Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 14.12.2016, Az.: 12 W 200/16 (UK)

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
14.12.2016
Aktenzeichen
12 W 200/16 (UK)
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 33212
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2016:1214.12W200.16UK.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Varel - 17.08.2016 - AZ: 1 II 41/16

Amtlicher Leitsatz

Die Durchsuchung einer Wohnung zur Ermöglichung der Abschiebung eines abgelehnten Asylbewerbers ist nach dem Nds SOG nicht zulässig, wenn der Betroffene über eine Duldung verfügt und damit eine Strafbarkeit nach § 95 AufenthG nicht gegeben ist.

Tenor:

Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers vom 29.08.2016 wird der Beschluss des Amtsgerichts Varel vom 17.08.2016 aufgehoben.

Gerichtskosten werden für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben. Die dem Betroffenen in der Beschwerdeinstanz entstandenen außergerichtlichen Kosten sind vom Land Niedersachsen zu erstatten.

Der Beschwerdewert wird auf 5.000,- € festgesetzt.

Gründe

I. Der Beschwerdeführer begehrt die Aufhebung eines Beschlusses des Amtsgerichts Varel, mit dem die Durchsuchung seiner Wohnung gem. §§ 24, 25 Nds.SOG angeordnet wurde, um die Abschiebung des weiteren Betroffenen ... durchzuführen.

Der kosovarische Staatsangehörige ... hielt sich seit 2013 in der Bundesrepublik auf. Sein Asylantrag wurde 2013 bestandskräftig abgelehnt. Die von ihm beantragte Wiederaufnahme des Verfahrens wurde abgelehnt, bestandskräftig am 12.12.2015. Aus der beigezogenen Akte des Antragsstellers ergibt sich folgender Verlauf im Jahr 2016:

Im Februar 2016 beantragte Herr ... die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Mit Anwaltsschreiben vom 10.3.2016 beantragte er, ihm den Aufenthalt bei dem Antragsgegner in ... zu gestatten. Er sei dort zur Zeit wohnhaft, weil er sich von seiner Ehefrau getrennt habe und von deren Familie in ... bedroht werde.

Mit Schreiben vom 18.3.2016, das Herrn ... am 21.3.2016 ausgehändigt wurde, schrieb der Antragsteller:

"... ich bin gem. 60 a Abs. 5 AufenthG verpflichtet, bei Ausländern, deren Aufenthalt länger als ein Jahr geduldet wurde, die Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen. Die gesetzlich vorgeschriebene Ankündigung erfolgt mit Zustellung dieses Schreibens. Die erteilte Duldung bleibt weiterhin gültig. Nach Ablauf der Gültigkeit werde ich über die Verlängerung der Duldung entscheiden."

Mit Bescheinigung vom 21.4.2016 wurde Herrn ... eine Duldung (Aussetzung der Abschiebung) bis zum 31.8.2016 mit Wohnsitzauflage Gemeinde ... erteilt. Die Bescheinigung enthält als weitere Nebenbestimmung: "Duldung erlischt mit Bekanntgabe des Ausreisetermins".

Mit Schreiben vom 24.6.2016 wurde der Antrag auf Aufenthaltserlaubnis abgelehnt. Herrn ... wurde eine Frist zur freiwilligen Ausreise bis zum 23.7.2016 gesetzt. Zugleich wurde ihm gem. § 59 Abs. 1 AufenthG die Abschiebung nach Ablauf der Frist angedroht.

Am 25.7.2016 bat der Antragsteller das Landeskriminalamt, die Abschiebung durchzuführen, wobei als Meldeadresse die Anschrift des Antragsgegners in ... angegeben wurde. Die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen plante, ... am 18.8.2016 abzuschieben. Mit Schreiben vom 11.8.2016 teilte der Landkreis ... mit, dass er der Änderung der Wohnsitzauflage in den Landkreis ... nicht zustimme. Am 17.8.2016 beantragte der Antragsteller bei dem Amtsgericht Varel, das Betreten und Durchsuchen der Wohnung des Antragsgegners in ... gem. §§ 24, 25 Nds.SOG zu gestatten. Herr ... sei im Besitz einer Duldung. Er halte sich illegal bei dem Antragsgegner in ... auf. Es sei davon auszugehen, dass er sich gegen die Abschiebung wehren werde. Die Anordnung sei erforderlich und das mildeste Mittel, um die Abschiebung durchführen zu können.

Das Amtsgericht Varel hat darauf mit Beschluss vom 17.8.2016 nach §§ 24 Abs. 2 Nr. 1, 18 Abs. 1 Nr. 2, 25 Nds.SOG die Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers zur Auffindung des Ausreisepflichtigen angeordnet. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Abschiebung könne ohne Durchsuchung der Wohnung nicht durchgeführt werden.

Die Durchsuchung wurde am 18.08.2016 durchgeführt, der ausreisepflichtige ... wurde in der Wohnung des Beschwerdeführers nicht angetroffen.

Am 29.8.2016 hat der Beschwerdeführer Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss vom 17.8.2016 eingelegt und beantragt,

die Rechtswidrigkeit der Art und Weise der Durchsuchung festzustellen.

Zur Begründung führt er aus, der Beschluss sei u.a. deshalb rechtswidrig, weil die Voraussetzungen für eine Durchsuchung und Ingewahrsamnahme nach dem Nds.SOG nicht vorgelegen hätten. Abschiebung und Abschiebungshaft nach § 62 AufenthG seien nicht dasselbe wie ein Polizeigewahrsam nach Landesrecht. Eine gesetzliche Grundlage für eine Wohnungsdurchsuchung, um Abschiebungshaft oder eine Abschiebung zu ermöglichen, gebe es nicht.

Der Antragsteller ist der Auffassung, die Voraussetzungen des § 24 Abs. 4 Nr. 2 Nds.SOG lägen vor. Bei abzuschiebenden Personen werde in der Regel der Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfüllt sein. Die Duldung sei mit der Nebenbestimmung "Erlischt mit Bekanntgabe des Abschiebungstermins" versehen worden. Dem Unterzeichner sei am 17.8.2016 nicht bekannt gewesen, dass diese Nebenbestimmung rechtswidrig sei. Die Voraussetzung des § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG sei deshalb nicht erfüllt gewesen, sodass zu diesem Zeitpunkt keine Straftat vorgelegen habe.

II.

1. Die Beschwerde ist zulässig. Für das Rechtsmittel ist der ordentliche Rechtsweg eröffnet und das Oberlandesgericht sachlich zuständig (§§ 25 Abs. 1 S. 3, 19 Abs. 4 Nds.SOG). Nach dem Vollzug der Durchsuchungsanordnung ist die Erledigung in der Hauptsache eingetreten, mit der Folge, dass gemäß § 62 Abs. 1 FamFG die Beschwerde mit dem Feststellungsbegehren statthaft ist, dass die Entscheidung den Beschwerdeführer (als Inhaber der betroffenen Wohnung) in seinen Rechten verletzt hat. Das erforderliche berechtigte Interesse an der Feststellung, das gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG bei einem schwerwiegenden Grundrechtseingriff regelmäßig vorliegt, ist bei einer Wohnungsdurchsuchung gegeben (vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 2015, 1047f m.w.Nachw.).

2. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der Beschluss des Amtsgerichts erweist sich im Ergebnis als rechtswidrig.

Gemäß §§ 25 Abs. 1 S. 2, 24 Abs. 2 Nr. 1, 18 Abs. 1 Nr. 2a Nds.SOG kann das Amtsgericht die Durchsuchung einer Wohnung anordnen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich in ihr eine Person befindet, die ordnungsbehördlich oder polizeilich in Gewahrsam genommen werden darf, weil dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat zu verhindern. Dabei soll der auf Art. 13 Abs. 2 GG beruhende Richtervorbehalt eine vorbeugende Kontrolle der Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit des Grundrechtseingriffs gewährleisten (vgl. BVerfGE 103, 142ff [BVerfG 20.02.2001 - 2 BvR 1444/00]). Dies erfordert eine eigenverantwortliche Prüfung durch den Amtsrichter, ob die im Antrag behaupteten Voraussetzungen erfüllt sind und unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung und des in § 4 Abs. 1 Nds.SOG konkretisierten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die Durchsuchungsanordnung rechtfertigen. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer bereits vollzogenen Durchsuchungsanordnung kann es dabei nur auf den Sachverhalt ankommen, der für den Amtsrichter im Zeitpunkt seiner Entscheidung - gegebenenfalls nach Durchführung der möglichen und nach § 26 FamFG erforderlichen Ermittlungen - erkennbar war (vgl. OLG Düsseldorf FGPrax 2014, 182f m.w. Nachw.; OLG Frankfurt FGPrax 2007, 42; OLG Hamm NVwZ-RR 2010, 921 [OLG Hamm 10.08.2010 - 15 W 86/10]; FGPrax 2004, 306).

Nach diesen Anforderungen hätte das Amtsgericht die Wohnungsdurchsuchung nicht anordnen dürfen. Die Voraussetzungen von §§ 24,18 Nds.SOG lagen nicht vor, da die Durchsuchung nicht erforderlich war, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat zu verhindern.

Ob und welche Straftat vorliegt oder begangen werden soll, ist vom Amtsgericht zu prüfen (vgl. Böhrenz/Siefken, Nds.SOG, aktualisierte 9. Auflage 2014, § 18 Rn. 7 a.E. - noch zur Rechtslage nach AuslG; OLG Hamm FG-Prax 2004, 306, zu dem der niedersächsischen Rechtslage vergleichbaren PolG-NW; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 23.8.2016, 11 W 79/16, 11 W 79/16 (Wx) - juris zum PolG BW; vgl. auch OLG Celle, NdsRPfl 2003, 177 - juris). Als Straftat kommt vorliegend allein ein Verstoß gegen § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in Betracht. Danach wird bestraft, wer sich ohne erforderlichen Aufenthaltstitel nach § 4 Abs. 1 S. 1 AufenthG im Bundesgebiet aufhält, wenn er a) vollziehbar ausreisepflichtig ist, b) ihm eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist und c) die Abschiebung nicht ausgesetzt ist.

Problematisch war und ist im vorliegenden Fall das Fehlen einer Duldung, § 95 Abs. 1 Nr. 2 c). Nach dem Antragsschreiben des Antragstellers, das dem Amtsgericht ohne weitere Unterlagen übersandt wurde, obwohl die Durchsuchung bereits am Folgetag erfolgen sollte, war dieses Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt. In dem Schreiben heißt es ausdrücklich, dass ... im Besitz einer Duldung sei, dass also gem. der Legaldefinition in § 60a AufenthG die Abschiebung vorübergehend ausgesetzt war.Angaben zu Nebenbestimmungen finden sich im Antragsschreiben nicht.

Der Senat hat die Ausländerakten des Antragsstellers für ... beigezogen. Auch nach dem sich danach ergebenden detaillierteren Sachverhalt mangelt es an den Voraussetzungen für eine Durchsuchung aufgrund des Nds.SOG.

Soweit der Senat feststellen kann, ist streitig, ob eine Duldung unter der Bedingung des Erlöschens "mit Bekanntgabe des Abschiebungstermins" befristet ausgesprochen werden darf (dafür VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24.2.2016, 11 S 1626/15 - juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7.12.2015 - OVG 12 S 77.15 - juris; dagegen VG Hamburg, Urteil vom 4.5.2015, 15 K 4757/13 - juris).

Die Frage braucht vom Senat aber nicht zu entschieden werden. Sollte die Nebenbestimmung unwirksam sein, lag bis zum 31.8.2016 eine uneingeschränkte Duldung vor, so dass keine Strafbarkeit nach § 95 AufenthG gegeben war. Sieht man die Nebenbestimmung als wirksam an, so hätte die Duldung mit der Bekanntgabe des Abschiebungstermins geendet. Dieser war Herrn ... aber vor der Durchsuchung nicht bekannt gegeben worden, was der nach § 59 Abs. 1 S. 8 AufenthG vorgesehenen Verfahrensweise entspricht, wonach der Termin zur Abschiebung dem Betroffenen nach Ablauf der Frist zur Ausreise nicht angekündigt werden darf.

Das bedeutet, dass eine Straftat erst nach der Bekanntgabe an den Abzuschiebenden, also erst nach einer erfolgreichen Durchsuchung entstehen konnte, und ohne diese nicht bevorstand. Zugespitzt würde die Durchsuchung also nicht zur Verhinderung, sondern zur Erzeugung einer Straftat erfolgen. Dies ist vom Gesetzeszweck der §§ 24, 18 Nds.SOG nicht gedeckt. § 24 Nds.SOG verlangt das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 7 GG auch für Durchsuchungen (Böhrenz/Siefken, a.a.O., § 24 Rn. 2). Dabei hatte der Nds.SOG-Gesetzgeber die Absicht, die Voraussetzungen für den schwerwiegenden Eingriff der Freiheitsentziehung so eng wie möglich zu fassen (Saipa, Nds.SOG, Kommentar, 2016, § 18 Rn. 5). "Unerlässlich" im Sinn von § 18 Abs. 1 Nr. 2 Nds.SOG ist die Durchsuchung danach nur, wenn kein anderes geeignetes Mittel zur Verhinderung der Straftat oder der Ordnungswidrigkeit zur Verfügung steht (Böhrenz/Siefken, a.a.O., § 18 Rn. 8). Die vorliegende Lage, in der erst nach der erfolgreichen Durchsuchung bei Bekanntgabe des Termins die Straftat entstehen könnte, kann darunter nicht subsumiert werden. Die Durchsuchung war dementsprechend auch nicht mit dieser Begründung beantragt worden, sondern ausschließlich, "um die Ausreisepflicht durchzusetzen". Dies genügt für die Anwendung von § 18 Abs. 1 Nr. 2 Nds.SOG nicht (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 4.2.2004 - 6 W 32/03-, juris - zur Vorgängerschrift des Nds.GefAG).

Ungeachtet des praktischen Bedürfnisses, Wohnungen zwecks Durchführung von Abschiebungen durchsuchen zu können, fehlt es damit an der gem. Art. 13 Abs. 2 GG dafür erforderlichen gesetzlichen Grundlage. Wie der Beschwerdeführer zu Recht ausführt, liegt insoweit eine Lücke des AufenthG vor. Dieses regelt die Inhaftierung zur Durchführung der Abschiebung, enthält aber keine Regelung zur Wohnungsdurchsuchung zum Zweck der Ergreifung eines Abzuschiebenden.

Soweit der Beschwerdeführer weiter rügt, dass die Bestimmung des § 25 Abs. 4 und 5 Nds.SOG bei der Durchführung der Durchsuchung nicht beachtet worden und eine Aushändigung des Durchsuchungsbeschlusses unterblieben sei, betrifft dies nicht den angefochtenen Durchsuchungsbeschluss als Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 FamFG, §§ 19 Abs. 4, 25 Abs. 1 Nds.SOG. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf den §§ 36 Abs. 3, 61 GNotKG.