Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 15.06.2010, Az.: 32 Ss 70/10
Allein aus der Höhe der Blutalkoholkonzentration (BAK) kann nicht auf die vorsätzliche Begehungsweise bei einer Verurteilung wegen vorsätzlicher Trunkenheitsfahrt geschlossen werden; Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen zur vorsätzlichen Begehung i.R.e. Verurteilung wegen vorsätzlicher Trunkenheitsfahrt
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 15.06.2010
- Aktenzeichen
- 32 Ss 70/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 36931
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2010:0615.32SS70.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Wennigsen - 16.02.2010
Rechtsgrundlage
- § 316 StGB
Verfahrensgegenstand
Trunkenheit im Verkehr
Amtlicher Leitsatz
Zu den Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen bei einer Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt.
In der Strafsache
...
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Wennigsen - Strafrichter - vom 16. Februar 2010 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft
durch
die Richter am Oberlandesgericht und sowie
die Richterin am Oberlandesgericht
am 15. Juni 2010
beschlossen:
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen - ausgenommen jener zum objektiven Tatgeschehen - aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an einen anderen Strafrichter/eine andere Strafrichterin des Amtsgerichts Wennigsen zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 15 EUR verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von sieben Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hatte der Angeklagte "offensichtlich" am Abend des 13. September 2009 in erheblichem Umfang dem Alkohol zugesprochen. Trotz der Alkoholbeeinflussung, eine am 14. September 2009 um 00:40 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 1,95 g‰ auf, und dem Wissen um seine Fahruntüchtigkeit befuhr der Angeklagte mit seinem Pkw VW Passat kurz nach Mitternacht öffentliche Straßen im Raum Gehrden und Ronnenberg, u.a. die Gehrdener Straße in Ronnenberg.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
Das zulässige Rechtsmittel hat weitgehend Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Schuld- und Rechtsfolgenausspruch, wobei die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen, also zur Fahrereigenschaft des Angeklagten und seiner Alkoholisierung bei Tatbegehung, bestehen bleiben konnten.
1.
Die erhobenen Verfahrensrügen, mit denen der Angeklagte die Missachtung des Richtervorbehalts gemäß § 81 a StPO beanstandet, haben allerdings keinen Erfolg, weil sie nicht in zulässiger Weise erhoben sind.
Verfahrensrügen sind gemäß § 344 Abs. 2 StPO in einer solchen Weise zu begründen, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der abgegebenen Rechtsmittelbegründung prüfen kann, ob der behauptete Verfahrensfehler vorliegt, wenn das Revisionsvorbringen zutrifft (Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., Rdnr. 21 zu § 344 m.w.N.). Bei der Geltendmachung einer Verletzung des Richtervorbehalts aus § 81 a StPO gehört zu dem erforderlichen Vorbringen jedenfalls auch die Angabe, dass der Angeklagte in die Blütprobenentnahme nicht eingewilligt hat, weil nach herrschender Auffassung die Einwilligung eine richterliche Anordnung entbehrlich macht (OLG Celle, 2. Senat für Bußgeldsachen, Beschluss vom 11. Februar 2008, 322 SsBs 25/08; OLG Gelle, 1. Senat für Bußgeldsachen, NJW 2008, 3079; OLG Köln zfs 2010, 224 ff.).
Diesen Anforderungen genügt das Revisionsvorbringen hier nicht, weil die Revision zur Frage der Einwilligung des Angeklagten in die Blutprobenentnahme lediglich mitteilt, dass der Polizeibeamte Petz als Zeuge bekundet habe, dass er nicht mehr wisse, ob er den Angeklagten gefragt habe, ob dieser eine Blutentnahme zustimme. Damit ist nach dem Revisionsvorbringen aber gerade offen, ob der Angeklagte in die Blutprobenentnahme eingewilligt hat und bereits deshalb ein Verstoß gegen § 81 a StPO nicht in Betracht kommt.
Gerade vor dem Hintergrund der vorangegangenen freiwilligen Mitwirkung am Atemalkoholtest konnte der Senat auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang von Urteilsgründen und Revisionsvorbringen sicher auf das Fehlen einer Einwilligung schließen.
Da schon wegen der unzureichenden Darstellung in diesem Punkt die Rügen der Verletzung des § 81 a StPO nicht in zulässiger Weise erhoben sind, konnte der Senat dahinstehen lassen, ob die Darlegungen zur Widerspruchserhebung und -begründung in der Hauptverhandlung ausreichend sind (siehe zu den diesbezüglichen Anforderungen OLG Hamm, Beschluss vom 30.03.2010, 3 RVs 9/10, [...], Rdnr. 33 ff.).
In der Sache merkt der Senat zu den behaupteten Verstößen gegen § 81 a StPO an, dass es nach der bisherigen Rechtsprechung des 2. Straf- und Bußgeldsenats der Einrichtung eines richterlichen Eildienstes zur Nachtzeit in der Regel nicht bedarf (Beschluss vom 12.01.2010, 322 SsBs 334/09; Beschluss vom 19.02.2010, 322 SsBs 65/10) und dass der Umstand, dass nicht versucht worden ist, den staatsanwaltschaftlichen Bereitschaftsdienst zu erreichen, von vornherein nicht geeignet ist, die Verletzung des Richtervorbehalts und ein Beweisverwertungsverbot zu begründen (Senatsbeschluss vom 25.01.2010, 322 SsBs 315/09; ebenso: OLG Frankfurt, Beschluss vom 14.10.2009, 1 Ss 310/09, [...]; OLG Hamm StV 2009, 462 ff. = NStZ-RR 2009, 386 f. [OLG Hamm 24.03.2009 - 3 Ss 53/09] und OLG Brandenburg, Beschluss vorn 16.12.2008, 2 Ss 69/08, [...]).
2.
Mit der Sachrüge hat das Rechtsmittel demgegenüber weitgehend Erfolg, weil Feststellungen und Beweiswürdigung des Amtsgerichts die Verurteilung wegen einer Vorsatztat nicht tragen.
Das Amtsgericht hat zwar zunächst zutreffend dargelegt, dass aus dem festgestellten hohen Blutalkoholwert allein nicht auf Vorsatz geschlossen werden könne. Dann aber weiter ausgeführt, "dass für das Erreichen einer entsprechenden Blutalkoholkonzentration eine erhebliche Alkoholmenge konsumiert werden muss," was dem Angeklagten nicht verborgen geblieben sei. Wenn er vor diesem Hintergrund die Frage nach Alkoholgenuss negativ beantworte, lasse dies "nur den Rückschluss zu, dass er wusste, dass er so stark alkoholisiert war, dass er eigentlich nicht mehr am öffentlichen Straßenverkehr hätte teilnehmen dürfen."
Diese Argumentation des Amtsgerichts ist rechtsfehlerhaft und nicht tragfähig. Vorsatz bezüglich einer Trunkenheitsfahrt nach § 316 StGB setzt voraus, dass sich der Täter jedenfalls der Möglichkeit seiner Fahruntüchtigkeit bewusst ist und sich trotzdem zum Fahren entschließt. Allein aus der Höhe der Blutalkoholkonzentration kann nicht auf vorsätzliches Handeln geschlossen werden, insbesondere gibt es keinen Erfahrungssatz, dass Kraftfahrer ab einem bestimmten Blutalkoholgehalt ihre Fahruntüchtigkeit erkennen (siehe dazu nur Fischer, StGB, 57. Aufl., Rdnr. 46 zu § 316 mit zahlreichen Nachweisen aus der obergerichtlichen Rechtsprechung). Es bedarf dann vielmehr weiterer Indizien. Diese können etwa auch in dem der Tat vorangegangenen Trinkverhalten liegen. Dazu hat das Amtsgericht hier indes keine Feststellungen getroffen. Offenbar hat sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht eingelassen. Wann und unter welchen Umständen der Angeklagten vor der Fahrt Alkohol konsumiert hat, ergibt sich aus den Gründen des amtsgerichtlichen Urteils nicht. Soweit es in den Urteilsgründen unter II. heißt, der Angeklagte hatte am Abend des 13.09.2009 offensichtlich erheblich dem Alkohol zugesprochen, handelt es sich ersichtlich um eine Feststellung ohne tragfähige Grundlage offenbar als Rückschluss aus dem festgestellten Blutalkoholgehalt.
Bei dieser Sachlage bietet die Blutalkoholkonzentration aber gerade keine taugliche Basis für einen Rückschluss auf den Vorsatz des Täters, selbst wenn dem Blutalkoholwert grundsätzlich mit dem Oberlandesgericht Koblenz eine Indizwirkung beigemessen werden sollte (vgl. dazu die vereinzelt gebliebene Entscheidung OLG Koblenz NZV 2008, 304 ff. = StraFo 2008, 220 f. [OLG Koblenz 27.02.2008 - 2 Ss 23/08]). Denn in Ermangelung jeglicher näherer Feststellungen zu Täterpersönlichkeit sowie Trinkverlauf und -ende, kann nicht ausgeschlossen werden, dass dem Angeklagten das Ausmaß seiner Alkoholisierung bei Fahrtantritt verborgen geblieben ist, zumal infolge steigender Alkoholisierung die Fähigkeit, die eigene Fahruntüchtigkeit zu erkennen, beeinträchtigt sein kann (vgl. hierzu etwa OLG Brandenburg VRS 117, 195 ff. = MDR 2009, 1221; OLG Stuttgart, Beschluss vom 17. April 2009, 2 Ss 159/09, [...]; Rdnr. 12).
Soweit das Amtsgericht festgestellt hat, dass der Angeklagte Schlangenlinien gefahren sei und mindestens dreimal mit dem linken Reifen über die Mittellinie hinausgeraten sei, belegen diese Ausfallerscheinungen ebenfalls nicht, dass - worauf es für die Vorsatzfrage allein ankommt - der Angeklagte während der Fahrt seine Fahruntüchtigkeit erkannt hat (vgl. hierzu auch OLG Stuttgart a. a. 0. Rdnr. 10). Denn es ist insoweit nicht einmal belegt, dass der Angeklagte das Überfahren der Mittellinie überhaupt bewusst registriert hat.
An der mangelnden Tragfähigkeit des Rückschlusses auf die vorsätzliche Begehung ändert schließlich auch nichts, dass das Amtsgericht zusätzlich auf das Ableugnen von Alkoholgenuss bei der Polizeikontrolle verweist. Denn abgesehen davon, dass mangels Feststellungen zum Trinkende nicht einmal ausgeschlossen werden kann, dass es sich um Restalkohol in erheblichem zeitlichen Abstand zum Trinkende gehandelt haben könnte, ließe sich das Ableugnen etwa auch schlicht damit erklären, dass der Angeklagte hoffte, auf diese Weise einer näheren und unter Umständen zeitaufwendigen Kontrolle zu entgehen, ohne dass er tatsächlich von Fahruntüchtigkeit ausgegangen wäre oder auch nur mit einer solchen gerechnet hätte. Die Verurteilung wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr konnte deshalb keinen Bestand haben, weil die vom Amtsgericht für die Vorsatzannahme herangezogenen Indizien auch in ihrer Gesamtschau nicht tragfähig sind.
3.
Da der Senat trotz der ohnehin niedrigen verhängten Geldstrafe von 30 Tagessätzen nicht auszuschließen vermochte, dass das Amtsgericht bei einer Verurteilung wegen "nur" fahrlässiger Begehungsweise zu einer noch niedrigeren Strafe gelangt wäre, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an einen anderen Strafrichter/eine andere Strafrichterin des Amtsgerichts Wennigsen zurückzuverweisen. Da die Sachrüge jedoch neben dem aufgezeigten Rechtsfehler weitere durchgreifende Mängel nicht aufgedeckt hat, konnten die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen, insbesondere zur Fahrereigenschaft des Angeklagten und zu seiner Alkoholisierung, aufrechterhalten werden.