Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 15.05.2013, Az.: 1 Ws 158/13
Anfechtbarkeit der Anordnung ergänzender Beweiserhebungen im Zwischenverfahren mit der sofortigen Beschwerde nach § 210 Abs. 2 StPO bei Vorliegen des Beschlusses des Gerichts der Abtrennung der davon betroffenen Anklagevorwürfe
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 15.05.2013
- Aktenzeichen
- 1 Ws 158/13
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2013, 37947
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2013:0515.1WS158.13.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hildesheim - AZ: 22 KLs 5443 Js 30952/09
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 2 StPO
- § 202 S. 1, 2 StPO
- § 210 Abs. 2 StPO
- § 304 StPO
Fundstellen
- NStZ-RR 2013, 6
- NStZ-RR 2013, 287
- NZI 2013, 5
- wistra 2013, 405-406
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Anordnung ergänzender Beweiserhebungen im Zwischenverfahren ist auch dann nicht mit der sofortigen Beschwerde nach § 210 Abs. 2 StPO anfechtbar, wenn das Gericht zugleich die Abtrennung der davon betroffenen Anklagevorwürfe beschlossen hat; die Staatsanwaltschaft kann lediglich die Abtrennung als solche mit der Beschwerde nach § 304 StPO anfechten.
- 2.
Zwar muss die Entscheidung im Eröffnungsverfahren den Anklagestoff erschöpfend und gleichzeitig behandeln; das Gericht kann jedoch zeitlich getrennte Entscheidungen treffen, indem es bei der ersten Entscheidung einen Trennungsbeschluss nach § 2 Abs. 2 StPO erlässt.
In der Strafsache
gegen M. G. M.,
geboren am xxxxxx 1959 in H.,
wohnhaft L.straße, H.,
- Verteidiger: Rechtsanwalt F.-E. K. aus H. -
wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt u. a.
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hannover gegen den Beschluss der 4. großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Hildesheim vom 24. April 2013 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch die Richter am Oberlandesgericht xxxxxx, xxxxxx und xxxxxx am 15. Mai 2013
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten der Beschwerde und die dem Angeschuldigten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.
Gründe
I.
Mit Anklageschrift vom 29. November 2011 legt die Staatsanwaltschaft Hannover dem Angeschuldigten Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 94 Fällen, Insolvenzverschleppung in sechs Fällen, Bankrott in sieben Fällen und Betrug in sieben Fällen zur Last.
Durch Beschluss vom 24. April 2013 hat die 4. große Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Hildesheim das Verfahren hinsichtlich der angeklagten 94 Fälle des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt abgetrennt und insoweit ergänzende Beweiserhebungen nach § 202 Satz 1 StPO angeordnet, um aufzuklären, ob den vom Angeschuldigten geleiteten Gesellschaften die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge in Anklagezeitraum überhaupt noch möglich war. Hinsichtlich der übrigen Anklagevorwürfe hat die Wirtschaftsstrafkammer die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren vor sich eröffnet. Zugleich hat die Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer den Beginn der Hauptverhandlung auf den 24. Mai 2013 bestimmt mit 11 Fortsetzungsterminen bis zum 10. Juli 2013 und darüber hinaus - falls erforderlich - weiteren Fortsetzungsterminen jeweils montags und mittwochs sowie die Ladung von 18 Zeugen angeordnet.
Gegen die Abtrennung hat die Staatsanwaltschaft Hannover am 3. Mai 2013 sofortige Beschwerde erhoben. Sie meint, die Abtrennung sei wie eine teilweise Nichteröffnung zu behandeln und daher nach § 210 Abs. 2 StPO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. In der Sache verkenne die Wirtschaftsstrafkammer die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Straflosigkeit der Beitragsvorenthaltung bei wirtschaftlicher Unmöglichkeit.
Die Generalstaatsanwaltschaft vertritt das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft.
Sie beantragt
die Eröffnung des Hauptverfahrens auch hinsichtlich der abgetrennten Anklagevorwürfe,
hilfsweise
die Aufhebung der Abtrennung.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist gemäß § 300 StPO als einfache Beschwerde (§ 304 StPO) zu behandeln, weil die sofortige Beschwerde nach § 210 Abs. 2 StPO hier nicht statthaft ist.
a) Gemäß § 210 Abs. 2 StPOsteht der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss über die Eröffnung des Hauptverfahrens die sofortige Beschwerde nur zu, wenn das Gericht - ganz oder zum Teil - die Eröffnung abgelehnt oder abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltschaft die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung ausgesprochen hat. Vorliegend ist weder eine (Teil)Ablehnung der Eröffnung noch eine (Teil)Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung erfolgt.
Die angefochtene Entscheidung ist auch nicht etwa einer Teilablehnung der Eröffnung gleichzustellen. Die Wirtschaftsstrafkammer hat hinsichtlich der Anklagevorwürfe des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gerade keine Entscheidung über die Eröffnung getroffen, sondern - zur Vorbereitung einer solchen Entscheidung - gemäß § 202 Satz 1 StPO ergänzende Beweiserhebungen angeordnet. Diese Anordnung ist nach § 202 Satz 2 StPO nicht anfechtbar. Sie wird auch nicht dadurch mit der sofortigen Beschwerde nach § 210 Abs. 2 StPO anfechtbar, dass zugleich die Abtrennung dieser Anklagevorwürfe angeordnet worden ist.
Selbst wenn man der Generalstaatsanwaltschaft darin folgen würde, dass es hier an einer gleichzeitigen und erschöpfenden Behandlung des gesamten Anklagestoffs im Eröffnungsverfahren fehlt, wäre nur die einfache Beschwerde nach § 304 StPO mit dem Ziel der Ergänzung des Beschlusses zulässig (vgl. Meyer-Goßner StPO 55. Aufl. § 210 Rn. 4). Eine Überprüfung der Anordnung ergänzender Beweiserhebungen oder gar Ersetzung der fehlenden Eröffnungsentscheidung durch das Beschwerdegericht könnte damit in keinem Fall erreicht werden. Denn § 210 Abs. 2 StPOist als Ausnahmevorschrift restriktiv auszulegen (vgl. OLG Hamburg wistra 2003, 38 [OLG Hamburg 23.09.2002 - 2 Ws 184/02]). Dies ergibt sich daraus, dass die positive Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 207 StPOfür den Angeklagten unanfechtbar ist (§ 210 Abs. 1 StPO), weil sie nur eine vorläufige Bewertung darstellt, die der Überprüfung in der Hauptverhandlung und im an diese anschließenden Rechtsmittelzug unterliegt, während für die spiegelbildlich negative Entscheidung der Staatsanwaltschaft die Anfechtungsmöglichkeit nach § 210 Abs. 2 StPOim Wesentlichen deshalb zur Verfügung gestellt worden ist, weil die Entscheidung wegen der Rechtskraftwirkung des § 211 StPOendgültig wäre (vgl. OLG Hamburg aaO; LR-Stuckenberg StPO 26. Aufl. § 210 Rn. 1 mwN). Da hingegen die Anordnung ergänzender Beweiserhebungen mit gleichzeitiger Abtrennung des davon betroffenen Verfahrensteils keine endgültige Entscheidung mit Rechtskraftwirkung darstellt, spricht schon der Grundsatz der Rechtsmittelsymmetrie, wie er in § 296 StPOAusdruck findet (vgl. Rieß in Anm. zu BayObLG in OLGSt StPO § 210 Nr. 3), angesichts der dem Angeklagten fehlenden unmittelbaren Anfechtungsmöglichkeit dafür, die nach § 210 Abs. 2 StPOstatthafte sofortige Beschwerde auf die Überprüfung der in dieser Vorschrift ausdrücklich angeführten Gegenstände zu beschränken (OLG Hamburg aaO; LR-Stuckenberg § 210 Rn. 4; LR-Erb § 2 Rn. 26).
b) Aber auch eine danach mit der einfachen Beschwerde nach § 304 StPO grundsätzlich erreichbare Ergänzung des angefochtenen Beschlusses kommt hier nicht in Betracht. Zwar ist es zutreffend, dass nach der überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur die Entscheidung im Eröffnungsverfahren den Anklagestoff erschöpfend und gleichzeitig behandeln muss (vgl. OLG Düsseldorf GA 1986, 37; OLG Köln StraFo 1995, 55; Meyer-Goßner § 204 Rn. 6; KK/StPO-Schneider 6. Aufl. § 207 Rn. 3). Indes kann auch nach dieser Ansicht das eröffnende Gericht zeitlich getrennte Entscheidungen dadurch bedenkenfrei treffen, dass es - wie hier geschehen - bei der ersten Entscheidung einen Trennungsbeschluss nach § 2 Abs. 2 StPO erlässt, wozu es in jeder Lage des Verfahrens, also auch im Eröffnungsverfahren, berechtigt ist (vgl. LR-Stuckenberg § 207 Rn. 9; KK/StPO-Schneider aaO; Radtke/Hohmann-Reinhart StPO § 207 Rn. 4).
c) Als statthaftes Rechtsmittel verbleibt hiernach nur die Beschwerde nach § 304 StPO gegen die Abtrennung als solche, die sowohl dem von der Abtrennung betroffenen Angeschuldigten als auch der Staatsanwaltschaft zur Verfügung steht (vgl. LR-Erb § 2 Rn. 27; Meyer-Goßner § 2 Rn. 13). § 305 Satz 1 StPO steht dem nicht entgegen, weil die Abtrennung nur den Fortgang des abgetrennten Verfahrensteils hemmt und bei der Urteilsfällung nicht erneut geprüft wird (OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996, 142; LR-Erb aaO; Meyer-Goßner aaO; jew. mwN).
2. Die Beschwerde gegen die Abtrennung als solche ist unbegründet.
a) Nach § 2 Abs. 2 StPOkann das Gericht die Trennung verbundener Strafsachen aus Gründen der Zweckmäßigkeit anordnen. Diese Entscheidung steht zwar im Ermessen des Gerichts; sie unterliegt im Beschwerdeverfahren aber grundsätzlich der vollen Nachprüfung, nicht nur derjenigen auf Ermessensfehler (vgl. OLG Frankfurt StV 1991, 504; OLG Düsseldorf NStZ 1991, 145 [OLG Düsseldorf 07.11.1990 - 3 Ws 936/90]; LR-Erb § 2 Rn. 27; KK/StPO-Fischer § 2 Rn. 15; Meyer-Goßner § 2 Rn. 13). Allerdings besteht im vorliegenden Fall die Besonderheit, dass der maßgebliche Grund für die Abtrennung in der Anordnung ergänzender Beweiserhebungen im Zwischenverfahren besteht, welche nach § 202 Satz 2 StPO unanfechtbar und damit einer Nachprüfung durch das Beschwerdegericht entzogen ist. Es wäre mit dem Gesetz unvereinbar und systemwidrig, diese vom Gesetzgeber ausdrücklich nicht gewollte Nachprüfung im Rahmen der Entscheidung über die Beschwerde gegen eine Verfahrensabtrennung dennoch durchzuführen. Die Beurteilung der Zweckmäßigkeit der Abtrennung hat hier also auf der Basis der von der Wirtschaftsstrafkammer angeordneten Beweiserhebungen zu erfolgen.
b) Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der konkreten Verfahrenssituation sieht der Senat die angeordnete Verfahrensabtrennung nicht als unzweckmäßig an.
Zwar ist der Generalstaatsanwaltschaft darin zuzustimmen, dass durch die Aufspaltung des Verfahrens die Gefahr besteht, dass eine umfangreiche Beweisaufnahme zu dem für alle Anklagevorwürfe entscheidenden Komplex der Zahlungsunfähigkeit der von dem Angeschuldigten geleiteten Gesellschaften im Wesentlichen wiederholt werden müsste, was grundsätzlich aus Gründen der Prozessökonomie möglichst vermieden werden sollte (vgl. OLG Frankfurt aaO; KG, Beschluss vom 3. Mai 2000 - 3 Ws 202/00, [...]). Diese Folge der Abtrennung ist jedoch nicht zwingend. Auch wenn die Wirtschaftsstrafkammer davon ausgeht, dass die ergänzenden Beweiserhebungen zeitaufwändig sein werden, so erscheint nicht ausgeschlossen, dass deren Ergebnisse noch vor Abschluss der zunächst bis zum 10. Juli 2013 angesetzten Hauptverhandlung vorliegen werden. Sollte sich hiernach ergeben, dass die Wirtschaftsstrafkammer das Hauptverfahren auch hinsichtlich der abgetrennten Anklagevorwürfe eröffnet, so käme eine Einbeziehung derselben in die noch laufende Hauptverhandlung in Betracht.
Entscheidend ist jedoch, dass der Abschluss der ergänzenden Beweiserhebungen, die hiernach erforderliche Anhörung des Angeschuldigten dazu und die Entscheidung der Wirtschaftsstrafkammer über die Eröffnung in dem abgetrennten Verfahren nicht bis zum Beginn der Hauptverhandlung am 24. Mai 2013 erfolgen können. Die Aufhebung der Abtrennung würde also unweigerlich zu einer Verschiebung der bereits anberaumten Hauptverhandlung führen. Das wiederum wäre mit dem Gebot der Verfahrensbeschleunigung nicht vereinbar, dem hier mit Blick auf die bisherige Dauer des Verfahrens erhebliches Gewicht zukommt.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 und Abs. 2 StPO.