Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 27.09.2016, Az.: 1 AR (Ausl) 10/16

Auslieferungshaft: Berechnung der Frist des § 83c Abs. 1 IRG unter Berücksichtigung von Untersuchungshaft in anderen Verfahren

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
27.09.2016
Aktenzeichen
1 AR (Ausl) 10/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 29597
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2016:0927.1AR.AUSL10.16.0A

Amtlicher Leitsatz

Bei der Berechnung der Auslieferungshaft nach § 83c Abs. 1 IRG ist - ebenso wie bei § 16 Abs. 2 IRG und § 26 Abs. 1 IRG - nur der Freiheitsentzug zu berücksichtigen, der den Verfolgten aufgrund eines Auslieferungshaftbefehls trifft. Ist die Auslieferungshaft als Überhaft notiert, bleibt die wegen eines anderen Strafverfahrens vollstreckte Untersuchungshaft außer Betracht.

Tenor:

Der Antrag des Verfolgten auf Aufhebung des Haftbefehls vom 25. Mai 2016 wird zurückgewiesen.

Die Fortdauer der Auslieferungshaft wird angeordnet.

Gründe

I.

Der Senat hat gegen den Verfolgten durch Haftbefehl die Auslieferungshaft vom 25. Mai 2016 als Überhaft angeordnet (Bl. 51ff. Bd. I d. A.). Am 06. Juni 2016 wurde der Haftbefehl dem Verfolgten, der sich in anderer Sache seit dem 17. Januar 2016 in Untersuchungshaft befand, verkündet (Bl. 65 ff. Bd. I d. A.). Am 19. Juli 2016 endete die Untersuchungshaft; vom 20. Juli 2016 bis zum 22. August 2016 wurde die Auslieferungshaft vollzogen (Bl. 82 Bd. II d. A.). Ab dem 23. August 2016 bis zum 06. September 2016 befand sich der Verfolgte wiederum in anderer Sache in Untersuchungshaft (Bl. 82, 94 Bd. II d. A,). Seit dem 07. September wird wieder die Auslieferungshaft vollzogen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig hat entschieden, voraussichtlich keine Bewilligungshindernisse geltend machen zu wollen und hat am 05. August 2016 beantragt, die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafvollstreckung nach Italien für zulässig zu erklären.

Der Senat hat mit Beschluss vom 01. September 2016 die Entscheidung über die Zulässigkeit zurückgestellt und festgestellt, dass eine weitere Aufklärung des Sachverhaltes notwendig ist. Für die Ergänzung der Auslieferungsunterlagen hat der Senat eine Frist bis zum 17. Oktober 2016 gesetzt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschuss vom 01. September 2016 Bezug genommen (Bl. 75 ff. Bd. II d. A.).

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 12. September 2016 hat der Verfolgte beantragt, den Auslieferungshaftbefehl vom 25. Mai 2016 aufzuheben, hilfsweise, dessen Vollzug durch weniger einschneidende Maßnahmen zu ersetzen.

Er ist der Ansicht, dass die Auslieferungshaft nicht mehr verhältnismäßig sei, da durch die Generalstaatsanwaltschaft und den Senat durch zögerliche Bearbeitung das Beschleunigungsgebot verletzt worden sei und dadurch mittlerweile die 60-Tages-Frist des § 83 c Abs. 1 IRG erheblich überschritten worden sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 12. September 2016 (Bl. 104 ff. Bd. II d. A.) und vom 26. September 2016 (Bl. 146 ff. Bd. II d. A.) Bezug genommen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, wie erkannt (Bl. 115 ff. d. A.).

II.

Bei den erhobenen Einwendungen des Verfolgten handelt es sich um Einwendungen gem. § 23 IRG, die vom Verfolgten in jeder Lage des Verfahrens und zu jedem Zeitpunkt erhoben werden können.

Die Einwendungen des Verfolgten sind jedoch unbegründet, da die Voraussetzungen für den Erlass des Auslieferungshaftbefehls nach wie vor gegeben sind und die Auslieferungshaft nicht unverhältnismäßig (geworden) ist. Insoweit verweist der Senat zunächst auf die Entscheidung vom 25. Mai 2016.

Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit bestehen gegen den Vollzug der Auslieferungshaft keine Bedenken. Insbesondere ist die Frist des § 83 c Abs. 1 IRG noch nicht abgelaufen. Gem. § 83 c Abs. 1 soll über die Auslieferung spätestens innerhalb von 60 Tagen nach der Festnahme des Verfolgten entschieden werden. Richtig ist zwar, dass, wenngleich eine Aufhebung der Haft ausdrücklich nur für den Fall eines gescheiterten Überstellungsversuchs bei vereinfachter Auslieferung (§ 83 d IRG) vorgesehen ist und ansonsten nur Unterrichtungspflichten der Bundesregierung (§§ 83 c Abs. 4, 83 i IRG) bestehen, die im Gesetz niedergelegten Zeitspannen Konkretisierungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit darstellen.

Jedoch ist hier - entgegen der Ansicht des Verfolgten - die Frist noch nicht abgelaufen. Denn die Zeiten, die der Verfolgte in Untersuchungshaft verbracht hat und in denen die Auslieferungshaft lediglich als Überhaft notiert war, sind nicht in die Frist des § 83 c Abs. 1 IRG einzurechnen.

Wie bei den Fristen des § 16 Abs. 2 IRG und des § 26 Abs. 1 IRG ist auch hier davon auszugehen, dass die zeitliche Begrenzung der Dauer der Auslieferungshaft nur dann zur Anwendung kommt, wenn der Verfolgte aufgrund eines Auslieferungshaftbefehls auch tatsächlich die angeordnete Auslieferungshaft verbüßt (vgl. zu § 16 Abs. 2 IRG, OLG Düsseldorf, Beschl. vom 17. Februar 1993, 4 Ausl (A) 473/92, NJW 1993, 2451, 2452 [OLG Düsseldorf 17.02.1993 - 4 Ausl (A) 473/92-9/93 III]). Auch die dem Schutz des Verfolgten dienenden Regelungen in §§ 26 ff. IRG, die ebenfalls dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen, verhalten sich ausschließlich zu dem Fall, dass wegen eines bestimmten Auslieferungsersuchens tatsächlich Auslieferungshaft gegen den Verfolgten vollstreckt wird. (Böhm in: Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., § 26, Rn. 3, 5).

Daher kann es schon im Hinblick auf eine gleichmäßige Anwendung der gesetzlichen Regelungen kaum zweifelhaft sein, dass es entscheidend darauf ankommt, ob ein Verfolgter sich zum Zwecke seiner Auslieferungshaft in Haft befindet. Insoweit sind Art und Charakter des konkreten Freiheitsentzuges wesentliche Merkmale zur Beurteilung der Frage, ob die erwähnten Fristen zu laufen begonnen haben.

Da die Auslieferungshaft gegen den Verfolgten vorliegend vom 20. Juli 2016 bis 22. August 2016 und dann seit dem 07. September 2016, mithin seit 55 Tagen vollstreckt wird, ist die Frist des § 83 c Abs. 1 IRG nicht abgelaufen.

Im Hinblick auf die durch den Senat gesetzte Frist für die Ergänzung der Auslieferungsunterlagen ist davon auszugehen, dass in absehbarer Zeit über die Zulässigkeit der Auslieferung entschieden werden wird, ohne dass es zu einer erheblichen Überschreitung der Frist des § 83 c Abs. 1 IRG kommen wird.

Weniger einschneidende Maßnahmen als der Vollzug der Auslieferungshaft reichen nicht aus, um die Auslieferung zu sichern, da der Verdacht besteht, dass der Verfolgte in organisierte kriminelle Strukturen eingebunden ist (Bl. 10, Bd. I d. A.) und zu befürchten ist, dass er durch diese Verbindungen über die logistischen und finanziellen Möglichkeiten verfügt, im In- oder Ausland unterzutauchen.

Nach alldem kommt - zum gegenwärtigen Zeitpunkt - weder die Aufhebung noch die Außervollzugsetzung des Auslieferungshaftbefehls in Betracht.