. Nachdem der Angeklagte bemerkt hatte, dass Frau Wendt wach geworden war, fragte er sie, während er weiterhin an seinem Penis manipulierte, ob ihr das Streicheln gefalle und setze dieses fort. Frau Wendt konnte noch nicht adäquat reagieren, sie lallte nur, dass sie eine Blasensenkung habe. Mehr zu entgegnen war sie nicht in der Lage, ebensowenig konnte sie sich bewegen. Der Angeklagte setzte seine Manipulation fort und fragte sie, ob sie mal "rüberrücken" könne. Sodann legte er seinen entblößten erigierten Penis auf den ebenfalls nicht bedeckten Oberschenkel der Geschädigten und ejakulierte. Anschließend ordnete er seine Kleidung und wischte das Sperma mit einem kalten Lappen vom Oberschenkel der Geschädigten.
Frau W. schlief nach diesen Geschehnissen zunächst wieder ein. Nachdem sie auf die Station verbracht worden war, vertraute sie sich am folgenden Tag dem Stationsarzt Dr. G. an. Dr. G. zweifelte zunächst, ohne die Glaubwürdigkeit der Zeugin als solche in Frage zu stellen, nahm aber an, dass es sich als Narkosenfolge um eine verzerrte Wahrnehmung gehandelt habe. Als die Zeugin ihn tags darauf jedoch darauf hinwies, dass sie einen Fleck in ihrem Bettlaken gefunden habe, von dem sie annehme, dass es sich um Sperma handele, reagierte der Stationsarzt sofort und asservierte den entsprechenden Fleck. Er ließ ihn aus dem Bettlaken herausschneiden und dem gerichtsmedizinischen Institut in der Medizinischen Hochschule in Hannover zukommen. Dort wurde der Fleck zunächst morphologisch untersucht und festgestellt, dass es sich um Sperma handele. Die Medizinische Hochschule erstattete daraufhin Anzeige.
Die Zeugin Edith W. leidet unter den Folgen dieser Tat noch heute. Zwar befindet sie sich nicht in psychotherapeutischer Behandlung, es fällt ihr jedoch schwer, sich von diesen Ereignissen zu lösen und den Missbrauch psychisch zu verwinden. In der Hauptverhandlung brach sie während der Schilderung dieser Ereignisse in Tränen aus und war kaum in der Lage ihre Aussage fortzusetzen.
IV.
Diese Feststellungen beruhen auf der eigenen Einlassung des Angeklagten, soweit das Gericht dieser zu folgen vermochte und den übrigen ausweislich der Sitzungsniederschrift erhobenen Beweisen.
Der Angeklagte hat die Taten in Abrede genommen. Er hat zwar in seiner Einlassung eingeräumt, derjenige Pfleger gewesen zu sein, der die beiden Patientinnen in ihrer Aufwachphase betreut habe. Er bestreitet jedoch die ihm zur Last gelegten Taten und behauptet, es handele sich in beiden Fällen um narkosebedingte Sexualträume der Patientinnen, die diese später nicht von der Realität hätten unterscheiden können.
Dass sich auf dem Bettlaken des Bettes der Geschädigten W. sein Sperma mit Hilfe einer DNA-Analyse hat nachweisen lassen, erklärt der Angeklagte wie folgt:
Er habe sich zum fraglichen Zeitpunkt in einer physisch und psychisch schwierigen Situation befunden. Er habe einen Bandscheibenvorfall gehabt, der es ihm schwer gemacht habe, seinen beruflichen Verpflichtungen nachzukommen. Das Umlagern von Patienten und auch das sonstige Betreuen von Patienten, soweit es mit körperlicher Anstrengung verbunden sei, sei ihm sehr sehr schwer gefallen. Seine Arbeit sei ihm bitter geworden. Im Falle von Frau W. sei es so gewesen, dass er diese habe ein paar Mal hin- und herrücken müssen, was ihm wehgetan habe. Er sei deswegen ungehalten und wütend gewesen. Nachdem er Frau Wendt eine Bettpfanne untergeschoben gehabt habe und diese in sie hineinuriniert habe, habe er diese Bettpfanne wieder entfernt, um sie außerhalb des Aufwachraums auf der anderen Seite des Flurs einige Schritte entfernt in einem dafür vorgesehenen Toilettenbecken zu entleeren. Er sei so voller Wut gewesen, dass er sich überlegt habe, wie er die Patientin leichter bewegen könne. Er sei deshalb auf die Idee gekommen, sein Sperma als Gleitmittel zu benutzen. Aus diesem Grunde habe er sich in dem Raum, in dem er die Bettpfanne mit dem Urin der Geschädigten entleert habe, selbst befriedigt und in einen Handschuh ejakuliert. Mit dem mit seinem Ejakulat gefüllten Handschuh sei er in den Aufwachraum zurückgekehrt und habe diesen neben der Patientin auf das Bettlaken entleert.
Die vorstehende Einlassung des Angeklagten ist zur Überzeugung der Strafkammer im Sinne der getroffenen Feststellungen widerlegt.
Beide Zeuginnen haben ihre Aussagen ruhig und sachlich gemacht. Ihre Angaben waren in sich geschlossen und widerspruchsfrei. Sie stimmten mit ihren vorherigen Angaben im Ermittlungsverfahren überein. Dem Aussageverhalten beider Zeuginnen ließen sich keine emotional überschießenden Tendenzen gegen den Angeklagten entnehmen. Zwar war beiden ihre Betroffenheit deutlich anzumerken. Ein aggressives Potential war jedoch nicht erkennbar.
Ebenso wenig vermochte das Gericht irgendwelche Anhaltspunkte für ein Falschbelastungsmotiv zu finden. Weder die Zeugin L. noch die Zeugin W. kannten den Angeklagten zuvor und hätten einen Grund für eine absichtliche Falschbelastung. Hinzu kommt, dass sich die Zeuginnen auch untereinander nicht kannten und zum Zeitpunkt der Mitteilung ihrer Erlebnisse an Dritte nichts von dem jeweiligen Erlebnis der anderen wussten. Die voneinander unabhängige jedoch nahezu zeitgleiche absichtliche Falschbelastung eines Dritten durch zwei nicht miteinander in Verbindung stehende Menschen aber hält das Gericht für völlig lebensfremd und ist zur Überzeugung der Kammer ausgeschlossen.
Darüber hinaus sind die Angaben der Zeugin W. durch die vorgefundene Spermaspur objektiv bestätigt.
Der Zeuge Dr. G. hat in seiner glaubhaften Aussage bekundet, dass sich Frau Wendt zunächst an ihn gewandt und ihm ihre Erlebnisse geschildert habe. Er habe das zunächst gar nicht glauben können, jedoch gleichwohl den Eindruck gehabt, dass Frau W. in jedem Fall subjektiv die Wahrheit sage. Er habe darüber mit dem Anästhesisten gesprochen und die Frage aufgeworfen, ob es sich um einen in Zusammenhang mit der Narkose stehenden Traum gehandelt haben könne. Sie hätten diese Frage zunächst nicht klären können. Als Frau W. ihn dann jedoch am Folgetag darauf hingewiesen habe, dass sich ein Fleck in ihrem Bettlaken befinde, bei dem es sich um einen Spermafleck handeln könne, habe er sofort reagiert, diesen Teil des Bettlakens asserviert und der Gerichtsmedizin zur Verfügung gestellt. Sein Kollege Dr. R. vom gerichtsmedizinischen Institut habe den Fleck daraufhin zunächst in Augenschein genommen und berichtet, dass es sich tatsächlich um Spermaköpfe handele. Er habe daraufhin die Leitung der Medizinischen Hochschule informiert.
Der Sachverständige Dr. R. vom gerichtsmedizinischen Institut der Medizinischen Hochschule Hannover, der dem Gericht seit vielen Jahren als zuverlässiger Sachverständiger bekannt ist, hat in seinem widerspruchsfreien und in sich schlüssigen Gutachten, das sich das Gericht nach kritischer Würdigung zu eigen gemacht hat, festgestellt, dass die DNA-Untersuchung des vorgefundenen Spermas mit der DNA des Angeklagten übereinstimmt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein anderer als der Angeklagte Verursacher dieser Spermaspur sei, liege bei einer Wahrscheinlichkeit von 1 : 538 Billarden. Danach besteht aus rechtsmedizinischer Sicht keinerlei Zweifel, dass der Angeklagte der Spurenleger ist.
Schließlich ist auch die Einlassung des Angeklagten nicht geeignet, die Überzeugung der Strafkammer von seiner Täterschaft zu erschüttern. Sie ist lebensfremd und völlig unglaubwürdig. Das vom Angeklagten geschilderte Geschehen ist in keiner Weise nachvollziehbar. Es entbehrt jeder inneren Logik. Die wenigen Milliliter Sperma, die ein Ejakulat enthält, als Gleitmittel für eine erwachsene Person auf einem Bettlaken überhaupt in Betracht zu ziehen, ist absurd.
Erkennbar hat der Angeklagte hier lediglich verzweifelt nach einer Möglichkeit einer Erklärung für das Vorhandensein seiner Spermaspur auf dem Bettlaken einer Patientin gesucht.
Das Gericht hat auch keinerlei Zweifel daran, dass in keinem der Fälle also weder bei der Geschädigten L. noch bei der Geschädigten W., eine Halluzination bzw. ein Traumgeschehen vorgelegen hat, dass die Patientinnen nicht von der Realität haben unterscheiden können.
Der Sachverständige Prof. Dr. F., der als Pharmakologe wissenschaftlich an der Medizinischen Hochschule tätig ist und sich in dieser Eigenschaft mit der Wirkweise von Medikamenten befasst, hat in seinem gut nachvollziehbaren und in sich widerspruchsfreien Gutachten, das sich die Kammer nach kritischer Würdigung zu eigen gemacht hat, ausgeführt, dass die verabreichten Medikamente, insbesondere das Medikament Propofol nicht geeignet seien, die vom Angeklagten behaupteten Phänomene hervorzurufen.
Bei Propofol handele es sich um ein Medikament, das seit etwas über 20 Jahren weltweit vieltausendfach von Anästhesisten täglich eingesetzt werde. In einigen wenigen Fällen werde in der wissenschaftlichen Literatur berichtet, dass Patienten sich nach Propofolgaben sexualbezogen verhalten hätten. In all diesen Fällen sei es jedoch so gewesen, dass die Patienten im Sinne einer gewissen Enthemmung im Erwachungszustand von eigenen sexuellen Erlebnissen oder Phantasien berichtet hätten. In ganz seltenen Fällen hätten auch sexuelle Avancen an das Pflegepersonal stattgefunden. In allen Fällen sei es aber so gewesen, dass die Patienten nachdem die Wirkung von Propofol abgeklungen gewesen sei, gewusst hätten, wie sie sich präsentiert hätten, was ihnen üblicherweise unangenehm gewesen sei. Es sei vergleichbar mit der Enthemmung eines Alkoholrausches. Ein Traumerleben, das die Patienten später für Realität gehalten hätten, sei niemals berichtet worden.
Ebenfalls niemals berichtet worden sei ein negatives sexuelles Erleben der Patienten. Der Bezug zu Sexualität sei vielmehr in allen Fällen positiv besetzt gewesen.
Schließlich spricht zur Überzeugung der Strafkammer gegen die Annahme eines halluzinatorischen Zusammenhangs auch, dass die für diesen Fall erforderliche Zufälligkeit zwischen dem Traumerleben der Geschädigten W. und der Realität jenseits jeder Lebenswahrscheinlichkeit ist. Würde die Einlassung des Angeklagten hinsichtlich der Entstehung des Spermafleckes stimmen und es sich bei dem von Frau W. bekundeten Geschehen um einen Traum gehandelt haben, hieße dies, dass zeitgleich bezogen auf denselben Ort des Bettlakens es ein objektives Geschehen hinsichtlich der Spermaverbringung und ein traumhaftes Geschehen gegeben haben müsste, ohne dass eine entsprechende Verbindung bestanden hat. Der Angeklagte hat insoweit in seiner Einlassung unzweideutig erklärt, dass Frau W. nichts davon mitbekommen habe, dass er das Sperma an diese Stelle mittels eines Handschuhs verbracht habe. Selbst wenn die Zeugin den Moment des Ausgießens des Handschuhes beobachtet haben sollte, so ließe sich daraus jedoch kein Erleben entwickeln, dass den Anstoss für eine entsprechende Phantasie hätte geben können. Die Annahme, dass ein Pfleger in einem Aufwachzimmer aus einem Handschuh Sperma auf ein Bettlaken giesst, liegt so weit jenseits aller üblichen Erfahrungen, dass dies die Geschädigte W. nicht assoziieren konnte.
Indirekt werden schließlich auch die Angaben der Zeugin Lack durch die durch objektive Beweismittel bestätigten Angaben der Zeugin Wendt verifiziert. Der Fall Wendt zeigt, dass der Angeklagte grundsätzlich bereit ist, sexuelle Handlungen an Patientinnen im Aufwachraum vorzunehmen und erhärtet auf diese Weise die Angaben der Zeugin L..
Die Feststellung zur subjektiven Tatseite schließt das Gericht im Übrigen aus den objektiven Umständen.
IV.
Der Angeklagte hat sich danach zum Nachteil der Geschädigten L. einer Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kranken in Einrichtungen (§§ 174 a Abs. 2, 177 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 1, 52 StGB) und hinsichtlich der Geschädigten W. des sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kranken in Einrichtungen (§§ 174 a Abs. 2, 179 Abs. 1 Nr. 1, 52 StGB) schuldig gemacht.
V.
Tat 1.:
Im Rahmen der Strafzumessung hatte die Kammer zunächst zu prüfen, ob insoweit ein minder schwerer Fall im Sinne des § 177 Abs. 5 StGB vorliegt mit der Folge, dass die Strafe einem von 6 Monaten bis zu 5 Jahre reichenden Strafrahmen zu entnehmen ist. Die Strafkammer hat in diesem Zusammenhang eine Gesamtwürdigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände vorgenommen und das Vorliegen der Voraussetzungen eines minder schweren Falls verneint. Ein minder schwerer Fall kam schon allein deshalb nicht in Betracht, weil ein Regelbeispiel des besonders schweren Falls gemäß § 177 Abs. 2 Nr. 1 erfüllt ist.
Das Gericht hat auch nicht feststellen können, dass in der Handlung des Angeklagten oder in seiner Person außergewöhnliche Umstände vorhanden sind, die Unrecht und Schuld oder die Schuld allein bei einer Gesamtbewertung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände so deutlich vom Regelfall absetzen, dass auf den Grundtatbestand des § 177 Abs. 1 StGB und die dieser Vorschrift zu entnehmenden Strafdrohung zurückgegriffen werden müsste. Dabei hat das Gericht nicht übersehen, dass für den Angeklagten spricht, dass er bisher nicht bestraft ist und sich in einer psychisch möglicherweise schwierigen Situation befunden hat im Hinblick auf seine ihn verlassenden Körperkräfte.
Diese Umstände waren jedoch weder für sich genommen noch in ihrer Gesamtschau von solchem Gewicht, dass sie die Bedeutung des Vorliegens des Regelbeispiels des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB hätten kompensieren können. Ihnen stehen schulderhöhende Faktoren gegenüber, die, wägt man sie gegen Milderungsgründe ab, die Schuld des Angeklagten als so schwer erscheinen lassen, dass bei Anwendung des Strafrahmens des § 177 Abs. 1 StGB die schuldangemessene Strafe unterschritten werden müsste. Der Angeklagte hat durch das Einführen einer ganzen Faust und das Drehen der Faust in der Scheide ein erhebliches Maß an sexueller Gewalt gegen die Geschädigte ausgeübt. Außerdem war diese Handlung auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Angeklagte noch nicht einmal einen Handschuh getragen hat, in hohem Maße herabwürdigend und ehrkränkend. Schließlich war im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen, dass der Angeklagte tateinheitlich auch die Voraussetzungen des § 174 a StGB erfüllt hat und die Folgen der Tat für die Geschädigte erheblich waren.
Die Strafe war deshalb dem Strafrahmen des § 177 Abs. 2 StGB zu entnehmen. Danach war auf Freiheitsstrafe von 2 Jahren bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe zu erkennen. Die Strafkammer hat bei der Strafzumessung diejenigen Umstände entsprechend berücksichtigt, die im Vorstehenden erörtert worden sind. Darauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Die Strafkammer hielt unter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände für diese Tat eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren für tat- und schuldangemessen.
Tat 2.:
Auch in diesem Fall hatte die Strafkammer bei der Strafzumessung zunächst zu prüfen, ob ein minder schwerer Fall im Sinne des § 179 Abs. 5 StGB vorliegt, oder ob die Strafe dem von 6 Monaten bis 10 Jahren reichenden Strafrahmen des § 179 Abs. 1 StGB zu entnehmen ist.
Auch in diesem Fall hat das Gericht das Vorliegen der Voraussetzungen eines minder schweren Falls verneint. Dabei hat das Gericht auch in diesem Fall nicht die Tatsachen übersehen, dass der Angeklagte nicht bestraft ist und sich in einer psychisch möglicherweise schwierigen Situation befunden hat. Es konnte aber auf der anderen Seite auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Angeklagte durch sein Vorgehen die Geschädigte zutiefst herabgewürdigt und in ihrer psychischen Struktur für ihr weiteres Leben zutiefst geschädigt hat. Ebenso wenig konnte übersehen werden, dass der Angeklagte tateinheitlich die Voraussetzungen des § 174 a Abs. 2 StGB erfüllt hat. Das Gericht hat deshalb die Strafe dem Strafrahmen des § 179 Abs. 1 StGB entnommen und unter erneuter Würdigung der bereits erörterten Strafzumessungsaspekte insoweit auf eine Gesamtstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten erkannt.
Gemäß § 54 StGB hat die Strafkammer aus den beiden vorstehenden Einzelstrafen auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 10 Monaten erkannt. In diesem Zusammenhang hat das Gericht neben den bereits bei den Einzelstrafen erörterten Strafzumessungsaspekten insbesondere die sachliche und zeitliche Nähe der Taten zueinander bedacht.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 472, 473 StPO.