Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 14.02.2023, Az.: 15 EK 1/21

Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Kostenfestsetzungsverfahrens; Wiedergutmachung durch gerichtliche Feststellung der überlangen Verfahrensdauer

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
14.02.2023
Aktenzeichen
15 EK 1/21
Entscheidungsform
Endurteil
Referenz
WKRS 2023, 18587
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Oldenburg - AZ: 4 C 4223/16

In dem Entschädigungsverfahren
1. AA, Ort1,
2. BB, Ort1,
Kläger,
Prozessbevollmächtigte zu 1 und 2:
(...),
Geschäftszeichen: (...)
gegen
Land Niedersachsen, vertreten durch die Generalstaatsanwaltschaft Oldenburg, Mozartstraße 5, 26135 Oldenburg,
Beklagter,
Prozessbevollmächtigte:
(...),
Geschäftszeichen: (...)
hat der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht (...), den Richter am Oberlandesgericht (...) und den Richter am Oberlandesgericht (...) auf die mündliche Verhandlung vom 7. Februar 2023 für Recht erkannt:

Tenor:

Das Teilanerkenntnis- und Teil-Versäumnisurteil vom 10. Januar 2023 wird aufrechterhalten.

Die weiteren Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert wird bis zum 17. Januar 2023 auf 1.300 € und ab dem 18. Januar 2023 auf 975 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Kläger machen eine Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Kostenfestsetzungsverfahrens geltend.

Nach dem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Oldenburg vom 28. Juni 2018 im Rechtsstreit 4 C 4223/16 - wonach die hiesigen Kläger 15% und die dortige Prozessgegnerin 85% der Kosten des Rechtsstreits zu tragen hatten - legte die damalige Prozessbevollmächtigte der Kläger mit Schreiben vom 18. Juli 2018 Streitwertbeschwerde ein, die sie mit Schriftsatz vom 7. März 2019 begründete. Mit der Begründung der Streitwertbeschwerde beantragte die frühere Prozessbevollmächtigte der Kläger zugleich Kostenausgleich gem. § 106 ZPO.

Mit Beschluss vom 24. Juni 2019 änderte das Amtsgericht Oldenburg auf die Beschwerde der Kläger den Streitwert. Mit Schriftsatz vom 25. August 2019 bat die frühere Prozessbevollmächtigte der Kläger um Mitteilung des Sachstands bezüglich des Kostenausgleichsantrags und reichte eine neue Aufstellung der auszugleichenden Gebühren ein. Zugleich wies sie darauf hin, dass bei Beiziehung der Akten im Rahmen eines anderen Rechtsstreits die Anforderung der Akten für die Durchführung des Kostenausgleichsverfahrens zweckmäßig sein dürfte. Der früheren Prozessbevollmächtigten der Kläger wurde in Beantwortung des Schreibens vom 25. August 2019 mitgeteilt, dass sich die Akten noch beim Landgericht befänden.

Mit Schriftsatz vom 11. Juni 2020 teilte die Rechtspflegerin mit, dass sich die Akten "noch immer in der Berufungsinstanz" befänden und das Kostenfestsetzungsverfahren für die Dauer der zweiten Instanz ruhe. Die frühere Prozessbevollmächtigte der Kläger erhob mit Schriftsatz vom 18. Juni 2020 Verzögerungsrüge. Am 5. Oktober 2020 erfolgte der Kostenfestsetzungsbeschluss.

Die Kläger meinen, es gebe keinen rechtfertigenden Grund für die Nichtbearbeitung des Kostenfestsetzungsverfahrens. Bei der Berechnung des Entschädigungsanspruchs werde der Regelsatz des § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG zugrunde gelegt. Hierbei sei der Zeitraum von September 2019 bis Oktober 2020 zugrunde zu legen, da das Kostenfestsetzungsverfahren binnen zwei Monaten zu bewältigen gewesen wäre. Soweit der hiesige Senat im Rechtsstreit 15 EK 3/19 die These aufstelle, dass in Kostenfestsetzungsverfahren keine pekuniäre Entschädigung zu erfolgen habe, sei die Revision zuzulassen, da Bundesgerichte anderer Gerichtsbarkeiten dies wie auch andere Oberlandesgerichte anders sähen und dadurch eine Divergenz wie eine grundsätzliche Bedeutung vorliege.

Die Kläger haben zunächst beantragt, das beklagte Land zu verurteilen, 1.300 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an sie zu zahlen.

Das beklagte Land hat die Klage im Rahmen der Klageerwiderung hinsichtlich der Feststellung anerkannt, dass die Dauer des Kostenausgleichsverfahrens vor dem Amtsgericht Oldenburg 4 C 4223/16 (im Zeitraum September 2019 bis Oktober 2020) unangemessen war.

Weiter hat das beklagte Land beantragt, die weitergehende Klage abzuweisen sowie den Klägern die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

Da die Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 10. Januar 2023 nicht erschienen sind, hat der Senat ein Teilanerkenntnis- und Teil-Versäumnisurteil erlassen. In diesem hat der Senat auf das Anerkenntnis des beklagten Landes festgestellt, dass die Verfahrensdauer des Kostenausgleichsverfahrens des Rechtsstreits 4 C 4223/16 des Amtsgerichts Oldenburg im Zeitraum September 2019 bis Oktober 2020 unangemessen lang war. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Hiergegen haben die Kläger mit Schriftsatz vom 10. Januar 2013 Einspruch eingelegt. Sie haben einen Abschlag von 25% wegen des Umstandes, dass es sich um ein Kostenfestsetzungsverfahren handele, vorgenommen. Die Kläger beantragen, unter Aufhebung des Versäumnisurteils den Beklagten zur Zahlung von 975 € nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit zu verurteilen.

Das beklagte Land beantragt,

Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils.

Das beklagte Land ist der Auffassung, dass es sich bei seinem Anerkenntnis um ein sofortiges Anerkenntnis i.S.d. § 93 ZPO handele, da die Kläger sofort geklagt hätten, ohne vorgerichtlich eine Entschädigung bzw. ein Anerkenntnis unangemessen langer Verfahrensdauer geltend gemacht zu haben, was als solches unstreitig ist. Hätten sie dies getan, wäre die anerkannte Feststellung ermöglicht worden. Eine finanzielle Entschädigung stehe den Klägern nicht zu. Die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer sei ausreichend. Ein Kostenfestsetzungsverfahren habe in der Regel keine besondere Bedeutung und die Entschädigungskläger hätten vorliegend keine Nachteile erlitten. Durch die im Kostenfestsetzungsbeschluss angeordnete Verzinsung habe sich die Verzögerung sogar wirtschaftlich vorteilhaft ausgewirkt, da es eine vergleichbare Verzinsung auf dem Kapitalmarkt nicht gebe. Zwar komme es für die bedauerliche Verzögerung nicht auf Verschulden an, jedoch lägen Umstände, die eine Verzögerung zwar nicht rechtfertigen, aber als nicht gänzlich unverständlich erscheinen ließen.

Entscheidungsgründe

Auf den zulässigen Einspruch der Kläger gegen das Versäumnisurteil vom 18. Januar 2023 war der Prozess in die Lage vor Eintritt der Versäumnis zurückzuversetzen (§ 342 ZPO).

Die über die im Teilanerkenntnisurteil ausgeurteilte Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer hinausgehende Klage auf Zahlung einer Entschädigung in Geld für die unangemessene Verfahrensverzögerung von 13 Monaten ist abzuweisen. Die Gesamtumstände des vorliegenden Falles rechtfertigen nach Auffassung des erkennenden Senats keine Entschädigung in Geld. Vielmehr ist eine Wiedergutmachung durch gerichtliche Feststellung der überlangen Verfahrensdauer ausreichend und angemessen.

Entschädigungszahlung kann gem. § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise ausreichend ist, insbesondere durch die an keinen Antrag gebundene (§ 198 Abs. 4 S. 2 GVG) Feststellung einer unangemessen langen Verfahrensdauer. Damit wird deutlich gemacht, dass die Geldentschädigung für Nichtvermögensnachteile bei überlangen Gerichtsverfahren kein Automatismus ist. Ein Anspruch setzt vielmehr voraus, dass die Ausschlussregelung nicht eingreift. Dementsprechend stellt § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ein "negatives Tatbestandsmerkmal" für einen Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG dar, soweit Entschädigung für immaterielle Nachteile begehrt wird (BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13, BGHZ 200, 20 Rn. 61).

Ob eine Feststellung zur Wiedergutmachung ausreicht, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls (BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2017 - 2 WA 1/17 D, NJW 2019, 320 [BVerwG 12.07.2018 - BVerwG 2 WA 1.17 D] Rn. 36). In den Abwägungsvorgang ist namentlich einzustellen, ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Bedeutung hatte, dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat, weitergehende immaterielle Schäden erlitten wurden oder die Überlänge der einzige Nachteil darstellt. Darüber hinaus kann einzustellen sein, welches Ausmaß die Unangemessenheit der Verfahrensdauer aufweist und ob das Ausgangsverfahren eine besondere Dringlichkeit hatte oder sie entfallen ist. Bedeutung erlangen können auch durch die überlange Verfahrensdauer erlangte Vorteile, die das Gewicht der erlittenen Nachteile aufwiegen. Denn das im Entschädigungsrecht allgemein anerkannte Prinzip des Vorteilsausgleichs findet auch im Rahmen der §§ 198 ff. GVG Anwendung (BVerwG, aaO).

In dem hier vorliegenden Kostenfestsetzungsverfahren ist eine Feststellung der überlangen Verfahrensdauer ausreichend. Im Gegensatz zu der Entscheidung des Rechtsstreits in der Hauptsache hat die Erledigung des Kostenfestsetzungsverfahrens für die Partei regelmäßig nur eine untergeordnete Rolle. Diese untergeordnete Bedeutung zeigt sich vorliegend insbesondere dadurch, dass der Kostenausgleichsantrag mehr als acht Monaten nach dem Urteil des Amtsgerichts gestellt wurde, obwohl gegen dieses Urteil keine Berufung eingelegt wurde. In materieller Hinsicht werden die Kläger durch die Dauer des Verfahrens sogar günstig gestellt, indem ihr Kostenerstattungsanspruch ab Eingang des Festsetzungsantrags in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz verzinst wird (§ 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Immaterielle Nachteile infolge einer Verzögerung der Bearbeitung wiegen im Vergleich dazu eher gering. Dass die Kläger eine Erstattung ihrer Kosten zu erwarten hatten, stand mit Erlass der Kostengrundentscheidung fest. Zu entscheiden war lediglich über die Höhe des Erstattungsanspruchs. Eine besondere Belastung der Kläger ist mit keinem Wort dargelegt noch anderweitig erkennbar (vgl. Senatsurteil vom 27. Mai 2020 - 15 EK 3/19, MDR 2020, 1250 [BGH 26.05.2020 - VI ZR 213/19] Rn. 13).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 93 ZPO i.V.m. § 201 Abs. 4 GVG. Entgegen der im Rahmen der mündlichen Verhandlung geäußerten Rechtsansicht der Kläger ist auch im Entschädigungsverfahren nach § 198 GVG eine Entscheidung nach § 93 ZPO möglich. Dies entspricht der einheitlichen obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. nur OLG Köln, Urteil vom 25. Februar 2021 - 7 EK 5/18, NStZ-RR 2021, 185 [BGH 06.01.2021 - 5 StR 454/20] Rn. 64; OLG Naumburg, Urteil vom 25. Januar 2016 - 1 EK 3/15, juris Rn. 11; vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Gerichtsbescheid vom 6. November 2019 - L 38 SF 323/18 EK AS, juris Rn. 33) sowie der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH, Urteil vom 29. November 2017 - X K 1/16, BFHE 259, 499 Rn. 56).

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO i.V.m. § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG.

Ein Grund, die Revision zuzulassen, war nicht gegeben, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 201 Abs. 2 GVG, § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Entgegen der Auffassung der Kläger liegt eine zulassungsrelevante Divergenz nicht vor. Eine zulassungsrelevante Divergenz ist gegeben, wenn in der angefochtenen Entscheidung ein abstrakter Rechtssatz aufgestellt wird, der von einem in einer Entscheidung eines höheren oder gleichgeordneten Gerichts aufgestellten und die Vergleichsentscheidung tragenden Rechtssatz abweicht (BGH, Beschlüsse vom 1. Oktober 2002 - XI ZR 71/02, BGHZ 152, 182, 186 und vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 292 f.) und die anzufechtende Entscheidung auf dieser Abweichung beruht (BGH, Beschluss vom 27. März 2003, aaO, S. 292). Eine Abweichung in diesem Sinne liegt nur vor, wenn die anzufechtende Entscheidung ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung, mithin einen Rechtssatz aufstellt, der sich mit einem in der Vergleichsentscheidung aufgestellten und diese tragenden Rechtssatz nicht deckt (BGH, Beschluss vom 27. März 2003, aaO).

Vorliegend wird nicht ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als in den von den Klägern zitierten Entscheidungen. Denn die für die Entschädigung maßgebliche Frage, ob eine Wiedergutmachung auf andere Weise im konkreten Fall ausreichend ist, kann nicht pauschal beantwortet, sondern nur unter Abwägung aller Belange im Einzelfall entschieden werden (BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13, BGHZ 200, 20 Rn. 62). Somit fehlt es bereits an einer abstrakten Rechtsfrage. Darüber hinaus ist Gegenstand des Urteils des Kammergerichts (Urteil vom 29. Januar 2016 - 7 EK 12/17, DAR 2016, 205) kein Kostenfestsetzungsbeschluss, sondern eine Verkehrsunfallsache. Das OLG Zweibrücken (Urteil vom 26. Januar 2017 - 6 SchH 1/16 EntV, NJW 2017, 1328 [OLG Zweibrücken 26.01.2017 - 6 SchH 1/16 EntV] Rn. 26) hat die Feststellung getroffen, dass aufgrund der dortigen Umstände des Einzelfalls alleine eine Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer nicht ausreichend ist. Einen abstrakten Rechtssatz, dass bei Kostenfestsetzungsverfahren allein die Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer ohne Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht ausreichend sein kann, hat es nicht aufgestellt.

Ebenfalls liegt nicht der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung vor. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, welche sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2010 - 1 BvR 381/10, NJW 2011, 1277 Rn. 12; BGH, Beschluss vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02, NJW 2002, 3029 Rn. 4). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn zu ihr unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und keine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2010 - 1 BvR 381/10, NJW 2011, 1277 Rn. 12). Wie bereits dargestellt fehlt es an einer abstrakt zu beantwortenden Rechtsfrage.