Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.12.2022, Az.: 7 K 259/20
Einnahmenüberschussrechnung; PC-Kasse; Schätzung; Schätzungsbefugnis
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 14.12.2022
- Aktenzeichen
- 7 K 259/20
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2022, 67567
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE::2022:1214.7K259.20.00
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - AZ: X B 18-20/23
Rechtsgrundlagen
- AO § 162 Abs. 1 Satz 1
- AO § 162
Amtlicher Leitsatz
Schätzungsbefugnis bei Führung einer PC-Kasse ohne festes Zuordnungskriterium (Datensatznummer)
Werden Einzelaufzeichnungen nach Erstellung des Tagesendsummenbons (Z-Bons) nachträglich programmseitig umorganisiert, so dass das einmal chronologisch vergebene Zuordnungskriterium (Datensatznummer) gelöscht wird, besteht aufgrund nicht ordnungsgemäßer Kassenführung eine Schätzungsbefugnis dem Grunde nach.
Tatbestand
Streitig sind Hinzuschätzungen für einen Gastronomiebetrieb auf Grund einer Außenprüfung.
Der Kläger betreibt seit XX einen Restaurantbetrieb mit ca. 90-100 Plätzen in. Seine Ehefrau arbeitet in dem Betrieb mit. Seine Einnahmen erwirtschaftet er überwiegend durch Bargeschäfte. Er bot in den Streitjahren ein tägliches Buffet mit hauptsächlich deutscher Küche an.
Seinen Gewinn für die Streitjahre 2011 bis einschließlich 2013 ermittelte der Kläger im Rahmen einer Einnahmeüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG), ab dem Jahr 2014 durch Bilanzierung.
Zur Aufzeichnung der Kasseneinnahmen nutzte der Kläger bis zum 9. August 2012 eine elektronische Registrierkasse der Firma Vectron, Modell "Vectron Colour Touch", die er von seinem Vorgänger übernommen hatte. Anschließend setzte er eine PC-Kasse des Modells Ordermann Columbus 700 mit einer Kassensoftware der Firma Addipos ein. Die Firma Haus M verkaufte dem Kläger die PC-Kasse inkl. Software und schulte die Mitarbeiter sowie den Kläger und seine Ehefrau.
Die Kassenaufzeichnungen wurden für jeden geöffneten Tag des Betriebs in Form von handschriftlich erstellten Kassenberichten (überschrieben als Kassenbestandsrechnung) aufgezeichnet, die wie folgt aufgebaut sind:
Kassenbestand des Vortages
+ Tageseinnahmen (TE) (lt. Tagesendsummenbons [Z-Bon]
- abzgl. EC-Umsätze
- abzgl. Auszahlungen
= Kassenbestand
Die Kassenberichte erstellte die Ehefrau des Klägers zu Hause mit einigen Tagen zeitlichem Verzug zum eigentlichen Umsatztag. Dabei erfolgte kein Abgleich des Kassenbestands lt. Kassenbericht mit dem tatsächlich vorhandenen Bargeldbestand. Die Kassenberichte wurden jeweils zum 10. eines Monats an das Steuerbüro für Zwecke der Umsatzsteuervoranmeldung weitergeleitet. Etwaige dort aufgedeckte Rechenfehler wurden in der Form korrigiert, dass die Kassenberichte bis zu dem Tag nachträglich neu erstellt wurden, an dem der Rechenfehler auftrat. Die ursprünglich erstellten und dem Steuerbüro zunächst übersandten Tagesberichte wurden vernichtet.
Der Kläger war als Koch in dem Betrieb tätig; die Ehefrau des Klägers arbeitete ebenfalls in der Küche. Im Service arbeiteten angestellte Kellner und zum Teil auch Familienmitglieder der Kläger. Die Getränke wurden bei den Gästen am Tisch handschriftlich auf Kellnerzetteln aufgenommen und anschließend gemeinsam mit dem Buffetessen in die Kasse eingegeben. Die Kellnerzettel wurden spätestens nach Schichtende weggeworfen. Die Kasse Ordermann Columbus 700 besaß keine Geldschublade, sondern nur einen zusätzlichen Drucker, der genau neben der Kasse stand und nach Eingabe der Bestellung entsprechende Bons für "Küche" und "Theke" erstellte. In der Regel -außer an sehr gästestarken Tagen- bereiteten die Kellner die Getränke selbst zu; nur an gästestarken Tagen übernahm ein Kellner ausschließlich die Zubereitung der Getränke an der Theke. Die Barzahlungen der Restaurantgäste wurden ausschließlich in dem Kellnerportemonnaie verwahrt, das der Kläger zu Beginn des Tages mit 100 € Wechselgeld ausstattete und dem Kellner übergab. An gästestarken Tagen wurden zum Teil auch zwei Kellnerportemonnaies eingesetzt. Am Tagesende erfolgte eine Abrechnung zwischen den Kellnern und dem Kläger in der Form, dass die Kellner jeweils einen Kellner-Bon (Z-Abschlag Kellner) an der Kasse erstellten und den dort ausgewiesenen Betrag dem Kläger unter Vorlage des Kellner-Bons übergaben. Das Auszählen des Kellnerportemonnaies war Aufgabe des Kellners und erfolgte eigenständig. Sofern das Kellnerportemonnaie Mehrbeträge enthielt, stand dieser Betrag den Kellnern als Trinkgeld zu. Entsprechende Fehlbeträge mussten von den Kellnern ausgeglichen werden. EC-Zahlungen wurden in der Kasse jeweils als Barzahlungen gebucht und im Rahmen der Abrechnung zwischen dem Kellner und dem Kläger wie Bargeld behandelt. Das dem Kellnerportemonnaie täglich entnommene Geld verwahrte der Kläger zu Hause in einer Geldkassette.
Der Kläger erklärte im Rahmen der Gewerbesteuererklärungen für die Streitjahre folgende Gewinne für den Betrieb:
2011 | 2012 | 2013 | 2014 | 2015 | |
---|---|---|---|---|---|
Gewinn ausGewerbebetrieb | XX € | XX € | XX € | XX € | XX € |
Mit Gewerbesteuermessbescheiden vom XX.XX.2013 (Streitjahr 2011), vom XX.XX.2014 (Streitjahr 2012), vom XX.XX.2014 (Streitjahr 2013) sowie vom XX.XX.2017 (Streitjahre 2014 und 2015) veranlagte der Beklagte den Kläger gemäß den eingereichten Erklärungen. Der Beklagte erließ sämtliche Gewerbesteuermessbescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 Abgabenordnung [AO]).
Am XX.XX.2015 führte der Beklagte eine Umsatzsteuernachschau im Betrieb durch und sicherte die Kassendaten der Ordermann Columbus 700 seit deren Anschaffung. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das in den Akten befindliche Protokoll der Umsatzsteuernachschau verwiesen.Die im Rahmen der Umsatzsteuernachschau ausgelesenen Daten lagen dem Gericht im Rahmen des Gerichtsverfahrens vor.
Im Zeitraum vom XX.XX.2015 bis XX.XX.2017 fand beim Kläger eine Außenprüfung für die Jahre 2009 bis 2013 statt.
Am XX.XX.2015 wurde durch das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren für die Zeiträume 2009 bis einschließlich 2013 sowie für die Voranmeldungszeiträume 2015 bis einschließlich November 2015 eingeleitet. In der Folge wurde auch der Prüfungszeitraum der Außenprüfung erweitert.
Die Außenprüfung sowie die Fahndungsprüfung schlossen insbesondere mit folgenden Feststellungen ab:
- Die vorlegten Kassenberichte bzw. Kassenbestandsrechnungen seien nicht zeitnah erstellt worden. Stattdessen seien sämtliche Belege inkl. Z-Bons monatlich in einer Box gesammelt und später ausgewertet worden. Dies führe dazu, dass ein spontaner Kassensturz nicht zu zutreffenden Ergebnissen führen könne.
- Die vorlegten Kassenbestandsrechnungen seien fehlerhaft, was sich z.B. an folgenden Tagen zeige.
- Zahlungen an den Arbeitnehmer C in 2011 und 2012 seien mit unzutreffenden Werten erfasst worden. Laut Quittungen habe er jeweils 800 € in bar erhalten; erfasst seien aber jeweils nur 676,61 €.
- Am 11. August 2012 sei die Bezahlung einer Rechnung erfasst, obwohl diese nachweislich bereits am 7. August bezahlt worden sei.
- Am 21. September 2014 sei eine Zahlung von 100 € an "K" nicht erfasst worden.
- Am 28. Oktober 2014 sei ein Rechenfehler enthalten, der Tagesendbestand sei demnach offenkundig falsch. Der Beleg enthalte den Hinweis (ggfs. des Steuerbüros): "Bitte ab 28.10.14 fortlaufend berichtigen". Daraus sei ersichtlich, dass an den Folgetagen mit dem falschen Bestand weiter gerechnet worden sei.
- Diese Aufzählung könne fortgesetzt werden.
- An diversen Tagen (circa 10 Tage pro Streitjahr ab Einsatz der PC-Kasse) seien in den Einzeldaten der Kasse Ordermann Columbus 700 keine Umsätze erfasst worden, obwohl der Betrieb geöffnet gehabt habe und nachweislich Umsätze erzielt worden seien. Weitere Überprüfungen hätten ergeben, dass in den Einzeldaten der Kasse an einem Tag erfasste Umsätze in den Z-Bons bzw. den Kassenbestandsberechnungen auf zwei Tage verteilt worden seien. Gleichzeitig seien für den Folgetag in der Kasse keine Einzeldaten/ Umsätze erfasst worden. Als Beispiel seien hier z.B. der 29. und 30. September 2012 zu nennen. Ob es sich dabei um die Aufteilung der tatsächlichen Umsätze eines Tages auf zwei Tage - unter Weglassung der Einnahmen des zweiten Tages - oder um einen Programmfehler handle, habe trotz Einschaltung des Kassenaufstellers nicht nachvollzogen werden können. Sicher sei jedoch, dass der Fehler darin liegen könne, dass versäumt worden sei, das Datum tagesaktuell personell richtig einzustellen, da die Kasse über Windows laufe und das Datum automatisch vorgegeben werde.
- Im Rahmen der Durchsuchungsmaßnahmen seien Unterlagen der Ehefrau des Klägers und der Tochter sichergestellt worden, die vermuten ließen, dass über deren Konto betriebliche Vorgänge abgewickelt worden seien. Die daraufhin angeforderten vollständigen Unterlagen hätten zur Frage der Herkunft diverser Einzahlungen geführt, die als nicht vollständig aufgeklärt angesehen werden müsse. Zwar sei dargelegt worden, woher die Einzahlungen stammen sollten, dies sei aber z.T. ohne Nachweis erfolgt und z.T. bestehe auch kein hinreichender zeitlicher Zusammenhang.
Nach Durchführung der Außenprüfung vertrat der Beklagte die Auffassung, dass die Kassenführung des Klägers nicht ordnungsgemäß sei und daher die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen seien. Der Außenprüfer kalkulierte für das Jahr 2013 die Bierumsätze nach und kam dabei zunächst zu einer Kalkulationsdifferenz von über 17 %. Nach Berücksichtigung der vom Kläger gegen die Kalkulation erhobenen Einwendungen verblieb noch eine Kalkulationsdifferenz von ca. 10 %. Unter Berücksichtigung dieser Differenz und mit Blick auf die Richtsatzsammlung nahm der Beklagte eine Hinzuschätzung für die Jahre 2009 bis 2015 jeweils in Höhe von 10 % der erklärten Umsätze vor und erhöhte dementsprechend die Umsätze, Gewinne und nachfolgend die Gewerbesteuermessbeträge mit Bescheiden vom 23. Mai 2018.
Gegen die geänderten Gewerbesteuermessbescheide vom XX.XX.2018 legte der Kläger unter dem XX.XX.2018 Einspruch ein.
Im Rahmen der Einspruchsentscheidungen vom XX.XX.2020 über die Einsprüche gegen die Gewerbesteuermessbescheide 2011 bis 2015 nahm der Beklagte folgende (gegenüber der Hinzuschätzung in den Bescheiden vom XX.XX.2018) reduzierte Umsatzhinzuschätzungen und Gewinnanpassungen vor:
2011 | 2012 | 2013 | 2014 | 2015 | Summe | |
---|---|---|---|---|---|---|
Mehrumsatz netto | XX € | XX € | XX € | XX € | XX € | XX € |
Umsatzsteuer | XX € | XX € | XX € | XX € | XX € | |
Erhöhung Gewinn lt. Hinzuschätzung | XX € | XX € | XX € | XX € | XX € | XX € |
Gewinnminderung wegen Übergangsverlust | -XX € | |||||
Gewinn laut Einspruchsentscheidung = Bescheide vom 26.10.2020 | XX € | XX € | X € | XX € | XX € | XX € |
Der Schätzung seien nunmehr die Richtwerte laut amtlicher Richtsatzsammlung zugrunde gelegt worden. Dabei seien sowohl die Rohgewinnaufschlagssätze als auch der Reingewinnsatz bei der Schätzung berücksichtigt worden. Zu Gunsten des Klägers sei wiederum ein Abschlag in Höhe von 40 % vorgenommen worden, da der Kläger Essen ausschließlich in Buffetform anbiete. Hinsichtlich der genauen Berechnungsgrundlage wird auf die Anlage zur Einspruchsentscheidung verwiesen.
Der Beklagte setzte mit Einspruchsentscheidung vom XX.XX.2020 den Gewerbesteuermessbetrag für die Jahre 2001 bis 2015 entsprechend herab und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Der Beklagte hielt an seiner Auffassung fest, dass eine Schätzungsbefugnis dem Grunde nach wegen der festgestellten formellen und materiellen Mängel bei der Kassenführung gegeben sei und die Schätzung anhand der Richtwerte nach der Amtlichen Richtsatzsammlung unter Anpassung an die betrieblichen Besonderheiten erfolgen könne. Hiergegen erhob der Kläger unter dem XX.XX.2020 Klage.
Der Kläger vertritt im Klageverfahren die Auffassung, die Buchführung und die Kassenführung seien ordnungsgemäß erfolgt, so dass die vom Beklagten vorgenommene Schätzung der Besteuerungsgrundlagen unrechtmäßig sei und die geänderten Bescheide aufzuheben seien.
Er habe seit 2012 eine Registrierkasse der Firma Addipos im Einsatz gehabt. Es sei ein täglicher Ausdruck des Kassenbons erfolgt; gleichzeitig sei ebenfalls durch tägliches Zählen der Kasse ein Soll-Ist-Vergleich durch Abrechnung des Kellner-Portemonnaies erfolgt. Minderbeträge seien kellnerseitig ausgeglichen worden. Soweit die Bezahlung durch Rechnung erfolgt sei, seien diese Beträge in der Registrierkasse debitorisch vermerkt und dann getrennt fakturiert worden. Die Einnahmen laut Z-Bons seien einschließlich der Kartenzahlungen dann in dem handschriftlichen Kassenbericht übernommen worden. Es seien somit alle Einnahmen vollständig erfasst worden.
Insbesondere seien die vermeintlich festgestellten fehlenden Umsatztage durch Bedienfehler begründet. Dieses sei durch die Stellungnahmen der Kassenvertriebsfirma und der Firma Addipos belegt. Daraus ergäben sich jedoch keine steuerlichen Nachteile zulasten der Steuerfestsetzungen, da ein geschlossener Rechnungsnummernkreis vorgelegt worden sei und sich auch die Summe der Einzelrechnungen in den Tagesendsummenbons wiederfinden lasse. Zur weiteren Erläuterung verweist der Kläger insbesondere auf schriftliche Stellungnahmen des Kassenherstellers.
Der Kläger beantragt,
die geänderten Gewerbesteuermessbescheide der Jahre 2011 - 2015 vom XX.XX.2018 in der Fassung des Einspruchsbescheides vom XX.XX.2020 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen des Sachverhalts und der im Einspruchsverfahren vorgebrachten Einwendungen verweist der Beklagte auf den Inhalt der Einspruchsentscheidung und auf den in diesem Zusammenhang geführten Schriftwechsel.
Aus den bisherigen Schriftsätzen gehe u.a. auch hervor, dass Schwarzlöhne in bar gezahlt worden seien. Die Kassenführung könne damit nicht ordnungsgemäß sein. Diese Auffassung habe auch das Gericht bereits im Senatsbeschluss vom XX.XX.2019 über die Aussetzung der Vollziehung vertreten. Auf ein möglicherweise technisch korrektes Funktionieren der Kasse komme es deshalb gar nicht an. Es sei unerheblich, ob die Zahlungen an den Arbeitnehmer C als Nachzahlung oder Zusatzzahlung betitelt werden. Fakt sei, dass die Buchführung damit nachweislich als nicht ordnungsgemäß anzusehen sei. Deshalb sei die Hinzuschätzungsbefugnis des Beklagten gegeben und auch die Höhe der Schätzung sei insgesamt nicht zu beanstanden.
Das Gericht hat im Termin zur mündlichen Verhandlung Beweis erhoben durch die Vernehmung von Herrn S von der Firma Addipos und dem langjährigen Kellner Herrn E als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
I. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung [FGO]).
Entgegen der Auffassung des Klägers ist vorliegend eine Schätzungsbefugnis des Beklagten für sämtliche Streitjahre gegeben (1. und 2.). Die Höhe der vom Beklagten vorgenommenen Hinzuschätzungen ist im Ergebnis nicht zu beanstanden (3.). Zudem war der Beklagte auch verfahrensrechtlich berechtigt, die Gewerbesteuermessbescheide zu ändern (4.)
1. Schätzungsbefugnis dem Grunde nach für die Streitjahre 2011 bis 2013
Gem. § 162 Abs. 1 AO hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie sie nicht ermitteln oder berechnen kann. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Zu schätzen ist nach § 162 Abs. 2 AO insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden können oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen oder Betriebsvermögensmehrungen bestehen.
Zwar berechtigen formelle Mängel der Aufzeichnungen nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nur insoweit zur Schätzung, als sie Anlass geben, die sachliche Richtigkeit des Ergebnisses der Gewinnermittlung anzuzweifeln (BFH, Urteil vom 17. November 1981 VIII R 174/77, BStBl. II 1982, 430, Beschluss vom 25. Januar 1990 IV B 140/88, BFH/NV 1990, 484 m.w.N.). Jedenfalls dann, wenn vorwiegend Bargeschäfte getätigt werden, können Mängel der Kassenführung aber den gesamten Aufzeichnungen die Ordnungsmäßigkeit nehmen (BFH, Urteil vom 14. Dezember 2011 XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921).
Dabei ist bei Unternehmern mit Gewinnerermittlung durch Einnahme-Überschuss-Rechnung gem. § 4 Abs. 3 EStG - wie dies beim Kläger in den Streitjahren 2011 bis 2013 der Fall ist - zum einen die umsatzsteuerrechtliche Verpflichtung zur Aufzeichnung der Betriebseinnahmen gemäß § 22 des Umsatzsteuergesetzes (UStG), §§ 63 bis 68 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) zu beachten, da sie auch unmittelbar für das EStG wirkt (BFH, Urteil vom 12. Dezember 2017 VIII R 5/14, BFH/NV 2018, 602). Zum anderen sind die Vorschriften über die Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung zu beachten. Gemäß § 146 Abs. 1 AO in der für die Streitjahre maßgeblichen Fassung sollen Kasseneinnahmen und Kassenausgaben "täglich" festgehalten werden. Hierdurch wird versucht, im sensiblen Bereich der Abwicklung von Vorgängen, die Bewegungen von Bargeld einschließen, besonders hohe Dokumentationspflichten einzurichten. Die Anforderungen an diese Dokumentationspflichten sind dabei an die Art und Weise der Kassenführung anzupassen. Nach der für die Streitjahre noch geltenden Gesetzeslage ist der Steuerpflichtige in der Wahl des Aufzeichnungsmittels frei und kann entscheiden, ob er seine Warenverkäufe manuell oder unter Zuhilfenahme technischer Hilfsmittel - wie einer elektronischen Registrier- oder PC-Kasse - erfasst. Dabei bestimmt die Kasseneigenschaft die Art der Aufzeichnung (BFH, Beschluss vom 8. August 2019 X B 117/18, BFH/NV 2019, 1219).
Der BFH hat in seinem Beschluss vom 12. Juli 2017 (X B 16/17, BFH/NV 2017, 1204) die Möglichkeiten für eine ordnungsmäßige Aufzeichnung von Bareinnahmen in Fällen der Einnahmen-Überschuss-Rechnung bei Sachverhalten, in denen die Führung von Einzelaufzeichnungen nach den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen nicht ohnehin als zwingend anzusehen ist, aufgezeigt. Danach kommen folgende Alternativen für die Kassenführung in Betracht:
(1) eine geordnete Belegablage mit Einzelaufzeichnungen der Erlöse
(2) Verzicht sowohl auf Einzelaufzeichnungen als auch auf ein tägliches Auszählen des Kassenbestands, aber Aufbewahrung der Ursprungsaufzeichnungen und Abgleich von Soll- und Ist-Bestand der Kasse "in gewissen Abständen" (insbesondere bei der Nutzung von Registrierkassen)
(3) Verzicht sowohl auf Einzelaufzeichnungen als auch auf die Aufbewahrung von Ursprungsbelegen, aber tägliches tatsächliches Auszählen der Kasse, das in fortlaufenden Kassenberichten dokumentiert wird.
Demgegenüber soll das bloße Aufschreiben des täglichen (Gesamt-)Umsatzes ohne Aufbewahrung weiterer Belege den Anforderungen nicht genügen.
Werden die Bareinnahmen mit einer elektronischen Registrierkasse erfasst und fehlen Z-Bons oder fehlen im Fall des Auszählens einer offenen Ladenkasse die täglichen Protokolle, so liegt ein formeller Mangel der Kassenführung vor. Dieser formelle Mangel lässt zwar keinen sicheren Schluss auf die Verkürzung von Einnahmen zu. Gleichwohl gibt es systembedingt keine Gewähr mehr für die Vollständigkeit der Erfassung der Bareinnahmen, ohne dass eine nachträgliche Ergänzung der Dokumentation bzw. eine anderweitige Heilung des Mangels möglich wäre (BFH, Urteil vom 25. März 2015 X R 20/13, BStBl. II 2015, 743). Darüber hinaus liegt ein formeller Mangel der Buchführung auch darin, dass die Organisationsunterlagen für das benutzte Kassensystem nicht vorgelegt werden konnten. Handbücher, Programmierprotokolle, die nachträgliche Änderungen dokumentieren, und weitere derartige Unterlagen sind nach § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO als sonstige Organisationsunterlagen aufbewahrungspflichtig (BFH, Urteil vom 25. März 2015 X R 20/13, BStBl. II 2015, 743). Das Fehlen einer lückenlosen Dokumentation der Kassenprogrammierung steht dem Fehlen von Tagesendsummenbons bei einer Registrierkasse bzw. dem Fehlen täglicher Protokolle über das Auszählen einer offenen Ladenkasse gleich und stellt einen formellen Mangel dar. Systembedingt besteht keine Gewähr mehr für die Vollständigkeit der Erfassung der Bareinnahmen (vgl. BFH, Urteil vom 25. März 2015 X R 20/13, BStBl. II 2015, 743).
a. Schätzungsbefugnis für das Streitjahr 2011
Der Beklagte war dem Grunde nach berechtigt, im Streitjahr 2011 eine Hinzuschätzung zu den erklärten Umsätzen vorzunehmen.
Die im Streitjahr 2011 eingesetzte Registrierkasse der Firma Vectron hat keine Einzelaufzeichnungen erstellt bzw. diese wurden nach einem kurzen Zeitraum von einigen Tagen überschrieben. In jedem Fall hat der Kläger keine Einzelaufzeichnungen für den Streitzeitraum 2011 vorgelegt, so dass seine Kassenführung nicht den unter o.g. Variante (1) aufgezeigten Anforderungen für eine ordnungsgemäße Kassenführung entspricht.
Die im Betrieb des Klägers erstellten Kellnerzettel zur Aufnahme der Getränke stellen nach Auffassung des Senats Ursprungsaufzeichnungen dar. Da diese nach Eingabe in die Kasse vernichtet wurden, entspricht die Kassenführung des Klägers auch nicht den unter o.g. Variante (2) aufgezeigten Anforderungen für eine ordnungsgemäße Kassenführung.
Die Kassenführung des Klägers entspricht auch nicht den unter o.g. Variante (3) aufgezeigten Anforderungen für eine ordnungsgemäße Kassenführung, da der Kläger die Kasse nach Überzeugung des Senats nicht täglich tatsächlich ausgezählt hat und dies in fortlaufenden Kassenberichten dokumentiert hat. Dabei ist zwischen dem von den Service-Kräften genutzten Kellnerportemonnaies und der vom Kläger geführten Kasse (Geldkassette) zu unterscheiden. Die Kellnerportemonnaies und damit die Tageseinnahmen wurden jeden Abend zur Abrechnung gegenüber dem Kläger von den Service-Kräften gezählt. Dies erfolgte in der Weise, dass die abrechnende Service-Kraft den auf ihrem Z-Kellner-Bon ausgewiesenen Betrag dem Kellnerportemonnaie entnahm und an den Kläger übergab. Der überschießende Betrag wurde als Trinkgeld unter den an diesem Tag im Betrieb arbeitenden Servicekräften aufgeteilt. Ob tatsächlich das gesamte Kellnerportemonnaie ausgezählt wurde oder die Abrechnung in der Form erfolgte, dass zunächst der an den Kläger zu entrichtende Betrag abgezählt und anschließend erst das Trinkgeld gezählt wurde (d.h. ohne Bildung einer Gesamtsumme) kann dahinstehen, da der Kläger auch die von ihm verwahrten Bargelder (inkl. der Tagesbareinnahmen des Tages und der Vortage, abzgl. etwaiger getätigter Ausgaben/ Entnahmen oder Einzahlungen auf Konten) die Gegenstand der vorgelegten Kassenbestandsrechnungen sind, nicht täglich gezählt hat, obwohl er sie täglich hätte zählen müssen. Dass dies nicht erfolgte, haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung (ohne Beschränkung auf einzelne Streitjahre) bestätigt.
Bereits aus den Feststellungen des Beklagten ließ sich ableiten, dass die Kassenbestandsrechnungen nur rechnerisch geführt wurden, da auf einer Vielzahl der erstellen Kassenbestandsrechnungen handschriftliche Anmerkungen bzw. Hinweise festgestellt wurden, die auf Rechenfehler hinweisen. Dass diese Anmerkungen aus dem Steuerbüro stammten, haben der Kläger und seine Ehefrau im Rahmen der mündlichen Verhandlung bestätigt. Zusätzlich haben der Kläger und seine Ehefrau bestätigt, dass nach entsprechendem Hinweis des Steuerbüros die von den Rechenfehlern betroffenen Kassenbestandsrechnungen rückwirkend neu erstellt wurden. Dies allein stellt bereits einen schwerwiegenden Mangel der vorgelegten Kassenbestandsrechnungen dar, da diese rückwirkenden Anpassungen nicht kenntlich gemacht worden sind. Wäre die Kasse tatsächlich täglich ausgezahlt worden, wäre zudem ein solches Vorgehen nicht notwendig gewesen, da der Rechenfehler bereits bei der Erstellung des Kassenbestandsberichtes am folgenden Tag aufgefallen wäre.
Zudem wurde aus den von der Betriebsprüfung festgestellten Abweichungen zwischen den vom Arbeitnehmer C quittierten und in den Kassenbestandsberichten enthaltenen Beträgen im Streitjahr 2011 erkennbar, dass die Kasse -entgegen der Darstellung des Klägers- nicht täglich ausgezählt, sondern nur rechnerisch geführt wurde. Die Ehefrau des Klägers (als Erstellerin der Kassenbestandsberichte) hat selbst ausgeführt, dass Grundlage der Eintragungen der Lohnzahlungen an den Arbeitnehmer C nicht die tatsächlich quittierten Beträge, sondern die auf den vom Steuerbüro zur Verfügung gestellten Lohnabrechnungen waren und die vom Arbeitnehmer quittierten Beträge nicht mit den im Kassenbericht erfassten Beträgen übereinstimmten. Danach waren die im Kassenbericht vermerkten Ausgaben nicht identisch mit den dazu beigefügten Belegen. Sofern die Kasse tatsächlich täglich ausgezählt worden wäre, hätte sich hiernach eine zu erläuternde Differenz ergeben müssen, die in den Kassenberichten jedoch fehlt.
b. Schätzungsbefugnis für das Streitjahr 2012 (bis zum Wechsel der Kasse)
Der Beklagte war aus den unter 1.a. aufgeführten Gründen dem Grunde nach auch im Streitjahr 2012 bis zum Wechsel des Kassensystems (d.h. bis einschließlich zum 9. August 2022) berechtigt, eine Hinzuschätzung zu den Umsätzen vorzunehmen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die o. g. Ausführungen Bezug genommen. Insbesondere hat der Arbeitnehmer C auch im Jahr 2012 jeweils den Erhalt von 800 € Barlohn quittiert und die entsprechenden Kassenbestandsberechnungen weisen abweichende Beträge aus.
c. Schätzungsbefugnis für das Streitjahr 2012 (ab dem 10. August 2012)
Auch für Zeitraum des Streitzeitraums 2012, in dem der Kläger die PC-Kasse der Firma Ordermann Columbus 700 mit der Kassensoftware der Firma Addipos GmbH im Betrieb einsetzte, besteht eine Schätzungsbefugnis des Beklagten.
aa. Der Senat ist davon überzeugt, dass die Kassenführung auch unter Einsatz der vom Kläger ab dem 10. August eingesetzten PC-Kasse nicht ordnungsgemäß war. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Umstand, dass die Einzelaufzeichnungen nach Erstellung des Z-Bons nachträglich programmseitig umorganisiert wurden (vgl. unter (1)). Zusätzlich enthalten die Einzelaufzeichnungen weitere formale Fehler (vgl. unter (2) bis (4)), die sich zu einem gewissen Grad zwar unter Einschaltung des Kassenaufstellers und Kassenherstellers bzw. unter Auswertung von im Rahmen einer Testsituation am 11. Februar 2016 erstellten Screenshots aufklären ließen, die jedoch den Nachweiswert der vorgelegten Einzeldaten insofern erschüttern, als das die vorgelegten Daten nicht aus sich heraus selbsterklärend und für die Finanzverwaltung überprüfbar sind.
Die eingesetzte PC-Kasse hat Einzelaufzeichnungen erstellt, die für den Zeitraum vom 10. August 2012 bis zum XX.XX.2015 (Tag der Umsatzsteuernachschau) auch ausgelesen wurden und dem als Datenträger Gericht vorliegen. Es hätte daher nach den o.g. aufgeführten Rechtsprechungsgrundsätzen (vgl. 1.a.) grundsätzlich genügt, wenn eine geordnete Belegablage mit Einzelaufzeichnungen der Erlöse durch den Kläger erfolgt wäre. Auf etwaige Ursprungsaufzeichnungen (Kellner-Bons) käme es dann nicht mehr an. Ein täglicher tatsächlicher Kassensturz wäre insoweit nicht erforderlich. Gleichwohl ist der Senat nach der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass die Kassenführung des Klägers aus nachfolgenden Gründen nicht den unter der o.g. Variante (1) aufgezeigten Anforderungen für eine ordnungsgemäße Kassenführung entspricht.
(1) Maßgeblich ist für den Senat in diesem Zusammenhang die vom Zeugen S im Rahmen der Vernehmung dargelegte (programmseitige) Vorgehensweise bei der Erstellung der Einzeldaten. Nach Aussage des Zeugen, der sich selbst als geistiger Urheber des Kassenprogramms der Firma Addipos bezeichnet, würden im Rahmen jeder Eingabe in die PC-Kasse Einzeldaten erstellt, die zunächst in die sog. Tagesdatenbank geschrieben werden. Diese erhielten bei Eingabe eine eindeutig zuordenbare chronologisch vergebene Datensatznummer. Aus Performancegründen würde die Tagesdatenbank nach Erstellung des Z-Bons in eine sog. historische Datenbank überführt; die Tagesdatenbank stelle daher eine Art Pufferspeicher dar. Die Daten der Tagesdatenbank würden grundsätzlich durch die Überführung in die historische Datenbank gelöscht und seien rückwirkend jeweils immer nur für einen Monat rekonstruierbar. Im Rahmen der historischen Datenbank erhielten die Einzeldaten eine neue Datensatznummer, die nicht mit der Datensatznummer aus der Tagesdatenbank übereinstimme. Die ursprüngliche Datensatznummer aus der Tagesdatenbank sei auch nicht mehr Bestandteil der Einzeldaten aus der historischen Datenbank. Der Anstoß für die Überführung stelle die Erstellung des Z-Bons dar. Die Vergabe der Datensatznummer im Rahmen der historischen Datenbank erfolge nicht chronologisch, sondern "beleggenau" bzw. nach Tischen.
Die Reorganisierung der Einzeldaten hat der Senat auch anhand der im Rahmen der Umsatzsteuernachschau ausgelesenen Einzeldaten der historischen Datenbank nachvollzogen (z.B. für den X. April 2014 sowie X. August 2012) und insoweit Zeitsprünge innerhalb der fortlaufenden Datensatznummer der historischen Datenbank festgestellt. Da sich dies dem Senat nicht erschloss, führte dies - unter Vorlage von Screenshots aus der Datenbank - zur Frage an den Zeugen, der die oben ausgeführte durchgeführte Reorganisation der Einzeldaten darstellte. In der Folge steht danach zur Überzeugung des Gerichts fest, dass keine abschließende Überprüfung der Einzeldaten durch einen verständigen Dritten dahingehend mehr möglich ist, ob eine Vollständigkeit der Einzeldaten gegeben ist, da die im Rahmen der Eingabe in die Kasse vergebende fortlaufende Datensatznummer gelöscht wird und auch mit Ausnahme eines einmonatigen Backups nicht reproduzierbar ist. Im Ergebnis ist die Technik der Kasse somit programmierseitig so ausgestaltet, dass die ursprünglichen Einzelaufzeichnungen nach Erstellung des Z-Bon umorganisiert werden. Sinn und Zweck der Überprüfung der Einzelaufzeichnungen für Registrierkassen und PC-Kassen ist jedoch gerade, dass der Finanzverwaltung ermöglicht wird, die Vollständigkeit der ursprünglichen durch die Eingabe erzeugten Einzelaufzeichnungen anhand eines festen Kriteriums (Datensatznummer) nachzuvollziehen und zu verifizieren. Diese technische Möglichkeit bietet die vom Kläger eingesetzte PC-Kasse aufgrund der Reorganisierung im Rahmen der Überführung in die historische Datenbank nicht.
(2) Die Ausführungen der Kläger und des Zeugen S zur Verbuchung von Einzelumsätzen von zwei Öffnungstagen auf einen Umsatztag sind ein weiterer Aspekt, der gegen die ordnungsgemäße Kassenführung spricht. Zwar hat der Zeuge S in seinen schriftlichen Stellungnahmen den Fehler damit erklärt, dass nach Erstellung eines Z-Bon und dem (sich automatisch anschließenden) Herunterfahren der Kasse ein erneuter Start der Kasse durchgeführt worden sei. Dies würde auch erklären, weshalb der Fehler im Rahmen der Besprechung am XX.XX.2016 nicht reproduzierbar war, da ausweislich des Aktenvermerks und der angehängten Screenshots kein Kassenneustart bzw. Neustart des PC nach Erstellung des Z-Bons durchgeführt worden sei. Dies lasse sich insbesondere an den Screenshots nachvollziehen, da der "Z-Abschlag Haus 1238" um 10:37 Uhr erstellt wurde und die Theken- und Küchenbons bereits um 10:38 Uhr ausgedruckt worden seien. Demgegenüber haben der Kläger und seine Ehefrau in mündlichen Verhandlung jedoch auf Nachfrage des Gerichts ausgeführt, dass der Ursprung der Verbuchung von Einzelumsätzen von zwei Öffnungstagen auf einen Umsatztag nach ihrer Auffassung nach darin liege, dass die Kasse an den entsprechenden Tagen nicht vollständig heruntergefahren worden sei. Die vom Kläger hierzu vorgelegten Erläuterungen und Übersichten beziehen sich jeweils auf den Nachweis der Vollständigkeit des Rechnungsnummernkreises der historischen Datenbank, wogegen nicht mehr festgestellt werden kann, ob in den vorgelegten Einzeldaten der historischen Datenbank auch alle Einzeldaten der Tagesdatenbank enthalten sind. Notwendig wäre aus Sicht des Senats gewesen, dass ein durchgehender Datensatznummernkreis nachgewiesen wird. Diese Anforderungen konnte der Kläger aufgrund der programmtechnischen Umorganisierung der Einzeldaten durch die eingesetzte PC-Kasse (vgl. 2.c.aa.(1)) nicht erfüllen.
(3) Gegen die ordnungsgemäße Kassenführung spricht auch, dass aus den Einzeldaten nicht mehr nachvollziehbar ist, welcher Kellner die einzelne Bestellung aufgenommen und in der PC-Kasse erfasst hat. Der Kläger und seine Ehefrau sowie der Zeuge E haben in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend ausgesagt, dass es im Betrieb üblich war, dass mehrere Kellner auf einen gemeinsamen Kellnerschlüssel gearbeitet haben und dass nicht jeder Kellner einen eigenen Kellnerschlüssel hatte. Nach Aussage des Zeugen E sei es den Kellnern nicht wichtig gewesen, unter welchem Namen die Bestellung gebucht worden sei und welcher Kellner welchen Umsatz gemacht habe. Die vorliegenden Einzeldaten bieten somit keine Grundlagen dafür, zu überprüfen, welcher Kellner die einzelnen Bestellungen tatsächlich aufgenommen und in die Kasse eingegeben hat, obwohl dies technisch in der Kasse angelegt ist. Damit kann auch nicht anhand der Einzeldaten und der Informationen zu den Arbeitszeiten der Kellner überprüft werden, ob tatsächlich alle Bestellungen in die Kasse eingegeben worden sind.
(4) Schließlich entsprach die eingesetzte PC-Kasse nicht den "Grundsätzen zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen" (GDPdU) gem. § 147 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 AO. Aus den vorgelegten Unterlagen ist ersichtlich, dass der Kläger die Kasse mit der Version 2.3.1 einsetzte und vom Kassenaufsteller (Firma H) angebotene Updates nicht durchführte. Erst die Version 2.3.3 entsprach den Vorgaben der GDPdU und wurde entsprechend vom Kassenhersteller auch entsprechend beworben. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs führen fehlende Organisationsunterlagen für das benutzte Kassensystem (Handbücher, Programmierprotokolle) bereits zur Annahmen einer Schätzungsbefugnis (BFH, Urteil vom 25. März 2015 X R 20/13, BStBl. 2015, II 743). Nach Auffassung des Senats führt dann auch der Verzicht auf die Vornahme von Updates zu einem formellen Mangel, der in der Gesamtschau mit den weiteren aufgeführten Mängeln die nicht ordnungsgemäße Kassenführung und damit die Schätzungsbefugnis des Beklagten begründet.
Die von der Rechtsprechung entwickelten und unter 1. dargestellten Grundsätze gehen mit erheblichen Erleichterungen für den Fall einher, dass der Steuerpflichtige Einzelaufzeichnungen vorlegt; erforderlich ist dann nur noch eine geordnete Belegablage (Variante (1) der unter 1. dargelegten Rechtsprechungsgrundsätze). Deshalb sind nach Auffassung des Gerichts auch strenge Maßstäbe an die Überprüfbarkeit dieser Daten zu stellen, die vorliegend nicht erfüllt sind.
bb. Da die Ursprungsaufzeichnungen (Kellnerzettel) im Betrieb des Klägers vernichtet worden sind, entspricht die Kassenführung des Klägers im Streitjahr 2012 (ab dem 10. August) auch nicht den unter o.g. Varianten (2) dargelegten Anforderungen. Die Kassenführung des Klägers entspricht auch nicht den unter o.g. Varianten (3) aufgezeigten Anforderungen für eine ordnungsgemäße Kassenführung, da der Kläger die Kasse nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Senats nicht täglich tatsächlich ausgezählt hat und das Ergebnis der Auszählung in fortlaufenden Kassenberichten dokumentiert hat (vgl. 1.a.).
d. Schätzungsbefugnis für das Streitjahr 2013
Der Beklagte war aus den unter 1.c) aufgeführten formellen Mängeln dem Grunde nach auch im Streitjahr 2013 berechtigt, eine Hinzuschätzung zu den Umsätzen vorzunehmen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die o. g. Ausführungen Bezug genommen.
Darüber hinaus ergibt sich auch aus der vom Beklagten durchgeführten Bierkalkulation, die auch unter Berücksichtigung der von den Klägern hierzu vorgebrachten Einwendungen für das Jahr 2013 eine Umsatzdifferenz von XX € ausweist, ein materieller Mangel der Buchführung.
2. Schätzungsbefugnis dem Grunde nach für die Streitjahre 2014 und 2015
a. Für buchführungspflichtige Steuerpflichtige gilt, dass eine Buchführung (erst) dann formell ordnungswidrig ist, wenn sie wesentliche Mängel aufweist oder die Gesamtheit aller unwesentlichen Mängel diesen Schluss fordert (BFH, Beschluss vom 2. Dezember 2008 X B 69/08 Rn. 4, juris). Maßgebend ist das Gesamtbild aller Umstände im Einzelfall. Ob ggf. nur unwesentliche formelle Buchführungsmängel vorliegen, unterliegt den Regeln der freien Beweiswürdigung; formelle Mängel berechtigen nur dann zur Schätzung, soweit sie Anlass geben, die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln (BFH, Urteil vom 14. Dezember 2011 XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921 Rz. 22 m.w.N.). Demzufolge kann eine Buchführung trotz einzelner Mängel nach den §§ 140 bis 148 AO aufgrund der Gesamtwertung als formell ordnungsmäßig erscheinen. Insoweit kommt der sachlichen Gewichtung der Mängel ausschlaggebende Bedeutung zu (so auch der Anwendungserlass zur Abgabenordnung [AEAO] zu § 158 AO). Jedenfalls dann, wenn vorwiegend Bargeschäfte getätigt werden, können Mängel der Kassenführung den gesamten Aufzeichnungen die Ordnungsmäßigkeit nehmen (BFH, Urteil vom 14. Dezember 2011 XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921, Rz. 34).
Nach der Rechtsprechung zu §§ 145 f AO müssen die Kassenaufzeichnungen im Rahmen der Bilanzierung so beschaffen sein, dass ein Buchsachverständiger jederzeit in der Lage ist, den Sollbestand mit dem Istbestand der Geschäftskasse zu Beginn und zum Ende des Geschäftstages zu vergleichen (Kassensturzfähigkeit, vgl. z.B. BFH, Urteil vom 20. März 2017 X R 11/16, BStBl. II 2017, 992; vom 25. März 2015 X R 20/13, BStBl. II 2015, 743; Beschluss vom 13. Dezember 2018 V R 65/16, BFH/NV 2019, 303).
b. Der Beklagte war dem Grunde nach aufgrund der fehlenden Kassensturzfähigkeit der Kasse auch in den Streitjahren 2014 und 2015 berechtigt, eine Hinzuschätzung zu den Umsätzen vorzunehmen.
Die Kassensturzfähigkeit ist vorliegend bereits dadurch nicht gegeben, da der Kläger seine Kassenbestandsberichte lediglich rechnerisch geführt hat und den Kassenbestand -und nicht bloß die Tageseinnahmen- nicht täglich auszählt hat. Dass dies nicht erfolgte, haben der Kläger und seine Ehefrau in der mündlichen Verhandlung (ohne Beschränkung auf einzelne Streitjahre) bestätigt. Darin liegt ein erheblicher formeller Mangel, der den Beklagten in den Jahren 2014 und 2015, in denen der Kläger seinen Gewinn durch Bilanzierung ermittelt, zur Schätzung berechtigt.
Darüber hinaus bestanden die unter 1.c. dargelegten Mängel der Kassenführung auch in den Streitjahren 2014 und 2015.
3. Höhe der Schätzung
Die vom Beklagten vorgenommene Schätzung der Einnahmen ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Das Gericht schließt sich der Schätzung des Beklagten an und übernimmt sie als eigene (§ 96 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz FGO i. V. m. § 162 AO; vgl. BFH, Urteil vom 28. Oktober 2015 X R 47/13, BFH/NV 2016, 171).
a. Nach § 162 Abs. 1 Satz 2 AO sind bei einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Ziel der Schätzung ist der Ansatz derjenigen Besteuerungsgrundlagen, die die größtmögliche Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben (BFH, Urteil vom 18. Dezember 1984, VIII R 195/82, BStBl. II 1986, 226) und damit der Wirklichkeit am nächsten kommen dürften (BFH, Urteil vom 19. Januar 1993, VIII R 128/84, BStBl. II 1993, 594). Schätzungsergebnisse müssen insgesamt schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein (BFH, Urteil vom 19. Januar 1993, VIII R 128/84, BStBl. II 1993, 594; Beschluss vom 13. Oktober 2003, IV B 85/02, BStBl. II 2004, 25). Sie dürfen nicht den Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen widersprechen (BFH, Urteil vom 4. Juni 1997, X R 12/94, BStBl. II 1997, 740). Das Schätzungsergebnis muss insgesamt plausibel sein (BFH, Beschluss vom 26. Oktober 1995, I B 20/95, BFH/NV 1996, 378). Der Schätzungsrahmen ist umso größer, je ungesicherter das Tatsachenmaterial ist, auf dem die Schätzung basiert. Die Vernachlässigung der Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen bei der Sachaufklärung darf nicht dazu führen, dass der Nachlässige einen Vorteil gegenüber denjenigen erzielt, die ihre steuerlichen Pflichten ordnungsmäßig erfüllen (BFH, Urteil vom 9. März 1967, IV 184/63, BStBl. 67, 349; vom 1. Oktober 1992, IV R 34/90, BStBl. II 1993, 259 und vom 26. Oktober 1994, X R 114/92, BFH/NV 95, 373). Es gilt damit das Verbot der Prämierung von Mitwirkungspflichtverletzungen. Ein Steuerpflichtiger, der Veranlassung zur Schätzung gibt, muss es daher hinnehmen, dass die im Wesen jeder Schätzung liegende Unsicherheit oder Fehlertoleranz gegen ihn ausschlägt und sich das Finanzamt an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientiert. (BFH, Beschluss vom 13. Juli 2000, IV R 55/99, BFH/NV 2001, 3).
b. Das Schätzungsergebnis ist in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls plausibel und bewegt sich nach Auffassung des Senats eher am unteren Rande des Schätzungsrahmens. Der Beklagte hat vorliegend einen äußeren Betriebsvergleich unter Zuhilfenahme der amtlichen Richtsatzsammlung vorgenommen. Die Anwendung der amtlichen Richtsatzsammlung ist eine anerkannte Schätzungsmethode (z.B. BFH, Beschlüsse vom 14. August 2018 VI B 2/18, BFH/NV 2019, 1 [BFH 14.08.2018 - XI B 2/18]; vom 8. August 2019 X B 117/18, BFH/NV 2019, 1219 m.w.N.) und wird als solche letztlich auch nicht (substantiiert) von den Klägern in Frage gestellt. Im Rahmen der Schätzung hat der Beklagte den vom Kläger erklärten Wareneinsatz zugrunde gelegt. Hierauf hat er einen Rohgewinnaufschlag von 257 % vorgenommen; dies entspricht dem Mittelwert der Rohgewinnaufschlagsätze für Gast- und Speisewirtschaften von 186 % bis 400 % der amtlichen Richtsatzsammlung für die Streitjahre. Anschließend hat der Beklagte als Kontrollberechnung den sich nunmehr ergebenden Rohgewinnsatz verprobt und unter Berücksichtigung der Richtsatzsammlung reduziert; zusätzlich wurde ein Abschlag von 40% aufgrund des Buffetbetriebs vorgenommen, der aus Sicht des Senats die Besonderheiten des Buffetbetriebs ausreichend berücksichtigt. Da die Schätzung auch nicht ausschließlich auf den Rohgewinnabschlag abstellt, sondern auch den konkreten Rohgewinnsatz des Betriebes einbezieht, ist auch sichergestellt, dass die Kostenstruktur des Betriebs ausreichend berücksichtigt wurde.
c. Der Senat hält das Ergebnis der Schätzung auch für wirtschaftlich erzielbar. Die nach dem Buffetabschlag vorgenommene Umsatzhinzuschätzung für die fünf Streitjahre beträgt insgesamt XX €. Bei einer durchschnittlichen Öffnungsdauer von 350 Tagen pro Jahr ergibt sich daraus ein Mehrumsatz von XX € pro Öffnungstag bei einem Restaurant mit knapp 90-100 Sitzplätzen.
4. Änderungsbefugnis
Der Beklagte war auch zur Änderung der streitgegenständlichen Bescheide berechtigt.
Der Beklagte konnte die Gewerbesteuermessbescheide 2011 bis 2015 ändern, da die entsprechenden Steuerfestsetzungen gemäß § 164 Abs. 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung standen und deshalb, solange der Vorbehalt der wirksam war, nach § 164 Abs. 2 AO geändert werden konnten.
II. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 115 Abs. 2 FGO). Soweit der Kläger insbesondere auf eine rechtskräftige Entscheidung des Finanzgerichts Münster vom 29. April 2021 (Az. 1 K 2214/17 E,G,U,F, EFG 2021, 1260) verweist, hält der Senat den Sachverhalt für nicht auf den Streitfall übertragbar. In dem Revisionsverfahren ermittelte die Klägerin ihren Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich und glich zudem täglich den Soll- mit dem Ist-Bestand der Kasse ab (Kassensturz). Insbesondere letzteres hat der Kläger nicht gemacht.
III. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger nach § 135 Abs. 1 FGO als unterliegender Beteiligter zu tragen.