Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 27.04.2016, Az.: 13 A 4129/14

Fährverbindung; Fährverkehr; Grundversorgung; Nachbarschaftsbereich; Pendler; schwerbehindert; öffentlicher Personennahverkehr

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
27.04.2016
Aktenzeichen
13 A 4129/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 43535
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der Fährverkehr zwischen Norden Norddeich und Norderney ist öffentlicher Personennahverkehr i.S.d. § 147 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er als schwerbehinderter Mensch von der Beklagten auf der Fährverbindung zwischen Norden-Norddeich (Norddeich-Mole) und Norderney unentgeltlich zu befördern ist.

Der Kläger ist als Schwerbehinderter anerkannt. Der bei ihm bestehende Grad der Behinderung beträgt 90. Sein Schwerbehindertenausweis weist das Merkzeichen „aG“ auf. Im Bescheid des Niedersächsischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie vom 22. August 2006 über die Feststellung des Anspruchs des Klägers betreffend seiner Eigenschaft als behinderter Mensch wird weiter ausgesprochen, dass bei ihm die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises mit Beiblatt zur Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen im Nahverkehr und bei der Kraftfahrzeugsteuer erfüllt sind.

Im Januar 2013 wendete sich der Kläger an die Beklagte mit dem Anliegen, im Fährverkehr auf der Strecke zwischen Norderney und Norddeich von der Beklagten auf Grund seiner Schwerbehinderung kostenlos befördert zu werden. Mit Schreiben vom 18. Januar 2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie ihm zurzeit in der Sache nicht weiterhelfen könne. Sie berufe sich auf die geltende Gesetzeslage bzw. die amtlichen Vorgaben des Landes Niedersachsen. Die vom Kläger angesprochene Erstattung der Einnahmeausfälle betreffe die unentgeltliche Beförderung der Begleitperson eines Schwerbehinderten.

Am 10. November 2014 hat der Kläger gegen die Beklagte Klage beim Verwaltungsgericht Hannover erhoben. Mit Beschluss vom 8. Dezember 2014 hat sich das Verwaltungsgericht Hannover für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Oldenburg verwiesen.

Zur Begründung der Klage führt der Kläger aus: Er habe einen Anspruch darauf, von der Beklagten auf der Fährstrecke Norddeich-Mole zur Insel Norderney aufgrund seiner Schwerbehinderung unentgeltlich befördert zu werden. Er beabsichtige seit längerer Zeit, von Rinteln nach Norderney/Norden umzuziehen. Seit etwa drei Jahren halte er sich aus persönlichen Gründen fast jedes Wochenende im Landkreis Aurich und auf Norderney auf. Die Beklagte habe ihn bislang von Norden nach Norderney und zurück nicht unentgeltlich befördert. Bei dem Fährverkehr auf der betreffenden Route handele es sich um Nahverkehr im Sinne des § 147 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX). Eine verkehrsmäßige Verbundenheit zwischen Norden und Norderney liege vor. Es fänden zwischen beiden Orten mehr als einmal am Tag Fahrten, nahezu im Stundentakt statt. Die Fahrtstrecke umfasse 10,6 km und die Überfahrtszeit dauere ca. 50 Minuten. Die Beklagte selbst nutze die enge wirtschaftliche Verbundenheit zwischen Norden und Norderney. Ihr Firmensitz liege auf Norderney. Sie betreibe in Norden drei Großparkplätze mit ca. 4.000 Pkw Parkplätzen, jeweils Anleger für die Fährverbindungen nach Norderney und Juist, ebenso wie die zwei jeweils dazu gehörenden Abfertigungsterminals für die Personenbeförderung, Anleger und Abfertigungshallen für den Frachtverkehr sowie Ausflugfahrten vom Hafen Norddeich aus. Dabei beschäftige die Beklagte ca. 200 Personen. Geschäfte und Betriebe aus Norden würden auf Norderney Filialen und Niederlassungen betreiben. Die Beschicker der Norderneyer Wochenmärkte pendelten mit ihren Angeboten von Festland auf die Insel. Handwerker, Vertreter und Dienstleister jeglicher Art würden Dienstleistungen auch auf Norderney erbringen. Die Fährverbindung zwischen Norden und Norderney werde täglich von ca. 1.000 Pendlern (ca. 775 Einpendler nach Norderney und ca. 250 Auspendler von Norderney) genutzt. Die Insel Norderney verfüge nicht über alle Schulformen. Ebenso pendelten Berufsschüler zwischen Norderney und Norden. Die hohe Anzahl an Pendlern zwischen Norden und Norderney werde auch durch die Tarife der Beklagten verdeutlicht. Diese biete z. B einen Nachlass von 50 % für Norderneyer Bürger, Monats- und Halbmonatskarten, und sogenannte Arbeiter-Rückfahrtkarten an. Das von der Beklagten angeführte Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg sei auf den vorliegenden Fall aufgrund veränderter Pendlerzahlen nicht anwendbar. Die Beklagte habe entgegen     § 145 Abs. 1 SGB IX nicht darauf hingewiesen, dass sie keine Behinderten auf der Strecke unentgeltlich befördere. Im „Regionalen Raumordnungsprogramm“ (RROP) des Landes Niedersachsen sei dargestellt, dass Norden ein Mittelzentrum sei, dem das Unterzentrum Norderney zugeordnet werde. Daraus könne geschlossen werden, dass dem Unterzentrum Norderney wichtige infrastrukturelle Funktionen gegenüber dem Mittelzentrum Norden fehlten.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass er von der Beklagten als schwerbehinderter Mensch gegen das Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Schwerbehindertenausweises mit gültiger Wertmarke zwischen Norddeich-Mole und Norderney (und umgekehrt) unentgeltlich zu befördern sei.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie führt zur Begründung aus: Ein Anspruch des Klägers auf kostenlose Beförderung nach den §§ 145 ff. SGB IX scheitere bereits daran, dass er nicht in Norden oder Norderney, sondern in Rinteln wohne und daher nicht Begünstigter der maßgebenden Bestimmungen sei. Zudem bestehe für sie keine Pflicht zur unentgeltlichen Beförderung von schwerbehinderten Personen auf der betreffenden Verbindungsstrecke, da es sich hierbei um Fernverkehr handele. Norden und Norderney seien nicht wirtschaftlich und verkehrsmäßig im Sinne des § 147 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX miteinander verbunden. Zur Klärung der Frage, ob ein öffentlicher Personenverkehr im Nachbarschaftsbereich stattfinde, sei auf den Sinn und Zweck der §§ 145 ff. SGB IX und der unentgeltlichen Beförderungspflicht abzustellen. Zweck der Regelung sei es, den begünstigten Personen einen Nachteilsausgleich durch die Nutzung des Nahverkehrs zu ermöglichen. Sie sollten bei dem Verkehr begünstigt werden, der durch den täglichen Bedarf im Alltag anfalle. Insofern komme es darauf an, ob die durch das Gesetz begünstigten Personen für die Deckung ihrer täglichen Bedürfnisse die Verbindung in Anspruch nehmen müssen. Weder die Bewohner Norderneys noch die Bewohner der Stadt Norden seien für die Deckung des täglichen Bedarfs aufgrund jeweils bestehender zahlreicher Einkaufsmöglichkeiten auf die Fährverbindung angewiesen. Auch sei sowohl auf Norderney als auch in Norden eine umfassende ärztliche Grundversorgung gewährleistet. Weiter sei ein breites Kultur- und Freizeitangebot - gerade auch aufgrund der touristisch geprägten Wirtschaft - vorhanden. Eine wirtschaftliche Verbundenheit zwischen Norden und Norderney ergebe sich auch nicht aus der Nutzung der Fährverbindung durch Berufspendler und Schüler, da diese nicht in einem großen Ausmaß stattfinde. Für die Schüler fehle es auf der Insel allein an einer gymnasialen Oberstufe, so dass lediglich ca. 53 Schüler den Fährverkehr regelmäßig nutzten. Dies ergebe sich aus ihren Verkaufszahlen für Schüler-Monatskarten. Zudem sei die Anzahl von Berufspendlern viel geringer als in der „Statistik der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder über sozialversicherungspflichtige Beschäftigte am Arbeits- und Wohnort sowie Ein- und Auspendler über Gemeindegrenzen nach Geschlecht - Stichtag 30.06. - Gemeinden“ (Stand 17. Januar 2015 - vgl. Blatt 104 d.GA – im Folgenden: Statistik zum Bereich der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten) angegeben. Dies ergebe sich anhand ihrer - der Beklagten - Verkaufszahlen. Die 260 Auspendler von Norderney entsprächen einem Anteil von 9,5 % der 2.735 auf Norderney wohnenden sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Einen ähnlichen Anteil in Höhe von 10,9 % von Auspendlern von in Norden lebenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten ergebe sich, wenn alle in der Statistik angegebenen 775 Auspendler nach Norderney in Norden wohnten. Zudem werde in dieser Statistik nicht zwischen den verschiedenen Arten der Pendler (wöchentliche oder unregelmäßige Pendler - wie z. B. Saisonarbeiter auf der Insel Norderney -) unterschieden. Aufgrund der verkauften Monats- bzw. Jahreskarten für diese Strecke im Jahr 2014 könne davon ausgegangen werden, dass im Durchschnitt etwa 284 Personen im Monat eine Zeitfahrkarte (Monats- oder Jahreskarte) besaßen, die auf dieser Strecke die Fährverbindung als Pendler nutzten. Dies stelle lediglich eine Anzahl von 2,9 % der insgesamt 9.788 in Norderney und in Norden lebenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten dar. Im Rahmen einer von ihr - der Beklagten - durchgeführten Erhebung im Zeitraum vom 26. Januar bis zum 9. März 2015 seien 142 Monatskarten verkauft worden, von denen 73 Karteninhaber aus Norden und 1 Karteninhaber aus Norderney stammte. Zudem seien lediglich 5 Schülermonatskarten verkauft worden. Während der Zeit einer Erhebung im Sommer seien 105 Monatskarten verkauft worden, davon an 59 Kunden aus Norden, an acht Kunden aus Norderney und an 38 Kunden aus dem Umland Nordens. Im Jahr 2013 seien von den zwei Millionen Beförderungen ca. 400.000 Beförderungen (Einzelfahrten) nicht touristisch motiviert gewesen. Darunter fielen jedoch nicht nur Fahrten des regelmäßigen Bedarfsverkehrs.

Das Gericht hat während des Klageverfahrens Auskünfte der Stadt Norderney und der Stadt Norden dazu eingeholt, ob gemeinschaftliche Planungen oder eine Abstimmung von Infrastruktur und Gewerbeplanungen bestehen, und um Übersendung entsprechender Unterlagen gebeten. Die Stadt Norden hat daraufhin mit Schreiben vom 7. April 2016  u.a. die „Zweckvereinbarung zur Zusammenarbeit im Rahmen der Leader-Region / Wattenmeer-Achter im Weltnaturerbe“ dem Gericht übersandt. Mit Schreiben vom 8. April 2016 hat die Stadt Norderney ebenfalls u.a. auf diese Zweckvereinbarung verwiesen.

Mit Schriftsatz vom 14. April 2016 hat die Beklagte hinsichtlich der von ihr selbst zweimalig durchgeführten Erhebung korrigierte Zahlen bzgl. der Anzahl der verkauften Monatskarten im Jahr 2015 vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage, mit der der Kläger die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn auf der Fährstrecke von Norden nach Norderney und zurück unentgeltlich zu befördern, hat Erfolg.

Für eine derartige Klage ist der Verwaltungsrechtsweg auch dann eröffnet, wenn der beklagte Verkehrsbetrieb - wie hier die Beklagte - eine juristische Person des Privatrechts ist. Das Rechtsverhältnis der Beteiligten ist öffentlich-rechtlicher Natur. Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits kommt es darauf an, welchen Inhalt die sich aus § 145 Abs. 1 Satz 1, § 147 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX ergebende öffentlich-rechtliche Verpflichtung des Unternehmers, der öffentlichen Personenverkehr betreibt, zur unentgeltlichen Beförderung von Schwerbehinderten hat und ob es sich bei dem von der Beklagten durchgeführten Fährverkehr von Norden nach Norderney und zurück um einen Nahverkehr im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen handelt (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Februar 1971 - VC 68.69 -, BVerwGE 37, 243; VG Köln, Urteil vom 19. April 1989 - 21 K 2969/87 -, Behindertenrecht 1989, 141).

Die Klage ist zulässig. Der Kläger kann nicht darauf verwiesen werden, dass er seine Rechte durch eine Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Zwar greift der Einwand der Subsidiarität der Feststellungsklage auch dann ein, wenn eine Gestaltungs- oder Leistungsklage vor einem Gericht eines anderen Gerichtszweiges anhängig gemacht werden kann (BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1985 - 4 C 21.80 -, NJW 1986, 1826). Der vom Kläger anhängig gemachte Rechtsstreit hat jedoch nicht Ansprüche aus einem Beförderungsvertrag mit der Beklagten zum Gegenstand; ihm geht es um ein Recht auf unentgeltliche Beförderung aus den §§ 145 ff. SGB IX. § 145 Abs. 1 SGB IX ist anspruchsbegründend für den einzelnen schwerbehinderten Menschen gegenüber dem Nahverkehrsunternehmen (Neumann/Pahlen/ Majerski-Pahlen, Sozialgesetzbuch IX,12. Auflage, § 145 Rn. 3). Ihm steht daher ein mit einer verwaltungsgerichtlichen Klage verfolgbares Recht zu, sodass ihm auch das Feststellungsinteresse zur Seite steht. Diese Lage ist hier gegeben, weil zwischen den Beteiligten Streit darüber besteht, ob der Kläger auf Schiffen der Beklagten bei Fahrten von Norden nach Norderney oder von Norderney nach Norden unentgeltlich befördert werden muss. Dieser Kern des Streits zwischen den Beteiligten müsste - würde der Kläger ein Zivilgericht im Wege der Leistungsklage auf Rückforderung des Entgelts für die Beförderung anrufen - von diesem Gericht als bloße Vorfrage mitentschieden werden. In diesen Fällen greift der Gedanke der Subsidiarität aus § 43 Abs. 2 VwGO nicht durch (BVerwG, Urteil vom 17. Februar 1971, a.a.O.).

Dem Kläger fehlt es auch nicht an dem erforderlichen Feststellungsinteresse. Zwar trifft es zu, dass der Kläger derzeit an keinem der beiden Endpunkte der streitigen Fährverbindung (Norderney bzw. Norden) seinen Wohnsitz hat. Für die Begründung eines entsprechenden Feststellungsinteresses bzgl. der Einstufung einer bestimmten Fährverbindung als Nahverkehr i.S.d. § 147 SGB IX kommt es jedoch nicht darauf an, ob die entsprechende Verkehrsverbindung am  Wohnort desjenigen liegt, der die Feststellung begehrt. Ein entsprechendes Erfordernis ergibt sich bereits nicht aus den Regelungen in den §§ 145, 147 SGB IX. Schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, werden von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach    § 69 Abs. 5 im Nahverkehr i.S.d. § 147 Abs.1 unentgeltlich befördert; die unentgeltliche Beförderung verpflichtet zur Zahlung eines tarifmäßigen Zuschlages bei der Benutzung zuschlagpflichtiger Züge des Nahverkehrs (§ 145 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Bereits in dieser Regelung befindet sich kein Hinweis darauf, dass es bei der Benutzung von Beförderungsmitteln im Nahverkehr auf solche am Wohnort des Betroffenen ankommt. Solche Anhaltspunkte ergeben sich auch nicht aus der Regelung des § 147 Abs. 1 SGB IX. Danach ist Nahverkehr im Sinne dieses Gesetzes der öffentliche Personenverkehr mit den unter Nr. 1-7 benannten Beförderungsmitteln. Eine Einschränkung, dass damit allein die Nutzung von Nahverkehrsmitteln am Wohnort des Betroffenen ermöglicht werden soll, findet sich dort nicht. Eine entsprechende Einschränkung gab es allein in § 147 Abs. 1 Nr. 5 SGB IX der bis zum 31. Dezember 2011 geltenden Fassung. Danach war Nahverkehr im Sinne dieses Gesetzes u.a. der öffentliche Personenverkehr mit Eisenbahnen des Bundes in der 2. Wagenklasse in Zügen, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Nahverkehr zu befriedigen (Züge des Nahverkehrs), im Umkreis von 50 km um den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des schwerbehinderten Menschen. In der ab dem 1. Januar 2012 geltenden Fassung dieser Norm (geändert durch das Vierte Gesetz zu Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22. Dezember 2011, BGBl. I 2011, 3057) ist die Einschränkung der Nutzungsmöglichkeit der Eisenbahnen des Bundes in der 2. Wagenklasse in Zügen des Nahverkehrs lediglich im Umkreis von 50 km um den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des schwerbehinderten Menschen gestrichen worden (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung - Drucksache 17/7991 / „Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze“). Mithin kommt es für die Frage, ob eine Verkehrsverbindung Nahverkehr i.S.d. § 147 SGB IX darstellt, darauf an, ob diese Verbindung generell eine Nahverkehrsverbindung ist, nicht jedoch darauf, ob es sich um eine Nahverkehrsverbindung für den betroffenen Schwerbehinderten an dessen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt handelt. Infolgedessen begründet der Vortrag des Klägers, dass er in der Vergangenheit die entsprechende Fährverbindung des Öfteren habe nutzen wollen und ihm eine unentgeltliche Beförderung durch die Beklagte verwehrt worden sei, das erforderliche Feststellungsinteresse.

Die Klage ist auch begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf die begehrte Feststellung zu.

Die Voraussetzungen des § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB IX liegen vor. Der Kläger ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 90 anerkannt; sein Schwerbehindertenausweis trägt das Merkzeichen aG. Ihm steht daher dem Grunde nach ein Anspruch auf unentgeltliche Beförderung im Nahverkehr zu. Der Anspruchsberechtigung des Klägers steht auch nicht entgegen, dass er seinen derzeitigen Wohnsitz weder in Norden noch auf Norderney hat. Für den Anspruch aus § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB IX kommt es nur darauf an, ob der Betroffene eine Verbindung nutzt, die generell eine Verbindung im öffentlichen Personennahverkehr i.S.d. § 147 SGB IX darstellt. Ob diese Strecke des öffentlichen Personennahverkehrs im engeren Umfeld des Wohnsitzes des Betroffenen liegt, ist dabei - wie oben dargelegt - unerheblich.

Bei dem von der Beklagten betriebenen Fährverkehr zwischen Norden-Norddeich und Norderney (und zurück) handelt es sich um öffentlichen Personennahverkehr i.S.d. § 147 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX. Danach ist Nahverkehr der öffentliche Personenverkehr mit Wasserfahrzeugen im Linien-, Fähr- und Übersetzungsverkehr, wenn dieser der Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich dient und Ausgangs- und Endpunkt innerhalb dieses Bereiches liegen; Nachbarschaftsbereich ist der Raum zwischen benachbarten Gemeinden, die, ohne unmittelbar aneinandergrenzen zu müssen, durch einen stetigen, mehr als einmal am Tag durchgeführten Verkehr wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden sind.

Zwischen Norden-Norddeich und Norderney und umgekehrt findet ein stetiger, mehr als einmal am Tag durchgeführter Fährverkehr statt. Nach dem Fahrplan der Beklagten (Stand: August 2014/Bl. 22 d.GA) finden entsprechende Fahrten abhängig von der Jahreszeit in der Zeit zwischen 6 Uhr morgens und ca. 18 Uhr abends grundsätzlich stündlich bzw. jedenfalls alle zwei Stunden in beiden Richtungen statt.

Dieser Verkehr findet auch im Nachbarschaftsbereich i.S.d. § 147 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX statt. Die Stadt Norden und die Stadt Norderney sind durch den durchgeführten Fährverkehr wie benachbarte Gemeinden verkehrsmäßig und wirtschaftlich verbunden.

Für die Beantwortung der Frage der verkehrsmäßigen und wirtschaftlichen Verbundenheit der beiden Städte (Norden und Norderney) stützt sich das Gericht neben der von den Beteiligten in das gerichtliche Verfahren eingeführten Statistik zum Bereich der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (Bl. 104 d.GA) auf das dem Gericht als Ausdruck aus dem Internet vorliegende „Regionale Entwicklungskonzept für den Wattenmeer-Achter im Weltnaturerbe“ (im Folgenden: Regionales Entwicklungskonzept, Quelle:  http://www.watten- meer-achter.de /landu/wp-content/uploads/2014/10/Regio-nales-Entwicklungskonzept-Wattenmeer-Achter-.pdf /Stand: 6. April 2016). Dieses haben unter anderen die Stadt Norderney und die Stadt Norden in Auftrag gegeben. Das Gericht hat die Beteiligten vor und in der mündlichen Verhandlung auf das Regionale Entwicklungskonzept hingewiesen. Die Beteiligten haben hinsichtlich der Verwendung des Regionalen Entwicklungskonzeptes keine Einwände erhoben.

Wann ein Nachbarschaftsbereich anzunehmen ist, ist im SGB IX, soweit es Wasserfahrzeuge im Linien-, Fähr- und Übersetzungsverkehr betrifft, nicht näher beschrieben. Infolgedessen ist für die Beantwortung der Frage, ob ein öffentlicher Personenverkehr im Nachbarschaftsbereich stattfindet, auf Sinn und Zweck der §§ 145 ff. SGB IX abzustellen (vgl. VG Oldenburg, Urteil vom 23. Juni 2014 - 13 A 1942/13 -, nicht veröffentlicht). Das Ziel des § 145 SGB IX, der Unternehmen im Nahverkehr zur unentgeltlichen Beförderung schwerbehinderter Menschen verpflichtet, ist die Förderung der Mobilität dieses Personenkreises. Sie sollen durch die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personenverkehr einen erleichterten Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln erhalten und dadurch besser im Sinn des § 1 SGB IX am Leben in der Gemeinschaft teilnehmen können (Vogl in JurisPK SGB IX, § 145 SGB IX, Rn. 24). Anspruch auf unentgeltliche Beförderung im Nahverkehr hat derjenige, der in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr so erheblich beeinträchtigt ist, dass er nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten und nicht ohne Gefahren für sich und andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Dabei beträgt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die üblicherweise im Ortsverkehr zurückgelegte Strecke etwa zwei Kilometer in 30 Minuten (BSG vom 10.12.1987 - 9 A RVs 11/87 - BSGE 62, 273 [BSG 10.12.1987 - 9a RVs 11/87]). Vor diesem Hintergrund soll die Regelung des § 147 Abs. 1 SGB IX dazu beitragen, schwerbehinderte Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, einen Nachteilsausgleich durch Nutzung des Nahverkehrs zu ermöglichen. Es soll ihnen damit auch möglich gemacht werden, am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen und ihre mangelnden Gehfähigkeiten bei der Bewältigung des Alltags durch die unentgeltliche Nutzung des Nahverkehrs auszugleichen. Damit ist eine Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich dann gegeben, wenn es um die im Alltag anfallende Bewältigung von Entfernungen z.B. zum Einkauf, zu Behörden, zur Arbeitsstätte, zu Verwaltungseinrichtungen sowie zu Gemeinschafts- oder Kultur- und Freizeitveranstaltungen geht. Dabei muss es sich um Ziele im Orts- oder Nahbereich handeln, die üblicherweise auch von nichtbehinderten Menschen zu den eben genannten Zwecken sowie z.B. zum Besuch der Arbeitsstätte, einer Verwaltung, des Arztes, eines Anwalts oder von Fachgeschäften aufgesucht werden. Dabei muss im Einzelfall nicht allen beispielhaft genannten Bereichen die gleiche Bedeutung zukommen. Da es ausreicht, dass die jeweiligen Bewohner die betreffende Strecke üblicherweise u.a. zu den dargestellten Zwecken nutzen, kommt es zudem nicht nur darauf an, ob sie auf die Nutzung angewiesen sind. In diesem Zusammenhang ist auch die vor Ort gegebene Lebenswirklichkeit, d.h. die tatsächliche Nutzung der Strecke durch die jeweiligen Bewohner, zu berücksichtigen.

Geht man von diesen Grundsätzen aus, ist der Fährverkehr zwischen Norden-Norddeich und Norderney (sowie umgekehrt) als Nahverkehr i.S.d. § 147 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX einzustufen. Der zwischen diesen beiden Städten stattfindende Fährverkehr dient dazu, die oben dargestellten Bedarfe abzudecken, und führt zu einer verkehrsmäßigen Verbundenheit der beiden Kommunen i.S.d. § 147 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX.

Zwar ist der Beklagten darin zuzustimmen, dass eine Grundversorgung der Insulaner auf Norderney im Hinblick auf ärztliche Versorgung, Einkaufsmöglichkeiten bzgl. Güter des täglichen Bedarfs sowie Kultur- und Freizeiteinrichtungen derzeit gewährleistet ist. Auch wenn der Vortrag des Klägers zutrifft, dass einige Fachärzte verschiedener Disziplinen nicht auf der Insel Norderney praktizieren, vermag dies nichts daran zu ändern, dass auf der Insel Norderney die „Grundversorgung“ für die Inselbewohner durch dort niedergelassene Ärzte (Bereiche: Allgemeinmedizin, Chirotherapie, Betriebsmedizin, Rettungsmedizin, Dermatologie, Gastroenterologie, Innere Medizin, Kinderheilkunde, Pulmologie, Allergologie, Badearzt, Frauenheilkunde und Geburtshilfe sowie Psychotherapie - vgl. https://www.norderney.de/wellness-thalasso/gesundheit-von-a-z/mn_74?arch_uuid=8906123e_7e90_43c1_74e6660ed8978bde /Stand: 7. April 2016) sichergestellt ist. Auch für Güter des täglichen Bedarfs findet sich auf der Insel eine Grundversorgung, da eine Mehrzahl von Lebensmittel- und anderen Geschäften vorhanden ist. Für das Bestehen einer Grundversorgung kommt es - entgegen der Annahme des Klägers - nicht darauf an, ob den Einwohnern der Inselgemeinde ein ebenso breites Spektrum an Einkaufsmöglichkeiten zur Verfügung steht wie für die Bewohner auf dem benachbarten Festland. Des Weiteren besteht kein Zweifel, dass die Bedürfnisse der Nutzung von Kultur- und Freizeiteinrichtungen der Insulaner auf der Insel Norderney selbst im Rahmen der Grundversorgung gedeckt werden können. Ebenso wenig bestehen Anhaltspunkte, dass die Bewohner der Stadt Norden in den eben dargestellten Bereichen der Grundversorgung auf die Insel Norderney angewiesen sind. Als Mittelzentrum verfügt die Stadt Norden über eine gut ausgebaute öffentliche Daseinsvorsorge (vgl. dazu: Regionales Entwicklungsprogramm, S. 12). Es spricht jedoch einiges dafür, dass insbesondere die Bewohner der Insel Norderney tatsächlich regelmäßig die Verbindung auf das Festland nutzen, um Alltagsbesorgungen zu erledigen. Für diese Annahme spricht z.B., dass der Einzelhandel auf den in ganz erheblichem Umfang auf den Bedarf und die Nachfrage der Urlauber und Touristen ausgerichtet ist (vgl. Regionales Entwicklungskonzept, S. 24). Als Mittelzentrum weist Norden im Vergleich zu Norderney ein breiteres Spektrum an Fachgeschäften auf. Des Weiteren befinden sich in Norden einige Behörden etc., die auch für die Insulaner zuständig sind (Amtsgericht Norden, Außenstelle des Landkreises Aurich - u.a. Jobcenter -), sowie die auf Norderney nicht vorhandene gymnasiale Oberstufe und eine Berufsschule. Die tatsächlich gegebene häufige Nutzung dieser Strecke wird auch durch die Anzahl der Fahrten auf Schiffen der Beklagten belegt. Von zwei Millionen Fahrten im Jahr 2013 sind etwa 400.000 nicht touristisch motiviert gewesen. Dabei ist davon auszugehen, dass ein großer Anteil der nicht touristisch motivierten Fahrten den Bewohnern der Städte Norden und Norderney zuzurechnen ist.

Die Annahme, dass der Fährverkehr zwischen Norden-Norddeich und Norderney dem Nahverkehr i.S.d. § 147 SGB IX zuzuordnen ist, ist zudem durch eine nicht unerhebliche Zahl von Berufspendlern (jedenfalls in der Richtung von Norden nach Norderney) gerechtfertigt. Auch wenn dem Gericht keine Zahlen über alle regelmäßigen Pendler auf dieser Strecke vorliegen, stellt das vorhandene Zahlenmaterial ein Indiz für eine nicht unerhebliche Anzahl von Berufspendlern, die die Fährverbindung nutzen, dar. Nach der von der Beklagten vorgelegten Statistik zum Bereich der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gab es zum Erhebungszeitpunkt  auf Norderney insgesamt 3.250 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (Arbeitsort). Davon waren 775 Personen Einpendler über die Gemeindegrenze (Arbeitsort). Am Wohnort Norderney gab es zum Zeitpunkt der Erhebung demnach 2.735 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Hinsichtlich des Wohnortes Norderney waren 260 Auspendler über die Gemeindegrenzen zu verzeichnen. Der Beklagten ist zwar darin zuzustimmen, dass aufgrund der Zahl von 775 sozialversicherungspflichtig beschäftigten Einpendlern nach Norderney nicht feststeht, dass die gesamte Anzahl dieser Einpendler Bewohner der Stadt Norden waren. Jedoch lässt sich eine entsprechende prozentuale Verteilung der Einpendler nach Norderney aus Norden und sonstigen Gemeinden auf dem Festland aus der von der Beklagten vorgelegten „Auswertung zu Erhebung der PLZ bei verkauften Monatskarten“ (für die Zeiträume 26. Januar bis 9. März 2015 und 15. Juni bis 16. Juli 2015 - vgl. Bl. 180 d. GA) entnehmen. Nach der dort u.a dargestellten relativen Verteilung wurden jeweils ca. 50 % der verkauften Monatskarten von Bewohnern der Stadt Norden erworben (51 % im Zeitraum 26. Januar bis 9. März 2015 und 56 % im Zeitraum 15. Juni bis 16. Juli 2015). Die Beklagte selbst geht davon aus, dass die von ihr zunächst angenommene relative Verteilung der verkauften Monatsfahrkarten (vgl. Bl. 180 d.GA) auch auf die von ihr korrigierten Verkaufszahlen übertragbar ist (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 14. April 2016, S. 9). Unter Berücksichtigung dieser prozentualen Verteilung, kann davon ausgegangen werden, dass bereits aus dem Bereich der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Einpendler nach Norderney zum damaligen Zeitpunkt ca. 387 Einpendler aus der Stadt Norden stammten. Dies macht bezogen auf die Werte der damaligen Statistik einen Anteil von 5,5 % der in der Stadt Norden wohnenden sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (387,5: 7.053 = 0,0549) und in etwa 12,8 % der in der Stadt Norden wohnenden Auspendler (387,5 : 3.037 = 0,1275) aus. Wenn man davon ausgeht, dass weiterhin in etwa 12,8 % der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Auspendler aus Norden zur Arbeit nach Norderney pendeln, rechtfertigt bereits dies die Annahme, dass eine nicht unerhebliche Anzahl von ortsansässigen Personen in Norden auf den regelmäßigen Fährverkehr zwischen Norden und Norderney angewiesen ist. Überdies ist zu berücksichtigen, dass die in der von den Beteiligten angeführten Statistik zum Bereich der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (Bl. 104 d.GA) aufgeführten Daten lediglich die Beschäftigten beinhalten, die sozialversicherungspflichtig sind. Aufgrund der zusätzlichen Anzahl nicht sozialversicherungspflichtig Beschäftigter dürfte die Anzahl der Personen, die aus der Stadt Norden stammend zu ihrer Arbeitsstätte auf Norderney regelmäßig oder gelegentlich pendeln, tatsächlich sogar noch deutlich größer sein.

Diese Annahme wird auch nicht durch den Vortrag der Beklagten entkräftet, dass die tatsächlichen Pendlerzahlen weitaus geringer seien. Die von ihr zur Untermauerung dieses Vorbringens angeführten Verkaufszahlen führen nicht zu einer anderen Bewertung. Das Gericht hat zunächst Zweifel an der Belastbarkeit der vorgebrachten absoluten Zahlen. Die von der Beklagten angeführten Verkaufszahlen bzgl. der Monats- und Jahreskarten aus dem Jahr 2014 (vgl. Bl. 57 d. GA) auf der Strecke zwischen Norden und Norderney stehen im Widerspruch zu den Zahlen der verkauften Monatskarten, die sich der Beklagten zufolge bei einer zweimaligen Erhebung im Jahr 2015 ergeben (vgl. Bl. 180 d.GA) haben. Nach den Angaben der Beklagten haben im Jahr 2014 ca. 380 Personen jeden Monat eine Monatsfahrkarte auf der betreffenden Strecke erworben. Diese Zahl ergibt sich aus folgender Berechnung: Bei verkauften 4074 Monatsfahrkarten (an Erwachsene, Schüler und Auszubildende) haben im Jahr 2014 monatlich ca. 339 Personen eine Monatsfahrkarte erworben (4074:12= 339,5). Da zudem 40 Jahresfahrkarten verkauft worden sein sollen, kommt aufgrund dessen noch eine Anzahl von 40 Personen hinzu, die in 2014 eine Dauerfahrkarte erworben haben sollen. Bei einer Addition dieser beiden Zahlen ergibt sich eine Anzahl von 379 Personen, die mit einer Monats- bzw. Jahreskarte regelmäßig zwischen den beiden Orten pendeln. Es ist nicht nachvollziehbar, wieso bei den Verkaufszahlen im Jahr 2014 jeden Monat etwa 380 Personen eine Monatsfahrkarte erworben haben sollen, während es in den beiden Erhebungszeiträumen im Jahr 2015 nur noch monatlich ca. 142 bzw. 105 Personen gewesen sein sollen (verkaufte Monatskarten im Zeitraum 26. Januar 2015 bis 9. März 2015: 142; verkaufte Monatskarten im Zeitraum 15. Juni bis 16. Juli 2015: 105 - vgl. Bl. 180 d.GA). Die Zweifel des Gerichts hinsichtlich der Richtigkeit der von der Beklagten vorgelegten absoluten Zahlen der verkauften Monatsfahrkarten in den beiden Erhebungszeiträumen im Jahr 2015 werden durch den Inhalt des Schriftsatzes der Beklagten vom 14. April 2016 bestätigt. Darin räumt die Beklagte ein, dass die von ihr vorgelegte Übersicht  (vgl. Bl. 180 d.GA) nicht die Anzahl der tatsächlich verkauften Monatsfahrkarten in den betreffenden Zeiträumen enthält, sondern nur diejenigen Monatsfahrkarten, bei denen die Käufer auch mit einer Erhebung hinsichtlich ihres Wohnortes einverstanden gewesen seien. Dies sei in etwa bei einem Drittel der Käufer der Fall gewesen, so dass tatsächlich im Zeitraum vom 26. Januar 2015 bis zum 9. März 2015 (ca. sechs Wochen) 390 Monatsfahrkarten an Erwachsene, 70 Monatsfahrkarten an Schüler und 38 Monatsfahrkarten an Auszubildende verkauft worden seien. Im Zeitraum vom 15. Juni bis zum 16. Juli 2015 seien 280 Monatsfahrkarten an Erwachsene, 18 Monatsfahrkarten an Schüler und 33 Monatsfahrkarten an Auszubildende verkauft worden.

Auch die nunmehr vorgelegten absoluten Verkaufszahlen der Beklagten (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 14. April 2016) vermögen nicht die sich aus der Statistik zum Bereich der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ergebenden Schlussfolgerung des Gerichts, dass in etwa 387 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte regelmäßig von Norden nach Norderney pendeln, zu entkräften. Selbst wenn - wie sich aus der mit Schriftsatz vom 14. April 2016 vorgelegten Übersicht der Beklagten ergibt - im Durchschnitt im Jahr 2015 nur 327 Monatsfahrkarten monatlich an Erwachsene verkauft worden sein sollten und davon nur etwa die Hälfte der Käufer aus Norden stammen sollte, lässt sich die Abweichung damit erklären, dass sehr wahrscheinlich nicht alle Personen, die aus beruflichen Gründen diese Fährverbindung öfter nutzen, eine Monats- bzw. Jahresfahrkarte erwerben. Die Beklagte hat dazu vorgetragen, dass sich bei einem Erwachsenen der Erwerb einer Monatsfahrkarte ab der neunten Hin- und Rückfahrt amortisiert (vgl. Bl. 57 d. GA). Es gibt jedoch auch Handwerker, Beschicker der Wochenmärkte etc., die die Insel Norderney aus beruflichen Gründe öfter, jedoch nicht mehr als neunmal im Monat aufsuchen, so dass sie zwar zu der Gruppe von Personen zu zählen sind, die aus beruflichen Gründen auf eine regelmäßige Fährverbindung zwischen Norden und Norderney angewiesen sind, für die sich der Erwerb einer Monats- oder gar Jahreskarte jedoch nicht lohnt. Auch wenn es für die Frage, ob ein öffentlicher Personennahverkehr i.S.d. § 147 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX vorliegt, nur gelegentliche und touristisch motivierte Fahrten auszunehmen sind, gilt dies nicht für beruflich motivierte Gelegenheitsfahrten, da in diesem Fall die Betroffenen ebenfalls auf eine regelmäßig stattfindende Fährverbindung zwischen Norderney und dem Festland  zur Verrichtung ihrer Arbeit angewiesen sind. Für diese Personen bietet die Beklagte nach eigenem Vorbringen sog. „Arbeiter-Rückfahrkarten“ für beruflich motivierte Gelegenheitsfahrten an, bei denen der sonst anfallende Kurbeitrag nicht zu leisten ist (vgl. Bl. 93 d. GA). Allein aus dem Angebot einer solchen Fahrkartenkategorie lässt sich entnehmen, dass ein durchaus beachtlicher Bedarf an dem Erwerb solcher Karten besteht. Es liegt fern, dass die Beklagte für eine lediglich geringe Anzahl von Nutzern dieser Fahrkarten einen gesonderten Tarif in ihrem Tarifsystem ausweisen würde. Die eigenen Mitarbeiter der Beklagten wirken sich im Ergebnis - entgegen der Annahme des Klägers - wohl nicht auf die Anzahl der Pendler aus, da es nach den Angaben der Beklagten in der mündlichen Verhandlung unter ihren Mitarbeitern kaum Pendler zwischen den Standorten der Beklagten auf der Insel und dem Festland gibt.

Die Annahme, dass eine nicht unerhebliche Anzahl von in Norden wohnenden Personen die zur Arbeit nach Norderney pendeln, wird auch durch den Umstand der größer werdenden Knappheit bezahlbaren Wohnraums auf der Insel Norderney für u.a. Insulaner gestützt (vgl. Regionales Entwicklungskonzept, S. 12). Auch wegen dieser Lage auf dem Miet- und Immobilienmarkt der Insel Norderney und den günstigeren Immobilienpreisen auf dem Festland hat sich eine Abwanderung von Insulanern hin zum Festland entwickelt (vgl. Regionales Entwicklungskonzept, S. 15 und 102). Die Kaufpreise für Wohnungen pro Quadratmeter sind mit rund 5.000 bis 7.000 Euro/m2 auf den Inseln um das Zwei- bis Dreifache höher als auf dem Festland in der Stadt Norden mit rund 2.000 Euro/m2 (Regionales Entwicklungskonzept, S. 12 - Fußnote 10 m.w.N.). Da der Tourismusbereich einen der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren u.a. auf Norderney darstellt (vgl. Regionales Entwicklungsprogramm, S. 10), ist die Insel für Arbeitskräfte - aufgrund der Knappheit bezahlbaren Wohnraumes - zwar nicht als Wohnsitz, aber als Arbeitsort attraktiv. Damit erklärt sich auch die hohe Anzahl vom Einpendlern von Norden nach Norderney im Verhältnis zu den Auspendlern (laut Statistik zum Bereich der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten: 775 Einpendler zu 260 Auspendler - vgl. Bl. 104 d.GA).

Neben der größeren Anzahl von Berufspendlern ist die Fährverbindung auch für eine geringere Anzahl von Schülern auf der Insel Norderney als regelmäßiges Verkehrsmittel notwendig (nach den Angaben der Beklagten: ca. 53/ vgl. Bl. 53 d. GA). Auf der Insel Norderney wird zwar als Schulform eine Kooperative Gesamtschule (KGS) vorgehalten, ein gymnasialer Zweig der Oberstufe besteht jedoch nicht (vgl. http://www. kgs-norderney.de/die-schule/schul- zweige/ Stand 9. April 2016), so dass die Schüler der Oberstufe - sofern sie sich nicht für den Besuch eines Internates auf dem Festland entscheiden - regelmäßig auf das Festland pendeln müssen. Hinzu dürften zudem einige Berufsschüler kommen, da eine Berufsschule auf Norderney nicht vorhanden ist und sich die nächstgelegene Berufsbildende Schule in Norden befindet (vgl. http://www. kgs-norderney.de/die-schule/ schulzweige/ Stand: 9. April 2016). Des Weiteren besteht seit 1997/1998 eine enge Zusammenarbeit der KGS Norderney und den Berufsbildenden Schulen Norden (BBS Norden), die sich u.a. daran zeigt, dass die Schüler der 10. Klasse des Hauptschulzweiges der KGS an einem Tag in der Woche von Lehrkräften der KGS nach Norden begleitet und an der BBS Norden von den dortigen Lehrern unterrichtet werden (vgl. http://www.kgs-norderney.de/die-schule/schul- zweige/ Stand 9. April 2016). Mithin ist auch diese Schülergruppe auf einen regelmäßigen Fährverkehr angewiesen.

Eine regelmäßige verkehrliche Anbindung an das Festland durch die Fährverbindung der Beklagten ist für die Insulaner auch aus einem weiteren Grund wichtig. Aufgrund der demografischen Entwicklung auf der Insel Norderney und der Abwanderung der Bevölkerung aufgrund der Knappheit bezahlbaren Wohnraums ist dort  - wie auch auf den anliegenden Inseln - ein Fachkräftemangel zu verzeichnen (vgl. Regionales Entwicklungsprogramm, S. 102). Dementsprechend sind die Bewohner der Insel Norderney u.a. zur Gewährleistung ihrer Grundversorgung darauf angewiesen, dass neben den wenigen vorhandenen Fachkräften auf der Insel weitere Fachkräfte zur Verrichtung ihrer Arbeit regelmäßig oder auch nur gelegentlich von Norden zur Insel pendeln.

Der regelmäßige Pendelverkehr zwischen Norden und Norderney mittels der Fährverbindung der Beklagten wird durch die geringe Fahrtdistanz von ca. 11 km, der damit verbundenen geringen Fahrtdauer von ca. 55 Minuten pro Fahrt (http://www.norder- ney.de/buchen/ faehre/mn_42830 / Stand: 9. April 2016), der weitestgehend tideunabhängigen Fahrmöglichkeit der Fährschiffe (vgl.: http://www.ostfriesland.de/mein-ostfriesland/ ferienorte/norden-norddeich/interessantes/faehrverbindung-nach-norder- ney.html / Stand 10. April 2016) sowie die u.a. für Berufspendler nicht ungewöhnlich hohen Kosten für die Fährverbindung ermöglicht (Monatskarte: 145,- € bzw. 120,83 € bei Erwerb einer Jahreskarte für 1.450,- € ; Hin- und Rückfahrt für Insulaner: 9,80 € vgl. Bl. 92 d.GA.). Zwar ist der Einwand der Beklagten berechtigt, dass die Häufigkeit der Fährverbindung auf dieser Strecke im Zusammenhang mit der überwiegenden Nutzung der Strecke durch Touristen steht und Touristen für die Frage des Vorliegens eines Nachbarschaftsbereiches außer Acht zu lassen sind. Die u.a. für Touristen vorgehaltenen häufigen Pendelmöglichkeiten eröffnen jedoch auch zugleich den Bewohnern von Norderney und Norden die Möglichkeit, regelmäßig zum jeweils anderen Ort zu gelangen.

Die Fährverbindung der Beklagten zwischen Norden und Norderney als öffentlichen Personennahverkehr i.S.d. § 147 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX zu bewerten, steht auch nicht im Widerspruch zu den Urteilen des VG Oldenburg vom 29. Januar 1971 (Az. A 197/68 A Oldenburg-Aurich - vgl. Bl. 133 ff d. GA) und des OVG Lüneburg vom 30. August 1973 (Az. VI OVG A 54/71 - vgl. Bl. 121 d. GA). Dabei kann die von den Beteiligten aufgeworfene Frage, ob sich die Regelungen der §§ 145 ff. SGB IX von den den damaligen Entscheidungen zugrundeliegenden Vorschriften des „Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung von Kriegs- und Wehrdienstbeschädigten sowie anderen Behinderten im Nahverkehr“ (UnBefG) inhaltlich unterscheiden, offen bleiben, da jedenfalls eine Änderung der Sachlage eingetreten ist, die eine andere rechtliche Bewertung zum heutigen Zeitpunkt zulässt. Das VG Oldenburg ist in seiner damaligen Entscheidung zu dem Schluss gekommen, dass die Bewohner der Gemeinde Lintelermarsch (nunmehr Teil der Stadt Norden) ihre Lebensbedürfnisse nicht auf der Insel Norderney, sondern in der Gemeinde Lintelermarsch oder der Stadt Norden befriedigen (vgl. VG Oldenburg, Urteil vom 29. Januar 1971, a.a.O., S. 11/ Bl. 143 d.GA). Dabei hat sich die Entscheidung mit der Frage, ob die Fährverbindung von Berufspendlern genutzt wird, nicht auseinandergesetzt. Das OVG Lüneburg hat in dem Urteil vom 30. August 1973 (a.a.O.) auf Seite 10 dazu ausgeführt:

„Im Übrigen sind die Bewohner jener Inseln auch nicht darauf angewiesen, ihren Lebensunterhalt etwa auf dem Festland zu verdienen. Auch aus diesem Grunde kann von einem täglichen Bedarfsverkehr, dessen finanzielle Nachteile den Begünstigten abgenommen werden sollen, nicht gesprochen werden; darauf, dass tatsächlich der eine oder andere Bewohner außerhalb seines       Heimatortes einer Beschäftigung nachgehen mag, kommt es dabei nicht an. Im Übrigen lassen es nach dem vorliegenden Fahrplan die Verbindungen zu und von der Insel auch nicht zu, von dort aus etwa tagtäglich zur Arbeitsleistung auf das Festland überzusetzen.“

Mithin ist das OVG Lüneburg zum damaligen Zeitpunkt davon ausgegangen, dass das Pendeln von Norderney auf das Festland und damit auch in die umgekehrte Richtung nur sehr vereinzelt und gelegentlich stattgefunden hat. Diese Annahme ist - wie oben dargelegt - nicht mehr zutreffend. Weiter ist es heute in Zeiten größerer Mobilität möglich und nicht unüblich, einen längeren Weg zur Arbeit oder zur Erledigung von Alltagsgeschäften auf sich zu nehmen. Bei dieser Sachlage ist eine andere rechtliche Einschätzung hinsichtlich der Frage des Vorliegen eines öffentlichen Personennahverkehrs auf der Fährlinie Norden/Norderney gerechtfertigt.

Auch unterscheidet sich der Sachverhalt in diesem Verfahren vom demjenigen, der dem Urteil des VG Oldenburg vom 23. Juni 2014 (a.a.O.) zugrunde lag. Das VG Oldenburg hatte im Juni 2014 über die Frage, ob bei der Fährverbindung zwischen Emden und der Insel Borkum ein öffentlicher Personennahverkehr i.S.d. § 147 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX anzunehmen ist, zu entscheiden. Die Fahrzeit der Fähre für die einfache Strecke von Emden nach Borkum und umgekehrt (ohne Berücksichtigung des Katamarans) beträgt danach etwa zwei Stunden und 15 Minuten, so dass bereits aufgrund der langen Reisezeit eine Nutzung der Fährverbindung z.B. für die tägliche Fahrt zur Arbeitsstätte oder zur Schule ausscheidet (vgl. VG Oldenburg, Urteil vom 23. Juni 2014, a.a.O.). Die dem damaligen Urteil zugrundeliegende Pendelmöglichkeiten zwischen Emden und Borkum sind mithin mit den oben dargestellten zwischen Norden und Norderney bereits aufgrund einer dort gegebenen erheblich längeren Fahrtzeit nicht vergleichbar.

Die für die Einstufung einer bestimmten Fährverbindung i.S.d. § 147 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX als Verbindung des öffentlichen Nahverkehrs erforderliche Annahme eines Nachbarschaftsbereich zwischen dem Ausgangs- und dem Endpunkt der Verbindung wird weiter dadurch gestützt, dass zwischen Norden und Norderney auch eine wirtschaftliche Verbundenheit besteht.

Zwar ergeben sich dazu keine Anhaltspunkte aus einem Raumordnungsprogramm. Ein Raumordnungsprogramm des sowohl Norden als auch Norderney einschließenden Landkreises Aurich gibt es derzeit nicht. Das rechtswirksame Regionale Raumordnungsprogramm des Landkreises Aurich hat am 20. Juli 2006 die Gültigkeit verloren. Seit der Bekanntmachung der Planungsabsichten im Januar 2009 befindet sich der Landkreis Aurich in der Neuaufstellung des Regionalen Raumordnungsprogramms (vgl.: http://www.landkreis-aurich.de/1217.html / Stand: 1. April 2016).

Die wirtschaftlich enge Verknüpfung zwischen Norden und u.a. Norderney ergibt sich jedoch aus der Entscheidung u.a. der beiden Kommunen Norderney und Norden, das Regionales Entwicklungskonzept anfertigen zu lassen, das nunmehr aufgrund der von der Stadt Norden dem Gericht vorgelegten Zweckvereinbarung (vgl. Bl. 238 ff. d. GA) umgesetzt werden soll. Auch enthält das Regionale Entwicklungsprogramm als Handlungsfeld die Daseinsvorsorge in den beteiligten Kommunen und zeigt darauf gerichtete Handlungsfeldziele u.a. die Unterstützung der Einrichtungen der Daseinsvorsorge sowie die Sicherung von bezahlbaren und attraktiven (Dauer-)Wohnraum (vgl. Regionales Entwicklungsprogramm, S. 80) auf.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den § 154 Abs. 1, § 167 VwGO, § 708 Nr. 11 ZPO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 S. 2 VwGO.

Die Berufung war nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.