Arbeitsgericht Braunschweig
Beschl. v. 22.06.1981, Az.: 2 BV Ga 5/81

Rechtswidrigkeit der Einberufung einer Betriebsversammlung; Verstoß gegen den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit; Überprüfung der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens; Abstimmung des Termins; Unzumutbarkeit der Teilnahme

Bibliographie

Gericht
ArbG Braunschweig
Datum
22.06.1981
Aktenzeichen
2 BV Ga 5/81
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1981, 14656
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:ARBGBS:1981:0622.2BV.GA5.81.0A

Fundstelle

  • AiB 2001, 711 (amtl. Leitsatz)

In dem Verfahren
auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung im Beschlussverfahren
hat die 2. Kammer des Arbeitsgerichts Braunschweig
durch
die Richterin am Arbeitsgericht ... als Vorsitzende und
die ehrenamtlichen Richter ... und ... als Beisitzer
aufgrund der mündlichen Verhandlung am 22. Juni 1981
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

1

In den Werken der Antragstellerin in Salzgitter und Braunschweig wird im Schichtbetrieb gearbeitet, Schichtwechsel ist um 14.30 Uhr. Der Antragsgegner ist der Betriebsrat für beide Werke. In der Vergangenheit wurden Betriebsversammlungen immer ab 13.30 Uhr für die einzelnen Werke getrennt abgehalten, an denen sämtliche Arbeitnehmer eines Werkes teilnehmen konnten, weil an diesem Tag für die Arbeitnehmer der Frühschicht die Arbeitszeit eine Stunde später aufhörte und für die Arbeitnehmer der Spätschicht die Arbeitszeit eine Stunde früher anfing. Die Betriebsversammlung fand im Speisesaal des Werkes statt.

2

Mit Schreiben vom 15.5.1981 erhielt die Antragstellerin am 18.5.1981 davon Kenntnis, daß der Antragsgegner die Termine für die nächste Betriebsversammlung auf den 23.6.1981, 9.00 Uhr für das Werk Salzgitter und auf den 24.6.1981, 9.00 Uhr für das Werk Braunschweig festgelegt hatte. Mit Schreiben vom 26.5.1981 wandte sich die Geschäftsleitung gegen die zeitliche Festsetzung auf 9.00 Uhr. Nach einem Gespräch am 9.6.1981 erhielt die Antragstellerin am 15.6.1981 die Mitteilung des Antragsgegners, daß die Betriebsversammlung an den genannten Tagen um 9.30 Uhr beginnen solle.

3

Die Antragstellerin ist der Ansicht, daß die Einberufung der Betriebsversammlung betriebsverfassungsrechtlichen Grundsätzen widerspricht und rechtswidrig sei.

4

Es liege ein Verstoß gegen den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit vor, weil der Antragsgegner vor der Beschlußfassung über die Uhrzeit mit der Antragstellerin sich nicht abgesprochen habe.

5

Außerdem könne es sich bei der vorgesehenen Betriebsversammlung nur um eine Teilversammlung handeln, da die Arbeitnehmer der Spätschicht an dieser Versammlung nicht teilnehmen könnten. Es sei aber durchaus möglich, bei Wahl einer anderen Uhrzeit alle Arbeitnehmer eines Werkes an einer Betriebsversammlung teilnehmen zu lassen.

6

Die betrieblichen Belange verböten ebenfalls die Abhaltung der Betriebsversammlung zu diesem Zeitpunkt, da dadurch ein wesentlich höherer Produktionsausfall entstünde als bei der bisherigen Regelung. Wenn Arbeitnehmer der zweiten Schicht ebenfalls an der Betriebsversammlung teilnähmen, würden darüberhinaus noch höhere Kosten entstehen, weil die Zeit als Arbeitszeit zu bezahlen wäre.

7

Aus diesem Grunde sei durch einstweilige Verfügung die Einberufung und Abhaltung der Betriebsversammlung zu diesem Zeitpunkt zu untersagen.

8

Die Antragstellerin beantragt,

dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Verfügung gemäß § 85 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetz -wegen der Dringlichkeit ohne vorherige mündliche Verhandlung bzw. Anhörung- zu untersagen:

  • für den 23.6.1981, 9.30 Uhr, im Werk Salzgitter der Antragstellerin eine Betriebsversammlung einzuberufen,
  • für den 24.6.1981, 9.30 Uhr, im Werk Braunschweig der Antragstellerin eine Betriebsversammlung einzuberufen,
  • am 23.6.1981 ab 9.30 Uhr im Werk Salzgitter der Antragstellerin eine Betriebsversammlung abzuhalten,
  • am 24.6.1981 ab 9.30 Uhr im Werk Braunschweig der Antragstellerin eine Betriebsversammlung abzuhalten.

9

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

10

Er trägt vor, in der Vergangenheit habe sich gezeigt, daß an den Betriebsversammlungen sich nur wenige Betriebsangehörige beteiligt hatten. Für Betriebsangehörige der 1. Schicht sei es nach 7-stündiger Akkordarbeit vielfach anstrengend gewesen, der Betriebsversammlung noch 2 Stunden beizuwohnen. Sie hätten dann nach Ablauf ihrer normalen Arbeitszeit die Betriebsversammlung verlassen. Die Teilnahmezahlen hätten sich bis zum Ende der Versammlung kontinuierlich verringert. Um 13.30 Uhr seien im allgemeinen 700-800 Betriebsangehörige anwesend gewesen, um 14.30 Uhr 400-500, um 15.30 Uhr 200-300. Durch die Verlegung der Betriebsversammlung in die normale Arbeitszeit sei niemand gezwungen, länger im Betrieb zu bleiben, als 8 Stunden. Die geplante Betriebsversammlung solle für alle in den einzelnen Werken beschäftigten Betriebsangehörigen durchgeführt werden.

11

Für das weitere Vorbringen der Beteiligten wird auf den Inhalt der zu den Akten gereichten Schriftsätze Bezug genommen.

12

Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung ist zulässig, aber nicht begründet.

13

Ein Anspruch der Antragstellerin auf Nichtabhaltung einer Betriebsversammlung am 23. bzw. 24.6.1981 um 9.30 Uhr ist nicht gegeben, da die Einberufung der Betriebsversammlung durch den Antragsgegner zu diesem Zeitpunkt nicht rechtswidrig ist.

14

Der Betriebsrat hat die Einberufung der Betriebsversammlung nach pflichtgemäßem Ermessen durchzuführen (vergl. Fitting-Auffarth-Kaiser, Betriebsverfassungsgesetz, 11. Auflage, § 42 Rdn. 13). Das gilt auch für den Zeitpunkt (Fitting-Auffahrth-Kaiser a.a.O. § 43 Rdn. 6). Die Ausübung dieses Ermessens kann nur auf Ermessensüberschreitung überprüft werden.

15

Der von dem Antragsgegner gefaßte Beschluß ist nicht schon deshalb rechtswidrig, weil der geplante Termin zuvor nicht rechtzeitig genug mit der Antragstellerin abgesprochen wurde. Es erfolgte eine erste Information bereits am 18.5.1981, also 5 Wochen vor der geplanten Versammlung, es hat auch ein Gespräch stattgefunden, so daß dem Erfordernis der rechtzeitigen Benachrichtigung des Arbeitgebers genüge getan wurde.

16

Die Betriebsversammlung ist als jeweilige Teilversammlung für alle Mitarbeiter eines Werkes einberufen. Dadurch liegt sie für einen Teil der Mitarbeiter außerhalb der Arbeitszeit. Dies ist aber nicht generell unzulässig und zwingt auch nicht zur Abhaltung von weiteren Teilversammlungen, sofern durch die zeitliche Lage es den Arbeitnehmern, die außerhalb der Arbeitszeit erscheinen müßten, die Teilnahme nicht unzumutbar wäre (vergl. Rüthers in ZFA S. 210; Fitting-Auffarth-Kaiser a.a.O., § 44 Rdn. 11). Dies wäre nur dann der Fall, wenn ohne weiteres die Versammlung so gelegt werden könnte, daß sie für beide Schichten nur innerhalb der Arbeitszeit läge. Das ist aber nicht möglich, da die Schichten sich arbeitszeitlich nicht überschneiden, so daß alle Betriebsangehörigen eine Stunde außerhalb ihrer normalen Arbeitszeit hätten anwesend sein müssen. Somit ergibt sich aus der Eigenart des Betriebes, daß im Sinne von § 44 BetrVG eine andere Regelung als die Abhaltung der Betriebsversammlung während der Arbeitszeit aller Mitarbeiter zwingend erforderlich ist.

17

Es ist auch den Arbeitnehmern der 2. Schicht nicht schlechthin unzumutbar, an der Betriebsversammlung teilzunehmen. Das Ende der 2. Schicht ist 23.00 Uhr, die Betriebsversammlung um 9.30 Uhr liegt nicht so früh, daß eine Teilnahme für die Arbeitnehmer der 2. Schicht aus Erholungsgründen unzumutbar ist. Es besteht auch in zeitlicher Hinsicht für die Arbeitnehmer der 2. Schicht die Möglichkeit, nach Beendigung der Versammlung nochmals nach Hause zu gehen, da bei einer Dauer von ca. 2 Stunden das voraussichtliche Ende der Versammlung 11.30 Uhr wäre, der Schichtbeginn aber 14.30 Uhr.

18

Daß die einzelnen Arbeitnehmer so lange Anfahrtzeiten zum Betrieb haben, daß ihnen ein zweimaliges Anfahren unzumutbar wäre, ist nicht vorgetragen worden.

19

Im übrigen sind bei der Prüfung der Zumutbarkeit die berechtigten Interessen der Arbeitnehmer gegen die Interessen, die für eine Versammlung außerhalb der Arbeitszeit sprechen, gegeneinander abzuwägen. Die Tatsache, daß bei einer Verlegung der Betriebsversammlung auf das Schichtende der 1. Schicht und Schichtanfang der 2. Schicht, die Mehrzahl der Arbeitnehmer nach 7-stündiger Arbeit zusätzlich eine Stunde länger im Betrieb bleiben müßten, um der Betriebsversammlung bis zum Ende beizuwohnen, bei diesen die Konzentrationsfähigkeit herabgesetzt ist und auch dadurch die Bereitschaft nachläßt, überhaupt bis zum Ende der Betriebsversammlung beizuwohnen, spricht dafür, daß es insoweit für die Arbeitnehmer der 2. Schicht zumutbarer ist, morgens an der Betriebsversammlung außerhalb der Arbeitszeit teilzunehmen.

20

Der Beschluß des Antragsgegners ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil er nicht ausreichend auf die betrieblichen Notwendigkeiten Rücksicht nimmt. Der Betriebsrat ist zur vertrauensvollen Zusammenarbeit in allen Angelegenheiten verpflichtet und hat auf die betrieblichen Notwendigkeiten Rücksicht zu nehmen (vergl. Fitting-Auffarth-Kaiser a.a.O. § 44 Rdn. 6). Der Ablauf des Betriebes ist daher so gering wie möglich zu stören. Wenn keine sachlichen Gründe dagegen sprechen, wird der Arbeitgeber verlangen können, daß die Betriebsversammlung am Ende bzw. zu Beginn der Arbeitszeit stattfindet und nicht genau mitten in der Arbeitszeit, weil dadurch mehr Störungen, Ausfälle und Kosten verursacht werden (Rüthers a.a.O. S. 221). Eine andere zeitliche Lage durch den Betriebsrat ist aber dann nicht als rechtswidrig anzusehen, wenn es dafür sachliche Gründe gibt. Daß sie zwingend sind, ist nach Ansicht der Kammer nicht zu verlangen, es darf nur keine willkürliche Maßnahme sein. Es hat auch insoweit eine Abwägung der Interessen stattzufinden, wobei zu berücksichtigen ist, daß der Betriebsrat einen gewissen Ermessens Spielraum hat, der nicht durch den Arbeitgeber oder das Gericht eingeengt werden kann.

21

In dem hier vorliegenden Fall hat der Betriebsrat sachliche Gründe dafür vorgetragen, daß wegen einer besseren Beteiligung der Arbeitnehmer an der Versammlung die Lage am und nach Ende der 1. Schicht und vor und bei Beginn der 2. Schicht nicht gewählt worden ist. Es ist davon auszugehen, daß die Betriebsversammlung während der 1. Schicht zumindest von den Arbeitnehmern der 1. Schicht an die Mehrzahl bilden, nahezu vollzählig bis zum Ende besucht würde und die Verfassung dieser Arbeitnehmer für die Teilnahme auch besser wäre. Die Versammlung zu Beginn der Schicht zu legen, wäre wegen der Teilnahme der Arbeitnehmer der 2. Schicht nicht möglich.

22

Demgegenüber handelt es sich bei dem Betrieb der Antragstellern nicht um einen Betrieb, bei dem der Zeitpunkt der Betriebsversammlung für den Produktionsausfall so bedeutend ist, wie etwa bei einem Warenhaus oder einem Betrieb, mit auswärtigen Baustellen und dergleichen. Durch die Betriebsversammlung am Vormittag fallen zwar für die Zeit mehr Arbeitnehmer aus, als wenn zum Teil die Versammlung in die 2. Schicht fällt, es mag auch durch die Arbeitsunterbrechung etwas mehr Zeit verbraucht werden als wenn die Versammlung am Anfang oder Ende einer Schicht liegt, dennoch macht dies bei der Beklagten nach der Prognose der Kammer nicht so viel aus, daß man die Entscheidung des Antraggegners als pflichtwidrig ansehen müßte. Es muß auch keineswegs erwartet werden, daß nun die Betriebsversammlung sich länger hinziehen wird als 2 Stunden. Durch die bessere Konzentrationsfähigkeit der Arbeitnehmer und dadurch, daß durch das ständige Kommen und Gehen von Teilnehmern weniger Störung auftreten kann, wäre es durchaus möglich, einen zügigeren Verlauf der Versammlung herbeizuführen. Insofern ergibt eine Abwägung der gegenseitigen Belange nicht, daß der Antragsgegner pflichtwidrig die berechtigten Interessen des Arbeitgebers an einer möglichst geringen Störung des Betriebsablaufes unbeachtet gelassen hat.

23

Die Antrag ist daher abzuweisen.