Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 01.08.2024, Az.: 8 U 36/24

Anspruch auf Herausgabe eines Hengstfohlens nach Vornahme eines Embryonentransfers in eine Leihmutter

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
01.08.2024
Aktenzeichen
8 U 36/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 22051
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
Lg Aurich - AZ: 3 O 762/23

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Zu den eigentumsrechtlichen Rechtsfolgen der Einnistung eines (Pferde-)Embryos in die Gebärmutterschleimhaut einer Leihstute.

  2. 2.

    Beim Embryonentransfer verliert der Embryo mit der Einnistung (Nidation) in die Gebärmutterschleimhaut der Leihstute die Sonderrechtsfähigkeit.

  3. 3.

    Für die Frage der Wesentlichkeit im Sinne des § 93 BGB kommt es nicht darauf an, ob der Bestandteil für die Funktion oder den Wert der Sache von Bedeutung ist.

  4. 4.

    Für § 947 Abs. 2 BGB stellt der Wert der Hauptsache im Verhältnis zur Nebensache kein entscheidendes Kriterium dar.

In dem Rechtsstreit
AA, Ort1
- Kläger und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigte:
Geschäftszeichen:
gegen
BB, geb. CC, Ort2
- Beklagte und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte:
(...)
Geschäftszeichen: (...)
Tierärzte DD und EE als Inhaber der Pferdepraxis FF, Ort3
- Nebenintervenientin -
Prozessbevollmächtigte:
(...)
Geschäftszeichen: (...)
hat das Oberlandesgericht Oldenburg - 8. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht (...), die Richterin am Amtsgericht (...) und den Richter am Oberlandesgericht (...) am 1. August 2024 beschlossen:

[Grunde]

I.

Der Senat beabsichtigt, die Berufung durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Hinweisbeschluss und Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Berufung unter Kostengesichtspunkten binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses.

II.

Der Senat lässt sich bei seiner Absicht, nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren, von folgenden Überlegungen leiten:

Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.

Die Berufung hat auch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger, auch unter Zugrundelegung seines Tatsachenvortrags (für den aufgrund der vorgelegten Rechnung der EU-Besamungsstation GG [GA LG 56] und des vorgelegten Embryonentransferprotokolls der Tierärztlichen Praxis HH [GA LG 57] einiges spricht), kein Anspruch gemäß § 985 BGB auf Herausgabe des am 2. Juni 2023 geborenen braunen Hengstfohlens abstammend von dem Vaterhengst "JJ" aus einer "KK" Mutter zusteht. Denn nicht der Kläger, sondern die Beklagte ist Eigentümerin des Hengstfohlens.

1. Allerdings führt der Kläger zutreffend aus, dass er zunächst Eigentümer des im Embryotransferprotokoll benannten Embryos war. Denn ein Tierembryo ist sonderrechtsfähig (vgl. dazu § 17 Abs. 3 TierZG; Merk, Tierzucht und Zivilrecht, 2013, S. 107).

2. Jedoch hat der Kläger das Eigentum an diesem Embryo mit der Nidation bzw. Einnistung - also in dem Zeitpunkt in dem sich das Embryo in der Gebärmutterschleimhaut festgesetzt hat - gemäß § 93, § 947 Abs. 2 BGB verloren. Nach § 93 BGB können Bestandteile einer Sache, die voneinander nicht getrennt werden können, ohne dass der eine oder andere zerstört oder in seinem Wesen verändert wird, nicht Gegenstand besonderer Rechte sein. Im Zeitpunkt der Nidation wurde der Embryo wesentlicher Bestandteil der Leihstute LL. Ohne die Versorgung durch die (Leih-)Mutter sind Embryonen ab diesem Stadium nicht mehr überlebensfähig und werden bei Trennung von der Mutter zerstört (vgl. Merk, aaO, S. 107).

Indem der Embryo wesentlicher Bestandteil der Leihstute LL wurde erwarb die Eigentümerin der Leihstute LL, also zunächst die MM GbR, gemäß § 947 Abs. 2 BGB das Alleineigentum an der Leihstute nebst eingenistetem Embryo. Denn wenn bewegliche Sachen miteinander dergestalt verbunden werden, dass sie wesentliche Bestandteile einer einheitlichen Sache werden, erwirbt, wenn eine der Sachen als Hauptsache anzusehen ist, ihr Eigentümer das Alleineigentum. Die Leihstute ist vorliegend als Hauptsache gemäß § 947 Abs. 2 BGB anzusehen. Nistet sich der Embryo in die Gebärmutterschleimhaut ein, wird er wesentlicher Bestandteil der (Leih-)Mutter, da die Nidation eine wirkliche Implantation in den Uterus darstellt und nicht nur eine Anheftung an die Gebärmutterschleimhaut. Der Embryo ist ab diesem Zeitpunkt von der Versorgung durch die Mutter abhängig und kann nicht getrennt werden, ohne selbst zerstört zu werden. Im Gegensatz dazu kann der Embryo von der (Leih-)Mutter resorbiert oder abgestoßen werden, ohne dass diese zwangsläufig Schaden nimmt (Merk, aaO, S. 120).

3. Unstreitig hat die Beklagte die unerkannt trächtige Stute LL am 29. Juli 2022 gemäß § 929 Satz 1 BGB mittels Einigung und Übergabe von der MM GbR übereignet bekommen, sodass die Beklagte Eigentümerin der unerkannt trächtigen Stute LL mit all ihren Bestandteilen geworden ist (vgl. Merk, aaO, S. 137).

4. Mit der Geburt, also der Trennung von der Stute, wurde die Beklagte gemäß § 953 BGB als Eigentümerin der Stute LL auch Eigentümerin des Fohlens. Hiernach gehören Erzeugnisse und sonstige Bestandteile einer Sache auch nach der Trennung dem Eigentümer der Sache, soweit sich aus den §§ 947 bis 957 BGB nichts anderes ergibt. Anderes ergibt sich hier nicht, auch nicht aus § 956 BGB. Diese Vorschrift regelt den Eigentumserwerb an Erzeugnissen oder sonstigen Bestandteilen aufgrund persönlicher Gestattung durch den dinglichen Berechtigten - in der Regel der Eigentümer - infolge Abtrennung oder Besitzerlangung. Eine Gestattung der Aneignung durch den Kläger hat die Beklagte als Eigentümerin der Stute LL zu keinem Zeitpunkt erteilt. An eine etwaig von der MM GbR erteilte Aneignungsgestattung ist die Beklagte - wie das Landgericht zutreffend ausführt - nicht gebunden.

5. Gegenteiliges ergibt sich nicht aus dem vom Kläger angeführten Argument, der historische Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass die Frucht letztlich auch genetisch von dem Muttertier stamme und mit diesem untrennbar verbunden sei. Denn eine Auslegung dahingehend, dass in Fällen der Nidation eines Embryos in die Gebärmutterschleimhaut in eine Leihstute, die nicht genetische Mutter des Embryos ist, der Embryo weiterhin sonderrechtsfähig ist, überschritte die Grenzen richterlicher Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung.

Der Richter darf sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen. Er muss die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren und den Willen des Gesetzgebers möglichst zuverlässig zur Geltung bringen. Er hat hierbei den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung zu folgen. Eine Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder - bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke - stillschweigend gebilligt wird, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein. Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, darf der Richter diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die so im Parlament nicht erreichbar war (BGH, Urteil vom 11. Juni 2024 - VI ZR 133/23, juris Rn. 21).

Die vom Kläger gewünschte Gesetzesauslegung würde zunächst dem nicht auslegungsfähigen Wortlaut des § 93 BGB widersprechen. Der Gesetzgeber hat mit § 93 BGB ausdrücklich geregelt, dass Bestandteile einer Sache, die voneinander nicht getrennt werden können, ohne dass der eine oder der andere zerstört werden würde, nicht Gegenstand besonderer Rechte sein können. Da wie bereits ausgeführt nach der Nidation der Embryo im Falle einer Trennung von der Leihstute nicht lebensfähig wäre, würde eine Auslegung, dass ein eingenisteter Embryo sonderrechtsfähig sei, dem Wortlaut des Gesetzes widersprechen. Auch würde eine diesbezügliche Auslegung gegen die Systematik des Gesetzes und gegen den Willen des Gesetzgebers verstoßen. Denn der Gesetzgeber hat die Sonderregelung in § 95 BGB über Scheinbestandteile seinem Wortlaut nach eindeutig auf wesentliche Bestandteile eines Grundstücks nach § 94 BGB beschränkt. Eine analoge Anwendung des § 95 BGB auf Sachen, die wesentliche Bestandteile einer zusammengesetzten beweglichen Sache nach § 93 BGB sind, hat der Bundesgerichtshof mangels einer planwidrigen Regelungslücke abgelehnt (BGH, Urteil vom 22. Oktober 2021 - V ZR 69/20, BGHZ 231, 310 Rn. 41). Die in § 95 Abs. 1 BGB normierte Ausnahme von dem in §§ 94, 946 BGB bestimmten Grundsatz des Verlusts der Sonderrechtsfähigkeit beweglicher Sachen durch die Verbindung mit einem Grundstück (Akzessionsprinzip) dient dem Schutz des Interesses an einem Fortbestand des Eigentums an der beweglichen Sache. Der Gesetzgeber hat dieses Interesse bei einer Nutzung des Grundstücks zu einem vorübergehenden Zweck oder in Ausübung eines begrenzten Rechts am Grundstück als berechtigt anerkannt (Motive III S. 47, 48) und hat ihm insoweit Vorrang vor dem durch § 94 Abs. 1 BGB geschützten Interesse des Verkehrs mit Grundstücken an Klarheit und Publizität der Rechtsverhältnisse zuerkannt (vgl. BGH, aaO). Die Situation, dass der Eigentümer einer beweglichen Sache diese nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grundstück verbindet, weil ihm der Grundstückseigentümer die Nutzung des Grundstücks zu diesem Zweck vorübergehend gestattet, ist bei Grundstücken durchaus typisch, bei beweglichen Sachen hingegen nicht. Es ist daher davon auszugehen, dass der Gesetzgeber eine Ausnahme von dem regelmäßigen Verlust der Sonderrechtsfähigkeit des beweglichen Gegenstandes bewusst nur für dessen vorübergehende Verbindung mit einem Grundstück vorgesehen hat. Ein Bedürfnis, diese Ausnahmeregelung des § 95 Abs. 1 BGB in analoger Anwendung auf die Verbindung beweglicher Sachen zu erstrecken, ist auch nicht erkennbar, zumal das Gesetz für den Fall der Verbindung beweglicher Sachen in § 947 BGB eine Regelung vorhält, die dem Interesse der jeweiligen Eigentümer an dem Fortbestand ihres Eigentums Rechnung trägt. Daher ist § 95 Abs. 1 BGB auf Bestandteile einer beweglichen Sache im Sinne von § 93 BGB nicht entsprechend anwendbar (BGH, aaO). Mit einer Auslegung des Gesetzes nach der der Embryo trotz Nidation in die Gebärmutterschleimhaut der Leihstute nicht wesentlicher Bestandteil der Leihstute würde und damit sonderrechtsfähig bliebe, würde in dieser Sachverhaltskonstellation die Vorschrift des § 95 Abs. 1 BGB auf § 93 BGB angewendet, was vorliegend dem Willen des Gesetzgebers widersprechen würde.