Vergabekammer Hannover
Beschl. v. 03.09.2003, Az.: VgK 13/2003
Ausschluss eines Angebotes bei einer schweren Verfehlung des Unternehmens; Vorliegen eines unvollständigen Angebotes
Bibliographie
- Gericht
- VK Hannover
- Datum
- 03.09.2003
- Aktenzeichen
- VgK 13/2003
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 33187
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- NULL
Rechtsgrundlagen
- § 97 Abs. 2 GWB
- § 8 Nr. 5 VOB/A
- § 21 Nr. 1 Abs. 1 VOB/A
- § 25 Nr. 1 Abs. 2 VOB/A
- § 25 Nr. 2 VOB/A
Verfahrensgegenstand
Vergabe für den Neubau eines ..., Entwässerungskanalarbeiten, Vergabe Nr. ...
In dem Nachprüfungsverfahren
hat die Vergabekammer
bei der Oberfinanzdirektion Hannover
durch
den Vorsitzenden Wesemann,
den stellvertretenden hauptamtlichen Beisitzer Engling und
die ehrenamtliche Beisitzerin Spennes
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Dem Nachprüfungsantrag wird teilweise stattgegeben.
- 2.
Dem Antragsgegner wird aufgegeben, die Prüfung der Eignung nach § 25 Nr.2 VOB/A insbesondere der Zuverlässigkeit durchzuführen.
- 3.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
Gründe
I. Sachverhalt
Im Rahmen des Neubaus des ... hat der Ag die Entwässerungskanalarbeiten im Rahmen eines Offenen Verfahrens mit der Vergabenummer ... am 26. April 2003 im Amtsblatt der europäischen Gemeinschaften ausgeschrieben.
Mit Schreiben vom 28. Juli 2003 erhielt die Ast die Information, dass ihr Angebot ausgeschlossen wird, weil ein Ausschlussgrund nach § 8 Nr. 5 VOB/A vorliege. Der Ausschluss erfolge aufgrund mangelnder Zuverlässigkeit und Verstoß gegen Tariftreue. Der Zuschlag sollte auf das Angebot der Bg erfolgen. Die Ast hat nach Nachrechnung und Wertung der Nebenangebote der Bieter das preisgünstigste Angebot abgegeben.
Mit Rüge vom 30. Juli 2003 wendet sich die Ast an den Ag und bittet wegen nicht rechtskräftigem Ausschlussgrund um den Auftrag. Der Antrag auf Nachprüfung geht am 07. August 2003 bei der Vergabekammer ein. Er wird dem Ag am 07. August 2003 zugestellt.
Mit Beschluss vom 19. August 2003 wird die Bg beigeladen.
Die Ast meint, dass ihr der Auftrag zustehe. Sie habe das preisgünstigste Angebot abgegeben. Die Feststellung mangelnder Zuverlässigkeit, die auf angeblichen Tarifverstößen basiere, sei fehlerhaft. Die Oberfinanzdirektion würde lediglich beabsichtigen die Ast in das Unzuverlässigkeitsregister einzutragen. Die im Angebot geforderte Tariftreuerklärung sei wie in der Sache die vom BGH am 18. Januar 2000 -DB 2000 Seite 465- entschieden worden ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und daher nichtig.
In der am 25. August 2003 durchgeführten mündlichen Verhandlung hat die Ast weiter ausgeführt, dass die auf den Baustellen getroffenen Feststellungen fehlerhaft interpretiert worden seien. Die befragten Beschäftigten seien entsprechend ihrer Tätigkeit tarifgemäß eingruppiert. Es lägen Nachweise vor, dass die Beschäftigten nur Tätigkeiten entsprechend ihrer Eingruppierung verrichtet hätten. Die Bauwerker hätten in maßgeblichem Umfang nur die tarifgemäßen Hilfstätigkeiten verrichtet.
Die Ast beantragt daher,
den Zuschlag zu erhalten.
Der Ag meint, dass die Feststellungen vor Ort richtig getroffen und auch richtig interpretiert worden seien. Mithin sei in mehreren Fällen bei zwei Aufträgen nicht tarifgerecht gezahlt worden. Es käme bei der Eingruppierung nicht nur auf die tatsächliche Leistung an, sondern auch auf die Ausbildung der Beschäftigten. Derzeit sei ein Verfahren zur Feststellung der nicht tarifgerechten Zahlung der Löhne mit dem Ziel der Feststellung der Unzuverlässigkeit anhängig. Ein Ergebnis gebe es derzeit nicht. Der Ag stellt den Antrag, die Beschwerde der Ast zurückzuweisen.
Die Bg stellt klar, dass aus ihrer Sicht aufgrund der niedrigen Angebotspreise der Ast die Beschäftigten, wie offenbar auch festgestellt, nicht tarifgerecht bezahlt würden und bittet ebenfalls, den Antrag der Ast abzuweisen.
Im Übrigen wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung und die Vergabe- und Verfahrensakten verwiesen.
II. Begründung
1.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
1.1
Es handelt sich um einen öffentlichen Auftrag des Landes Niedersachsen, vertreten durch den Ag. Dieser ist mithin öffentlicher Auftraggeber gem. § 98 Nr. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Der Gesamtwert der Baumaßnahme "...x" überschreitet deutlich den Schwellenwert von 5 Mio. EUR nach § 2 Nr. 4 (VgV). Das streitbefangene Fachlos zählt zu dem Anteil von 80 v.H. des Gesamtwertes aller Lose, auf die die Bestimmungen des Abschnittes 2 des Teiles A der VOB anzuwenden sind - § 2 Nr. 7 i.V.m. § 6 VgV. Die Bauleistungen wurden im Offenen Verfahren im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ausgeschrieben.
1.2
Die Rüge der Ast beim Ag erfolgte mit Schreiben vom 30. Juli 2003 und damit unverzüglich, nachdem sie vom Ag mit Schreiben vom 28. Juli 2003 über seine Vergabeentscheidung informiert worden war.
1.3
Die Ast ist antragsbefugt, weil sie ihr Interesse am Auftrag durch die rechtzeitige Abgabe eines Angebotes im Offenen Verfahren gezeigt hat. Das Angebot war nach der Angebotsprüfung das preisgünstigste; somit bestand eine konkrete Chance auf Zuschlagserteilung. Sie hat ausreichend geltend gemacht, dass sie sich durch die Angebotswertung in ihren Rechten verletzt sieht und ihr dadurch ein Schaden droht.
2.
Der Antrag ist teilweise begründet.
2.1
Der Ausschluss des Angebotes der Ast war rechtsfehlerhaft, weil kein Ausschlussgrund vorlag. Angebote, die ausgeschlossen werden, gelangen nicht in die Wertung; sie nehmen am Wettbewerb nicht mehr teil. Aus diesem Grund ist ein Angebotsausschluss nur unter bestimmten u.a. in § 25 Nr.1 VOB/A genannten Fällen erforderlich bzw. möglich. Im vorliegenden Fall erfolgte der Ausschluss nach § 25 Nr.1 Abs.2 i.V.m. § 8 Nr.5 Abs.1 Buchstabe c VOB/A. Ein Angebot kann mithin ausgeschlossen werden, wenn das Unternehmen nachweislich eine schwere Verfehlung begangen hat, die seine Zuverlässigkeit in Frage stellt. Abgesehen von dem derzeit nicht vom Ag dargelegten Nachweis der untertariflichen Zahlungen, stellen die derzeit streitigen Tarifverstöße keine nachgewiesene schwere Verfehlung dar. In der einschlägigen Kommentierung zu dem unbestimmten Rechtsbegriff "schwere Verfehlung" wird auf Handlungen oder Unterlassungen abgestellt, die Straftatbestände erfüllen. Soweit ein Unternehmer sich per Erklärung verpflichtet seine Beschäftigten nach dem in Niedersachsen geltenden Tarif zu bezahlen und weitergehend auch der Nachunternehmer dazu verpflichtet wird, stellt ein Verstoß gegen dieses Erklärung keinen Straftatbestand dar. Das Fehlverhalten geht über das Niveau der Vertragsverletzung nicht hinaus. Die Merkmale einer schweren Verfehlung werden nicht erfüllt.
2.2
Die übrigen Ausschlussgründe des § 25 Nr.1 Abs.1 VOB/A wie rechtzeitige Vorlage oder die Vollständigkeit des von der Ast vorgelegten Angebotes und die möglichen Ausschlussgründe nach § 25 Nr.1 Abs. 2 VOB/A wie die übrigen Gründe nach § 8 Nr.5 VOB/A liegen nicht vor. Ausweislich des Submissionsprotokolls lag das Angebot der Ast rechtzeitig zum Termin vor. Im Angebot der Ast fehlen die Angaben zu den Herstellern bei den Pos 1.6.10, 1.6.20, 1.6.30 und 1.6.40. Im Angebot der Bg fehlen die Angaben zu dem Hersteller bei Pos 1.5. Fraglich ist, ob durch die fehlenden Angaben die Angebote unvollständig im Sinn der Vorgabe des § 21 Nr.1 Abs1 Satz 2 werden. Der BGH sieht die genannte Bestimmung im Licht des Gleichbehandlungsgebotes aus § 97 Abs. 2 GWB und schließt daraus, dass jedwede bei Submission fehlende Angabe ein unvollständiges Angebot ergibt, welches nach § 25 Nr.1 Abs.1 Buchstabe b VOB/A ausgeschlossen werden muss. Dieser Ansicht folgend, wären beide Angebote auszuschließen. Die Kammer vertritt die Ansicht, dass die strenge Auslegung des § 25 Nr.1 Abs.1 Buchstabe b VOB/A einer Übergangszeit bedarf. Bis sich also die Bieter durch besonderen Hinweis in der "Auforderung zur Abgabe eines Angebotes" auf die Folgen der offen gelassenen Angaben einstellen können, werden von der Kammer nur diejenigen Angebote - wie bisher - beanstandet, bei denen die fehlenden Bieterangaben die Bieterreihenfolge verändern. -VK Münster, Beschluss vom 09. Mai 2003 (IBR 435/03)- Die fehlenden Bieterangaben in beiden vorliegenden Angeboten sind von untergeordneter Bedeutung und können die Bieterreihenfolge nicht verändern; sie bleiben folgenlos. Der Kammer liegen keine Hinweise auf eine getroffene Abrede im Sinn von § 25 Nr.1 Abs.1 Buchstabe c VOB/A vor. Ebenso wenig sind Nebenangebote nach Buchstabe d ausgeschlossen worden. Ebenfalls liegen keine Hinweise entsprechend der Buchstaben a,b,d,e und f des § 8 Nr.5 Abs.1 i.V.m. § 25 Nr.1 Abs.2 VOB/A vor, bzw. sind die Bescheinigungen vorgelegt worden, so dass ein Ausschluss des Angebotes der Ast sich daraus nicht ergibt. Das Nebenangebot der Ast ist richtigerweise nicht gewertet worden, weil es nicht entsprechend § 25 Nr.1 Abs2 i.V.m. § 21 Nr.3 Satz 2 an der vorgesehenen Stelle im Angebotsschreiben eingetragen wurde.
2.3
Das Landesvergabegesetz findet Anwendung. Soweit der BGH zu dem Schluss gekommen ist, dass das Vergabegesetz des Landes Berlin gegen das Grundgesetz und gegen Bundesrecht verstößt betrifft dies nur das Land Berlin. Das Landesvergabegesetz wird in der Wirksamkeit nicht unmittelbar berührt. Die Kammer ist nicht der Ansicht, dass das Landesvergabegesetz so offenkundig gegen die Verfassung verstößt, dass es unbeachtlich ist. Das Vergabegesetz des Landes Berlin hatte zur Folge, dass zumindest die betroffenen Tiefbauunternehmen im Stadtgebiet, für die die Stadt Berlin nahezu der alleinige Auftraggeber ist, vor der Konkurrenz aus dem Umland geschützt werden. Diese monopolartige Stellung des Landes Berlin zu bestimmten Gewerken der Bauleistungen gibt es im Land Niedersachsen nicht. Bei allen im Landesgebiet vergebenen Aufträgen im Bauhauptgewerbe nehmen die Vergaben des Landes nur eine untergeordnete Rolle ein. Das Land Niedersachsen hat nicht eine der Stadt Berlin vergleichbare marktbeherrschende Stellung und kann daher die nach § 97 Abs.4 "weitergehenden Anforderungen" per Gesetz beschließen. Die Kammer sieht keine Notwendigkeit wegen einer eventuellen Unvereinbarkeit des Landesvergabegesetzes die anstehende Entscheidung bis zur Entscheidung des BVerfG auszusetzen, weil im vorliegenden Fall ein Ausschluss aufgrund des Landesvergabegesetzes nicht zur Anwendung kommt. Das Landesvergabegesetz bestimmt in § 8 Abs.3, dass ein Unternehmen welches nachweislich mindestens grob fahrlässig oder mehrfach gegen die Verpflichtungen aus dem Landesvergabegesetz verstößt, von der Auftragsvergabe bis zu einem Jahr ausgeschlossen werden kann. Der Katalog der Ausschlussgründe des § 25 Nr.1 VOB/A wird mithin um den Tatbestand des nachweislichen mindestens grob fahrlässigen oder mehrfachen Verstoßes gegen die Verpflichtungen des Landesvergabegesetzes erweitert. Den Nachweis der behaupteten Verstöße ist der Ag schuldig geblieben, weil das Verfahren der Sanktion von Verstößen nach § 8 Landesvergabegesetz (Vertragsstrafe und eventuell zeitlich begrenzter Ausschluss), derzeit nicht abgeschlossen ist. Nach übereinstimmender Auskunft der Ast und des Ag fand eine erste Anhörung ohne konkretes Ergebnis statt. Einen Nachweis der behaupteten mehrfachen Verstöße kann die Ag derzeit nicht führen. Mithin kann derzeit ein Ausschluss des Angebotes der Ast nach § 8 Abs.3 des Landesvergabegesetzes nicht erfolgen.
2.4
Soweit der Antrag darauf gerichtet ist in diesem Verfahren den Zuschlag zu erhalten, kann dies nur zum Teil Erfolg haben. Der Ag hat die Prüfung des Angebotes des Ast mit der Feststellung des Ausschlusses beendet. Er muss nunmehr seine Prüfung nach § 25 Nr.2 ff i.V.m. § 25 a VOB/A fortsetzen. Hierbei dürfte wegen der behaupteten Tarifverstöße, die Vertragsverletzungen gleichzusetzen sind, der Zuverlässigkeit breiten Raum zukommen. Die Kammer weist ausdrücklich darauf hin, dass es bei der Feststellung der Eignung im Gegensatz zum Ausschluss nicht auf nachweisliche Tatbestände ankommt. Wegen der prognostizierenden Eigenschaft der Eignungsfeststellung genügt bereits die begründete Erwartung. Es genügen überprüfbare Sachverhalte aus denen sich ergibt, dass die zu erwartende Zuverlässigkeit nicht eintreten könnte. Dem Ag ist daher aufzugeben, die abgebrochene Prüfung hinsichtlich der Angebote der Ast und der Bg fortzusetzen und mit der Information nach § 13 der Vergabeverordnung zu beenden.
III. Kosten
Die Kostenentscheidung erfolgt nach § 128 GWB. Aus Gründen der Billigkeit wird davon abgesehen der Ast wegen des geringfügigen Unterliegens einen Teil der Kosten aufzugeben. Der Ag ist von Kosten befreit. Der von der Ast geleistete Vorschuss in Höhe von ... EUR wird zurückgezahlt.
Engling
Spennes