Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 15.11.1977, Az.: 5 UF 34/77
Beschwer durch unterlassene Feststellung der Ehebrecherin im angefochtenen Urteil
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 15.11.1977
- Aktenzeichen
- 5 UF 34/77
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1977, 16334
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1977:1115.5UF34.77.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Osnabrück - 09.06.1977 - AZ: 4 R 13/77
Rechtsgrundlagen
- § 1565 Abs. 2 BGB
- § 6 EheG
- § 42 Abs. 1 EheG
- § 43 EheG
- § 624 EheG
- § 321 ZPO
- § 624 ZPO
Fundstelle
- NJW 1978, 170 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Ehescheidung
In dem Rechtsstreit
...
hat der 5. Zivilsenat (2. Senat für Familiensachen) des Oberlandesgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 2. November 1977
durch
den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts xxx
den Richter am Oberlandesgericht xxx und
den Richter am Landgericht xxx
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 9.6.1977 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer (Einzelrichter) des Landgerichts Osnabrück wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Tatbestand
Die jetzt 40-jährige Klägerin und der jetzt 44-jährige Beklagte sind seit 1957 verheiratet. Aus ihrer Ehe sind der am xxx geborene xxx und die am xxx geborene Tochter xxx hervorgegangen; die Kinder leben bei der Mutter. Der Beklagte ist am 26.12.1976 aus der gemeinsamen Ehewohnung ausgezogen und lebt seitdem mit einer Frau xxx zusammen.
Im 1. Rechtszug hat die Klägerin Scheidung der Ehe begehrt, weil der Beklagte mit der Frau xxx ehebrecherische Beziehungen unterhalte, was der Beklagte auch eingeräumt hat.
Die Klägerin hat beantragt,
die am 19.11.1957 vor dem Standesamt in Osnabrück geschlossene Ehe der Parteien wegen Ehebruchs des Beklagten mit Frau xxx zu scheiden.
Der Beklagte hat zum Klageantrag keinen Gegenantrag gestellt, seinerseits jedoch beantragt,
die Klägerin für mitschuldig an der Scheidung zu erklären.
Er hat behauptet, die Klägerin unterhalte ehebrecherische, zumindest ehewidrige Beziehungen zu einem anderen, namentlich nicht bezeichneten Mann und habe ihn, den Beklagten, gegenüber dritten Personen verächtlich gemacht.
Das Landgericht (Einzelrichter) hat durch Urteil vom 9.6.1977 die Ehe aus der Schuld des Beklagten geschieden und dem Mitschuldantrag nicht stattgegeben. Gegen dieses am 22.6.1977 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 18.7.1977 Berufung eingelegt. Sie erstrebt die Scheidung nach neuem Recht, hilfsweise die Aufrechterhaltung der Ehe und trägt vor, sie und der Beklagte lebten bereits seit Ende Juli 1976 getrennt. Als sie, die Klägerin, von dem ehebrecherischen Verhältnis des Beklagten erfahren habe, hätten die Parteien innerhalb der ehelichen Wohnung eine Trennung herbeigeführt. Sie habe die häusliche Gemeinschaft nur wieder aufnehmen wollen, wenn der Beklagte seine ehebrecherischen Beziehungen abbrechen würde. Das habe er jedoch abgelehnt. Der Beklagte sei mit der Scheidung einverstanden.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die am xxx vor dem Standesamt in xxx geschlossene Ehe der Parteien zu scheiden,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Ehe der Parteien bestehen zu lassen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Ehe der Parteien nach neuem Recht zu scheiden.
Er hält das Rechtsmittel der Klägerin für unzulässig, da sie durch das angefochtene Urteil nicht beschwert sei. Im übrigen trägt auch er vor, daß die Ehe gescheitert sei. Der letzte eheliche Verkehr habe im Januar 1976 stattgefunden. Er wolle nicht mehr zu der Klägerin zurückkehren. Die Fortsetzung der Ehe sei für beide Parteien aus jeweils in der Person des anderen Ehegatten liegenden Gründen nicht zumutbar.
Die Klägerin hat noch im Juli 1977 beim Familiengericht in Osnabrück ein Verfahren zur Regelung der elterlichen Gewalt über die Tochter xxx über den Zugewinnausgleich, den Versorgungsausgleich und wegen des an sie und die Tochter xxx zu zahlenden Unterhalts anhängig gemacht.
Entscheidungsgründe
Die an sich statthafte und auch form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist unzulässig, da die Klägerin durch das angefochtene Urteil nicht beschwert ist.
Die für die Einlegung eines Rechtsmittels erforderliche Beschwer ist nicht gegeben, wenn in dem angegriffenen Urteil den Anträgen des Klägers und Berufungsklägers voll entsprochen worden ist. Dieser Grundsatz der formellen Beschwer gilt auch für Ehesachen (RGZ 100, 208; BGHZ 24, 369; Baumbach-Lauterbach-Albers ZPO 36. Aufl. Übersicht 4 B vor § 606; Rosenberg-Schwab Zivilprozeßrecht 12. Aufl., § 166 Anm. IV 13 b).
Zwar läßt § 611 ZPO auch im Berufungsrechtszug zu, bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, andere Gründe, als in dem das Verfahren einleitenden Schriftsatz vorgebracht worden sind, geltend zu machen. Diese Vorschrift schränkt aber den Grundsatz, daß die Berufung eine Beschwer des Berufungsklägers voraussetzt, im übrigen nicht ein (Stein-Jonas-Schlosser ZPO 20. Aufl., § 611 Rdn. 9).
Die Klägerin hat im 1. Rechtszuge Scheidung wegen Ehebruchs des Beklagten begehrt. Diesem Antrag ist entsprochen worden. Das angefochtene Urteil ist allerdings damit begründet worden, daß der Beklagte durch sein Verhalten die Ehe der Parteien so zerrüttet habe, daß die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft ausgeschlossen erscheine. Diese Ausführungen deuten - ebenso wie der Tenor des Urteils - auf eine Scheidung aus § 43 EheG a.F. hin; denn bei einem Ehebruch als einem absoluten Scheidungsgrund hätte es einer solchen Feststellung nicht bedurft. Gleichwohl muß von einer Scheidung wegen Ehebruchs ausgegangen werden. Das Landgericht hat die Scheidung ausdrücklich auf § 42 Abs. 1 EheG a.F. gestützt. Zum anderen ergibt sich aus den Ausführungen des Landgerichts, der Beklagte habe den "erhobenen Vorwurf" glaubhaft eingeräumt und dadurch die Überzeugung des Gerichts begründet, die Ehe sei "auf diese Weise schuldhaft zerrüttet worden", daß die angefochtene Entscheidung auf den Ehebruch abgestellt worden ist; denn bei dem erhobenen Vorwurf handelt es sich eben um den des Ehebruchs. Allerdings hat das Landgericht entgegen § 624 EheG a.F. die Person der Ehebrecherin weder im Urteilstenor noch - was genügt hätte - in den Urteilsgründen festgestellt, obgleich die Klägerin ausdrücklich beantragt hat, die ehe wegen Ehebruchs mit der Zeugin xxx zu scheiden. Doch ist nicht schon deshalb die Annahme der formellen Beschwer gerechtfertigt. Die Klägerin hätte über § 321 ZPO eine Ergänzung des angefochtenen Urteils und den Namen der Ehebrecherin erreichen können (Baumbach-Lauterbach-Albers ZPO 34. Aufl. § 624 Anm. 1), war also auf die Berufung insoweit nicht angewiesen. Zum anderen war die Feststellung der Ehebrecherin nicht Ziel der Berufung. Es ist zweifelhaft, ob schon dann eine Beschwer vorliegt, wenn der Rechtsmittelführer eine gegebene Diskrepanz zu seinem Antrag nicht als Beschwer empfindet und somit nicht zum Anlaß des Rechtsmittels nimmt, sondern aus ganz anderen Gründen das Urteil angreift. Doch braucht dieser Frage nicht weiter nachgegangen zu werden; denn auf jeden Fall war die Klägerin zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung, auf den es allein ankommt (Baumbach-Lauterbach-Albers ZPO 35. Aufl. Grundzüge 3 B vor § 511), nicht mehr durch die fehlende Feststellung der Ehebrecherin beschwert. Die Bezeichnung des Ehebrechers im Urteil nach § 624 ZPO a.F. sollte die Anwendung von § 6 EheG a.F. erleichtern (Baumbach-Lauterbach-Albers ZPO 34. Aufl. § 624 Anm. 1). Diese Vorschrift ist mit Wirkung vom 1.7.1977 aufgehoben worden, so daß die Klägerin durch die unterlassene Feststellung der Ehebrecherin in keiner Weise beeinträchtigt ist. Auch die formelle Beschwer ist nur gegeben, wenn der Berufungsführer in irgendeiner Beziehung in seinen Rechten betroffen sein kann.
Vor dem Grundsatz der formellen Beschwer werden nach der Rechtsprechung allerdings Ausnahmen gemacht.
So kann der in 1. Instanz mit seinem Scheidungsbegehren voll obsiegende Kläger gleichwohl Berufung einlegen, wenn er damit die Aufrecherhaltung der Ehe anstrebt, indem er einen Anspruchsverzicht oder eine Klagerücknahme erklären oder die Klage in eine Klage auf Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft abändern will (RGZ a.a.O; BGHZ a.a.O; Baumbach-Lauterbach-Albers 35. Aufl. Anm. 4 B vor § 606; Stein-Jonas-Grunsky Rdn. 63 vor § 511, zugleich kritisch hinsichtlich der Klagerücknahme). Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben. Die Klägerin beantragt nur hilfsweise die Aufrechterhaltung der Ehe. Es ist nicht erkennbar, was mit diesem Antrag gemeint sein soll. Die Abweisung ihrer eigenen Klage kann die Klägerin nicht verlangen. Es käme daher nur ein Anspruchsverzicht, eine Klagerücknahme oder der Übergang auf eine Klage auf Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft in Betracht.
Die Klägerin hätte spätestens in der Berufungsbegründungsschrift unzweideutig erklären müssen, daß sie einen dieser rechtlichen Schritte ergreifen will, und hätte entsprechende Prozeßerklärungen abgeben müssen (BGH LM § 519 ZPO Nr.60). Das hat sie nicht einmal bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz getan. Tatsächlich will die Klägerin, wie ihr Hauptantrag zeigt, auch gar nicht an der Ehe festhalten; sie will sogar die Unzumutbarkeitsklausel des § 1565 Abs. 2 BGB für sich in Anspruch nehmen. Aber selbst wenn man unterstellt, daß die Klägerin unter Umständen an der Ehe festhalten will, so ist der Senat davon überzeugt, daß dies nicht geschieht, um die eheliche Lebensgemeinschaft wieder aufzunehmen, sondern nur, um dann erneut Scheidungsklage , nunmehr nach neuem Recht, zu erheben. Die Klägerin hat bereits beim Familiengericht der 1. Instanz Folgesachen anhängig gemacht. Das zeigt, daß es ihr vor allem darauf ankommt, die Rechtsfolgen einer Scheidung nach neuem Recht in Anspruch zu nehmen.
Eine weitere Ausnahme vom Grundsatz der formellen Beschwer läßt die Rechtsprechung wegen der unterschiedlichen und in die Zukunft reichenden Folgen eines Scheidungsurteils zu, wenn der Berufungskläger einen Scheidungsgrund behauptet, der für ihn günstigere Rechtsfolgen ergeben würde, und wenn er nachweist, daß er diesen im ersten Rechtszug nicht geltend machen konnte (BGHZ 39, 179 ; BGH NJW 1972, 1710 [BGH 28.06.1972 - IV ZR 32/71] und NJW 1973 , 2287). Auch diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Zwar mag eine Scheidung nach neuem Recht die Klägerin in Teilbereichen günstiger stellen als eine Scheidung nach § 42 EheG a.F.. Das allein genügt jedoch nicht. Es muß hinzukommen, daß der dem Berufungskläger nachträglich bekanntgewordene Sachverhalt zu einer anderen erstinstanzlichen Entscheidung hätte führen können, wenn er dort vorgetragen worden wäre. Das trifft vorliegend nicht zu. Die Scheidungstatbestände des neuen Eherechts sind erst seit dem 1.7.1977 gegeben. Die Klägerin war daher nicht aus tatsächlichen, sondern aus rechtlichen Gründen gehindert, bereits im 1. Rechtszuge die Scheidung aus den §§ 1565 ff BGB zu begehren. Hätte sie aber in 1. Instanz keine andere Scheidung als die aus § 42 EheG a.F. ausgesprochene erreichen können, muß sie sich an dem Fehlen der formellen Beschwer festhalten lassen ( so auch Brüggemann FamRZ 1977, 582, 583). Eine weitere Ausnahme vom Grundsatz der formellen Beschwer zu machen, besteht auch deshalb kein Grund, weil bei Erhebung der Scheidungsklage das 1. EheRG bereits verkündet war und die Klägerin sich bei ihrer Rechtsverfolgung auf die ab 1.7.1977 sich ergebende Rechtslage unschwer hatte einstellen Können, wenn es ihr auf eine Scheidung nach neuem Recht ankam, hätte sie die Klage entsprechend später erheben müssen.
Die Berufung ist nach alledem mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO als unzulässig zu verwerfen.