Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 15.11.1993, Az.: 3 A 3197/92
Vorliegen eines Dienstunfalles im Beamtenrecht; Äußere Einwirkung bei einem dienstlich veranlassten Sportunfall; Begriff der wesentlich mitwirkenden Bedingung ; Wesentliche Mitursache eines Sportunfalls; Begriff und Zulässigkeit eines Anscheinsbeweises
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 15.11.1993
- Aktenzeichen
- 3 A 3197/92
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1993, 16826
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:1993:1115.3A3197.92.0A
Rechtsgrundlage
- § 31 BeamtVG
Verfahrensgegenstand
Dienstunfall
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Eine äußere Einwirkung liegt nach § 31 BeamtVG selbst bei Fehlen einer Fremdeinwirkung dann vor, wenn bei sportlicher Betätigung, beim Laufen oder sonst einem anstrengenden Bewegungsablauf äußere Kräfte wie die Schwerkraft und der Widerstand des Bodens auf den Körper des Sportlers einwirken.
- 2.
Eine Kausalität liegt bei einer äußeren Einwirkung immer dann vor, wenn eine Bedingung wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat.
- 3.
Der Begriff der wesentlich mitwirkenden Bedingung ist ein Wertbegriff. Die Entscheidung, welche Bedingungen als wesentliche anzusehen und damit Ursachen im Rechtssinne sind, ist daher eine Wertentscheidung, die sich nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Auffassung des täglichen Lebens richten muss.
- 4.
Wesentliche Mitursache kann ein äußeres Ereignis sein, das ein anlagebedingtes Leiden auslöst oder beschleunigt, sofern es nicht im Verhältnis zu der vorhandenen Anlage derart zurücktritt, dass diese allein als maßgebend und richtungsweisend anzusehen ist. Nur untergeordnete Bedeutung kommt einem Ereignis dann zu, wenn die ruhende Krankheitsanlage so leicht ansprechbar war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen nicht mehr besonderer Einwirkungen bedurfte, sondern auch ein anderes, alltäglich vorkommendes Ereignis denselben Erfolg herbeigeführt hätte.
- 5.
Der Anscheinsbeweis kommt bei typischen Geschehensabläufen in Betracht, und zwar in Fällen, in denen ein gewisser Tatbestand nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist und infolgedessen wegen des typischen Charakters des Geschehens die konkreten Umstände des Einzelfalls für die tatsächliche Beurteilung ohne Bedeutung sind. Sind keine Tatsachen erwiesen, welche die Möglichkeit eines von dem typischen Geschehensablauf abweichenden Geschehens dartun, so bedarf es für den Ursachenzusammenhang keines weiteren Beweises.
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Göttingen - 3. Kammer -
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht ...
den Richter am Verwaltungsgericht ...
den Richte ... sowie
die ehrenamtliche Richterin ... und
den ehrenamtlichen Richter ...
auf die mündliche Verhandlung vom 15. November 1993
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 03.10.1988 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.07.1992 verpflichtet, den Unfall des Klägers vom 10.11.1986 (Achillessehnenruptur) als Dienstunfall anzuerkennen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des gegen sie festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer Achillessehnenruptur als Dienstunfall.
Der im Jahre 1948 geborene Kläger steht als ... im ... des Landes ....
Am 10.11.1986 nahm er im Rahmen des Dienstsports an einem Hallenfußballspiel teil. Nach einer Spieldauer von einer Stunde kollidierte er mit einem Mitspieler, stürzte und fiel auf die linke Seite. Nach einer kurzen Unterbrechung nahm er weiter an dem Fußballspiel teil. Nach einiger Zeit verspürte er beim Rückwärtslaufen vor dem Tor einen stechenden Schmerz im linken Fuß und stürzte. Daraufhin wurde er in das Universitätsklinikum ... eingeliefert, wo ein Riß der linken Achillessehne diagnostiziert wurde. Zur Klärung der Fragen, ob die Achillessehnenruptur und eine - hier nicht streitbefangene - Unterschenkeltrombose Folgen des Vorgangs vom 10.11.1986 waren, holte die Beklagte ein Gutachten bei Prof. Dr. ..., Universität ... ein, das dieser am 15.09.1987 erstattete. In dem Gutachten wurde ausgeführt, nach dem ersten Sturz aufgrund der Kollision mit dem anderen Spieler habe der Kläger zunächst keinerlei Fußbeschwerden gehabt. Daher könne es bei diesem ersten Fall nicht zum einem Riß der linken Achillessehne gekommen sein; andernfalls hätte der Kläger keinesfalls nach kurzer Unterbrechung das Fußballspiel wieder aufnehmen können. Den plötzlichen stechenden Schmerz in der linken Achillessehnenregion habe der Kläger beim Abwehrspiel vor dem eigenen Tor verspürt; ein Unfallgeschehen habe zu diesem Zeitpunkt aber nicht vorgelegen. Der Achillessehnenriß sei somit im Rahmen der normalen sportlichen Betätigung bei einer sportüblichen Belastung erfolgt. Es handele sich nicht um einen Dienstunfall, sondern um eine "Gelegenheitsursache" bei offensichtlich vorliegender Minderbelastbarkeit der Achillessehne.
Dem Gutachten folgend lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 03.10.1988 die Anerkennung eines Dienstunfall ab, da der Vorfall vom 10.11.1986 als unwesentlich, nicht als auslösender Faktor angesehen werden müsse und in seiner Bedeutung der "letzte Tropfen" gewesen sei, der "das Maß zum Überlaufen gebracht" habe.
Am 13.10.1988 legte der Kläger hiergegen Widerspruch ein. Zur Begründung vertrat er die Ansicht, der aufgrund des Unfallereignisses vom 10.11.1986 eingetretene Körperschaden habe mit der Dienstausübung im Kausalzusammenhang gestanden; das dienstliche Hallenfußballspiel sei die wesentliche Unfallursache. Die Aussage des Gutachters, es habe sich um eine sportübliche Belastung gehandelt, und der Körperschaden sei durch eine offensichtlich vorliegende Minderbelastbarkeit der Achillessehne eingetreten, sei pauschal und nichtssagend.
Ferner rügte der Kläger, das Gutachten berücksichtige nicht, daß er bereits in den Jahren 1976 und 1977 im Dienst Verletzungen des linken Sprunggelenks erlitten habe, die für eine etwaige Schädigung der Achillessehne ursächlich gewesen seien könnten. Im übrigen könne eine Vorschädigung der Achillessehne durch seine früher ausgeübte dienstliche Tätigkeit im Verkehrsunfalldienst hervorgerufen worden sein.
In einem ergänzend eingeholten Gutachten vom 25.04.1990 führte Prof. Dr. ... aus, der Kläger habe sich bei der Befragung aus Anlaß dieser Begutachtung dahingehend geäußert, er - der Gutachter - sei im Ton laut geworden und habe ihn - den Kläger - bei der früheren Befragung eingeschüchtert und verunsichert. Prof. Dr. ... wies diese Vorwürfe zurück und erklärte sich für befangen.
Desweiteren erstattete Dr. ... Orthopädische Klinik der Medizinischen Hochschule ... im Auftrag der Beklagten am 21.02.1991 ein fachorthopädisches Gutachten. Dieses gelangte zu dem Ergebnis, die Vorkommnisse aus den Jahren 1976 und 1977 stünden nicht im ursächlichen Zusammenhang mit der Achillessehnenruptur im Sinne einer Vorschädigung. Nach Ausheilung dieser Verletzungen sei es nicht zu Beschwerden gekommen, die im Sinne einer Brückensymptomatik zum erneuten Unfall vom 10.11.1986 zu bewerten seien.
Auf weitere Antrage der Beklagten gab Prof. Dr. ... am 15.06.1992 erneut eine fachorthopädische Stellungnahme ab. Hierin führte er aus, der Umstand, daß der Kläger beim Dienstsport rückwärts gelaufen sei, einen plötzlichen stechenden Schmerz verspürt habe und gestürzt sei, sei nach den ihm bekannten Befunden und dem Verlauf nicht geeignet gewesen, an einer gesunden oder altersgemäß veränderten Achillessehne einen Riß setzen. Das Ereignis vom 10.11.1986 sei somit als Bagatelltrauma anzusehen, das nicht geeignet gewesen sei, den Achillessehnenriß zu verursachen, es sei nicht die wesentliche Ursache oder Mitursache für den Achillessehnenriß gewesen. Die Vorschädigung des Klägers müsse derart gravierend gewesen sein, daß dem Ereignis vom 10.11.1986 nur eine Wirkung zukomme, wie "ein letzter Tropfen, der ein Faß zum Überlaufen bringe".
Durch Widerspruchsbescheid vom 10.07.1992, zugestellt am 16.07.1992, wies die Beklagte unter Bezugnahme auf die ergänzenden Ausführungen des Gutachters Prof. Dr. ... den Widerspruch zurück.
Am 13.08.1992 hat der Kläger Klage erhoben.
Er wiederholt und vertieft sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Ergänzend führt er aus, die Beklagte habe grundsätzlich das Risiko der Verletzung beim Dienstsport zu tragen; Beweisschwierigkeiten bezüglich der Dienstunfälle der Jahre 1976 und 1977 habe die Beklagte zu vertreten. Ferner beruhe die Beurteilung des Vorfalls durch Prof. Dr. ... auf der unzutreffenden Annahme, er, der Kläger, habe nach dem ersten Sturz noch eine längere Zeit weitergespielt. Der Gutachter gehe deshalb fälschlich davon aus, der erste Sturz, der durch einen Tritt in die Fersengegend veranlaßt gewesen sei, habe für den Sehnenriß in keiner Weise ursächlich sein können.
Entgegen der Fürsorgepflicht habe ihn sein Dienstherr nicht angemessen über das Dienstunfallrecht informiert; der Fall sei durch die Dienstvorgesetzten nicht unverzüglich und sorgfältig bearbeitet worden. Letztendlich vertritt der Kläger die Auffassung, die Beklagte hätte die ergänzenden Stellungnahmen von Prof. Dr. ... nicht verwenden dürfen, weil dieser sich zuvor selbst als befangen abgelehnt habe.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 03.10.1988 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.07.1992 zu verpflichten, seinen Unfall vom 10.11.1986 (Achillessehnenruptur) als Dienstunfall anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Unter Wiederholung und Vertiefung der Gründe des Widerspruchsbescheides trägt sie ergänzend vor, an der Objektivität der gutachterlichen Stellungnahmen des Prof. Dr. ... bestünden keine Zweifel.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die von Kammer beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Rechtsgrundlage des klägerischen Anspruchs ist § 31 Beamtenversorgungsgesetz (im folgenden: BeamtVG), der seinem Wortlaut nach zwar nur eine Legaldefinition des Dienstunfalls enthält, aber nach übereinstimmender Auffassung der Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.06.1988 - 2 C 3,88 -, Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 7) zugleich auch die Anspruchsgrundlage für die Verpflichtung des Dienstherrn, ein schädigendes Ereignis als Dienstunfall anzuerkennen, bildet.
Ein Dienstunfall ist nach dieser Vorschrift ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist. Zum Dienst gehört nach § 31 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BeamtVG auch die Teilnahme an dienstlichen Veranstaltungen.
Der Kläger hat hiernach gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Anerkennung der beim dienstlich angeordneten und beaufsichtigten Dienstsport am 10.11.1986 erlittenen Achillessehnenruptur am linken Fuß als Dienstunfall.
Die Verletzung trat im Zusammenhang mit einem Laufvorgang beim Hallenfußballspiel auf. Dies ergibt sich unstreitig aus der Schilderung des Unfallgeschehens durch den Kläger, demzufolge er plötzlich einen stechenden Schmerz im linken Fuß verspürte. Dies geschah nach einem Rückwärtslaufen vor dem Tor, also unmittelbar nach einem für das Hallenfußballspiel typischen Bewegungsablauf.
Dieser Vorfall, der ohne Fremdeinwirkung stattgefunden hatte, stellt ein Unfallereignis im Sinne des § 31 BeamtVG dar. Denn eine "äußere Einwirkung" liegt nach dieser Vorschrift selbst bei Fehlen einer Fremdeinwirkung dann vor, wenn bei sportlicher Betätigung, beim Laufen oder sonst einem anstrengenden Bewegungsablauf äußere Kräfte wie die Schwerkraft und der Widerstand des Bodens auf den Körper des Sportlers einwirken (VGH Mannheim, Urteil vom 30.01.1991 - 4 S 2438/90 -, ZBR 1991, S. 277 f.).
Die Kammer ist unter Berücksichtigung des Beweises des ersten Anscheins davon überzeugt, daß der Abriß der Achillessehne durch diesen Bewegungsablauf rechtlich wesentlich mitverursacht wurde.
Ob ein Kausalzusammenhang im dienstunfallrechtlichen Sinne besteht, beurteilt sich nach der Kausalitätsnorm der wesentlich mitwirkenden Bedingung. Dies bedeutet, daß eine Kausalität immer dann vorliegt, wenn eine Bedingung wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat ((BVerwGE 26, 332 <337>[BVerwG 20.04.1967 - II C 118/64]); OVG Lüneburg, Urteile vom 22.01.1991 - 5 OVG A 136/88 - und vom 11.08.1992 - 5 L 2408/91 -). Der Begriff der wesentlich mitwirkenden Bedingung ist ein Wertbegriff. Die Entscheidung, welche Bedingungen als wesentliche anzusehen und damit Ursachen im Rechtssinne sind, ist daher eine Wertentscheidung, die sich nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Auffassung des täglichen Lebens richten muß. Die - rechtlich ausreichende (vgl. Fleig in ZBR 1993, 142/146) - Mitursächlichkeit (im natürlich-logischen Sinne) des Rückwärtslaufens des Klägers beim Hallenfußballspiel für die erlittene Verletzung ist zur Überzeugung des Gerichts nicht zweifelhaft. Sie ist von der Beklagten zudem nicht bestritten worden; auch die von ihr eingeholten Gutachten stellen sie nicht nachvollziehbar in Frage.
Entgegen der Auffassung der Beklagten stellte der sportliche Bewegungsvorgang, der dem Abriß der Achillessehne vorausging, keine sog. Gelegenheitsursache dar, die gegenüber einer maßgeblichen degenerativen Vorschädigung der Sehne des Klägers als Bedingung für den Erfolgseintritt weit in den Hintergrund trat. Denn "wesentliche Mitursache" kann auch ein äußeres Ereignis sein, das ein anlagebedingtes Leiden auslöst oder beschleunigt, sofern es nicht im Verhältnis zu der vorhandenen Anlage derart zurücktritt, daß diese allein als maßgebend und richtungsweisend anzusehen ist. Nur untergeordnete Bedeutung kommt einem Ereignis dann zu, wenn die ruhende Krankheitsanlage so leicht ansprechbar war, daß es zur Auslösung akuter Erscheinungen nicht mehr besonderer Einwirkungen bedurfte, sondern auch ein anderes, alltäglich vorkommendes Ereignis denselben Erfolg herbeigeführt hätte (BVerwG, Urteil vom 30.06.1988 - 2 C 77.86 -, Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 6, S. 2/3 f.). Eine solche sog. Gelegenheitsursache ist dann anzunehmen, wenn das Ereignis "der letzte Tropfen war, der das Maß zum Überlaufen brachte" bei einer ruhenden Krankheitsanlage, die sich, weil ihre Zeit gekommen war, ohnehin zur selben Zeit manifestiert hätte (vgl. BVerwGE 26, 332/337 f.; OVG Lüneburg, a.a.O.).
Die Anerkennung des Vorfalls als Dienstunfall ist danach nicht ausgeschlossen, wenn außer dem Unfallereignis beim Dienstsport auch eine degenerative Vorschädigung der Achillessehne mitursächlich für den vom Kläger erlittenen Sehenriß war, sofern diese Vorschädigung nicht über einen gewöhnlichen altersbedingten Verschleiß hinausging.
Wenn sich die anspruchsbegründenden Voraussetzungen - hierzu zählt auch die Mitursächlichkeit - nicht klären lassen, trägt der Beamte die materielle Beweislast. Allerdings führt der im Dienstunfallrecht anwendbare Beweis des ersten Anscheins zu Beweiserleichterungen für den Beamten. Der Anscheinsbeweis kommt bei typischen Geschehensabläufen in Betracht, und zwar in Fällen, in denen ein gewisser Tatbestand nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist und infolgedessen wegen des typischen Charakters des Geschehens die konkreten Umstände des Einzelfalls für die tatsächliche Beurteilung ohne Bedeutung sind. Sind keine Tatsachen erwiesen, welche die Möglichkeit eines von dem typischen Geschehensablauf abweichenden Geschehens dartun, so bedarf es für den Ursachenzusammenhang keines weiteren Beweises (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.10.1981 - 2 C 17.81 - Buchholz 232 § 46 BBG Nr. 3).
Nach dem Beweis des ersten Anscheins ist vorliegend der dienstsportliche Laufvorgang des Klägers am 10.11.1986 neben der - bisher ruhenden - Krankheitsanlage als eine annähernd gleichwertige Mitbedingung für die eingetretene Achillessehnenruptur anzusehen.
Der Kammer liegen keinerlei Erkenntnisse über das mögliche Ausmaß einer degenerativen Vorschädigung der Achillessehne des Klägers zum Zeitpunkt des Verletzungseintritts vor. Um insoweit zu zuverlässigen Ergebnissen zu kommen, wäre die Entnahme von Sehnenmaterial bei der Operation zwecks histologischer Untersuchung geboten gewesen. Dies ist jedoch - unstreitig - unterblieben. Die Entnahme einer Gewebeprobe zum jetzigen Zeitpunkt könnte zur Klärung nicht beitragen, weil seit dem Unfall fast sieben Jahre verstrichen sind und sich das Gewebe in dieser Zeit verändert haben kann. Im übrigen würde die Entnahme einer Gewebeprobe die Achillessehne des Klägers erneut beschädigen. Dies wäre dem Kläger nicht zuzumuten; es wäre auch nicht im Interesse des Dienstherrn. Auch sonst sind bei Berücksichtigung der diversen gutachterlichen Stellungnahmen keine Anzeichen für nach Art oder Ausmaß besonders ausgeprägte degenerative Veränderungen vorhanden. Zu einer Erkrankung der Achillessehne war es vor dem streitbefangenen Vorfall nicht gekommen. Der Gutachter Dr. ... hat zweifelsfrei und nachvollziehbar dargelegt, daß die Vorkommnisse in den Jahren 1976 und 1977 nicht im Sinne einer Brückensymptomatik zum Vorfall vom 10.11.1986 zu bewerten seien.
Degenerative Verschleißerscheinungen der Achillessehnen treten - so der VGH Mannheim (a.a.O.) - häufig bereits nach dem 25. Lebensjahr, nach den Erkenntnissen des OVG Lüneburg (Urteil vom 11.08.1992 - 5 L 2408/91 -) im vierten Lebensjahrzehnt auf. Die Kammer schließt sich diesen Erfahrungssätzen an und geht daher davon aus, daß die linke Achillessehne des im Zeitpunkt des Unfalls knapp ... jährigen Klägers - nur - altersentsprechend degenerativ vorgeschädigt war.
Antrittsbewegungen, die typischerweise beim Hallenfußballspiel ausgeführt werden - so auch das Rückwärtslaufen -, setzen die Achillessehne einer körperlichen Belastung aus, die bei einer normalen, altersentsprechenden Vorschädigung zumindest als annähernd gleichwertige Mitursache im Rechtssinn anzusehen ist. Insoweit folgt die Kammer der Auffassung des VGH Mannheim (a.a.O.); dieser hat zutreffend darauf hingewiesen, daß ein Laufvorgang beim Hallenfußballspiel in seiner Dynamik nicht mit alltäglichen Körperbewegungen gleichgesetzt werden kann. Ein derartiger Laufvorgang übersteigt alltägliche Bewegungen in bezug auf den Grad der Beanspruchung des Muskel-Sehnen-Systems erheblich, was insbesondere auch für die mechanische Zugbelastung der Achillessehnen gilt; dies ist angesichts der beim Fußballspielen in der Halle typischen Bewegungsabläufe ohne weitere Sachaufklärung nachvollziehbar (in diesem Sinne auch Fleig, a.a.O.).
Im vorliegenden Fall wird diese Feststellung auch nicht durch die gutachterlichen Stellungnahmen von Prof. DM ... entkräftet.
Dies folgt allerdings nicht bereits daraus, daß die Gutachten von Prof. Dr. ... wegen Befangenheit nicht verwertbar wären. Der Umstand, daß sich ein Sachverständiger gegen Angriffe entschieden zur Wehr setzt, begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit des Gutachters; andernfalls könnte jeder Sachverständige von einer Partei nach Belieben diskreditiert und sodann erfolgreich abgelehnt werden, wenn er diese Angriffe nicht tatenlos hinnimmt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluß vom 13.03.1975, DB 1975, S. 627 f.). Daß Prof. Dr. ... sich hier selbst für befangen erklärt, begründet ebenfalls nicht die Besorgnis der Befangenheit, denn objektive Gründe hierfür - vom Standpunkt der betroffenen Partei aus (vgl. Kopp, VwVfG - Kommentar, 5. Aufl., § 21 Rn. 6 i.V.m. § 26 Rn. 26) - vermag die Kammer nicht zu erkennen.
Prof. Dr. ... hat den hier in Frage stehenden Laufvorgang nicht ausdrücklich mit alltäglichen Bewegungen gleichgesetzt, sondern er hat ihn als "sportüblich" bezeichnet. Soweit sich dieser Gutachter dahingehend geäußert hat, der Bewegungsablauf unmittelbar vor dem Unfall sei nicht geeignet gewesen, an einer gesunden oder altersgemäß veränderten Achillessehne einen Riß zu setzen, vermag die Kammer diese Beurteilung in keiner Weise nachzuvollziehen. Es fehlt hierfür jeglicher medizinischer Beleg, denn der Gutachter hat sich diesbezüglich - was zwingend geboten gewesen wäre - weder auf Referenzfälle noch auf wissenschaftliche Veröffentlichungen gestützt.
Bei den diesbezüglichen Äußerungen des Gutachters handelt es sich in der Sache nicht um ausschließlich medizinische Beurteilungen. Sie beziehen nämlich eine rechtliche Bewertung des haftungsausfüllenden Kausalitätszusammenhangs zwischen dem schädigenden Vorgang und dem Primärschaden in das gefundene Ergebnis mit ein. Dieses beruht ersichtlich auf der - rechtlich nicht zutreffenden - Annahme, daß das Reißen einer degenerativ vorgeschädigten Achillessehne nur bei Vorfällen dienstunfallrechtlich erheblich sei, die auch eine völlig intakte Sehne zum Reißen gebracht hätten bzw. zum Reißen hätten bringen können.
Die Kammer hält eine weitere Sachaufklärung durch Einholung eines weiteren Gutachtens nicht für geboten; es liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, daß hierdurch eine weitergehende Aufklärung ermöglicht würde. Die Kammer geht vielmehr davon aus, daß ein wissenschaftlich gesicherter medizinischer Erfahrungssatz, wonach bei Achillessehnenrissen anläßlich von Laufvorgängen beim Ballspiel gleichsam denknotwendig eine über altersbedingten Verschleiß hinausgehende Vorschädigung vorliegen muß, hier nicht in Betracht kommt.
Bei der gebotenen wertenden Beurteilung der gesamten Umstände des vorliegenden Einzelfalls kann nicht festgestellt werden, dem Unfallereignis komme gegenüber der altersbedingten degenerativen Vorschädigung der Achillessehne des Klägers eine derart untergeordnete Bedeutung für den Abriß zu, daß die Vorschädigung dienstunfallrechtlich allein als Ursache anzusehen wäre.
Nach alledem ist - entgegen der Annahme der Beklagten - von der (Mit-)Ursächlichkeit des Laufvorganges am 10.11.1986 für die Verletzung des Klägers im Sinne des § 31 Abs. 1 BeamtVG auszugehen.
Dem widersprechen auch nicht die Erkenntnisse des OVG Lüneburg im Urteil vom 11.08.1992 - 5 L 2408/91 -. Das OVG Lüneburg hat seine Abweichung von der Auffassung des VGH Mannheim damit begründet, daß im Unterschied zu dem dort entschiedenen Fall eine feingewerbliche Untersuchung vorgelegen habe, die eine in außergewöhnlichem Maße degenerativ veränderte Sehne nachgewiesen hätte. Im vorliegenden Fall kann aber - wie dargelegt - gerade nicht von einer außergewöhnlichen Vorschädigung ausgegangen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.