Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.02.1987, Az.: 14 A 160/86
Ausbildungsförderung; BAföG; Fachgymnasium; Bedarfssatz; Ausbildungsstätte; Wohnung; Eltern
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 19.02.1987
- Aktenzeichen
- 14 A 160/86
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1987, 12831
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1987:0219.14A160.86.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Schleswig - 22.08.1986 - AZ: 10 A 27/86
- nachfolgend
- BVerwG - 21.06.1990 - AZ: BVerwG 5 C 3.88
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 10. Kammer - vom 22. August 1986 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt die Gewährung von Ausbildungsförderung für den Besuch des Fachgymnasiums ... in H..
Der 19... geborene Kläger erlangte im Juli 1979 den Realschulabschluß. Von August 1979 bis September 1982 leistete er Dienst beim Bundesgrenzschutz. Anschließend absolvierte er eine Berufsausbildung zum Betriebsschlosser, die er im Januar 1985 mit dem Facharbeiterbrief abschloß. Im Februar 1985 bewarb sich der Kläger, der bei seinen Eltern in B. wohnte, um Aufnahme in das Fachgymnasium I.. Seine Aufnahme wurde mit der Begründung abgelehnt, daß eine Aufnahme in das Fachgymnasium nicht erfolgen könne, da die Notensumme aus den fünf relevanten Fächern des Abschlußzeugnisses der Realschule 19 betrage. Für die abgeschlossene Berufsausbildung könnten ihm zwar 3 Gutpunkte angerechnet werden, so daß die Notensumme 16 betrage. Diese dürfe aber den Wert von 15 nicht überschreiten.
Daraufhin bewarb sich der Kläger bei dem Staatlichen Wirtschaftsgymnasium ... in H., wo er aufgenommen wurde. Der Kläger hat seitdem auch einen Wohnsitz in H.. Der Antrag des Klägers auf Gewährung von Ausbildungsförderung wurde mit Schreiben der Beklagten vom 4. November 1985 mit der Begründung abgelehnt, daß das Fachgymnasium I. für den Kläger von der Wohnung der Eltern aus erreichbar sei, so daß die Gewährung von Ausbildungsförderung für den Kläger als Schüler nach § 68 Abs. 2 BAföG ausgeschlossen sei. Die Tatsache, daß der Kläger auf die Schule in I. nicht aufgenommen worden sei, rechtfertige keine andere Entscheidung, da diese Ablehnung allein auf die schlechten Leistungen des Klägers zurückzuführen sei. Der gegen diesen Bescheid eingelegte Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid des Kultusministers des Landes Schleswig-Holstein vom 14. Januar 1986 zurückgewiesen. Zwar könne nicht angenommen werden, daß eine entsprechende Ausbildungsstätte von der Wohnung der Eltern aus erreichbar sei, wenn diese Neuaufnahmen allgemein oder in dem zur Entscheidung stehenden Fall wegen Überfüllung abgelehnt habe, dies sei jedoch nicht der Fall, wenn die Ablehnung auf einen schlechten Notendurchschnitt zurückzuführen sei; denn es könne nicht Aufgabe der Ausbildungsförderung sein, Schülern die infolge unzureichender Leistungen nur eine auswärtige Schule besuchen können, Ausbildungsförderung zukommen zu lassen, während gute Schüler, die eine Schule von der Wohnung der Eltern aus besuchen können, Ausbildungsförderung nicht erhalten können.
Gegen diese Bescheide hat der Kläger rechtzeitig Klage erhoben. Diese hat er im wesentlichen damit begründet, daß eine Ausbildungsstätte von der Wohnung seiner Eltern aus für ihn nicht erreichbar sei, da das Fachgymnasium I. seine Aufnahme abgelehnt habe, obwohl es sich bei ihm um einen Härtefall gehandelt habe, da er Halbwaise sei und Wehrdienst geleistet habe. Nur aufgrund dieser Ablehnung sei er gezwungen, die Schule in H. zu besuchen und auch dort zu wohnen.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 4. November 1985 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Kultusministers des Landes Schleswig-Holstein vom 14. Januar 1986 zu verpflichten, ihm Ausbildungsförderung nach Maßgabe des Bundesausbildungsförderungsgesetzes unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu gewähren.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er stützt sich im wesentlichen auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig, in dem entschieden worden ist, daß ein Auszubildender, der in die von der elterlichen Wohnung aus erreichbare entsprechende Ausbildungsstätte wegen ungenügender Leistungen nicht aufgenommen werde, keinen Anspruch auf den erhöhten Bedarfssatz nach § 12 Abs. 3 BAföG habe (Urt. v. 24. 7. 1975, FamRZ 1976, S. 178).
Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch den angefochtenen Gerichtsbescheid stattgegeben. Das Fachgymnasium in Itzehoe sei für den Kläger im Sinne des § 68 BAföG nicht erreichbar. Eine entsprechende Ausbildungsstätte gelte nach den Verwaltungsvorschriften zum BAföG als nicht vorhanden, wenn sie Neuaufnahmen allgemein oder in dem zur Entscheidung stehenden Fall wegen Überfüllung abgelehnt habe. Entsprechendes müsse gelten, wenn die Nichtaufnahme auf anderen - dem Auszubildenden nicht zurechenbaren - Gründen beruht. Im vorliegenden Fall sei eine unterschiedliche rechtliche Bewertung der Zugangsvoraussetzungen maßgebend dafür, daß der Kläger die Hamburger Schule besuchen könne, während er in Schleswig-Holstein abgewiesen wurde. Dem Förderungsanspruch könne auch nicht entgegengehalten werden, daß durch diese Auslegung die schlechteren Schüler besser gefördert würden als die besseren, denn dieses wäre auch bei der Abweisung eines Schülers wegen Überfüllung der Ausbildungsstätte der Fall, weil der Zugang regelmäßig nach Leistungskriterien geregelt werde. Die Auffassung der Kammer im Urteil vom 24. Juli 1975 werde für das vorliegende Verfahren nicht aufrechterhalten.
Gegen diesen Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung des Beklagten. Bei der Frage der Erreichbarkeit der Ausbildungsstätte könne allein auf die räumliche Entfernung abgestellt werden. Davon sei allein für den Fall der Überfüllung der Ausbildungsstätte eine Ausnahme gemacht worden, um diese nicht dem Auszubildenden anzulasten. Diese Ausnahme könne jedoch nicht auf den Fall ausgedehnt werden, daß der Auszubildende die Ausbildungsstätte wegen schlechter Leistungen nicht erreichen kann.
Der Beklagte beantragt,
den angefochtenen Gerichtsbescheid aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt im wesentlichen den angefochtenen Gerichtsbescheid. Es könne dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen, daß in Schleswig-Holstein andere Zulassungskriterien für die Zulassung im übrigen identischer Fachgymnasien gelten als in Hamburg. Das Aufstellen einer Leistungschranke diene im übrigen allein der Zulassungsbeschränkung und sei kapazitätsorientiert.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Streitakte und der Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
II.
Die Berufung des Beklagten hat Erfolg. Zu Unrecht ist das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Gerichtsbescheid von seiner früheren zutreffenden Rechtsprechung abgewichen. Dem Kläger steht Ausbildungsförderung für seine Ausbildung als Schüler des Fachgymnasiums in H. nicht zu, weil von der Wohnung der Eltern aus eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte erreichbar ist.
Nach § 68 Abs. 2 Nr. 1 BAföG setzt bei einem Besuch eines Fachgymnasiums ein Anspruch auf Förderungsleistungen voraus, daß der Auszubildende "nicht bei seinen Eltern wohnt" und daß "von der Wohnung der Eltern aus eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte nicht erreichbar ist". Wie das Bundesverwaltungsgericht bereits mehrfach entschieden hat, sind die zu § 12 Abs. 2 Satz 2 BAföG entwickelten Grundsätze im Hinblick auf die gleichlautende Regelung auch für die Auslegung des § 68 Abs. 2 Nr. 1 BAföG heranzuziehen (Urt. v. 5. 5. 1983 - 5 C 13.81 - FamRZ 1984, 214; Beschl. v. 14. 5. 1986 - 5 B 143.85 - Buchholz 436.36 § 68 Nr. 2 und Beschl. v. 11. 7. 1986 - BVerwG 5 B 28.86 - Buchholz 436.36 § 68 Nr. 3). Danach ist eine der tatsächlich besuchten Ausbildungsstätte entsprechende Ausbildungsstätte vorhanden, wenn auch die von der Wohnung der Eltern aus erreichbare Ausbildungsstätte nach Lehrstoff und Bildungsgang zu dem erstrebten Ausbildungs- und Erziehungsziel führt (Urt. v. 16. 12. 1976 - BVerwGE 51, 354, 356 [BVerwG 16.12.1976 - V C 43/75] = FamRZ 1977, 209 u. Urt. v. 12. 2. 1981 - 5 C 43.79 - Buchholz 436.36 § 12 Nr. 11). Danach ist eine entsprechende Ausbildungsstätte in der Nähe des Elternhauses des Klägers zweifelsfrei vorhanden. Die Umschreibung des Begriffes der entsprechenden zumutbaren Ausbildungsstätte ist jedoch nicht als abschließende Begriffsfestlegung zu verstehen. Vielmehr hat das Bundesverwaltungsgericht (vgl. die oben genannte Rechtsprechung u. BVerwGE 57, 198) darüber hinaus entschieden, daß der erhöhte Bedarfssatz zu gewähren sei, wenn allein ausbildungsbezogene Gesichtspunkte die Wahl der auswärtigen Ausbildungsstätte rechtfertigten. Diese Ausweitung ist erforderlich, um dem jeder Förderung einer Ausbildung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz immanenten Zweck gerecht zu werden, einem bedürftigen Auszubildenden die Chance zum Erreichen des angestrebten Ausbildungszieles zu bieten (vgl. auch BAföG-VwV v. 7. 7. 1982, GMBl S. 311 in Teilziffer 12.2.7 und 12.2.13). Danach ist es unter Hinweis auf die früheren förderungsrechtlichen Regelungen zum Schulgeld in der Härteverordnung als ausbildungsbezogener Grund anerkannt worden, wenn für den Besuch von der elterlichen Wohnung erreichbaren Ausbildungsstätte Schulgeld in einer Höhe verlangt wird, daß sich dies für den Auszubildenden als ein unüberwindliches Hindernis darstellt (BVerwG, Beschl. v. 11. 7. 1986, aaO). Allgemein anerkannt ist auch, daß der erhöhte Bedarfssatz dann zuzuerkennen ist, wenn die auswärtige Unterbringung darauf zurückzuführen ist, daß der Auszubildende in einer beim Wohnort der Eltern vorhandenen entsprechenden Ausbildungsstätte wegen Mangels an Ausbildungsplätzen nicht aufgenommen werden kann (vgl. BAföG-VwV, Teilziffer 12.2.13 und OVG Münster, Urt. v. 8. 11. 1978, FamRZ 1979, 1090). Diese Ausnahmen rechtfertigen sich jedoch daraus, daß der Auszubildende über den vom Gesetzgeber bei Erlaß des Gesetzes als regelungsbedürftig erkannten Fall der räumlichen Entfernung hinaus (vgl. BT-Drucks. VI, 1975) durch weitere objektive ausbildungsbezogene Umstände gehindert sein kann, die Ausbildung von der Wohnung der Eltern aus aufzunehmen. Eine derartige Ausnahme liegt jedoch nicht vor, wenn ein Auszubildender die allgemein für den Zugang zu einer Bildungseinrichtung aufgestellten Zulassungsvoraussetzungen aufgrund seiner erbrachten Leistungen nicht erfüllt. In diesem Falle ist er nämlich allein wegen subjektiver Umstände gehindert, die von der Wohnung seiner Eltern aus erreichbare Ausbildungsstätte zu besuchen. Dieser Fall ist im Gegensatz zu der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht mit dem Fall der Abweisung wegen Erschöpfens der Ausbildungskapazität vergleichbar. Diese Auslegung würde nämlich in der Tat dazu führen, daß diejenigen, die nicht einmal die als Minimum vorausgesetzten Leistungsanforderungen, die überhaupt den Zugang zu der Bildungseinrichtung eröffnen Förderungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz beanspruchen könnten, während diejenigen, die das geforderte Leistungsniveau erreichen, keine Förderung erhalten könnten.
Bei den Leistungsvoraussetzungen, die für die Aufnahme in ein Fachgymnasium im Lande Schleswig-Holstein gefordert werden, handelt es sich nicht um kapazitätsorientierte Auswahlkriterien. Vielmehr bestimmt die Landesverordnung über die Gestaltung der Fachgymnasien in Schleswig-Holstein (Fachgymnasiumsverordnung - FgVO - v. 19. 5. 1983, Nachrichtenblatt des Kultusministers Schl.-H. 1983, S. 112) unabhängig von der Auslastung für alle Fachgymnasien des Landes einheitlich, unter welchen Voraussetzungen die Aufnahme in ein Fachgymnasium erfolgen darf. Bei Erlaß dieser Verordnung hatte der dazu ermächtigte Kultusminister des Landes Schleswig-Holstein insbesondere den Zweck des Fachgymnasiums zu berücksichtigen, das nach § 19 Abs. 1 des Schleswig-Holsteinischen Schulgesetzes vom 2. August 1978 (GVOBl S. 255) "Schülern mit einem überdurchschnittlichen Realschulabschluß ... eine Bildung" vermitteln soll, "die den Anforderungen für die Aufnahme eines Hochschulstudiums und einer vergleichbaren Berufsausbildung entspricht."
Die in der Fachgymnasiumsverordnung aufgestellten Leistungsanforderungen sind auch keineswegs dergestalt, daß sie den Zugang unangemessen erschweren. Vielmehr wird dem Sinne nach ein durchschnittlich befriedigendes Realschulzeugnis verlangt (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 FgVO), wobei eine abgeschlossene Berufsausbildung noch so berücksichtigt werden kann, daß auch ein zum "ausreichend" tendierendes Realschulabgangszeugnis noch genügen kann (§ 2 Abs. 3 FgVO). Derartige Leistungsanforderungen, die der Erhaltung eines Mindestleistungsniveaus der Bildungseinrichtung dienen und deren Erfolg sicherstellen sollen, können allgemein aufgestellt werden (vgl. § 19 Abs. 1 und § 32 Abs. 1 des Schleswig-Holsteinischen Schulgesetzes), ohne daß dies zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Bildungschancen führen würde. Daß der Kläger diese Aufnahmevoraussetzungen nicht erfüllt, ist ein allein in seiner Person liegendes Hindernis zur Aufnahme in der von der Wohnung seiner Eltern aus erreichbaren Ausbildungsstätte. Ein derartiges subjektives Hindernis rechtfertigt die Gewährung von Ausbildungsförderungsleistungen für den Besuch der in Hamburg liegenden Ausbildungsstätte nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit aus § 188 Satz 2 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO iVm § 708 Nr. 10 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.
Kröger
Figge
Schmidt