Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 27.02.2019, Az.: 4 B 26/19
Nichtbetreiben des Verfahrens; Pass oder Passersatz; Vorlage von Dokumenten; wesentliche Informationen
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 27.02.2019
- Aktenzeichen
- 4 B 26/19
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 69491
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 15 Abs 2 Nr 4 AsylVfG 1992
- § 33 Abs 2 S 1 AsylVfG 1992
Gründe
Der Antrag,
die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 30.1.2019 anzuordnen,
hat Erfolg.
Der Antrag ist statthaft, weil die Klage gegen die nach § 32 AsylG erfolgte Einstellung des Verfahrens keine aufschiebende Wirkung hat (§ 75 Abs. 1 AsylG). Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist trotz der Wiederaufnahmemöglichkeit des § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag gegeben. Nach dem Wortlaut dieser Regelung sperrt die erste Wiederaufnahmeentscheidung nach § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG ein späteres erneutes Wiederaufnahmebegehren selbst dann, wenn die erste Verfahrenseinstellung nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG rechtswidrig gewesen ist. Bei einer solchen Fallgestaltung verstieße es gegen das in Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes normierte Gebot des effektiven Rechtsschutzes, das Rechtschutzbedürfnis für eine Anfechtungsklage und mithin auch für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO zu verneinen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.7.2016 - 2 BvR 1385.16 -, juris; VG Greifswald, Beschluss vom 16.1.2017 - 5 B 2251/16 -, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 15.2.2017 - 2 L 12/17.A -, juris).
Der Antrag ist auch begründet. Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Gunsten des Antragstellers aus, denn das Bundesamt hat das Asylverfahren des Antragstellers voraussichtlich zu Unrecht gemäß §§ 32, 33 Abs. 1, 2 und 5 Satz 1 AsylG eingestellt. Damit entfällt die rechtliche Grundlage für die Abschiebungsandrohung.
Rechtsgrundlage für die Abschiebungsandrohung ist § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach erlässt das Bundesamt gemäß §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird, ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird, ihm kein subsidiärer Schutz gewährt wird, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen und der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt. Scheitert die Gewährung von Asyl, Flüchtlings- und subsidiärem Schutz daran, dass der Antrag gemäß § 33 Abs. 1 AsylG als zurückgenommen gilt, ist zu prüfen, ob der Ausländer das Verfahren im Sinne dieser Vorschrift nicht betrieben hat. Ein Nichtbetreiben wird u.a. dann vermutet, wenn der Ausländer einer Aufforderung zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gemäß § 15 AsylG nicht nachgekommen ist (§ 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 1. Alt. AsylG) und nicht unverzüglich nachgewiesen hat, dass das Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte (§ 33 Abs. 2 Satz 2 1. Alt. AsylG). Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer auf die sich aus Abs. 1 ergebende Rechtsfolge schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen.
Der Kläger wurde im Anschluss an die Anhörung vom 5.12.2018 aufgefordert, binnen drei Wochen seinen türkischen Personalausweis im Original sowie binnen einer Woche vollständige, leserliche Ablichtungen seines türkischen Personalausweises bei der Beklagten einzureichen. Diese Aufforderung entspricht der in § 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylG geregelten Mitwirkungspflicht, nach der ein Asylantragsteller verpflichtet ist, seinen Pass oder Passersatz den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen. Der Antragsteller hat dieser Aufforderung nicht Folge geleistet.
Allerdings wird nicht jedes Unterlassen einer Mitwirkung i. S. d. § 15 AsylG durch § 33 Abs. 2 AsylG sanktioniert. Es muss sich vielmehr um für den Antrag wesentliche Informationen handeln. „Wesentlich“ bedeutet zum einen, dass es sich um eine für den Antrag möglicherweise erhebliche Information handelt, zum anderen, dass die Information nicht ohne nennenswerten Aufwand anderweitig beschafft werden kann (Funke-Kaiser in: Gemeinschaftskommentar zum AsylG, Stand: November 2018, § 33 Rn. 45).
Die Vorlage eines Personalausweises stellt im vorliegenden Fall keine wesentliche Information i. S. d. § 33 Abs. 2 Satz 2 1. Alt. AsylG dar. Zwar gehören zu den Informationen i. S. d. Vorschrift auch Dokumente und sonstige Unterlagen (Funke-Kaiser, a. a. O., Rn. 46). Personaldokumente dienen dabei insbesondere der für die Prüfung des Asylantrags grundsätzlich erheblichen Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit des Asylantragstellers. Die Vorlage eines Personalausweises war nach dem Erkenntnisstand der Beklagten nach der Anhörung hier aber nicht mehr wesentlich für den Antrag. Denn der Anhörende vermerkte nach der Anhörung am 5.12.2018 in den Akten: „Aufgrund der Angaben des Antragstellers in der Anhörung, den Erkenntnissen aus dem Registerabgleich sowie den Referenzakten ergeben sich derzeit keine Anhaltspunkte für Zweifel an der vorgetragenen Identität und Staatsangehörigkeit“. Diese Auffassung teilt das Gericht. Denn der Antragsteller hatte vor seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland mehrere Visaanträge unter denselben Personendaten und unter Vorlage seines türkischen Reisepasses gestellt.
Sind die Identität und die Staatsangehörigkeit des Antragstellers geklärt, können mit der Vorlage eines Personalausweises keine weitergehenden Informationen für die Entscheidung des Antrags erlangt werden. Zwar erleichtert ein offizielles Dokument des Herkunftsstaats die Abschiebung des Ausländers, die Abschiebung ist aber Teil der Vollziehung eines negativen Asylbescheides, während § 33 AsylG der Herbeiführung einer abschließenden Entscheidung trotz unterlassener Mitwirkung des Ausländers dient. Für den Antrag wesentliche Informationen sind deshalb nur solche, die eine abschließende Bescheidung des Antrags ermöglichen, nicht aber Informationen, die erst nach der Entscheidung des Bundesamtes wesentlich werden.
Da bereits die Voraussetzungen des § 33 Abs. 2 Satz 2 1. Alt. AsylG nicht vorliegen, braucht nicht geprüft zu werden, ob die gesetzten Fristen – insbesondere die ausgesprochen kurze Frist von einer Woche – angemessen waren und der Antragsteller ordnungsgemäß über die Folgen des Nichtbetreibens belehrt wurde.
Der Prozesskostenhilfeantrag ist abzulehnen, weil der Antragsteller trotz Aufforderung und Fristsetzung keine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 2 S. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).