Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 05.01.1995, Az.: 22 U 196/93
Haftungsausschluss für leichte Fahrlässigkeit durch Individualabrede (in Abgrenzung zur Verwendung Allgemeiner Geschäftbedingungen) in einem Beratungsvertrag ; Sorgfaltspflichtverletzung eines bautechnischen Gutachters bei fehlendem Hinweis auf Gründungsschwierigkeiten eines Albaus trotz Vorhandenseins deutlicher Setzungsrisse
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 05.01.1995
- Aktenzeichen
- 22 U 196/93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 15933
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1995:0105.22U196.93.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Verden - 29.06.1993 - AZ: 5 O 132/92
Rechtsgrundlage
- § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG
Fundstellen
- BauR 1995, 715-717 (Volltext mit amtl. LS)
- BauR 1995, 435 (amtl. Leitsatz)
- IBR 1995, 167 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
In dem Rechtsstreitvefahren
hat der 22. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 1994
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ... sowie
der Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 29. Juni 1993 verkündete Grundurteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Verden abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 17.000,00 DM abwenden; falls nicht der Beklagte eine Sicherheit in derselben Höhe leistet. Die Parteien können die Sicherheit auch durch selbstschuldnerische, Bürgschaft einer deutschen Großbank, öffentlichen Sparkasse oder Volksbank erbringen.
Tatbestand
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Leistung von Schadensersatz wegen falscher gutachterlicher Beratung in Anspruch.
Im Sommer 1989 erwog der Kläger, den Grundbesitz ... auf dem sich damals ein Geschäftshaus mit Anbau befand, zu erwerben. Das Geschäftshaus selbst bestand aus einem umgebauten Altbau. Dieser enthielt ein Erd- und ein Dachgeschoß. Das Erdgeschoß wurde als Kaufhaus genutzt. An das westliche Ende des Altbaus schloß sich nach Norden ein Flachbau an, der ebenfalls geschäftlich genutzt wurde. Der Kläger hatte vor, im Erdgeschoß des Altbaus eine Apotheke einzurichten und das Dachgeschoß zu Arztpraxen auszubauen. Er wandte sich wegen einer Begutachtung des Objekts an den Beklagten. Dieser übersandte dem Kläger einen als Auftragserteilung und Auftragsbestätigung überschriebenen Vertragsentwurf (Bl. 34). Danach sollte der Beklagte ein Gutachten anfertigen über die "bautechnische Prüfung der vorhandenen Bauten auf dem Grundstück in ..., mit den vorliegenden amtlichen Bauunterlagen, zwecks Voraussetzung für einen Dachgeschoßausbau bzw. Erdgeschoßumbau für eine Apotheke". Außerdem enthielt das Schriftstück den Satz, daß "der Sachverständige nur für grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz hafte". Der Kläger unterschrieb den Vertragsentwurf am 28. Juli 1989 und sandte ihn an den Beklagten zurück.
Der Beklagte erstattete unter dem 15. August 1989 (Bl. 11 ff. d. BA.) ein Gutachten, das zu dem Ergebnis kam, daß nach Durchführung zusätzlicher statischer Maßnahmen (Einziehen weiterer Holzbalken im Dachgeschoß und Ergänzung der Abfangung im Erdgeschoß) gegen den Umbau des Erdgeschosses zu einer Apotheke und den Ausbau des Dachgeschosses zu Arztpraxen in statisch konstruktiver Hinsicht keine Bedenken bestünden. Vorhandene Risse seien zu sanieren.
Daraufhin erwarb der Kläger im Januar 1990 den Grundbesitz für 800.000,00 DM (Bl. 33 ff. d. BA.). In der Baugrundbeurteilung und Gründungsberatung vom 18. Mai 1990 (Bl. 46 ff. d. BA.) kam die ... GmbH zu dem Ergebnis, daß aufgrund von in den Bauteilen vorhandenen Rissen eine nicht ordnungsgemäße Gründung des Gebäudekomplexes zu vermuten sei. Bei einer Lasterhöhung des Anbaus müsse wegen des weichen Baugrundes mit weiteren Setzungen gerechnet werden. Sie empfahl deshalb den Abriß des Altbaus und die Gründung eines Neubaus auf Pfählen. Dementsprechend ließ der Kläger sämtliche Bauten abreißen und einen Neubau errichten.
Der Kläger hat vorgetragen, der Beklagte habe nicht ordnungsgemäß überprüft, ob die vorhandene Bausubstanz die bautechnischen Voraussetzungen für den geplanten Umbau geboten hätten. Er habe nicht die amtlichen Bauakten eingesehen. Aufgrund der am Gebäude vorhanden gewesenen Setzungsrisse hätte der Beklagte vor dem Kauf des Grundstücks eine Untersuchung des Baugrunds und der Gründung des Gebäudekomplexes anregen müssen. Dadurch, daß er - der Kläger - auf die Richtigkeit und Vollständigkeit des Gutachten des Beklagten vertraut habe, sei ihm ein Schaden von 210.000,00 DM entstanden. Diesen Betrag hätte er für die Sanierung der Fundamente aufwenden müssen.
Der Kläger hat die zunächst auf Zahlung von 238.000,00 DM nebst 10 % Zinsen seit dem 6. Februar 1992 gegen den Beklagten gerichtete Klage wegen eines Betrages von 28.000,00 DM nebst Zinsen zurückgenommen. Er hat von dem Beklagten noch Zahlung von 210.000,00 DM nebst 10 % Zinsen seit dem 6. Februar 1992 verlangt.
Dem ist der Beklagte entgegengetreten. Er hat die Auffassung vertreten, seine gutachterlichen Ausführungen seien zutreffend. Zur Einsichtnahme in die Bauakten sei er nicht verpflichtet gewesen. Er habe lediglich die vorliegenden amtlichen Unterlagen zu überprüfen gehabt. Die an der Ostseite des Gebäudekomplexes vorhandenen beiden Risse hätten keinen Anlaß gegeben, an der ordnungsgemäßen Gründung des Altbaus Zweifel zu hegen. Er hat die Schadenshöhe bestritten.
Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme durch das angefochtene Urteil die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Es hat zur Begründung ausgeführt: Der Beklagte habe seine Pflichten grob fahrlässig verletzt. Er habe nicht auf die Gründungsproblematik hingewiesen, obwohl die an der Ostseite des Gebäudes vorhandenen Risse auf eine solche hingedeutet hätten.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten, der sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt.
Er beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
ihm nachzulassen, für den Fall der Vollstreckung zur Abwehr Sicherheit durch Bankbürgschaft zu leisten.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
für den Fall einer Maßnahme nach § 711 ZPO anzuordnen, daß Sicherheit auch eine selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, Volksbank oder öffentlichen Sparkasse sein darf.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist begründet.
Dem Kläger steht ein Schadensersatzanspruch wegen fehlerhafter Beratung durch den Beklagten nicht zu.
1.
Der Kläger ist von dem Beklagten allerdings nicht richtig beraten worden. Nach dem zwischen den Parteien am 28. Juli 1989 geschlossenen Beratungsvertrag (Bl. 34 d. BA.) war der Beklagte zur Erstattung eines Gutachtens verpflichtet. Dieses sollte die bautechnische Überprüfung der auf dem Grundstück ... gelegenen Baulichkeiten auf ihre Übereinstimmung mit den vorliegenden amtlichen Bauunterlagen und ihre Geeignetheit zum Dachgeschoßausbau für Arztpraxen und zum Erdgeschoßumbau für eine Apotheke zum Gegenstand haben. Dem wird das von dem Beklagten am 15. August 1989 erstattete Gutachten (Bl. 11 ff. d. BA.) nicht voll gerecht. Die von dem Beklagten in dem Gutachten vertretene Auffassung, gegen den Ausbau des Dachgeschosses im Altbau zu Arztpraxen und gegen die Nutzung des Erdgeschosses im Altbau als Apotheke bestünden in statisch konstruktiver Hinsicht keine Bedenken (Bl. 19, 20 d. BA.), traf, nicht in jeder Hinsicht zu. Vielmehr bot ein Teil des Altbaus, wie sich später herausgestellt hat, wegen nicht ausreichender Gründung bautechnisch nicht die Voraussetzung für die vom Kläger geplante Nutzungsänderung. Die Gründungsproblematik hätte der Beklagte als beratender Ingenieur erkennen und den Kläger auf sie hinweisen müssen.
Daß hinsichtlich des Altbaus mit einer mangelhaften Gründung zu rechnen war, ergab sich allerdings nicht schon aus der dem Beklagten bei der Erstattung seines Gutachtens vorliegenden statischen Berechnung des Architekten ... vom 22. Februar 1978 (Bl. 138 ff. d. BAen) für den 1979 durchgeführten Umbau des Altbaus. Zwar wird in dieser der Boden als bindig weich mit einer zulässigen Bodenpressung von nur 0,4 kp/cm²angegeben. Der Beklagte brauchte dies jedoch nicht zum Anlaß zu nehmen, auf Gründungsschwierigkeiten des Altbaus hinzuweisen. Im Bereich der südlichen Längswand des Altbaus konnten nach den Ausführungen des Sachverständigen auf S. 16 seines Gutachtens trotz der geringen Tragfähigkeit des Baugrunds keine wesentlichen Setzungsschäden festgestellt werden. Da im Altbaubereich keine Vergrößerung des Gesamtbauvolumens und nur eine geringe Lasterhöhung geplant war, mußte der Beklagte hier nicht damit rechnen, daß der Baugrund nicht auch den Umbau tragen werde.
Dem Beklagten ist ferner nicht zum Vorwurf zu machen, daß er die Bauakten nicht eingesehen hat; denn aus diesen hätte er nicht mehr entnehmen können als aus der vom Bauamt durch den späteren Gerichtssachverständigen Dipl.-Ing. ... geprüften statischen Berechnung vom 22. Februar 1978.
Eine Gründungsproblematik, die der Beklagte hätte erkennen und auf die er den Kläger hätte aufmerksam machen müssen, bestand allein an der östlichen Seite des Altbaus, wie der Sachverständige ebenfalls auf S. 16 seines Gutachtens und bei der Erläuterung desselben (Bl. 122 d.A.) dargelegt hat. An dieser Seite waren deutliche Setzungsrisse vorhanden, die auf die schwierige Gründung in diesem Bereich hindeuteten. Der. Beklagte ist seiner Hinweispflicht nicht dadurch nachgekommen, daß er in seinem Gutachten die Sanierungsbedürftigkeit von Rissen erwähnt hat. Dieser Hinweis machte die Gründungsproblematik in diesem Bereich für den Kläger nicht erkennbar. Er konnte lediglich davon ausgehen, daß mit einem Sanieren der Risse deren Verschließen gemeint war.
2.
Daß der Beklagte in seinem Gutachten die von dem Kläger beabsichtigte Nutzungsänderung des Altbaus bautechnisch für unbedenklich gehalten und nicht auf die in seinem östlichen Bereich gegebenen Gründungsschwierigkeiten hingewiesen hat, ist nur als leicht fahrlässiger Verstoß gegen seine Sorgfaltspflichten zu werten. Die Pflichtverletzung des Beklagten wiegt nicht schwer, weil Gründungsprobleme lediglich an der östlichen Seite des Altbaus zu erkennen waren und das Fehlen von Rissen im übrigen Bereich darauf hindeutete, daß die Gründung die geringe Tragfähigkeit des Baugrundes berücksichtigte.
3.
Auf einen leicht fahrlässigen Verstoß des Beklagten gegen seine Sorgfaltspflichten kann sich der Kläger nicht berufen. Denn der Beklagte hat seine Haftung wegen Fahrlässigkeit in dem Vertrag vom 28. Juli 1989 wirksam ausgeschlossen. Der Ausschluß der Haftung für leichte Fahrlässigkeit im hier gegebenen Privatgutachtervertrag ist zulässig (Jessnitzer/Frieling, Der gerichtliche Sachverständige, 10. Aufl., Rdnr. 32; Döbereiner/v. Keyserlingk, Sachverständigenhaftung, Rdnr. 202).
Der Haftungsausschluß für leichte Fahrlässigkeit verstößt auch nicht gegen § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG. Bei dem Vertrag vom 28. Juli 1989 handelt es sich nicht um einen Formularvertrag, der allgemeinen Geschäftsbedingungen gleichsteht. Er stellt vielmehr eine Individualvereinbarung dar. Das ergibt sich daraus, daß die wesentlichen Vertragsbedingungen wie der Gegenstand des zu erstattenden Gutachtens, die Vergütung des Beklagten und dessen Zeitaufwand für das Gutachten individuell festgelegt sind.
Aber selbst wenn der Vertrag vom 28. Juli 1989 als Formularvertrag anzusehen wäre und damit allgemeinen Geschäftsbedingungen gleichstünde, würde der Haftungsausschluß für leichte Fahrlässigkeit nicht gegen § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG verstoßen. Der Haftungsausschluß für leichte Fahrlässigkeit in allgemeinen Geschäftsbedingungen ist zulässig (Jessnitzer/Frieling, a.a.O.; Döbereiner/v. Keyserlingk a.a.O.; Wessel in Praxis Handbuch Sachverständigenrecht, Rdnr. 25 zu § 39). Ein Fall der ausnahmsweisen Unzulässigkeit des Haftungsausschlusses bei noch nicht grober Fahrlässigkeit wegen Verletzung von "Kardinalpflichten" ist hier nicht gegeben. Der Beklagte hat als beratender Ingenieur, der mit einer eine Kaufentscheidung vorbereitenden, hinsichtlich der Zielsetzung beschränkten Begutachtung beauftragt war, anders als etwa ein Arzt, Rechtsanwalt oder Steuerberater nicht in besonderer Weise das Vertrauen in seine allgemeine Berufstätigkeit für sich in Anspruch genommen.
4.
Die Nebenentscheidungen folgen aus § 91 Abs. 1, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Die Beschwer dieses Urteils beträgt für den Kläger 210.000,00 DM.