Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 05.03.1973, Az.: 5 W 4/73

Ersatzanspruch gegen den Haftpflichtversicherer auf Ersatz des materiellen Unfallschadens; Kenntniserlangen von der Fahrereigenschaft eines Dritten im Laufe der Wiederaufnahme eines Strafverfahrens; Starker Alkoholeinfluss beim Führen eines Kfz als unfallbegünstigender Faktor; Nachweis der Kfz-Führereigenschaft eines Dritten zum Unfallzeitpunkt, wenn kein Erinnerungsvermögen an den Unfallzeitpunkt in Folge des Alkoholgenusses besteht; Beschuldigung des Arbeitgebers den Unfallwagen gefahren zu haben

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
05.03.1973
Aktenzeichen
5 W 4/73
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1973, 11517
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1973:0305.5W4.73.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 12.01.1973 - AZ: 5 O 388/72

Fundstelle

  • NJW 1973, 1087-1088 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Gewährung des Armenrechts

In dem Verfahren
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
in der Sitzung vom 5. März 1973
auf die Beschwerde des Antragstellers vom 15. Februar 1973
gegen den Beschluß der 5. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 12. Januar 1973
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Beschwerdewert für die Gerichtskosten beträgt 1.500 DM.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller war in dem Bauunternehmen des Antragsgegners zu 1 als Kraftfahrer angestellt. Nachdem der Antragsgegner zu 1 am 13. Oktober 1970 mit einigen seiner Mitarbeiter, darunter auch dem Antragsteller, den Arbeitsplan für den folgenden Tag besprochen hatte, ging er mit ihnen gemeinsam gegen 19.30 Uhr in die Gaststätte ... in .... Dort ließ der Antragsgegner zu 1 seinen Angestellten Speisen und auch alkoholische Getränke reichen. Nach einigen Stunden begab sich der Antragsgegner zu 1 vorübergehend in sein Heim, wo eine geschäftliche Unterredung stattfand. Alsdann kehrte er wieder in die Gaststätte zurück und ließ wiederum seinen Betriebsangehörigen alkoholische Getränke vorsetzen. Nach Mitternacht brach er zusammen mit dem Antragsteller und dem Kraftfahrer ... in seinem Personenwagen Mercedes 280 S, Kennzeichen ..., von der Gaststätte auf.

2

Alle drei standen unter einem erheblichen Alkoholeinfluß.

3

Sie beabsichtigten, in dem Wagen des Antragsgegners zu 1 nach ... zu fahren. Gegen 01.00 Uhr geriet das Fahrzeug auf der Bundesstraße ... bei Kilometerstein ... nahe der Ortschaft ... in einer Rechtskurve mit einer Schleuderspur von 104 m Länge links von der Fahrbahn hinunter und überschlug sich mehrfach. Dabei wurden alle drei Insassen aus dem Wagen geschleudert. Der Antragsteller und der Antragsgegner zu 1 wurden mit erheblichen Verletzungen in das Kreiskrankenhaus ... eingeliefert. Auf Veranlassung des Antragsgegners zu 1 und auf dessen Kosten wurde der Antragsteller als Zweiterklassepatient in dem Krankenzimmer des Antragsgegners zu 1 untergebracht. Bei dem Unfall lag bei dem Antragsteller eine Blutalkoholkonzentration von 1,75 g %o und bei dem Antragsgegner zu 1 und bei dem Kraftfahrer ... eine solche von 1,52 g %o vor.

4

In dem Strafverfahren vor dem Schöffengericht Peine - 8 Ls 263/70 der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Hildesheim - haben die drei Insassen des Mercedes übereinstimmend angegeben, daß der Antragstelle den PKW zur Zeit des Unfalls gefahren habe. Der Antragsteller ist daraufhin am 4. März 1971 mit 1.000 DM Geldstrafe und Entziehung der Fahrerlaubnis für 10 Monate bestraft worden. Aufgrund eines von ihm mit Erfolg betriebenen Wiederaufnahmeverfahren ist der Antragsteller dann unter Aufhebung des Urteils am 4. Mai 1972 freigesprochen worden.

5

Der Antragsteller hat behauptet, erst durch die von ihm im Wiederaufnahmeverfahren namhaft gemachten Zeugen ... und ... erfahren zu haben, daß nicht er, sondern der Antragsgegner zu 1 bei dem Unfall am Steuer gesessen habe. Wegen seiner Trunkenheit in jener Nacht und wegen der schweren Gehirnerschütterung, die er bei dem Unfall davongetragen habe, habe er keine klare Erinnerung an die Vorgänge mehr gehabt.

6

Der Antragsteller hat die Ansicht vertreten, daß der Antragsgegner zu 1 als Fahrer und die Antragsgegnerin zu 2 als Haftpflichtversicherer ihm den materiellen Unfallschaden ersetzen und ein angemessenes Schmerzensgeld zahlen müßten. Er hat hierzu behauptet, außer einem Unfallschock und einer Gehirnerschütterung Rippenbrüche linksseitig, ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule und einen Zwerchfellriß davongetragen zu haben. Er sei vom 14. Oktober bis zum 5. Dezember 1970 stationär im Krankenhaus behandelt worden und habe später vom 6. Oktober bis zum 6. November 1971 und erneut vom 16. September bis zum 7. Oktober 1972 zur Beobachtung im Krankenhaus gelegen. Wegen der Folgen des Zwerchfellrisses sei er derzeit erwerbsunfähig und werde auch in Zukunft seinen Beruf als Kraftfahrer nicht mehr ausüben können. Eine Umschulung sei erforderlich. Bis zum 7. Oktober 1970 habe er einen Verdienstausfall von 4.136,30 DM gehabt.

7

Der Antragsteller beabsichtigt, im Klagewege von den Antragsgegner den Ersatz des Verdienstausfalles und die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes geltend zu machen und ihre Schadensersatzpflicht aus dem Unfall vom 14. Oktober 1970 für die Zukunft feststellen zu lassen.

8

Für diese Rechtsverfolgung hat der Antragsteller das Armenrecht nachgesucht.

9

Die Antragsgegner haben bestritten, daß der Antragsgegner zu 1 Fahrer des Unfallwagens gewesen sei; sie haben weiterhin die Höhe des bezifferten Schadens bestritten und gemeint, daß sich der Antragsteller auf jeden Fall wegen einer Teilnahme an der Fahrt ein erhebliches mitwirkendes Verschulden anrechnen lassen müsse.

10

Das Landgericht hat das nachgesuchte Armenrecht mangels Erfolgsaussicht versagt und hierzu ausgeführt, die Zuständigkeit des Landgerichts für die beabsichtigte Klage sei zweifelhaft und es bestehe keine genügende Aussicht für das Gelingen des Nachweises, daß der Antragsgegner zu 1 zur Zeit des Unfalls am Steuer gesessen habe. Hiergegen wendet sich die Beschwerde des Antragstellers.

11

II.

Die gemäß § 127 ZPO zulässige Beschwerde ist unbegründet.

12

Dem Landgericht ist darin beizupflichten, daß es an einer hinreichenden Erfolgsaussicht für die beabsichtigte Rechtsverfolgung fehlt (§ 114 ZPO). Zwar könnte dem Antragsteller mit Hilfe der unbeteiligten Zeugen ... und ..., die diesen Vorgang eindeutig geschildert haben (Bl. 151, 152, 167, 168 Strafakte), der Nachweis gelingen, daß der Antragsgegner zu 1 bei der gemeinsamen Abfahrt der Parteien von der Gaststätte "..." in ... Richtung ... am Steuer des Pkws gesessen hat. Hieraus wird möglicherweise auch gefolgert werden können, daß der Antragsgegner zu 1 den Wagen beim Unfall gelenkt hatte.

13

Hätte der Antragsteller am Steuer des Pkws den schwerwiegenden Unfall verursacht, dann hätte für den Antragsgegner zu 1 wenig Anlaß bestanden, den Antragsteller mit erheblichem Kostenaufwand in der zweiten Krankenhausklasse behandeln und in sein, des Antragsgegners, Zimmer legen zu lassen.

14

Eine Verantwortlichkeit der Antragsgegner für den Schaden des Antragstellers müßte sicher auch dann bejaht werden, wenn der Antragsgegner zu 1 dem Antragsteller ungeachtet von dessen Trunkenheit die Schlüssel des Wagens überlassen und die Führung des Fahrzeugs anvertraut hätte. Der Antragsgegner zu 1 hatte als Arbeitgeber den Alkoholkonsum veranlaßt und durfte dem alkoholisierten Antragsteller nicht die Führung seines Pkws zumuten.

15

Indessen fehlt es an der sachlichen Zuständigkeit des Landgerichts.

16

Der Rechtsstreit fällt in die Zuständigkeit des Arbeitsgerichtes, weil die dem Antragsgegner zu 1 zur Last gelegte unerlaubte Handlung in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis steht, das zur Zeit des Unfalls zwischen den Parteien bestanden hat (§ 2 Abs. 1 Ziff. 2 Arbeitsgerichtsgesetz). Ein solcher Zusammenhang wird schon dann angenommen, wenn ohne die gemeinsame Arbeit keine Gelegenheit und kein Anlaß bestanden hätte, die unerlaubte Handlung zu begehen (vgl. Lehrbücher des Arbeitsrechts von Nikisch 1951 S. 462 ff, und Schnorr von Carolsfeld 2. Aufl., 1954 S. 460).

17

Das war in der Nacht vom 13. zum 14. Oktober 1970 der Fall; denn das Zusammensein der Unfallbeteiligten in der Gaststätte "..." war von dem Antragsgegner zu 1 im Interesse der betrieblichen Zusammenarbeit veranstaltet worden und auch der geplante, anschließende Abstecher nach ... war nichts weiter als eine Art "ausgedehnter Betriebsausflug". Zusammenkünfte dieser Art in Gaststätten im unmittelbaren Anschluß an dienstliche Besprechungen wurzeln unmittelbar in dem gemeinsamen Arbeitsverhältnis der Beteiligten und sind ohne eine solche betriebliche Zusammengehörigkeit nicht denkbar. Es lag deshalb eine unmittelbare Verknüpfung der Zecherei und der anschließenden Zechtour mit dem Arbeitgeber-Arbeitnehmerverhältnis der Parteien vor (vgl. OLG Hamburg in BB 1955, 575; Dietz-Nikisch 1954 Rdz 131 zu § 2 Arbeitsgerichtsgesetz; Flatow-Joachim, Anm. 16 b zu § 2 Arbeitsgerichtsgesetz; Rohlfing-Rewolle 1969 Anm. 18 zu § 2 Arbeitsgerichtsgesetz). In Rechtsprechung und Rechtslehre besteht Einigkeit darüber, daß hinsichtlich des Zusammenhanges der unerlaubten Handlung mit dem Arbeitsverhältnis die Bestimmung des § 2 Abs. 1 Ziff. 2 Arbeitsgerichtsgesetzweit ausgelegt werden muß.

18

Die Festsetzung des Beschwerdeweges erfolgt wegen der mit der Beschwerde verbundenen Kostenpflicht des Antragstellers (§ 46 GKG).

Streitwertbeschluss:

Der Beschwerdewert für die Gerichtskosten beträgt 1.500 DM.