Landgericht Bückeburg
Urt. v. 11.01.2017, Az.: 2 O 39/16

Abgasskandal; Abgas-Skandal; Kauf; Rücktritt

Bibliographie

Gericht
LG Bückeburg
Datum
11.01.2017
Aktenzeichen
2 O 39/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 54249
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 25.654,23 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.02.2016 Zug- um- Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs VW Caddy mit der Fahrgestellnummer WV...5 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 24.02.2016 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. benannten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten im Rahmen des sog. VW-Abgasskandals nach seinem Rücktritt von einem Kaufvertrag über einen fabrikneu erworbenen Pkw VW Caddy mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 die Rückzahlung des geleisteten Kaufpreises von 27.630,00 € unter Abzug der von ihm in der Klageschrift näher berechneten Nutzungsentschädigung von 1.202,83 €.

Die Beklagte ist Vertragshändlerin der Volkswagen AG und vertreibt neben Neu- und Gebrauchtfahrzeugen der Marke Volkswagen auch Fahrzeuge anderer Fahrzeugmarken. Außerdem bietet sie Service- und Wartungsleistungen an. Sie ist mit der Volkswagen AG gesellschaftsrechtlich nicht verbunden und insbesondere keine Konzerntochter der Volkswagen AG.

Der Kläger erwarb von der Beklagten nach Kaufvertragsschluss vom 07.03.2014 einen fabrikneuen VW Caddy Trendline 1,6 l TDI mit einer Motorleistung von 75 kW für einen Kaufpreis von 27.630,00 €. Der Kläger zahlte den Kaufpreis; das Fahrzeug wurde ihm übergeben und übereignet.

In dem Kraftfahrzeug ist ein 1,6-Liter-Dieselmotor vom Typ EA 189 eingebaut, dessen Motorsoftware den Ausstoß von Stickoxid („NOx“) im behördlichen Prüfverfahren optimiert. Die Software erkennt, ob sich das Kfz auf einem technischen Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte oder im üblichen Straßenverkehr befindet. Auf dem Rollenprüfstand schaltet die Motorsteuerung in einen NOx-optimierten Modus 1, bei dem es eine erhöhte Abgasrückführungsrate gibt; im normalen Fahrbetrieb befindet sich der Motor durchgehend im partikeloptimierten Modus 0. Dadurch werden auf dem Prüfstand geringere Stickoxidwerte als im Normalbetrieb erzielt. Nur so wurden die nach der Euro-5-Abgasnorm vergebenen NOx-Grenzwerte eingehalten. Der Hersteller VW bewirbt den Fahrzeugtyp im Rahmen der Auflistung der technischen Daten mit der Euro-5-Abgasnorm.

Mit Verweis auf den sog. VW-Abgasskandal erklärte der Kläger - ohne vorherige Fristsetzung zur Nacherfüllung - mit Anwaltsschreiben vom 16.02.2016 den Rücktritt vom Kaufvertrag. In dem Schreiben forderte er die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 23.02.2016 zur Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich gezogener Nutzungen Zug-um-Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Kfz auf. Die Nutzungen berechnete der Kläger dabei auf eine tatsächliche Fahrleistung von 13.060 km und eine Gesamtlaufleistung des VW Caddy von 300.000 km.

Mit Antwortschreiben vom 22.02.2016 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Volkswagen AG in Abstimmung mit dem Kraftfahrtbundesamt („KBA“) Klarheit zur Behebung der „Unregelmäßigkeiten“ geschaffen habe. Die Volkswagen AG werde vor dem Lufmassenmesser des Motors einen sog. Strömungsgleichrichter befestigten und ein Software-Update durchführen. Der Zeitaufwand werde in einer Vertragswerkstatt voraussichtlich weniger als 1 Stunde betragen. Die Kosten werde die Volkswagen AG tragen. Die Maßnahmen sollten für sämtliche Motorvarianten so schnell wie möglich abgeschlossen werden. Man bitte bis dahin um Geduld. Wörtlich heißt es: „Durch die geschilderten Maßnahmen wird der Ausstoß an NOx soweit reduziert, dass die einschlägigen Grenzwerte eingehalten werden. Es ist unser Ziel, dass die Maßnahmen keinen nachhaltigen Einfluss auf Verbrauch und Fahrleistung haben werden.“ Die Beklagte verzichtete auf die Erhebung der Einrede der Verjährung bis zum 31.12.2017 wegen etwaiger Ansprüche, die im Zusammenhang mit der eingebauten Software bestehen könnten.

Die Beklagte ist für die Umsetzung der Maßnahmen auf die Bereitstellung des Strömungsgleichrichters und insbesondere des Software-Updates durch den Hersteller Volkswagen AG angewiesen. Der Hersteller seinerseits bedarf nach einem mit dem KBA abgestimmten Zeit- und Maßnahmenplan der jeweiligen Freigabe der Software-Updates durch das KBA. Die beim Hersteller vorhandenen ca. 1.200 Motorkonfigurationen werden dabei zu 14 Clustern zusammengefasst, für die das KBA 3 Repräsentanten je Cluster auswählt und deren Grundsoftware prüft und freigibt. Für die weiteren Motorvarianten des Clusters ist anschließend eine Feinanpassung notwendig. Nach dem Software-Update werden die Motoren nur noch im NOx-optimierten Modus 1 betrieben werden.

Laut einer Pressemitteilung der Volkswagen AG vom 16.12.2015 war die Umrüstung von Fahrzeugen mit 1,6-Liter-Motoren ab 3. Quartal 2016 avisiert. Zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung hatte das KBA das Software-Update für die Motorkonfiguration des klägerischen Fahrzeugs noch nicht freigegeben; vielmehr lag insoweit nur eine sog. Konzeptsoftware vor. Die Beklagte konnte seinerzeit keine Angaben über den konkreten Zeitplan der Mangelbeseitigung für das klägerische Fahrzeug machen. Durch das KBA wurde am 19.05.2016 die Update-Freigabe für zwei Motorvarianten des VW Caddy 1,6 l TDI, 75 kW erteilt, zu denen die klägerische allerdings nicht gehört. Im betreffenden Bescheid ist festgehalten, dass die Grenzwerte für Schadstoffemissionen eingehalten würden, die Motorleistung unverändert bliebe und die ursprünglich vom Hersteller angegebenen Verbrauchswerte und CO2-Emissionen in Prüfungen durch einen Technischen Dienst bestätigt worden seien. Eine Update-Freigabe für die Motorvariante des klägerischen Fahrzeugs lag bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 24.10.2016 noch nicht vor und war erst für die 47. Kalenderwoche des Jahres 2016 zu erwarten. Einen Termin zur Umrüstung des klägerischen Fahrzeuges konnte die Beklagte in der mündlichen Verhandlung immer noch nicht zeitlich umreißen, und zwar schon deshalb, weil nach der Freigabe-Entscheidung des KBA ggf. nochmals Feinanpassungen der Software für die Motorvariante des Klägers erforderlich seien (s.o.).

Das streitgegenständliche Fahrzeug ist auch ohne Durchführung der Umrüstung fahrbereit und verkehrssicher. Die EG-Typengenehmigung wurde bislang nicht entzogen. Das KBA betrachtet das Aufspielen des Software-Updates jedoch als verpflichtend.

Der Kläger behauptet, dass er sich bewusst wegen der vergleichsweise positiven Abgaswerte für das Fahrzeug entschieden habe. Das Fahrzeug sei mangelhaft, weil die vom Hersteller und der Beklagten als Vertragshändlerin mitgeteilten Verbrauchs- und Abgaswerte, insbesondere die NOX- und CO2- Werte, nicht eingehalten würden. Die Euro-5-Norm sei nicht eingehalten. Die Allgemeine Betriebserlaubnis („ABE“) sei unter Einsatz einer Manipulations-Software erschlichen. Daher drohe, solange das KBA die Umrüstung des streitgegenständlichen Fahrzeugs nicht genehmigt habe, ein Entzug der ABE und eine Stilllegung des Fahrzeugs. Bei Durchführung der Umrüstung sei zu befürchten, dass sich die übrigen Emissionswerte, die Motorleistung und/oder die Kraftstoffverbrauchswerte verändern, so dass die Nachbesserung zu einem Folgemangel an dem Fahrzeug führen würde. Bekanntermaßen - wozu sich der Kläger insbesondere auf eine Dissertation des Dipl-Ing. (FH) Wenzel beruft - gebe es einen Zielkonflikt zwischen günstigen Stickoxidwerten und günstigen Kohlendioxid-Abgaswerten. Es sei davon auszugehen, dass eine Verbesserung der Stickoxidwerte nur unter Inkaufnahme neuer Mängel beim CO2-Ausstoß oder beim Kraftstoffverbrauch oder unter Inkaufnahme von erhöhtem Verschleiß von Motor bzw. Dieselpartikelfilter möglich sei. Der Kläger meint, dass auch unter zeitlichen Aspekten ihm das Abwarten der Mangelbeseitigung nicht zumutbar gewesen sei, weil zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung der Umrüstungszeitpunkt nicht absehbar gewesen sei und er, der Kläger, währenddessen mit einem Auto hätte fahren müssen, das die Umweltgesetze nicht einhalte. Sein Vertrauensverhältnis zum Hersteller und dem Vertragshändlerring sei aufgrund der Vorfälle und der intransparenten, scheibchenweisen Informationspolitik im Rahmen des VW-Abgasskandals nachhaltig gestört. Ferner habe der Hersteller die Käufer arglistig getäuscht, was der Beklagten als Vertragshändlerin zuzurechnen sei; es sei davon auszugehen, dass das Vertragshändlernetz von den Manipulationen gewusst habe. Schließlich bestehe schon jetzt - und verbleibe selbst im Falle der Nachbesserung - ein merkantiler Minderwert des klägerischen Fahrzeugs. Am Gebrauchtwagenmarkt sei auf den einschlägigen Portalen ein Preisverfall für vom Abgasskandal betroffene Fahrzeuge zu beobachten. Händler würden entsprechende Fahrzeuge nicht in Zahlung nehmen. Insgesamt sei dem Kläger eine Nacherfüllung unzumutbar. Zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung habe das Fahrzeug eine Laufleistung von 13.060 km aufgewiesen, zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung - insoweit unstreitig - eine Laufleistung von 17.877 km.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 26.427,17 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.02.2016 Zug-um-Zug gegen Übergabe des Fahrzeuges mit der Fahrgestellnummer WV...5 zu zahlen,

2. festzustellen, dass sich die Beklagte spätestens seit dem 24.02.2016 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet,

3. die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.430,38 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.02.2016 zu tragen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, das streitgegenständliche Fahrzeug sei nicht mangelhaft, weil es - insoweit unstreitig - technisch sicher und in seiner Fahrbereitschaft nicht eingeschränkt sei und über alle notwendigen Genehmigungen verfüge. Die Emissionsgrenzwerte zur Erlangung der EU-Typgenehmigung würden nach den gesetzlichen Vorgaben allein im Prüfbetrieb auf einem synthetischen Fahrzyklus mir fünf künstlichen Fahrkurven bestimmt und müssten im normalen Fahrbetrieb nicht erreicht werden. Es sei – unstreitig – typisch, dass die Emissionswerte im Straßenbetrieb höher seien als unter Testbedingungen. Die Emissionswerte seien auch nicht Gegenstand der Kaufvertragsverhandlungen gewesen. Eine EU-rechtlich unzulässige Abschalteinrichtung sei nicht zum Einsatz gekommen. Selbst wenn aber ein Mangel vorliege, hätte der Kläger jedenfalls eine Frist zur Nacherfüllung setzten müssen. Für die Bemessung der Länge der angemessenen Frist sei auch der zwischen dem Hersteller und dem KBA abgestimmte Zeit- und Maßnahmenplan zu berücksichtigen. Ferner sei der Mangel - sein Vorliegen unterstellt - unerheblich, da der Mangelbeseitigungsaufwand unter Einbeziehung der Entwicklungskosten mit weniger als 100,00 € zu kalkulieren sei und damit bei nur 0,36 % des Kaufpreises liege. Das Software-Update führe auch nicht zu irgendwelchen Nachteilen oder negativen Folgen für Verbrauch, Leistung, Abgaswerte oder Haltbarkeit. Soweit der Kläger Arglist des Herstellers behauptet, sei diese der Beklagten jedenfalls nicht zuzurechnen. Für die Berechnung des Nutzungsersatzes sei auf eine Gesamtlaufleistung von 200.000 km abzustellen.

Die Beklagte meint, der klägerische Antrag zu 2. (Feststellungsantrag) sei wegen der Formulierung, dass der Annahmeverzug „spätestens“ seit 24.02.2016 bestehe, zu unbestimmt und daher unzulässig. Darüber hinaus habe der Kläger die ihm obliegende Leistung nicht in einer den Annahmeverzug begründenden Weise angeboten, weil er keinen konkreten Tag benannt habe und auch die mit übertragenen Fahrzeugpapiere, Serviceheft, sämtliche Schlüssel und mitverkaufte Gegenstände, wie den Satz Winterreifen, nicht ausdrücklich benannt habe.

Der klägerische Antrag zu 3. sei ebenfalls unzulässig, weil er nicht erkennen lasse, ob es sich um einen Freistellungs- oder um einen Zahlungsanspruch handele.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Der neue Sachvortrag des Klägers aus dem nach Ablauf der Schriftsatzfrist eingegangenen Schriftsatz vom 16.11.2016 hatte dabei allerdings gemäß § 296 a ZPO unberücksichtigt zu bleiben und hat der Kammer auch keine Veranlassung zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gegeben. Dies gilt gleichermaßen für den neuen Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 05.01.2017.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

A.

Die Klage ist - auch hinsichtlich des Feststellungsbegehrens gemäß dem Klageantrag 2. - zulässig. Das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse des Klägers an der Feststellung des Annahmeverzuges durch die Beklagte ergibt sich aus § 756 Abs. 1 ZPO. Die Anträge sind nach gebotener Auslegung auch hinreichend bestimmt.

B.

Die Klage ist im Wesentlichen begründet.

I. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises von 27.630,00 € abzüglich gezogener Nutzungen i.H.v. 1.975,77 € Zug-um-Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeuges (§§ 346 Abs. 1, 348 i.V.m. §§ 433, 434, 437 Nr. 2, 440 Satz 1, Alt. 3, 323 Abs. 1 BGB).

1. Der Kläger ist mit Schreiben vom 16.02.2016 wirksam von dem Kaufvertrag mit der Beklagten über den streitgegenständlichen VW Caddy zurückgetreten. Der Pkw wies bei Gefahrübergang einen Sachmangel auf. Eine Frist zur Nacherfüllung war entbehrlich und die Pflichtverletzung war nicht unerheblich; diese letzteren beiden Voraussetzungen des Rücktrittsrechts hängen eng miteinander zusammen.

a. Die in dem Fahrzeug installierte Software, mit der die Stickoxidemissionen auf dem Rollenprüfstand beeinflusst werden, so dass die Einhaltung der Grenzwerte der Euro-5-Norm erreicht wird, stellt einen Sachmangel i.S.d. § 434 Abs. 1 BGB dar (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 30.06.2016 - 7W 26/16 -, juris).

Hier liegt aufgrund der mit den Fahrzeugprospekten öffentlich beworbenen Emissionswerte bzw. Euro-5-Norm nahe, dass diese Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung zwischen den Parteien geworden sind (vgl. Reinking/ Eggert, Der Autokauf, 11. Aufl. 2012, Rn. 478 ff; so auch LG Braunschweig, a.a.O. m.w.N.). Die unter Einsatz einer Manipulations-Software ermittelten Werte würden dazu führen, dass das Fahrzeug als mangelhaft i.S.v. § 434 Abs. 1 S. 1 BGB anzusehen ist, weil die Beschaffenheitsvereinbarung nicht (auf lauterem Wege) eingehalten wurde.

Die Frage bedarf aber keiner abschließenden Klärung, weil jedenfalls ein Mangel i.S.v. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB vorliegt: Das Fahrzeug weist keine Beschaffenheit auf, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Die Installation und Verwendung einer sogenannten Abschaltsoftware zur Erreichung bzw. bei der Ermittlung gesetzlicher Grenzwerte ist bei Pkw anderer Hersteller in einer vergleichbaren Fahrzeugklasse jedenfalls nicht bekanntermaßen üblich (vgl. LG Braunschweig, Urteil vom 12.10.2016 - 4 O 202/16 -, juris). Die Beklagte hat Solches auch nicht vorgetragen.

Dass eine unzulässige Abschaltsoftware zum Einsatz kam, wird von der Beklagten zwar in Abrede genommen, steht für das Gericht allerdings aufgrund des eigenen (und unstreitigen) Vorbringens der Beklagten fest. Die Beklagte selbst hat vorgetragen, dass nur auf dem Rollenprüfstand die Motorsteuerung in den NOx-optimierten Modus 1 mit höherer Abgasrückführung geschaltet habe, während sich der Motor im normalen Fahrbetrieb durchgängig im partikeloptimierten Modus 0 befunden habe. Zwar gibt der Prüfstandmodus nicht den realen Fahrbetrieb wieder, die Motorsteuerung muss aber jedenfalls im Wesentlichen identisch wie dort funktionieren (vgl. LG Krefeld, Urteil vom 14.09.2016 - 2 O 83/16 -, juris m.w.N.). Anderenfalls fehlt es an einer Korrelation zwischen Abgas- und Verbrauchswerten, wie sie im Prüfmodus ermittelt werden, und wie sie im realen Fahrbetrieb auftreten. Eine Aussage über Abgas- und Verbrauchswerte im realen Fahrbetrieb und ein Vergleich zu anderen Fahrzeugen kann damit auf der Basis der auf dem Prüfstand ermittelten Werte nicht getroffen werden. Da nur die Prüfstandsfahrt Grundlage der EG-Typengenehmigung ist und nur deren Werte öffentlich (in Prospekten und Werbung) bekannt gemacht werden, werden Kunden (und die Genehmigungsbehörde) über die Aussagekraft der Messwerte für die im realen Fahrbetrieb zu erwartenden Emissionswerte getäuscht (vgl. etwa LG Krefeld a.a.O. m.w.N.; LG Münster, Urteil vom 14. März 2016 – 11 O 341/15 –, juris).

b. Dem Rücktritt des Klägers steht nicht entgegen, dass er der Beklagten keine Frist zur Nacherfüllung gemäß § 323 BGB gesetzt hat. Eine Nacherfüllung war vorliegend unzumutbar und die Fristsetzung damit entbehrlich, § 440 S. 1, Alt. 3 BGB (vgl. LG Krefeld a.a.O.).

Die Unzumutbarkeit der Nacherfüllung beurteilt sich allein aus der Perspektive des Käufers, vorliegend des Klägers, zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung. Eine Interessenabwägung findet nicht statt (vgl. Staudinger - Matusche-Beckmann, BGB, 2013, § 440, Rn. 23ff). In die Beurteilung sind alle Umstände des Einzelfalles einzustellen, insbesondere die Art des Mangels und die Beeinträchtigung der Interessen des Käufers, die Begleitumstände der Nacherfüllung, die Zuverlässigkeit des Verkäufers sowie eine nachhaltige Störung des Vertrauensverhältnisses der Parteien (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2016 - VIII ZR 240/15 -, juris; LG Krefeld a.a.O.; Staudinger - Matusche-Beckmann, a.a.O.).

aa) Dies zugrunde gelegt, war vorliegend dem Kläger eine Nachbesserung schon deshalb unzumutbar, weil er die begründete Befürchtung hegen durfte, dass das beabsichtigte Software-Update zu Folgemängeln im Sinne einer negativen Veränderung der Kohlendioxidwerte, des Kraftstoffverbrauchs, der Motorleistung und/oder der Haltbarkeit des Motors bzw. des Dieselpartikelfilters führen könnte (vgl. LG Krefeld a.a.O., vgl. OLG Celle a.a.O.).

Der Verdacht eines Folgemangels ergibt sich vorliegend aus dem vom Kläger substantiiert und plausibel vorgetragenen Zielkonflikt zwischen Stickoxidwerten und Kohlendioxidwerten, aus der naheliegenden Frage, warum der Hersteller die jetzt beabsichtigten Nachbesserungsmaßnahmen nicht bereits bei der Motorentwicklung berücksichtigte sowie aus der von der Beklagten in ihrem Schreiben vom 22.02.2016 selbst ausgedrückten Unsicherheit der folgenlosen Mängelbeseitigung („Es ist unser Ziel, dass die Maßnahmen keinen nachhaltigen Einfluss auf Verbrauch und Fahrleistung haben werden.“). Die Beklagte hat den berechtigten Verdacht eines Folgemangels auch nicht etwa durch Gutachten oder eine Garantieerklärung (ggf. auch des Herstellers) ausgeräumt. Soweit das KBA für andere Varianten eines VW Caddy 1,6 l TDI festgestellt hat, dass Folgemängel nicht zu befürchten seien, ist dies ohne Relevanz. Zum einen erging der Bescheid am 19.05.2016 und damit erst gut 3 Monate nach der Rücktrittserklärung. Zum anderen lag für die Motorvariante des streitgegenständlichen Fahrzeugs bis zur mündlichen Verhandlung am 24.10.2016 eine Freigabe des KBA noch nicht einmal vor, sondern wurde - nach nicht mehr zu berücksichtigendem Vortrag der Beklagten - allenfalls erst kurz vor dem Verkündungstermin des Urteils erteilt.

Der berechtigte Verdacht eines Folgemangels ist vorliegend hinreichend, um eine Nachbesserung für den Kläger unzumutbar zu machen. Der Kläger muss nicht beweisen oder auch nur als sicher eintretend behaupten, dass ein Folgemangel entstehen werde (vgl. LG Krefeld a.a.O.). Die Interessen des Klägers als Käufer sind nämlich bereits dann hinreichend beeinträchtigt, wenn aus Sicht eines verständigen Kunden konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für die Möglichkeit von Folgemängeln vorliegen (vgl. LG Krefeld a.a.O. unter Verweis auf die Rechtsprechung zu sog. Montagsautos, m.w.N.). Dies ist, wie oben dargestellt, der Fall.

bb) Die Unzumutbarkeit eines Nacherfüllungsverlangens ergibt sich vorliegend ferner daraus, dass die Durchführung der Nachbesserung für den Kläger bei Rücktrittserklärung zeitlich nicht absehbar war.

Zwar war hier zu berücksichtigen, dass die Nachbesserungsmaßnahmen mit dem KBA abgestimmt werden mussten und eine Vielzahl an Pkw betrafen, sowie dass der Kläger sein Fahrzeug in der Zwischenzeit uneingeschränkt nutzen konnte. Das reine Abstellen auf diese Faktoren würde aber die Interessen des Klägers unangemessen zurückstellen. Vorliegend war der Beklagten im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung die Mangelbeseitigung nämlich noch gar nicht möglich, weil das erforderliche Software-Update noch nicht zur Verfügung stand. Die Beklagte konnte seinerzeit auch keine Angaben zu einem etwaigen Umrüsttermin machen. Dies war im Übrigen selbst in der mündlichen Verhandlung am 24.10.2016, und damit über ein Jahr nach Bekanntwerden der Abgasproblematik, noch der Fall. Für den Kläger bedeutete dies, dass die Nachbesserung im - maßgeblichen - Zeitpunkt der Rücktrittserklärung (und selbst noch im Termin der mündlichen Verhandlung) zeitlich völlig ungewiss war. Anderes ergibt sich auch nicht aus der Pressemitteilung der VW AG vom Dezember 2015, die völlig vage eine Umrüstung „ab 3. Quartal 2016“ andeutete und angesichts der Unwägbarkeiten der KBA-Freigabe des Software-Updates keine sinnvolle Planungsgrundlage darstellte. Angesichts dieser Unsicherheit war es für den Kläger überhaupt nicht möglich, sinnvoll eine Frist zu setzen. Das Abwarten ins Ungewisse hinein machte ein Nachbesserungsverlangen für den Kläger unzumutbar (vgl. LG Krefeld a.a.O.).

cc) Ob sich die Unzumutbarkeit einer Nachbesserung darüber hinaus auch aus einer vom Kläger befürchteten merkantilen Wertminderung und/oder aus dem von ihm vorgetragenen Vertrauensverlust in die Zuverlässigkeit der Beklagten bzw. Arglist begründet, erscheint vorliegend zweifelhaft. Soweit sich der Kläger auf eine Arglist des Herstellers berufen hat, war diese der Beklagten jedenfalls nicht zuzurechnen (OLG Celle, a.a.O.). Insgesamt bedürfen die Fragen aber keiner abschließenden Entscheidung, weil sich die Unzumutbarkeit der Nachbesserung bereits hinreichend aus den oben dargestellten Gründen ergibt.

c. Das Rücktrittsrecht des Klägers war auch nicht gemäß § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB wegen Unerheblichkeit der Pflichtverletzung ausgeschlossen. Der Mangel war nicht geringfügig.

Ob die Pflichtverletzung als unerheblich einzustufen, der Mangel also als geringfügig anzusehen ist, beurteilt sich im Wege einer umfassenden Interessenabwägung auf der Grundlage der Einzelfallumstände (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2016 - VIII ZR 240/15 -, juris, m.w.N.), wobei die Darlegung- und Beweislast die Beklagte als Rücktrittsgegnerin trägt. Bei der Interessenabwägung ist zwischen behebbaren und unbehebbaren Mängeln zu differenzieren.

Bei einem behebbaren Sachmangel ist im Rahmen der Interessenabwägung jedenfalls in der Regel dann die Erheblichkeitsschwelle als erreicht anzusehen, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand einen Betrag von fünf Prozent des Kaufpreises überschreitet (vgl. BGH, Urteil vom 28. Mai 2014 - VIII ZR 94/13-, juris). Hierbei handelt es sich jedoch nicht um einen starren Grenzwert, sondern allein um eine Regelfallbetrachtung, die die weitere Interessenabwägung nicht von vornherein ausschließt.

Die Beklagte hat sich vorliegend darauf berufen, dass das Fahrzeug - unstreitig - uneingeschränkt technisch sicher, optisch in Ordnung und in der Fahrbereitschaft nicht eingeschränkt sei und dass für das Fahrzeug auch alle erforderlichen Genehmigungen erteilt worden seien. Ferner würden mit der Mängelbeseitigung lediglich Kosten von 0,36 % des Kaufpreises und ein zeitlicher Reparaturaufwand von unter 1 Stunde verbunden sein.

Demgegenüber war aber zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass die Behebbarkeit des Mangels im - allein maßgeblichen - Zeitpunkt der Rücktrittserklärung ungewiss war, so dass nicht entscheidend auf das Verhältnis zwischen Kaufpreis und Mängelbeseitigungskosten abgestellt werden kann. Denn der Kläger hat berechtigte - und von der Beklagten nicht ausgeräumte - Befürchtungen vorgetragen, dass die Mangelbeseitigung zu neuen Mängeln führen könnte (s.o.). Insoweit haben die Gründe, aus denen eine Nachbesserung für den Kläger unzumutbar ist, auch für die Frage der Erheblichkeit des Mangels Relevanz (vgl. LG Krefeld a.a.O. und so auch LG Braunschweig a.a.O., vgl. Palandt - Grünberg, BGB, 75. Aufl. 2016, § 323 Rn. 32). Darüber hinaus erscheint es rechtlich bedenklich, wenn sich die Beklagte einerseits auf die Unerheblichkeit der Pflichtverletzung beruft, andererseits aber nach mehr als einem Jahr (zur Zeit der mündlichen Verhandlung) noch immer nicht zur Mangelbeseitigung in der Lage ist, weil sie auf ein vom Hersteller bereitzustellendes Software-Update angewiesen ist, das zudem mit dem KBA abgestimmt werden muss. Gegen die Unerheblichkeit des Mangels spricht zudem, dass das KBA für sämtliche vom Abgasskandal betroffene Fahrzeuge eine Umrüstung als verpflichtend betrachtet, um die Zulassung des Fahrzeuges nicht zu gefährden (vgl. LG Krefeld a.a.O. m.w.N).

Die vorzunehmende umfassende Interessenabwägung ergibt damit, dass die Interessen des Klägers die der Beklagten so deutlich überwiegen, dass eine bloß unerhebliche Pflichtverletzung nicht angenommen werden kann.

2. Dem Kläger steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch jedoch nicht im vollen Umfang zu. Aufgrund der vom Kaufpreis abzuziehenden Nutzungsentschädigung i.H.v. 1.975,77 € hat der Kläger lediglich Anspruch auf Zahlung von 25.654,23 €.

Gemäß §§ 346 Abs. 1, 2, 323 Abs. 1 BGB hat der Kläger im Fall des wirksamen Rücktritts die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben bzw. hierfür Wertersatz zu leisten. Auf den zurückzuerstattenden Kaufpreis in Höhe von 27.630,00 € hat sich der Kläger deshalb eine Nutzungsentschädigung wegen der Fahrleistung des Fahrzeugs anrechnen zu lassen. Unstreitig liegt die Laufleistung des Pkw seit Gefahrübergang bis zur maßgeblichen letzten mündlichen Verhandlung bei 17.877 km. Der Kläger hat in seiner Berechnung zu Nutzungsentschädigung allerdings nur eine Fahrleistung von 13.060 km berücksichtigt.

Vor dem Hintergrund der tatsächlichen Laufleistung ist nach den Grundsätzen der kilometeranteiligen linearen Wertminderung (Bruttokaufpreis x gefahrene km ÷ Gesamtlaufleistung) ein Nutzungsersatz i.H.v. 1.975,77 € in Abzug zu bringen, wobei das Gericht die zu erwartende Gesamtlaufleistung gemäß § 287 ZPO auf 250.000 km geschätzt hat (vgl. Steenbuck, MDR 2016, 185, 188).

II. Dem Kläger stehen nach fruchtlosem Ablauf der im Rücktrittsschreiben bis zum 23.02.2016 gesetzten Frist Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.02.2016 zu, §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.

III. Der Klageantrag zu 2. ist begründet. Die Beklagte befindet sich gem. § 293 BGB seit dem 24.02.2016 im Annahmeverzug, nachdem der Kläger den Rücktritt erklärt und die Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Zug-um-Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises (abzüglich bis zum Rücktritt gezogener Nutzungen) unter Fristsetzung bis zum 23.02.2016 ordnungsgemäß angeboten hat. Soweit die Beklagte vorbringt, dass das Angebot des Klägers zur Übergabe und Übereignung unvollständig gewesen sei, weil etwa die Fahrzeugpapiere und Ersatzschlüssel nicht erwähnt seien, greift dies nicht durch. Bei verständiger Auslegung des Rücktrittsschreibens ergibt sich, dass neben dem Pkw auch sämtlich weitere beim Kauf überlassene Gegenstände zur Rückgabe und Rückübereignung angeboten sind. Mit Schreiben vom 22.02.2016 wies die Beklagte die Rückabwicklung zurück.

IV. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.430,38 € nicht zu. Der Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus §§ 286, 288 BGB, denn der hierfür vorausgesetzte Verzug wurde erst durch das Anwaltsschreiben vom 16.02.2016 begründet. Eine andere Anspruchsgrundlage ist nicht ersichtlich.

V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.