Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 05.04.1994, Az.: 12 U 4/94
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 05.04.1994
- Aktenzeichen
- 12 U 4/94
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1994, 25380
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1994:0405.12U4.94.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Osnabrück - 09.12.1993 - AZ: 4 O 167/93
Fundstellen
- JurBüro 1995, 104-105 (Volltext mit amtl. LS)
- MDR 1995, 345
- MDR 1995, 344-345 (Volltext mit amtl. LS)
In dem Rechtsstreit
hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg auf die mündliche Verhandlung vom 22. März 1994 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin am Oberlandesgericht Rodiek, der Richterin am Oberlandesgericht Erting und des Richters am Oberlandesgericht Dr. Herde
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 9. Dezember 1993 verkündete Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels geändert.
Das Versäumnisurteil vom 21. Juni 1993 wird unter Aufrechterhaltung im übrigen teilweise aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin
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für die Monate September 1992 bis einschließlich Februar 1994 3.100,-; DM nebst 4% Zinsen auf 380,-; DM seit dem 20. November 1992 sowie auf jeweils weitere 170,-; DM seit dem jeweils 1. der Monate Dezember 1992 bis März 1994,
- 2
für die weitere Dauer der Tätigkeit des Schuldners Helmut Jansen bei der Beklagten monatlich 211,50 DM, beginnend ab März 1994 bis zur vollständigen Befriedigung der klägerischen Forderung aus dem Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Osnabrück vom 16. August 1988 (39 B 2642/88),
zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt vorab die durch ihre Säumnis entstandenen Kosten. Von den übrigen Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 3/4, die Beklagte 1/4.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beschwer der Parteien übersteigt nicht 60.000,-; DM.
Der Berufungsstreitwert wird auf bis 60.000,-; DM festgesetzt.
Tatbestand:
Der Klägerin steht aufgrund von Geschäftsbeziehungen zu dem Kfz-Meister H. J. (i.F.: Schuldner), dem ehemaligen Inhaber und Betreiber einer Kfz-Werkstatt, ein durch Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts O. vom 16.8.1988 (39 B 2642/88) titulierter Zahlungsanspruch zu. Wegen einer ursprünglichen Rest-Hauptforderung von 58.571,96 DM nebst Zinsen und Kosten betreibt die Klägerin gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung. Sie nimmt die Beklagte als Drittschuldnerin in Anspruch, nachdem sie mit dem der Beklagten am 22.9.1992 zugestellten Pfändungs- und Überweisungsbeschluß des Amtsgerichts L. vom 16.9.1992 (14 M 1180/92) die Vergütungsansprüche des Schuldners gegen die Beklagte pfänden und sich zur Einziehung überweisen ließ.
Der jetzt 59-jährige Schuldner, dem die Gewerbeausübung infolge Vermögensverfalls behördlich untersagt worden war, ist seit der Gründung der Beklagten im Juli 1992 für diese als Kfz-Meister und einziger Beschäftigter tätig. Die Beklagte betreibt die frühere Kfz-Werkstatt des Schuldners. Geschäftsführer der Beklagten ist der Schwiegersohn des Schuldners, der in Berlin in abhängiger Tätigkeit als Diplom-Ingenieur arbeitet und lediglich an Wochenenden in L. anwesend ist. Die Beklagte teilte der Klägerin mit, der Schuldner beziehe ein Einkommen von 2.300,-; DM brutto und überwies an die Klägerin die pfändbaren Beträge, und zwar im September 1992 1.50 DM sowie sodann monatlich jeweils 41,50 DM.
Die Klägerin hat behauptet: Die Beklagte verschleiere den in Wirklichkeit wesentlich höheren Vergütungsanspruch des Schuldners. Er müsse nach Umfang und Inhalt seiner Tätigkeit mtl. mindestens 7.000,-; DM brutto (= 4.646,87 DM netto) verdienen, woraus sich nach Maßgabe des § 850 h Abs.2 ZPO ein pfändbares Einkommen i.H.v 1.902,37 DM errechne. Dazu hat die Klägerin im einzelnen weiter an das Landgericht O. verwiesen. Der Einzelrichter der 4. Zivilkammer hat gegen die Klägerin am 21.6.1993 ein klagabweisendes Versäumnisurteil erlassen, gegen das die Klägerin form- und fristgemäß Einspruch eingelegt hat.
Die Klägerin hat beantragt,
das Versäumnisurteil vom 21. Juni 1993 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,
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an die Klägerin für die Monate September 1992 bis einschließlich Juni 1993 19.023,70 DM nebst 4% Zinsen auf 3.803,24 DM seit dem 20. November 1992 sowie weitere 4% Zinsen auf 7.524,98 DM sowie weitere 4% Zinsen auf den gesamten weiteren Betrag ab Rechtshängigkeit zu zahlen;
- 2
künftig auf die Dauer der Tätigkeit des Streitverkündeten bei der Beklagten 1.902,37 DM monatlich, beginnend mit dem 31. Juli 1993, bis zur vollständigen Abdeckung der klägerischen Forderung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
das Versäumnisurteil vom 21. Juni 1993 aufrechtzuerhalten.
Sie hat eine Verschleierung des Einkommens des Schuldners bestritten und dazu weiter vorgetragen.
Das Landgericht hat mit dem hiermit in Bezug genommenen angefochtenen Urteil das klagabweisende Versäumnisurteil aufrechterhalten.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin form- und fristgemäß Berufung eingelegt und diese rechtzeitig begründet. Sie beanstandet die vom Landgericht gestellten Anforderungen an ihre Substantiierungslast zu den Voraussetzungen des § 850 h Abs.2 ZPO und ergänzt ihren erstinstanzlichen Vortrag insbesondere durch die Darlegung von Vergleichszahlen zur Beurteilung der wirtschaftlichen Lage der Beklagten.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des am 9.12.1993 verkündeten Urteils des Landgerichts O. -; 4 O 167/93 -; sowie unter Aufhebung des am 21.6.1993 verkündeten Versäumnisurteils des Landgerichts O. -; 4 O 167/93 -; die Beklagte zu verurteilen,
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an die Klägerin für die Monate September 1992 bis einschließlich Februar 1994 34.242,66 DM zuzüglich 4% Zinsen hierauf seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
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künftig für die Dauer der Tätigkeit des Streitverkündeten bei der Beklagten 1.902,37 DM monatlich, beginnend mit dem Monat März 1994 bis zur vollständigen Abdeckung der klägerischen Forderung zu begleichen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.
Der Senat hat Beweis erhoben. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung und die Sitzungsniederschrift vom 22. März 1994 Bezug genommen.
Gründe
Die Berufung hat teilweise Erfolg.
Die Beklagte ist verpflichtet, an die Klägerin den auf der Grundlage der Zahlung einer angemessenen Vergütung zu errechnenden pfändbaren Betrag (z. Zt. 211.50 DM mtl.) auszukehren. Denn trotz unterstellter wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zahlt sie dem Schuldner eine unverhältnismäßig geringe Vergütung i.S.d. § 850 h Abs.2 ZPO.
Unter Berücksichtigung der in der Vergangenheit geleisteten Zahlungen der Beklagten von 1.50 DM für September 1992 und jeweils 41.50 DM für die Monate Oktober 1992 bis Februar 1994 errechnet sich daraus ein Rückstand von 3.100,-; DM. Die Verurteilung zur Zahlung künftig fällig werdender Leistungen i.H.v. monatlich 211,50 DM rechtfertig sich aus den §§ 257 ff. ZPO.
Die von der Beklagten an den Schuldner gezahlte Vergütung von 2.300,-; DM brutto liegt auch für eine Teilzeitbeschäftigung von 30 Stunden pro Woche erheblich unter dem, was der Schuldner als angemessene Vergütung verlangen und die Beklagte zahlen könnte. Auf der Grundlage der durch die glaubhafte Aussage des Zeugen J. hinsichtlich ihres sachlichen Inhalts und zeitlichen Umfangs bestätige und deshalb zur Überzeugung des Senats bewiesene Tätigkeitsbeschreibung der beklagten, sowie in der Annahme, daß die Geschäftsführertätigkeits sich im wesentlichen in Handlungen erschöpft, die der im Handelsregister eingetragene Geschäftsführer F. an den Wochenenden erledigen kann ist die angemessene Vergütung auf 3.000,-; DM brutto einzuschätzen:
Allerdings existiert ein Tariflohn für Kfz-Meister nicht, weil deren Gehälter grundsätzlich frei ausgehandelt werden. Ein Anhaltspunkt für die Bestimmung der angemessenen Vergütung ergibt sich aber aus den Angaben über durchschnittliche Bruttoarbeitsentgelte in den Anlagen 1 und 9 zu § 27 des Fremdrentengesetzes (FRG). Die Tätigkeit des Schuldners ist in die unter B der Anlage 1 inhaltlich beschriebene Leistungsgruppe einzuordnen. Aus Anlage 9 ist zu entnehmen, daß die dieser Leistungsgruppe zuzuordnenden Beschäftigten im Jahr 1990 über ein durchschnittliches Bruttoarbeitsentgeld von 51.264,-; DM verfügten. Das entspricht einem durchschnittlichen monatlichen Bruttoverdienst von 4.272,-; DM, der für die Jahre 1992 und 1993 angemessen zu erhöhen wäre. Weitere Anhaltspunkte ergeben sich aus den vom Senat eingeholten Auskünften bei der Kfz-Handwerksinnung Bremen und bei dem Kfz.-Sachverständigen Heine, wonach der Durchschnittsverdienst eines Kfz-Meisters im Alter des Schuldners und mit dessen langjähriger Berufserfahrung, im Bereich zwischen 3.800,-; DM und 4.500,-; DM anzusiedeln ist. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben und der kleingewerblichen Betriebsstruktur der Beklagten bemißt der Senat den als Grundlage für die weiteren Überlegungen zu Entscheidung dieses Rechtsstreits maßgeblichen Durchschnittsverdienst auf 4.000,-; DM.
Gründe, die wegen der Besonderheiten des Streitfalls eine Erhöhung des vorgenannten Werts rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich. Die Tatsache, daß die Beklagte als gewerberechtlich notwendige Voraussetzung für die Eintragung in die Handwerksrolle wenigstens einen Betriebsleiter mit Meisterqualifikation beschäftigen mußte (§ 1 Abs.1 u.2 i.V.m. § 7 HandwO), führt nicht üblicherweise zu der Annahme einer überdurchschnittlichen Bezahlung. Dies gilt entsprechend für die unstreitige Tatsache, daß der Schuldner früher als Alleininhaber der jetzt von der Beklagten betriebenen Kfz-Werkstatt sowohl seine Familie unterhalten als auch die Kreditschulden für die Beschaffung des Familiengrundstücks finanziert hat.
Der in Ansatz gebrachte Betrag von 4.000,-; DM ist allerdings ein Vollzeitarbeitsentgelt, wobei die Vollzeitarbeit einer 38-Stundenwoche entspricht. Tatsächlich arbeitet der Schuldner nach seiner auch insoweit glaubhaften Zeugenaussage krankheitsbedingt durchschnittlich maximal 6 Stunden täglich, was in etwa einer 30-Stundenwoche entspricht. Es ist daher ein Abzug vorzunehmen. Dabei ist einerseits zu beachten, daß dieser Abzug nicht einfach als prozentualer Anteil an der Vollzeitarbeitsvergütung berechnet werden kann. Da Teilzeitkräfte proportional höher bezahlt werden, ist der rein prozentuale Anteil grundsätzlich angemessen zu erhöhen. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß der Schuldner im Betrieb der Beklagten nicht nur Meistertätigkeiten ausübt, sondern auch alle sonst auf Gesellen und Auszubildende entfallenden Arbeiten. Die angemessene Bruttoarbeitsvergütung des Schuldners schätzt der Senat danach auf rd. 3.000,-; DM (§ 287 ZPO).
2. Für die Entscheidung dieses Rechtsstreits ist davon auszugehen, daß die Beklagte wirtschaftlich in der Lage ist, dem Schuldner ein entsprechendes Gehalt zu zahlen. Die Beklagte hat dies zwar bestritten. Jedoch sind die jeweils unter Zeugenbeweis des Wirtschaftprüfers G. gestellten Behauptungen, sie sei dazu "finanziell nicht in der Lage" und habe 1992 "nur Verluste gemacht", mangels konkreten und durch den Senat nachvollziehbaren Tatsachenvortrags prozessual unerheblich.
Entgegen der Ansicht der Beklagten und des Landgerichts obliegt es im Drittschuldnerprozeß nämlich nicht dem Gläubiger, die ausreichende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, sondern dem Drittschuldner, seine auf betriebsinternen Umständen beruhende mangelnde Leistungsfähigkeit zur Zahlung eines angemessenen/üblichen Gehalts -; unbeschadet der Beweislastfrage -; wenigstens zu belegen (jew. m.w.N.: Stein/Jonas -; Münzberg, ZPO, 20.Aufl. § 850 h Rn. 48; Münchner Kommentar zur ZPO -; Smid § 850 Rn. 23). Diese Abweichung von der hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen des § 850 h Abs.2 ZPO grundsätzlich bestehenden Darlegungs- und Beweislast des Gläubigers ist aus mehreren Gründen geboten. Zum einen geht es um Tatsachen, die dem internen und der Öffentlichkeit prinzipiell nicht zugänglichen Wissensbereich des Drittschuldners zuzuordnen sind. Zum anderen geht es um die Darlegung von Tatsachen, die eine Abweichung von der Regel belegen sollen, daß am Wirtschaftsleben beteiligte Unternehmen in der Lage sind, tariflich festgelegte oder übliche Gehälter zu zahlen. Schließlich sind die dem Gläubiger alternativ zu Gebote stehenden Aufklärungsmittel entweder praktisch untauglich (Offenbarungsversichungsverfahren gegen den Schuldner) oder abwegig (detektivische Aufklärungsarbeit vor Ort).
Aus den vorstehend dargelegten Umständen folgt zugleich, daß den im übrigen auch auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis abzielenden Antrag der Klägerin, der Beklagten nach den §§ 421 ff. ZPO die Vorlage ihrer Geschäftsbücher aufzugeben, mangels Rechtsschutzbedürfnisses nicht stattzugeben war.
3. Zur Festlegung des monatlich pfändbaren Betrages sind von dem durch Schätzung ermittelten Bruttogehalt Lohnsteuer und Kirchensteuer, die für 1992 und 1993 jeweils 260,66 DM/23,59 DM, sowie Sozialabgaben i.H.v. rd. 20% = 705,50 DM in Abzug zu bringen, so daß sich ein monatliches Nettoeinkommen von 2.115,75 DM, ergibt. Unter Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtung für 1 Person (Ehefrau) beträgt der pfändbare Anteil am Nettogehalt des Schuldners nach Maßgabe des § 850 c ZPO 211,50 DM.
4. Die Zinsforderung rechtfertigt sich unter Verzugsgesichtspunkten aus den §§ 284, 288 BGB. Dabei war unter Berücksichtigung der klägerischen Anträge davon aus zugehen, daß die monatlich abzuführenden Beträge erst an den letzten Tagen der jeweiligen Beschäftigungsmonate fällig wurden. Damit liegt zwar eine kalendermäßige Bestimmung i.S.d. § 284 Abs. 1 BGB vor; Verzugsbeginn kann dann aber für die Einzelforderungen auch erst der erste Tag des Folgemonats sein.
5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 92 Abs. 1, 344 ZPO; eine. Anwendung des § 97 Abs.1 ZPO ist nicht indiziert, weil die Klage bereits in erster Instanz jedenfalls im Umfang der Verurteilung der Beklagten schlüssig war. Die übrigen prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 708 Nr. 10, 713, 546 Abs. 1 ZPO.