Landgericht Verden
Beschl. v. 19.01.2009, Az.: 1 Qs 255/08
Anforderungen an die Rechtmäßigkeit einer von einem Polizeibeamten angeordneten Blutentnahme zum Nachweis einer Drogenfahrt
Bibliographie
- Gericht
- LG Verden
- Datum
- 19.01.2009
- Aktenzeichen
- 1 Qs 255/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 10653
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGVERDN:2009:0119.1QS255.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Verden - 25.11.2008 - AZ: 9a Gs 3145/08
Rechtsgrundlagen
- § 81a Abs. 1 S. 1, 2 StPO
- § 29 BtMG
Verfahrensgegenstand
Verstoß gegen das BtMG
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Eine Maßnahme, die aus tatsächlichen Gründen nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, ist daher im Regelfall unanfechtbar.
- 2.
Im Regelfall müssen die Strafverfolgungsbehörden versuchen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie selbst eine Blutentnahme anordnen.
- 3.
Während bei der Feststellung des Blutalkoholgehalts wegen des rasch fortschreitenden Abbaus des Blutalkohols jede zeitliche Verzögerung bei der Blutentnahme offenkundig zu größeren Ungenauigkeiten oder zu einer Unmöglichkeit der Rückrechnung des Blutalkoholgehaltes im Tatzeitpunkt führt, besteht bei Betäubungsmitteln keine vergleichbare Gefahrenlage.
- 4.
Ein Beweisverwertungsverbot im Falle einer ungerechtfertigten Inanspruchnahme der Eilanordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft oder ihrer Ermittlungspersonen kommt ausnahmsweise in Betracht, wenn die Gefahr im Verzug in willkürlicher Weise angenommen worden wäre.
Tenor:
In dem Ermittlungsverfahren ... wird auf die sofortige Beschwerde des Beschuldigten vom 8. Dezember 2008 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Verden (Aller) vom 25. November 2008 (Az. 9a Gs 111 Js 27078/08 (3145/08)) der angefochtene Beschluss aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Entnahme der Blutprobe bei dem Beschuldigten am 26. Mai 2008 rechtswidrig war. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Beschuldigten trägt die Landeskasse (§ 467 Abs. 1 StPO analog). Die Entscheidung unterliegt keiner weiteren Anfechtung (§ 310 Abs. 2 StPO).
Gründe
1.
Die Beschwerde des Beschuldigten (vgl. BI. 31 f. dA) gegen den Beschluss des Amtsgerichts Verden (Aller) vom 25. November 2008, durch den das Amtsgericht die Rechtmäßigkeit der bei dem Beschuldigten am 26. Mai 2008 durchgeführten Blutprobenentnahme festgestellt hat (vgl. BI. 28 dA), ist statthaft (vgl. § 304 Abs. 1 StPO) und auch im Übrigen zulässig.
Die Beschwerde ist - ebenso wenig wie die ihr zugrunde liegende, in analoger Anwendung des § 98 Abs. 2 S. 2 StPO (vgl. MeyerGoßner, StPO, 51. Aufl., 2008, § 81a Rdnr. 31 u. § 98 Rdnr.23) getroffene Entscheidung des Amtsgerichts - insbesondere nicht etwa deshalb als prozessual überholt und deshalb unzulässig anzusehen, weil die Blutprobenentnahme sofort vollzogen wurde. Zwar ist ein Antrag auf gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer durch Vollzug oder auf andere Weise erledigten richterlichen oder nichtrichterlichen Anordnung oder die Weiterführung des Verfahrens zu diesem Zweck grundsätzlich unzulässig (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O.., Vor § 296 Rdnr. 18). Eine Maßnahme, die aus tatsächlichen Gründen nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann, ist daher im Regelfall unanfechtbar (vgl. BGH NJW 1973, 2035).
Anders verhält es sich jedoch in Fällen tiefgreifender, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkender Grundrechtseingriffe, wenn sich die Belastung durch die Maßnahme nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann (vgl. BVerfG, NJW 1997, 2163 [BVerfG 30.04.1997 - 2 BvR 817/90]; 2007, 1345). In diesen Fällen - zu denen neben Wohnungsdurchsuchungen nach Auffassung der Kammer namentlich auch der vorliegend gegebene Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) durch Entnahme einer Blutprobe gehört - verlangt das rechtsstaatliche Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG), dass ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 98 Abs. 2 S. 2 StPO (analog) und eine gegebenenfalls gegen diese Entscheidung gerichtete Beschwerde nicht als unzulässig verworfen wird, sondern statt dessen die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Maßnahme überprüft und gegebenenfalls ihre Rechtswidrigkeit festgestellt wird (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O.., § 81a Rdnr. 31 u. Vor § 296 Rdnr. 18a).
2.
Die demnach zulässige Beschwerde des Beschuldigten hat auch in der Sache Erfolg. Zu Unrecht hat das Amtsgericht die Rechtmäßigkeit der bei dem Beschuldigten am 26. Mai 2008 "nur" aufgrund der Anordnung einer Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft durchgeführten Blutentnahme festgestellt.
a.)
Gemäß § 81a Abs. 1 S. 1 StPO darf zur Feststellung von Tatsachen, die für das Verfahren von Bedeutung sind, eine körperliche Untersuchung des Beschuldigten angeordnet werden.
Nach § 81a Abs. 1 S.2 StPO sind zu diesem Zweck auch Entnahmen von Blutproben, die von einem Arzt vorgenommen werden, ohne Einwilligung des Beschuldigten zulässig.
Vorliegend wurde dem Beschuldigten am 26. Mai 2008 um 15.30 Uhr in den Räumlichkeiten der Polizeistation Twistringen von dem Arzt Dr. S. eine Blutprobe entnommen (vgl. BI. 1 f. dA), die ausweislich des Untersuchungsauftrages von der LADR GmbH Medizinisches Versorgungszentrum Dr. Kramer und Kollegen immunchemisch und chromatografisch auf Betäubungsmittel (Amphetamine, Kokain, Opiate, Cannabis, vgl. BI. 4 dA), nicht aber auch auf Blutalkohol untersucht werden sollte und sodann auch - mit positivem Befund bezüglich Cannabis (vgl. BI. 3 dA) - untersucht wurde. Nach den Feststellungen des Zeugen POK D. anlässlich einer Kontrolle des Beschuldigten als Führer des Pkw Mercedes, amtliches Kennzeichen DH-HB 900, in Twistringen bestanden bei dem Beschuldigten Anzeichen für einen Betäubungsmitteleinfluss (vgl. BI. 2 dA), woraus sich der Anfangsverdacht einer Straftat nach § 29 BtMG ergab.
b.)
Nach § 81a Abs. 2 StPO steht die Kompetenz, eine Blutprobenentnahme für die Zwecke des § 81a Abs. 1 StPO anzuordnen, dem Richter und nur bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft und nachrangig ihren Ermittlungspersonen im Sinne des § 162 GVG zu. Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Eilkompetenz der Strafverfolgungsbehörden ist somit das Vorliegen von "Gefahr im Verzug". Die Gefährdung des Untersuchungserfolges durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung einhergehende Verzögerung muss insoweit mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist. Im Regelfall werden die Strafverfolgungsbehörden zunächst zu versuchen haben, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie selbst eine Blutentnahme anordnen (vgl. BVerfG, NJW 2007, 1345).
Vorliegend ist die Blutprobenentnahme bei dem Beschuldigten von dem Ermittlungsbeamten der Staatsanwaltschaft, POK D., angeordnet worden, ohne dass zuvor versucht worden wäre, eine diesbezügliche richterliche Anordnung zu erlangen. Auch ist in dem Ermittlungsbericht des POK D. (vgl. BI. 2 dA) nicht vermerkt, dass der Verzicht auf die Einholung der richterlichen Anordnung wegen Gefahr im Verzuge geboten gewesen wäre.
Es kann hier offen bleiben, ob bereits allein die im Anordnungszeitpunkt fehlende Dokumentation der im Einzelfall bestehenden Gründe für die Annahme von "Gefahr im Verzug" zur Rechtswidrigkeit der Anordnung der Blutprobenentnahme durch die Strafverfolgungsbehörden führen muss, oder ob eine nachträgliche Dokumentation dieser Gründe ausreichend ist.
Für Letzteres spricht, dass es gerade der Sinn und Zweck der Dokumentationspflicht ist, eine nachträgliche gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung der Blutprobenentnahme zu ermöglichen (vgl. BVerfG, NJW 2007, 1345).
Die Nachträglichkeit der Dokumentation der Anordnungsgründe steht einer solchen gerichtlichen Überprüfung jedoch jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die Anordnungsgründe dem Gericht noch vor seiner Entscheidung zur Kenntnis gebracht werden. Unabhängig von dieser Frage ist die hier in Rede stehende Anordnung der Blutentnahme bei dem Beschuldigten durch den POK D. indes schon deshalb rechtswidrig, weil die Voraussetzungen für eine Anordnung der Blutprobenentnahme durch die Strafverfolgungsbehörden mangels Gefahr im Verzug objektiv nicht vorlagen.
Es ist nicht ersichtlich, dass die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung verbundene zeitliche Verzögerung zu einer Gefährdung des Untersuchungserfolges infolge eines drohenden Beweismittelverlustes geführt hätte. Die Grundsätze, die die Kammer diesbezüglich für den anders gelagerten Fall des Verdachts einer alkoholbedingten Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) entwickelt hat (vgl. den Beschl. v. 15. Dezember 2008, Az. 1 Qs 236/08), lassen sich auf Fallgestaltungen, in denen der Verdacht eines Betäubungsmittelkonsums besteht, nicht übertragen. Während bei der Feststellung des Blutalkoholgehalts wegen des rasch fortschreitenden Abbaues des Blutalkohols jede zeitliche Verzögerung bei der Blutentnahme evidentermaßen zu größeren Ungenauigkeiten bei oder gar zu einer Unmöglichkeit der Rückrechnung des Blutalkoholgehaltes im Tatzeitpunkt führt, besteht bei denjenigen Betäubungsmitteln, die Gegenstand des in Auftrag gegebenen Drogen- und Medikamentenscreenings waren, keine vergleichbare Gefahrenlage. Ein Zuwarten um wenige Stunden hätte daher den Untersuchungserfolg nicht gefährdet. Dies gilt umso mehr, als die Anordnung der Blutprobenentnahme durch den POK D. an einem Montag gegen 15.30 Uhr und mithin zu einer Uhrzeit erfolgte, zu der eine richterliche Entscheidung - jedenfalls durch den im Landgerichtsbezirk Verden bestehenden zentralen richterlichen Eildienst - noch zeitnah hätte erfolgen können. Die Sachlage stellt sich hier mithin nicht anders da als jener Sachverhalt, der dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Februar 2007 (Az. 2 BvR 273/06, NJW 2007, 1345) zugrunde lag.
Ob sich aus der Rechtswidrigkeit der Anordnung der Blutentnahme durch den POK D. im vorliegenden Einzelfall sodann auch ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich des Ergebnisses des durch die LADR GmbH durchgeführten Drogen- und Medikamentenscreenings ergibt, hat die Kammer im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens nicht zu entscheiden. Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (vgl. den bereits zitierten Beschluss vom 15. Dezember 2008, Az. 1 Qs 236/08) kommt ein Beweisverwertungsverbot im Falle einer ungerechtfertigten Inanspruchnahme der Eilanordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft oder ihrer Ermittlungspersonen allerdings nur ausnahmsweise und allenfalls dann in Betracht, wenn die Gefahr im Verzug in willkürlicher Weise angenommen worden wäre, wenn der Richtervorbehalt bewusst und gezielt umgangen bzw. ignoriert worden wäre, oder wenn die den Richtervorbehalt begründende Rechtslage in gleichgewichtiger Weise gröblich verkannt oder fehlbeurteilt worden wäre.