Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 14.01.2009, Az.: Ss 485/08

Anforderungen an die Belehrung des Angeklagten über die Möglichkeit der Verwerfung der Berufung im Falle des Nichterscheinens

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
14.01.2009
Aktenzeichen
Ss 485/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 46937
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2009:0114.SS485.08.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück, 7 Ns 95/08 vom 17.11.2008

Fundstellen

  • NStZ-RR 2009, V Heft 4 (amtl. Leitsatz)
  • NStZ-RR 2009, 251-252
  • StraFo 2009, 114 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Verhandelt das Berufungsgericht nach Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht erneut, so kann es, auch wenn die Zurückverweisung ohne Entscheidung in der Sache nur aus verfahrensrechtlichen Gründen erfolgt war, die Berufung des nicht erschienenen Angeklagten jedenfalls dann nicht nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verwerfen, wenn der Angeklagte in der Ladung auf das Verwerfungshindernis des § 329 Abs. 1 Satz 2 StPO (nur) seinem Wortlaut gemäß hingewiesen worden ist.

Beschluss

Ss 485/08

In dem Strafverfahren

wegen Beleidigung

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg am 14. Januar 2009 durch die unterzeichnenden Richter gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Osnabrück vom 17.11.2008 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuer Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Osnabrück zurückverwiesen.

Gründe

1

Das Amtsgericht Papenburg hatte den Angeklagten am 10.07.2007 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 20,00 Euro verurteilt. Seine Berufung war durch Urteil der 22. kleinen Strafkammer des Landgerichts Osnabrück vom 11.10.2007 verworfen worden. Der Senat hat mit Beschluss vom 14.05.2008 auf die Revision des Angeklagten dieses Urteil wegen eines Verfahrensfehlers ( Nichtbescheidung eines Terminsverlegungsantrages und Verhandlung in Abwesenheit des Wahlverteidigers) mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Osnabrück zurückverwiesen, die auch über die Kosten der Revision zu entscheiden hatte. In der erneuten Berufungshauptverhandlung vom 07.08.2008, wurde in Anwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers beschlossen, eine Beiakte beizuziehen und neuen Termin von Amts wegen anzuberaumen. Die Ladung zu dem neuen Berufungshauptverhandlungstermin am 17.11.2008 enthielt - wie der Senat im Freibeweisverfahren festgestellt hat - folgenden Hinweis:

2

"Grundsätzlich wird eine von ihnen eingelegte Berufung sofort verworfen, es sei denn,

3

a. sie werden auf ihren Antrag von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden (§ 233 StPO),

4

b. dem angefochtenen Urteil ist ein Strafbefehl vorausgegangen und sie lassen sich in der Hauptverhandlung durch einen Verteidiger vertreten, der mit einer schriftlichen Vollmacht versehen sein muss (§ 411 Abs. 2 StPO),

5

c. das Berufungsgericht verhandelt erneut, nachdem die Sache vom Revisionsgericht zurückverwiesen wurde (§ 329 Abs. 1 Satz 2 StPO).

6

In den Fällen a) bis c) ist das Gericht jedoch befugt, ihr persönliches Erscheinen zu einem neuen Termin anzuordnen und durch einen Vorführungs- oder Haftbefehl zu erzwingen (§ 236 StPO)."

7

Zu der Berufungshauptverhandlung am 17.11.2008 ist der Angeklagte nicht erschienen. Daraufhin hat das Landgericht Osnabrück mit dem angefochtenen Urteil die Berufung des Angeklagten gemäß § 329 StPO verworfen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, der Angeklagte sei zum Hauptverhandlungstermin ungeachtet der durch Urkunde nachgewiesenen Ladung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden.

8

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der zulässig erhobenen Revision, mit der er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt. Der Angeklagte macht geltend, das Landgericht habe sein persönliches Erscheinen angeordnet und nicht darauf hingewiesen, dass ohne ihn verhandelt werden könne. Die Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO lägen im Übrigen nicht vor, da es sich um eine vom Revisionsgericht zurückverwiesene Sache handele (§ 329 Abs. 1 Satz 2 StPO). Ein Ausnahmefall, indem gleichwohl eine Verwerfung der Berufung möglich sei, sei nicht gegeben, da es sich bei dem aufgehobenen Urteil um ein Sachurteil handle.

9

Das Rechtsmittel des Angeklagten hat mit der zulässig erhobenen Verfahrensrüge Erfolg.

10

Nach dem Gesetzeswortlaut darf die Berufung eines Angeklagten nicht gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen werden, wenn das Berufungsgericht erneut verhandelt, nachdem die Sache vom Revisionsgericht zurückverwiesen worden ist. Zwar hat der Bundesgerichtshof (BGHSt 27, 236 ff.) eine Ausnahme von dieser gesetzlichen Regelung zugelassen, wenn das erste Berufungsgericht bereits die Berufung des Angeklagten gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen hatte, weil in diesem Fall ein sachlicher Widerspruch zwischen der Entscheidung des Oberlandesgerichts und der späteren Verwerfung der Berufung gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO von vornherein ausgeschlossen sei. Es kann offen bleiben, ob über den vom BGH entschiedenen Fall hinausgehend eine Verwerfung der Berufung auch dann zulässig ist, wenn das Revisionsgericht das erste Berufungsurteil allein aus verfahrensrechtlichen Gründen aufgehoben hat und Widersprüche zur Entscheidung des Revisionsgericht daher bei einer Verwerfung des Rechtsmittels durch das Berufungsgericht nicht zu erwarten sind. Denn eine Verwerfung der Berufung des Angeklagten setzt in jedem Fall voraus, dass dieser ordnungsgemäß zu dem Berufungshauptverhandlungstermin geladen worden ist. Dazu gehört, dass er in der Ladung auf die Folgen des Ausbleibens ausdrücklich hingewiesen wird (§ 323 Abs. 1 StPO). Daran fehlt es hier. Angesichts des oben wiedergegebenen der Ladung beigefügten Hinweises konnte und brauchte der Angeklagte nicht damit zu rechnen, dass seine Berufung bei seinem Nichterscheinen verworfen werden würde. In dem Hinweis heißt es nämlich, dass eine Verwerfung nicht in Betracht komme, wenn das Berufungsgericht - wie hier - erneut verhandelt, nachdem die Sache vom Revisionsgericht zurückverwiesen wurde. Darauf, dass diese Regelung nicht generell gelte und trotz des Wortlautes der gesetzlichen Regelung in bestimmten Fällen eine Verwerfung der Berufung in Betracht komme, ist der Angeklagte nicht hingewiesen worden.

11

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Nichterscheinen des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung auf dem fehlerhaften Hinweis beruht, war das Urteil aufzuheben und die Sache an eine kleine Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.

12

Über den Antrag des Angeklagten auf Bestellung seines Verteidigers zum Pflichtverteidiger hatte der Senat nicht zu entscheiden, weil eine Verhandlung über die Revision nicht stattfindet, vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 141 Rdn. 6.