Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 14.08.2018, Az.: 1 B 27/18
Alleinerziehende; Kind (behindert); Nepal
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 14.08.2018
- Aktenzeichen
- 1 B 27/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 73965
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 60 Abs 5 AufenthG
- Art 3 MRK
Gründe
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig und begründet.
Bei sachgerechter Auslegung des von den Antragstellern gestellten Antrags (§§ 122 Abs. 1, 88 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) begehren sie, die aufschiebende Wirkung ihrer gegen die mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) verfügte Abschiebungsandrohung (Ziffer 3 des Bescheids) erhobene Klage anzuordnen (§ 36 Abs. 3 Satz 1 Asylgesetz - AsylG -).
Der so verstandene Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist nach §§ 71a Abs. 4, 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG statthaft, da das Bundesamt bei seiner Entscheidung annahm, dass es sich bei dem von den Antragstellern im Bundesgebiet gestellten Asylantrag um einen Zweitantrag im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylG handelte und Gründe für ein Wiederaufgreifen des Asyl(erst)verfahrens nicht vorlägen. Auf dieser Grundlage erließ das Bundesamt eine Abschiebungsandrohung nach § 71a Abs. 4 in Verbindung mit §§ 34, 36 Abs. 1 AsylG mit einer Ausreisefrist von einer Woche. Auch sind die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen gegeben. So ist der Antrag gegen den am 17. April 2018 zugestellten Bescheid des Bundesamts (Bl. 384 der Beiakte 2) am 23. April 2018 bei Gericht eingegangen und damit fristgerecht gestellt (§ 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG).
Dieser Antrag ist auch begründet. Denn an der Rechtmäßigkeit der verfügten Abschiebungsandrohung bestehen ernstliche Zweifel.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO in Verbindung mit §§ 71a Abs. 4, 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen nur dann vor, wenn "erhebliche Gründe" dafür sprechen, dass die angefochtene Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.5.1996 - 2 BvR 1516/93 -, NVwZ 1996, 678, 680).
1.
Hinsichtlich der Antragsteller zu 2.) und 3.) bestehen nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ernstliche Zweifel daran, dass deren Asylanträge unter Verweis auf § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abgelehnt wurden, mit der Folge, dass das Bundesamt nach §§ 71a Abs. 4, 34, 36 Abs. 1 AsylG eine Abschiebungsandrohung unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche erließ.
Nach dem bisherigen Vorbringen und den von der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragsteller zu 2.) und 3.) beim Bundesamt einen Zweitantrag im Sinne des § 71a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestellt haben. Denn nach dieser Vorschrift liegt ein solcher Antrag nur dann vor, wenn der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt. Ein „erfolgloser Abschluss“ des in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist. Eine Einstellung ist nicht in diesem Sinne endgültig, wenn das (Erst-)Verfahren noch wiedereröffnet werden kann, wobei eine solche Wiedereröffnung oder Wiederaufnahme nach der Rechtslage des Staates zu beurteilen ist, in dem das Asylverfahren durchgeführt worden ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 - BVerwG 1 C 4.16 -, juris Rn. 29; Urt. v. 21.11.2017 - BVerwG 1 C 39.16 -, juris Rn.44).
Die diesbezügliche Aufklärung des Sachverhalts obliegt zunächst dem Bundesamt. Es muss zu der gesicherten Erkenntnis gelangen, dass das Asylerstverfahren im Drittstaat mit einer für den Asylbewerber bindenden Entscheidung endgültig abgeschlossen wurde. Dabei werden nicht nur Entscheidungen umfasst, die nach einer Sachprüfung ein Schutzgesuch als inhaltlich unbegründet zurückgewiesen hat (vgl. Berlit, Anm. zu BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Abschnitt C letzter Absatz). Die hierfür erforderlichen Informationen kann das Bundesamt auf Grundlage des Art. 34 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 2 Buchst. g der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist - ABl. L 180 S. 31 - (Dublin-III-Verordnung) vom anderen Mitgliedstaat erlangen. Hiernach hat jeder Mitgliedstaat jedem Mitgliedstaat, der dies beantragt, personenbezogene Daten über den Antragsteller zu übermitteln, die sachdienlich und relevant sind und nicht über das erforderliche Maß hinausgehen, die für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz notwendig sind; zu diesen Daten zählen u.a. das Datum jeder früheren Antragstellung auf internationalen Schutz, das Datum der jetzigen Antragstellung, der Stand des Verfahrens und „der Tenor der gegebenenfalls getroffenen Entscheidung“.
Nach Maßgabe dessen ergibt sich nach den von der Antragsgegnerin ermittelten Informationen, dass zwar das von Antragstellerin zu 1.) in Belgien betriebene Asylerstverfahren abgeschlossen wurde. Hinsichtlich der Antragsteller zu 2.) und 3.) kann hiervon aber nicht ausgegangen werden. Der auf die Anfrage des Bundesamts erteilten Antwort der belgischen Stelle (ibz - Federal Public Service Home Affairs - Immigration Office - Asylum Department - Dublin Unit) vom 14. Dezember 2017 (Bl. 321 der Beiakte 2) ist zu entnehmen, dass die Antragstellerin zu 1.) mit ihrem Ehemann (der Vater der Antragsteller zu 2.) und 3.)) am 19. Juli 2012 in Belgien einen Asylantrag gestellt hatten. Hiernach wurde den Antragstellern mitgeteilt, dass Großbritannien der für das Verfahren zuständige Mitgliedstaat sei. Da eine Überstellung nicht erfolgt sei, hätte sie („she“) - mithin die Antragstellerin zu 1.) - am 28. November 2013 einen neuen Asylantrag gestellt. Ihr gegenüber sei der Asylantrag unter dem 7. April 2014 abgelehnt worden („She was refused ...“). Der dagegen eingelegte Rechtsbehelf sei unter dem 22. Juli 2014 abgelehnt worden. Die Mitteilung der belgischen Stelle bezieht sich nach ihrem Wortlaut („she“) allein auf die Antragstellerin zu 1.). Zwar werden die Antragsteller zu 2.) und 3.) im Betreff des Schreibens mit aufgeführt, jedoch lässt sich den nachfolgenden Ausführungen nicht entnehmen, dass auch für sie ein Verfahren auf Gewährung internationalen oder subsidiären Schutzes in Belgien durchgeführt und endgültig abgeschlossen wurde. Gegen diese Annahme spricht, dass die Antragstellerin zu 3.) erst am 22. Juni 2014 geboren wurde, mithin nach der Ablehnung des Asylantrags vom 7. April 2014.
2.
Hinsichtlich der Antragstellerin zu 1.) legte das Bundesamt zwar zu Recht seiner Entscheidung zugrunde, dass deren Asylverfahren in Belgien durch eine für sie bindende Entscheidung endgültig abgeschlossen wurde und aus diesem Grunde der zuletzt gestellte Asylantrag als Zweitantrag im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylG zu qualifizieren ist. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen. Dem ist die Antragstellerin im gerichtlichen Verfahren auch nicht entgegengetreten. Aus den im angefochtenen Bescheid angeführten Gründen, denen der Einzelrichter folgt und deshalb auf sie verweist (§ 77 Abs. 2 AsylG), liegen die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71a Abs. 1 AsylG, § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vor.
Allerdings bestehen nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung, soweit das Bundesamt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 AsylG mit dem angefochtenen Bescheid verneinte. Gemäß § 71a Abs. 4 in Verbindung mit § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG kann das Bundesamt eine Abschiebungsandrohung nur erlassen, wenn die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Absatz 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes ausnahmsweise zulässig ist.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Unter dem Begriff der unmenschlichen Behandlung ist die vorsätzliche und beständige Verursachung körperlicher Verletzungen oder physischen oder psychischen Leids zu verstehen, während bei einer erniedrigenden Behandlung nicht die Zufügung von Schmerzen, sondern die Demütigung im Vordergrund steht. Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können eine Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen. Dieses ist immer dann anzunehmen, wenn diese Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger, nicht staatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will. Aber auch dann, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil es an einem verantwortlichen Akteur fehlt, können schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet dennoch als Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK zu qualifizieren sein, wenn ganz außerordentliche individuelle Umstände hinzutreten. Es sind also im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK nicht nur Gefahren für Leib und Leben berücksichtigungsfähig, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohen, sondern auch „nichtstaatliche“ Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen, wobei dies aber nur in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen in Betracht kommt. (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 11.4.2018 - A 11 S 924/17 -, juris Rn. 117 ff. mit weiteren Nachweisen; BVerwG, Urt. v. 13.6.2013 - 10 C 13.12 -, NVwZ 2013, 1167, Rn. 24 f.). Wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Urteil vom 13. Dezember 2016 - 41738/10 - (Paposhvili ./. Belgien - NVwZ 2017, 1187 Rn. 187 und 189) ausdrücklich und wiederholt auf die allgemeinen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung hinweist, auf deren Hintergrund die besondere Lage des Betroffenen zu beurteilen ist, wird hinreichend deutlich, dass außergewöhnliche individuelle Umstände oder Merkmale auch solche sein können, die eine Person mit anderen Personen teilt, die Träger des gleichen Merkmals sind oder sich in einer im Wesentlichen vergleichbaren Lage befinden. Auch in einem solchen Fall kann ausnahmsweise ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu bejahen sein, wenn die Abschiebung zu einer ernsthaften, schnellen und irreversiblen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Betroffenen führen würde, die ein schweres Leiden oder eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zur Folge hätte (VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 11.4.2018, a.a.O. Rn. 127 m.w.N.). Bei entsprechenden Rahmenbedingungen können schlechte humanitäre Verhältnisse eine Gefahrenlage begründen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK führt. Hierbei sind indes eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, darunter etwa der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung sowie die Chance, eine adäquate Unterkunft zu finden, der Zugang zu sanitären Einrichtungen und nicht zuletzt die finanziellen Mittel zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse, auch unter Berücksichtigung von Rückkehrhilfen.
Da sich die von der Antragstellerin zu 1.) geltend gemachten unzureichenden humanitären Verhältnisse in Nepal keinem Akteur zuordnen lassen, sondern auf verschiedene Faktoren beruhen, darunter die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum, Gesundheitsversorgung, Umweltbedingungen im Allgemeinen und für alleinstehende Frauen mit Kindern im Besonderen, sind die hohen Anforderungen der letztgenannten Fallgestaltung maßgeblich. Es lässt sich den vorhandenen Erkenntnismitteln nicht entnehmen, dass der nepalesische Staat oder ein sonstiger (etwa nichtstaatlicher) Akteur die maßgebliche Verantwortung hierfür trügen, insbesondere, dass etwa die notwendige medizinische oder humanitäre Versorgung gezielt vorenthalten würde.
Sowohl die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch die des Bundesverwaltungsgerichts machen deutlich, dass ein sehr hohes Schädigungsniveau erforderlich ist, da nur dann ein außergewöhnlicher Fall vorliegt, in dem die humanitären Gründe entsprechend den Anforderungen des Art. 3 EMRK „zwingend“ sind (vgl. EGMR, Urt. v. 28.6.2011 - 8319/07 und 11449/07 (Sufi und Elmi ./. Vereinigtes Königreich) -, NVwZ 2012, 681 Rn. 278, 282 f.; BVerwG, Urt. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167).
Auch im Rahmen des Art. 3 EMRK ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine tatsächliche Gefahr („real risk“) erforderlich, mithin muss eine ausreichende reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen, denen eine hinreichende Tatsachengrundlage fehlt, gegründete Gefahr („a sufficiently real risk“) bestehen. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung muss danach aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und darf nicht hypothetisch sein (EGMR, Urt. v. 28.6.2011 - 8319/07 und 11449/07 (Sufi und Elmi ./. Vereinigtes Königreich) -, NVwZ 2012, 681; vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 11.4.2018, a.a.O., Rn. 141 f. m.w.N. der Rechtsprechung EGMR). Um eine tatsächliche Gefahr und eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verletzung in den von Art. 3 EMRK geschützten Rechten annehmen zu können, bedarf es keiner überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Erforderlich aber auch ausreichend ist danach die tatsächliche Gefahr der Folter oder unmenschlichen Behandlung, was dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht. Dies bedeutet auch, dass ein gewisser Grad an Mutmaßung dem präventiven Schutzzweck des Art. 3 EMRK immanent sein muss und es hier daher nicht um den eindeutigen, über allen Zweifeln erhabenen Beweis gehen kann, dass der Betroffene im Falle seiner Rückkehr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre. Außerdem ist für die Beurteilung, ob außerordentliche Umstände vorliegen, die - wie hier - nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen und die dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung des Ausländers verbieten, zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167; EGMR, Urt. v. 28.6.2011 - 8319/07 und 11449/07 (Sufi und Elmi ./. Vereinigtes Königreich) -, NVwZ 2012, 681, Rn. 265, 301, 309; VGH Baden-Württemberg, Urt. v.11.4.2018, a.a.O. Rn. 147 ff. m.w.N.).
Nach Maßgabe dessen unterliegt die Entscheidung über das Nichtvorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG ernstlichen Zweifeln.
Die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) berichtet (www.giz.de/de/weltweit/378.html - abgerufen am 10.4.2018), dass im April/Mai 2015 die Regionen im Zentrum von Nepal wiederholt von starken Erdbeben heimgesucht wurden, bei denen fast 10.000 Menschen um Lebens kamen und schwere Schäden an Häusern und Infrastruktur entstanden. Die Schadensbewältigung und der Wiederaufbau verlangen dem Land bis heute große Anstrengungen ab. Die Konsequenzen der Katastrophe für die ohnehin fragile Volkswirtschaft sind enorm. Im Wirtschaftsjahr 2015/16 lebt ein Drittel der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Auch wenn Nepal erhebliche Fortschritte bei der Armutsbekämpfung, Gesundheit und Hygiene gemacht hat, leidet fast die Hälfte aller nepalesischen Kinder unter chronischer Unterernährung. Aufgrund des Erdbebens hatten etwa 1,4 Millionen Menschen keinen Zugang zu Nahrungsmitteln und sauberem Wasser mehr. Die hygienischen Verhältnisse und die Gesundheitsversorgung waren katastrophal (GIZ „Wiederaufbau nach den Erdbeben von April/Mai 2015“ unter: www.giz.de/de/weltweit/36180.html - abgerufen am 10.4.2018). Durch eine ungleiche Verteilung der Katastrophenhilfe nach den Erdbeben wurden benachteiligte Gruppen diskriminiert; in allen betroffenen Gebieten kam es zu Verzögerungen beim Wiederaufbau. Den zehntausenden von den Erdbeben betroffenen Menschen wurde 2016 weiterhin das Recht auf angemessenes Wohnen und auf andere Menschenrechte verweigert (Bundesamt der Rep. Österreich für Fremdenwesen und Asyl - BFA -, Länderinformationsblatt Nepal (Stand: 21.6.2017) S. 13). Der zehnjährige Bürgerkrieg (bis 2008) hat die wirtschaftliche Entwicklung des Landes deutlich beeinträchtigt. Die schweren Erdbeben und die innenpolitische Krise nach Verkündung der neuen Verfassung im September 2015 haben zu einem weiteren Einbruch der Wirtschaft geführt. Nepal ist das zweitärmste Land Südasiens und zählt zu den 20 ärmsten Ländern der Welt. Die Landwirtschaft beschäftigt mehr als die Hälfte der Erwerbstätigen. Die offizielle Erwerbslosenquote ist relativ niedrig, die Unterbeschäftigung jedoch weit verbreitet. Schätzungen gehen davon aus, dass 4 bis 5 Millionen Nepalesen im Ausland arbeiten (bei einer Gesamtbevölkerung von rd. 30 Millionen Einwohnern). Nach den Erdbeben April/Mai 2015 waren 3,5 Millionen Einwohner obdachlos. Der Wiederaufbau läuft nur schleppend (BFA, Länderinformationsblatt (Stand: 21.6.2017) S. 17 f.). Nepal verfügt außer den familiären sozialen Netzwerken über kein Wohlfahrtssystem. In bestimmten Fällen sind NGO’s bemüht, diese Lücke zu schließen, aber deren Tätigkeit ist sehr stark von dem jeweiligen Standort und von internationalen Spenden abhängig. Nur vereinzelt gibt es Privatinitiativen. Die öffentlichen Sozialdienste sind rückständig und unzureichend, obschon sich die Situation in den letzten Jahren leicht verbesserte. Eine ausreichende medizinische Grundversorgung besteht in Kathmandu und den gängigen Touristenzielen. Da es in Nepal aber eine Krankenversicherung nicht gibt, müssen alle für die Behandlung erforderlichen Medikamente und Heilmittel selbst besorgt werden, so dass für die Ärmsten der Armen praktisch keine medizinische Versorgung möglich ist (BFA, Länderinformationsblatt (Stand: 21.6.2017), S. 19 f.; ebenso AA, Auskunft v. 6.6.2016).
Zwar ist es in größeren Städten wie Kathmandu und Pokhara für eine Frau grundsätzlich möglich, die allein für ihre Kinder sorgt, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Allerdings müssen die Kosten für Schule und Kindergarten vom Einkommen aufgebracht werden. Eine Frau, die eine höhere Bildung genossen hat, sollte hierzu in der Lage sein. Gehälter, die für unqualifizierte Arbeit gezahlt werden, sind oft sehr niedrig. Für eine Unterbringung der Kinder in staatlichen Schulen oder Kindergärten sollte das Gehalt jedoch ausreichen, ebenso wie für das Mieten einer kleinen Wohnung oder eines Zimmers. Ob eine alleinstehende Frau tatsächlich in der Lage ist, sich selbst und ihre Kinder zu versorgen, hängt stark vom Einzelfall ab (AA, Auskunft v. 6.6.2016).
Aufgrund dieser Auskunft verneinte das Bundesamt ein Abschiebungsverbot aufgrund schlechter humanitärer Bedingungen im Zielgebiet. Dabei berücksichtigte es nicht hinreichend nachstehend aufgeführte Gesichtspunkte: Die Antragstellerin verfügt nicht über eine höhere Bildung oder eine Berufsausbildung, so dass sie allenfalls ein Einkommen für unqualifizierte Arbeit erzielen könnte. Die Klägerin ist - unabhängig von der korrekten medizinischen Einordnung (dazu nachfolgend) - gesundheitlich beeinträchtigt, so dass es für sie als beruflich Unqualifizierte besonders schwierig fallen dürfte, überhaupt eine Arbeitsstelle zu erlangen. Daneben hat sie zwei Kinder im Alter von vier und sechs Jahren zu versorgen und zu betreuen. Eines ihrer Kinder - der Antragsteller zu 2.) - ist aufgrund einer Behinderung dauerhaft gesundheitlich beeinträchtigt. Es wurde ein frühkindlicher Autismus (ICD-10 F84.0), eine schwere kombinierte Entwicklungsstörung (ICD-10 F 83), eine rezeptive und expressive Sprachentwicklungsstörung (ICD-10 F 80.28 und F 80.1) sowie Hinweise für eine unterdurchschnittliche Intelligenz attestiert (Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin des Kinder- und Jugendalters der Medizinischen Fakultät der Universität Magdeburg, Attest v. 20.11.2017 - Bl. 94 der Gerichtsakte). Aufgrund dieser Behinderung und der gesundheitlichen Einschränkungen ist das Kind verhaltensauffällig und bedarf einer intensiven Betreuung. So kann es Gefahrenquellen nicht erkennen und Absprachen nicht einhalten. Bei Außenaktivitäten ist deshalb der Einsatz eines Körperharnisches mit Leine oder eines Buggys notwendig. Mit weiteren Attest der Klinik vom 15. Januar 2018 (Bl. 92 der Gerichtsakte) wird bescheinigt, dass das Kind bei fehlender Einsicht für die Mutter sehr fordernd ist und eine sprachliche Kommunikation (bis auf wenige Wörter) nicht möglich ist. Außerdem wird bescheinigt, dass eine Sonderbeschulung notwendig sein wird. Seine Kommunikationsfähigkeit mit der Umwelt ist sehr stark eingeschränkt und es ist auf ein stark strukturiertes Umfeld und dauerhafte Unterstützung angewiesen, um einfachste alltägliche Tätigkeiten selbstständig durchzuführen und zu erlernen.
Unter Berücksichtigung der vorstehenden Gesichtspunkte dürfte es eher nicht wahrscheinlich sein, dass die Antragstellerin eine Einrichtung finden könnte, die ihr behindertes Kind aufnehmen und die Betreuung über den Tag übernehmen wird, um einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können. Aufgrund der beschriebenen Folgen der Behinderung dürfte es eher fernliegend sein, dass eine Betreuung des Kindes in einem allgemeinen Kindergarten oder einer Schule in Nepal möglich sein wird. Sollte eine spezielle Einrichtung (etwa eine Sonderschule) in Nepal überhaupt vorhanden sein, müsste die Antragstellerin zu 1.) - wie dies bei allgemeinen Kindergärten und Schulen der Fall ist - voraussichtlich die damit verbundenen Kosten tragen. Nach alledem unterliegt es nach derzeitiger Erkenntnislage ernstlichen Zweifeln, ob der gesundheitlich beeinträchtigten Antragstellerin ohne Unterstützung aus ihrem familiären Netzwerk ansatzweise gelingen kann, die existentiellen Bedürfnisse wie Essen und Unterkunft für sich und ihre zwei Kinder abzudecken und nicht in extremer Armut und Bedürftigkeit zu enden.
Nach dem Vorstehenden bedarf es keiner Entscheidung, ob zugunsten der Antragstellerin zu 1.) ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG gegeben ist. Insoweit bestehen Zweifel, ob die von der Antragstellerin zu 1.) vorgelegten fachärztlichen Atteste ausreichend sind, um eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift zu begründen. Wird - wie hier - eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) geltend gemacht, ist zu berücksichtigen, dass es sich um ein komplexes psychisches Krankheitsbild handelt, bei dem nicht äußerlich feststellbare objektive Befundtatsachen, sondern innerpsychische Erlebnisse im Mittelpunkt stehen. Es kommt dann entscheidend auf die Glaubhaftigkeit und die Nachvollziehbarkeit des geschilderten Erlebens und der zugrunde liegenden faktischen äußeren Erlebnistatsachen an. Angesichts der Unschärfe des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptome ist danach regelmäßig die Vorlage eines fachärztlichen Attestes notwendig, das gewissen Mindestanforderungen genügt. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa zumindest Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren soll das Attest Aufschluss über die Schwere der Erkrankung, ihre Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist. Umfang und Genauigkeit der erforderlichen Darlegungen richten sich jeweils nach den Umständen des Einzelfalles, unter anderem nach der Komplexität des Krankheitsbildes. Diese Anforderungen an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht des Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.09.2007 - 10 C 8.07 -, juris Rn 15; Beschl. v. 26.07.2012 - 10 B 21.12 -, juris Rn. 7).
Gemäß der International Classification of Diseases (ICD-10: F43.1) entsteht eine PTBS als „Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde“. Ein traumatisches Ereignis oder Erlebnis ist damit zwingende Voraussetzung für die Entwicklung dieser Erkrankung. Ohne das Vorliegen eines Traumas kann die Diagnose dieser Erkrankung folglich nicht gestellt werden (vgl. VG München, Beschl. v. 26.01.2017 - M 4 S 16.36173 -, juris). Fehlt es insgesamt an einem glaubhaften Vortrag des Schutzsuchenden, so ist die nach seiner Schilderung vorgenommene ärztliche bzw. therapeutische Bewertung der Symptome der Erkrankung und die darauf gestützte Ableitung traumatisierender Ereignisse in seinem Leben grundsätzlich nicht plausibel. Die darauf gestützten therapeutischen Bewertungen zur weiteren Behandlungsbedürftigkeit sind damit ebenfalls nicht auf tatsächliche Grundlagen gestützt, welche die Diagnosen tragen können (vgl. VG Augsburg, Urt. v. 30.05.2017 - Au 5 K 17.32354 -, juris, m.w.N.).
So wird in dem fachärztlichen Attest der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für Neurologie Dr. med. B. vom 31. Mai 2018 ausgeführt, dass es bei der Antragstellerin zu 1.) erstmals nach ihrer Ausreise aus Nepal (im Juni 2012) zu bedrohlichen Träumen gekommen sei. Allerdings liegen die geltend gemachten Traumata aufgrund ihres Aufenthalts in Indien deutlich vor dem Jahr 2008. Eine nachvollziehbare Erklärung dafür, dass die beschriebenen Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus Indien aufgetreten sein sollen, lässt sich dem Attest aber nicht entnehmen. Zum anderen dürfte das Vorbringen der Antragstellerin, dass der Diagnose zugrunde gelegt worden ist, nicht glaubhaft sein. Das Vorbringen der Antragstellerin zu 1.) gegenüber dem Bundesamt und jenes, das im dem vorgenannten Attest wiedergegeben worden ist, weist zahlreiche und erhebliche Widersprüche auf. Dies bedarf hier - da nicht entscheidungserheblich - aber keiner vertieften Darlegung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).