Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 16.02.1989, Az.: 1 A 96/88
Beanstandung einer Werbeanzeige für Rotwein; Fehlende Angaben zu Qualitätsstufe und Herkunftsland in der Werbung als Irreführung i.S.d. Art. 43 Abs. 1 Verordnung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-Verordnung) Nr. 355/79; Begriff der Irreführung i.S.d. Art. 43 Abs. 1 EWG-Verordnung Nr. 355/79; Fehlende Angabe der Gütebezeichnung als Verstoß gegen § 1 Abs. 1 S. 1 Verordnung zur Regelung der Preisangaben
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 16.02.1989
- Aktenzeichen
- 1 A 96/88
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1989, 20378
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:1989:0216.1A96.88.0A
Rechtsgrundlagen
- Art. 43 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 355/79
- § 1 Abs. 1 Satz 1 PAngV
Fundstellen
- NJW-RR 1989, 1062-1064 (Volltext mit red. LS)
- NJW-RR 1992, 128 (red. Leitsatz)
- NVwZ-RR 1989, 545 (red. Leitsatz)
Verfahrensgegenstand
Lebensmittelüberwachung
Die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig hat
ohne mündliche Verhandlung am 16. Februar 1989
durch
den Präsidenten des Verwaltungsgerichts Harms als Vorsitzenden,
den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Peschau,
den Richter Müller-Fritzsche sowie
die ehrenamtlichen Richter Baar und Backhaus
für Recht erkannt:
Tenor:
Es wird festgestellt, daß die Beklagte nicht berechtigt ist, Werbung der Klägerin in Zeitungen - für einen französischen Rotwein der Marke "Bongeronde" ohne die Angabe der Qualitätsstufe "Tafelwein" und - für Drittlandsweine der Rebsorte "Mädchentraube" ohne die Angabe des Herkunftslandes "Rumänien" insbesondere in der nachstehenden Form:
"Bongeronde Französischer Rotwein 0,75-l-F lasche oder Mädchentraube Weine: weiß, rot, rosé je 0,7-l-Flasche je" zu beanstanden.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt die Feststellung, daß die Beklagte den Inhalt einer Werbeanzeige nicht beanstanden darf.
Die Klägerin betreibt in Braunschweig ein Selbstbedienungs-Warenhaus. In der Ausgabe der Braunschweiger Zeitung vom 8.6.1988 warb sie u.a. für zwei Weinerzeugnisse mit folgendem Text:
"Bongeronde Französischer Rotwein 0,75 -l- Flasche
oder
Mädchentraube Weine: weiß, rot, rosé je 0,7 -l-Flasche je 3,98".
Mit Schreiben vom 20.6.1988 teilte die Beklagte der Klägerin mit, Herr ... habe sich als Verantwortlicher für die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Kennzeichnung von Weinerzeugnissen in der Werbung strafbar gemacht, indem er das französische Weinerzeugnis "Bongeronde" ohne Angabe der Qualitätsstufe Tafelwein sowie ein Drittlanderzeugnis mit der Phantasiebezeichnung "Mädchentraube" ohne Angabe des Herkunftslandes Rumänien angeboten habe. Die fehlenden aber auch in der Werbung zwingend vorgeschriebenen Angaben stellten sich gemäß Art. 32 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 355/79 des Rates zur Aufstellung allgemeiner Regeln für die Bezeichnung und Aufmachung der Weine und der Traubenmoste vom 5.2.1979 in der Fassung vom 6.5.1986 als Irreführung dar. Falls innerhalb einer Woche keine Nachricht eingehe, werde davon ausgegangen, daß von einem Äußerungsrecht kein Gebrauch gemacht werde. Das Verfahren werde dann ohne weitere Anhörung bzw. Vernehmung fortgeführt. Mit anwaltlichem Schreiben vom 29.6.1988 forderte die Klägerin die Beklagte auf, die Beanstandung fallen zu lassen.
Mit Schreiben vom 8.7.1988 teilte die Beklagte mit, daß die Beschuldigung versehentlich auf Art. 32 Abs. 2 statt richtigerweise auf Art. 43 Abs. 2 der EWG-Verordnung 355/79 gestützt worden sei.
Mit Schreiben vom 25.8.1988 zeigte die Beklagte den Vorgang der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Braunschweig an. Zu einer Anklageerhebung ist es bislang nicht gekommen.
Am 21.7.1988 hat die Klägerin Klage erhoben.
Sie ist der Auffassung, daß die Klage zulässig ist. Insbesondere brauche sie sich nicht auf den Strafrechtsweg verweisen zu lassen und der Gefahr einer Geldbuße auszusetzen. Ein solches Risiko sei ihr nicht zuzumuten. Sie habe ein Interesse an der begehrten Feststellung, da sie ihr künftiges Verhalten daran orientieren wolle. Durch Gestaltungs- oder Leistungsklage könne sie ihre Rechte nicht verfolgen, da die Beklagte die Einschaltung der Staatsanwaltschaft dem Erlaß einer Verbotsverfügung vorgezogen habe.
Die Klage sei auch begründet, weit die Beklagte zu Unrecht beanstandet habe, daß in der Werbung die Angaben "Tafelwein" und "Rumänien" nicht enthalten gewesen seien. Diese Angaben seien in der Werbung für Weine nicht zwingend vorgeschrieben. Ihr Fehlen sei auch nicht zur Irreführung im Sinne des Art. 43 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 355/79 in der Fassung vom 17.11.1987 (ABl. Nr. L 330/1) geeignet. Art. 43 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 355/79 nehme zwar auf die durch Art. 2 und Art. 27 der Verordnung für die Etikettierung der Weine geregelten Angaben beispielhaft Bezug. Dadurch würden diese Angaben aber nicht für die Werbung zwingend vorgeschrieben. Sonst hätte der Verordnungsgeber dies ausdrücklich und unmißverständlich gefordert. Das Unterlassen einer bestimmten Bezeichnung könne aber nur dann einen Verstoß gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften begründen, wenn eine rechtliche Verpflichtung zur Angabe bestehe. Die von der Beklagten befürchteten Verwechselungen zwischen Tafel-, Qualitäts- und Drittlandsweinen würden weder belegt noch fänden sie statt. Soweit die Beklagte darauf verweise, daß unter der Angabe der Rebsorte "Mädchentraube" in der Bundesrepublik Deutschland neben Weinen aus Rumänien auch solche aus Ungarn und Bulgarien vertrieben würden und diese unterschiedliche Qualität aufwiesen, sei dies unverständlich. Schließlich sei die Verordnung über Preisangaben auf die Werbung für Weine nicht anwendbar. Diese Werbung werde durch das. übergeordnete Gemeinschaftsrecht in Art. 43 der Verordnung (EWG) Nr. 355/79 abschließend geregelt. Im übrigen sei § 1 der Verordnung über Preisangaben auch inhaltlich nicht anwendbar. Diese Vorschrift verlange die Angabe der Gütebezeichnung nur dann, wenn dies der allgemeinen Verkehrsauffassung entspreche. Eine solche allgemeine Verkehrsauffassung bestehe bei Werbeaussagen jedoch grundsätzlich nicht.
Die Klägerin regt die Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof nach Art. 177 des EWG-Vertrages an.
Die Klägerin beantragt,
festzustellen, daß die Beklagte nicht berechtigt ist, Werbung der Klägerin in Zeitungen
für einen französischen Rotwein der Marke "Bongeronde" ohne die Angabe der Qualitätsstufe "Tafelwein" und/oder
für Drittlandsweine der Rebsorte "Mädchentraube" ohne die Angabe des Herkunftslandes "Rumänien"
insbesondere in der nachstehenden Form
"Bongeronde Französischer Rotwein 0,75-l-Flasche oder Mädchentraube Weine: weiß, rot, rosé je 0,7-l-Flasche je" zu beanstanden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, daß sie in der Werbung der Beklagten zu Recht eine Straftat nach § 67 Abs. 1 Nr. 2 des Weingesetzes gesehen habe. Gemäß Art. 43 Abs. 1 der Verordnung Nr. 355/79 dürfe die Bezeichnung der in der Verordnung genannten Erzeugnisse sowie jegliche Werbung für diese Erzeugnisse nicht geeignet sein, Verwechselungen oder eine Irreführung von Personen, an die sie sich richten, hervorzurufen, insbesondere hinsichtlich der in den Art. 2 und 27 geregelten Angaben. Gemäß Art. 2 müsse bei Tafelwein die Etikettierung die Angabe Tafelwein enthalten. Dazu habe der Weinkontrolleur für das Land Niedersachsen ausgeführt, daß bei der Vielfalt der in der Bundesrepublik angebotenen Tafel- und Qualitätsweinen, eine Unterlassung der Angabe der Qualitätsstufe sehr wohl eine Irreführung des unkundigen Verbrauchers hervorrufen könne. Auch werde darauf hingewiesen, daß für Qualitätsweine strengere Produktionsbestimmungen und eng abgegrenzte Herkunftsräume gälten. Schließlich sei die Angabe der Gütebezeichnung nach § 1 der Verordnung über Preisangaben bei der Werbung unter Angabe von Preisen erforderlich.
Hinsichtlich der fehlenden Herkunftsangabe verweist die Beklagte darauf, daß das Weinerzeugnis "Mädchentraube" aus verschiedenen Herkunftsländern im Handel sei. Unter dieser Bezeichnung seien auch Weine aus Ungarn und Bulgarien im Handel, die je nach Herkunft und Lage eine unterschiedliche Qualität aufwiesen.
Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 23.1.1989 und vom 3.2.1989 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die Akten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Braunschweig (Az.: 400 Js 35771/88) verwiesen.
II.
Die Klage, über die die Kammer gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist zulässig.
Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art und die Streitigkeit ist auch nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen.
Die Klägerin begehrt die Feststellung, daß die Beklagte es nicht beanstanden darf, wenn die Klägerin für Weine wirbt, ohne dabei die Qualitätsstufe "Tafelwein" und das Herkunftsland "Rumänien" anzugeben. Ob die Beklagte die Werbung der Klägerin beanstanden darf, richtet im wesentlichen nach dem - hier umstrittenen - Inhalt von Art. 43 der Verordnung (EWG) Nr. 355/79. Dabei handelt es sich um eine Vorschrift des Lebensmittel-Verwaltungsrechtes, die dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist.
Die Streitigkeit ist auch nicht durch Bundesgesetz ausdrücklich einem anderen Gericht zugewiesen. Insbesondere liegt keine Zuweisung an die ordentlichen Gerichte nach § 13 GVG vor. Der Umfang der Kennzeichnungspflichten von Weinen in der Werbung kann zwar auch in dem auf Anzeige der Beklagten eingeleiteten Strafverfahren rechtserheblich werden, in dem außerdem vor allem die Verschuldensfrage zu prüfen ist. In diesem Strafverfahren sind die an Art. 43 Verordnung (EWG) Nr. 355/79 zu messenden Verpflichtungen der Klägerin bei der Werbung mit Wein aber lediglich Vorfragen und nicht Verfahrensgegenstand. Allein der Gesichtspunkt, daß von der Beantwortung einer nach öffentlichem Recht zu beurteilenden Frage die strafrechtliche Bewertung abhängt, rechtfertigt es jedoch nicht, eine ausdrücklich den ordentlichen Gerichten zugewiesene Rechtsstreitigkeit anzunehmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 7.5.1987 - 3 C 53/85 -, NVwZ 88, 430).
Die Klage ist als Feststellungsklage zulässig. Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat.
Zwischen der Klägerin und der Beklagten besteht ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis. Ein Rechtsverhältnis ist dann feststeltungsfähig, wenn sich die rechtlichen Beziehungen hinreichend konkretisiert ("verdichtet") haben. Das ist hier gegeben. Die zwischen der Klägerin und der Beklagten als (Lebensmittel-) Überwachungsbehörde bestehenden Rechtsbeziehungen allgemeiner Art sind durch das Schreiben der Beklagten vom 20.6.1988 hinreichend konkretisiert worden. Dieses Schreiben enthält die "Beschuldigung", daß durch eine Werbeanzeige in der Braunschweiger Zeitung ein Straftatbestand verwirklicht worden ist und gibt Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen. Damit geht es nicht mehr um die einer verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage unzugängliche Klärung einer nur abstrakten Rechtsfrage, sondern um die Anwendung einer bestimmten Rechtsnorm auf einen vorgegebenen konkreten Sachverhalt, mithin um ein konkretes Rechtsverhältnis im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO (vgl. insoweit auch VGH Kassel, Urteil vom 17.12.1985 - 9 UE 2162/85 -, NVwZ 1988, 445, 446 [BVerwG 10.12.1987 - BVerwG 5 C 32/85]) [VGH Hessen 17.12.1985 - 9 UE 2162/85].
Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der Klärung der zwischen den Beteiligten streitigen Rechtsfragen. Denn sie muß wissen, ob sie selbst oder ihre Angestellten sich bei Wiederverwendung der umstrittenen Werbung der Gefahr eines erneuten Strafverfahrens aussetzt. Die Rechtsprechung hat nahezu einhellig ein berechtigtes Interesse an der verwaltungsgerichtlichen Feststellung bejaht, wenn die Behörde wegen eines von ihr als rechtswidrig angesehenen Verhaltens nicht mit dem Erlaß eigener Maßnahmen, sondern mit der Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens bzw. der Erstattung von Strafanzeigen droht (vgl. VGH Kassel, am angegebenen Ort, S. 446 m.w.N.). Das Bundesverwaltungsgericht(Urt. v. 13.1.1969, BVerwG I C 86.64, Buchholz § 43 VwGO Nr. 31) hat ein schutzwürdiges Interesse vor allem darin gesehen, daß der Betroffene die Klärung in einem verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren und nicht auf der Anklagebank erlebe. Dieser Gesichtspunkt ist auch im vorliegenden Fall einschlägig. Eine relevante Besonderheit ist nicht darin zu sehen, daß nicht die Klägerin selbst - eine GmbH und Co. KG -, sondern nur die für sie handelnden natürlichen Personen Strafverfahren ausgesetzt sein können. Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse daran zu erfahren, ob sie ihre Angestellten der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetzt.
Die Subsidiarität der Feststellungsklage (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO) steht der Zulässigkeit nicht entgegen. Mit der Anfechtungsklage kann sich die Klägerin nicht zur Wehr setzen, weil die Beklagte einen Verwaltungsakt mit dem Inhalt, die beanstandete Werbung zu unterlassen, bislang nicht erlassen hat. Zu denken wäre allenfalls an eine vorbeugende Unterlassungsklage mit dem Inhalt, daß die Beklagte bei erneuter Verwendung der beanstandeten Werbung keine Anzeige erstatten darf. Eine solche Klage wäre eine Leistungsklage (vgl. Redeker/v. Oertzen, 9. Aufl., § 42 Rdnr. 162). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwGE 51, 69, 75 f.) [BVerwG 02.07.1976 - VII C 71/75] greift die Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber einer Leistungsklage bei gegen den Staat gerichteten Klagen jedoch nur dort ein, wo ohne Beachtung dieser Subsidiarität die für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen geltenden Sonderregelungen unterlaufen würden. Im vorliegenden Fall ist ein Unterlaufen der für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen geltenden Rechtsschutzfristen und der Vorschriften über das Vorverfahren nicht ersichtlich. Im übrigen dürfte es auch keinen Anspruch auf Unterlassung einer Strafanzeige geben (vgl. BVerwG, Buchholz § 43 VwGO Nr. 31: "Eine Klage auf Unterlassung einer Strafanzeige gibt es nicht").
Von einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung nach Art. 177 EWG-Vertrag wird im Hinblick auf das Staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren und im Interesse einer möglichst raschen Klärung der streitigen Fragen abgesehen.
Die Klage ist auch begründet.
Die Beklagte ist nicht berechtigt, die Werbung der Klägerin für einen französischen Rotwein der Marke "Bongeronde" ohne Angabe der Qualitätsstufe und für einen Drittlandswein der Rebsorte "Mädchentraube" ohne die Angabe des Herkunftslandes zu beanstanden.
In der Werbung für Bongeronde ohne Angabe der Qualitätsstufe liegt kein Verstoß gegen Art. 43 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 355/79 in der hier anzuwendenden Fassung der Verordnung Nr. 3485/87 vom 17.11.1987 (ABl. Nr. L 330/1). Diese Vorschrift hat, soweit hier von Bedeutung, folgenden Wortlaut:
"Die Bezeichnung und Aufmachung der in der Verordnung genannten Erzeugnisse sowie jegliche Werbung für diese Erzeugnisse dürfen nicht falsch oder geeignet sein, Verwechselungen oder eine Irreführung von Personen, an die sie sich richten, hervorzurufen, insbesondere hinsichtlich - der in den Art. 2, 12, 22, 27, 28 und 29 geregelten Angaben..."
Damit wird zunächst in einer Art Generalklausel jegliche Werbung untersagt, die geeignet ist, Verwechselungen oder eine Irreführung hervorzurufen. Durch Bezugnahme auf die für die Etikettierung geltenden Vorschriften werden sodann beispielhaft und nicht abschließend solche Angaben aufgezählt, die "insbesondere" dem Irreführungs- und Verwechselungsverbot unterliegen. Schon nach dem Wortlaut der Vorschrift kann davon ausgegangen werden, daß der Verordnungsgeber hier nicht - wie etwa in den Vorschriften über die Etikettierung - bestimmte Angaben aufgezählt hat, die in jeder Werbung enthalten sein müssen. Während das Etikett eines Tafelweins nach Art. 2 der Verordnung z.B. die Angabe "Tafelwein", das Nennvolumen, Namen und Sitz des Abfüllers oder Versenders und den vorhandenen Alkoholgehalt in Volumenprozenten stets enthalten muß, verstößt eine diese Angaben nicht enthaltende Werbung nur dann gegen Gemeinschaftsrecht, wenn sie zur Irreführung oder Verwechselung geeignet ist. Aus der Sicht des Verbrauchers dienen damit nur die Vorschriften über die Etikettierung seiner besseren Unterrichtung über die angebotenen Weine; hinsichtlich der Werbung wird der Verbraucher nur davor geschützt, daß diese bei ihm keine Irrtümer oder Verwechselungen verursacht.
Für die Entscheidung kommt es somit darauf an, ob die Werbeanzeige der Klägerin geeignet ist, bei den Lesern eine Irreführung über die Qualitätsstufe des Rotweines Bongeronde hervorzurufen. Der Begriff "irreführend" in Art. 43 ist in gleichem Sinne auszulegen wie im deutschen Recht, also wie in § 17 Abs. 1 Nr. 5 LMBG und in § 46 Abs. 1 WeinG (vgl. Zipfel, Lebensmittelrecht, C 403, § 46 Rdnr. 58). Eine Irreführung liegt dann vor, wenn eine Angabe nach Sprachgebrauch, Verkehrsauffassung und Lebenserfahrung zu falschen Vorstellungen über die tatsächlichen Verhältnisse führen kann. Entscheidend ist dabei die Auffassung der beteiligten Verkehrskreise. Gehören die Mitglieder des Gerichts selbst zu dem von der Werbung angesprochenen Personenkreis, so kann es die Verkehrsauffassung aufgrund eigener Sachkunde feststellen (vgl. Zipfel, aaO, § 46 Rdnr. 25 m.w.N.). Deshalb kann hier auf die von der Beklagten angeregte Anhörung eines Vertreters des staatlichen chemischen Untersuchungsamtes Braunschweig als Sachverständigen verzichtet werden. Bei Anlegung der genannten Maßstäbe liegt eine Irreführung über die Qualitätsstufe des angebotenen französischen Rotweins nicht vor, da die Werbung nicht geeignet ist, falsche Vorstellungen über die tatsächliche Qualitätsstufe "Tafelwein" zu erregen. Dem Leser der Werbeanzeige wird vielmehr auffallen, daß er über die Qualitätsstufe des angebotenen Weines im Unklaren gelassen wird, weil die Anzeige hierzu keinerlei Angaben enthält. Wer beim Lesen solch offenkundig unvollständiger Anzeigen die Vorstellung entwickelte, es handele sich etwa um "Qualitätswein b.A.", betriebe bloße Spekulation (insoweit vergleichbar OLG Hamm, Urteil vom 15.3.1988 - 4 U 235/87 -, GRUR 1988, 772). Auch der angegebene Preis rechtfertigt hier nicht - wie die Beklagte meint - den Schluß auf eine gehobene Qualität. Zwar mag es zutreffend sein, daß der Preis von 3,98 DM dem entspricht, der von vielen Filialisten für deutsche Spätlesen verlangt wird. Soweit der Preis überhaupt weinrechtliche Bedeutung haben kann (verneinend offenbar Zipfel, aaO, § 46 Rdnr. 105), erscheint aber jedenfalls bei Preislagen um 4,00 DM ein Rückschluß auf die angebotene Qualitätsstufe in keiner Weise gerechtfertigt. Im übrigen ist zu berücksichtigen und dürfte auch allgemein bekannt sein, daß französischer Wein vielfach ein höheres Preisniveau aufweist als etwa viele Weine italienischer und auch deutscher Herkunft.
Aus der Verordnung zur Regelung der Preisangaben vom 14.3.1985 (BGBl. I, S. 580) - PAngV - ergibt sich ebenfalls keine Berechtigung der Beklagten, die Werbung der Klägerin für den Wein der Marke Bongeronde zu beanstanden. Zwar finden nach Auffassung der Kammer die Vorschriften der Preisangabenverordnung auch auf die Werbung von Wein grundsätzlich Anwendung. Denn wegen der unterschiedlichen Regelungsgehalte kann Art. 43 der Verordnung (EWG) Nr. 355/79 insoweit nicht als abschließende Spezialregelung angesehen werden. Die Preisangabenverordnung regelt die Art und Weise, in der bei der Werbung unter Angabe von Preisen die Preise angegeben werden müssen, und verfolgt damit das Ziel, die Position des Verbrauchers durch Gewährleistung eines Preisvergleichs zu stärken. Über Preisangaben enthält die Verordnung Nr. 355/79 jedoch gerade keine Regelungen. Die Werbung der Klägerin für den Wein Bongeronde ohne die Angabe "Tafelwein" verstößt jedoch nicht gegen § 1 Abs. 1 Satz 1 PAngV. Nach dieser Vorschrift muß bei der Werbung unter Angabe von Preisen u.a. die "Gütebezeichnung" (nur) angegeben werden, "soweit es der allgemeinen Verkehrsauffassung entspricht". Diese Einschränkung hinsichtlich des Bestehens einer allgemeinen Verkehrsauffassung zeigt, daß es nicht das Ziel des § 1 PAngV ist, eine unbeschränkte Vollständigkeitspflicht für die Werbung zu normieren. Nur dort, wo ohnehin schon eine allgemeine Verkehrsauffassung besteht, wonach Gütebezeichnungen angegeben werden sollen, müssen die Bezugseinheiten von allen Wettbewerbern einheitlich verwendet werden (OLG Hamm, Urteil vom 15.3.1988, GRUR 1988, S. 772). Eine allgemeine Verkehrsauffassung des Inhalts, daß bei der Werbung für Wein die angebotene Qualitätsstufe angegeben werden soll, kann jedoch nicht festgestellt werden. Gegen die Annahme einer entsprechenden allgemeinen Verkehrsauffassung spricht entscheidend die zu beobachtende Praxis der Zeitungswerbung. Bei einer notwendig nicht vollständigen und auf den Braunschweiger Raum begrenzten Durchsicht von Zeitungsanzeigen läßt sich feststellen, daß in zahlreichen Anzeigen unterschiedlicher Anbieter die Qualitätsstufe der Weine nicht angegeben wurde. Dies gilt vor allem für die Werbung mit Weinen niedrigerer Qualität, während auf gehobene Qualitäten häufiger - jedoch auch nicht ausnahmslos und erst recht nicht in der durch EG-Vorschriften für die Etikettierung vorgeschriebenen Art und Weise - hingewiesen wird. Zwar kann der Begriff der allgemeinen Verkehrsauffassung nicht mit dem der Handelsüblichkeit gleichgesetzt werden. Jedoch ist andererseits die Handelsüblichkeit nicht ohne Einfluß auf die Bildung einer allgemeinen Verkehrsauffassung (vgl. Gelberg, Kommentar zu Preisangabenverordnung (a.F.), 1. Aufl. 1975, § 1 Anm. 9.1.1.). Es erscheint jedenfalls ausgeschlossen, daß sich eine der vielfach anzutreffenden Werbepraxis entgegenstehende allgemeine Verkehrsauffassung bilden konnte. Schließlich hat auch die Beklagte nichts dafür vorgetragen, daß nach allgemeiner Verkehrsauffassung bei der Werbung mit Wein die Qualitätsstufe anzugeben ist. Es kann dahinstehen, ob andernorts - etwa in den Weinanbaugebieten Süddeutschlands - eine solche allgemeine Verkehrsauffassung besteht. Die allgemeine Verkehrsauffassung kann regional unterschiedlich sein (Gimbel/Boest. Die neue Preisangabenverordnung, 1985, § 1 Anm. 16). Da es jedenfalls im Zuständigkeitsbereich der Beklagten an einer allgemeinen Verkehrsauffassung fehlt, die die Angabe der Qualitätsstufen für Wein in der Werbung erfordert, verstieß die Werbung der Klägerin hier nicht gegen die Preisangabenverordnung.
Die Beklagte darf auch die Werbung für den aus Rumänien stammenden Wein "Mädchentraube" ohne die Angabe des Herkunftslandes nicht beanstanden. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist diese Werbung ebenfalls nicht im Sinne des Art. 43 der Verordnung (EWG) Nr. 355/79) zur Irreführung geeignet. Auch hier handelt es sich um eine offenkundig unvollständige Werbung, die beim Verbraucher keine falschen Vorstellungen über die Herkunft erzeugen kann. Selbst wenn dem Verbraucher bekannt sein sollte, daß - wie die Beklagte vorträgt - unter dieser Bezeichnung auch Weine aus Ungarn und Bulgarien im Handel sind (wobei für den aus Ungarn stammenden Wein gemäß Anhang IV Nr. VII der Verordnung (EWG) Nr. 997/81 nur das Synonym "Königliche Mädchentraube" ausdrücklich zugelassen ist), so wird er aufgrund der Anzeige in keiner Weise veranlaßt z.B. anzunehmen, daß es sich um einen Wein aus Bulgarien handelt. Allenfalls könnte man daran denken, daß die deutschsprachige Bezeichnung "Mädchentraube" auf einen Wein deutscher Herkunft hindeutet. Doch dürfte ausreichend bekannt sein, daß zahlreiche ausländische Weine mit der deutschen Übersetzung der ausländischen Bezeichnung angeboten werden, was im übrigen durch das Gemeinschaftsrecht ausdrücklich zugelassen wird. So ist die Angabe "Mädchentraube" das ausdrücklich zugelassene Synonym für den Rebsortennamen "Feteasca" für aus Rumänien stammende Weine (vgl. Art. 32 Abs. 1 a der Verordnung Nr. 355/79 i.V.m. Art. 11 Abs. 2 und Anhang IV Nr. X der Verordnung (EWG) Nr. 997/81 vom 26.3.1981, zuletzt geändert durch Verordnung Nr. 1622/88 vom 10.6.1988, ABl. Nr. L 145/23).
Die Beklagte hat als Unterlegene in diesem Verfahren die Kosten gemäß § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11 ZPO.
III.
Gegen dieses Urteil ist die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein in 2120 Lüneburg 1, Uelzener Straße 40, statthaft. Sie ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils bei dem Verwaltungsgericht Braunschweig in 3300 Braunschweig, An der Katharinenkirche 11, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsschrift muß das angefochtene Urteil bezeichnen und einen bestimmten Antrag enthalten. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb dieser Frist beim Oberverwaltungsgericht in Lüneburg eingeht.