Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.06.1982, Az.: 1 OVG C 9/81

Nichtigkeit eines Bebauungsplans; Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 2 VwGO; Fehler in der Schlussbekanntmachung eines Bebauungsplans; Verfahrensfehler im Bauleitplanverfahren bei unzureichender Beteiligung der betroffenen Grundstückseigentümer

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
16.06.1982
Aktenzeichen
1 OVG C 9/81
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1982, 12074
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1982:0616.1OVG.C9.81.0A

Verfahrensgegenstand

Gültigkeit eines Bebauungsplanes.

Prozessführer

1. des Herrn ...

2. des Herrn ...

3. der Eheleute ...

4. der Eheleute ...

5. der Eheleute ...

6. der Eheleute ... sämtlich wohnhaft in ...

Prozessgegner

die Gemeinde ...

durch den Bürgermeister,

Der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Lüneburg hat am 16. Juni 1982 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Schilling, die Richter am Oberverwaltungsgericht Schmaltz und Petter sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Röbert und Trochelmann ohne mündliche Verhandlung in Kiel

beschlossen:

Tenor:

Der von der Gemeinde ... am 6. März 1979 beschlossene Bebauungsplan Nr. 9 ... I. Teil - ist nichtig.

Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.

Der Streitwert wird auf 24.000,00 DM festgesetzt.

Gründe

1

I.

Die Antragsteller, die Eigentümer von Parzellen auf dem Campingplatz ... sind, wenden sich gegen die Gültigkeit des Bebauungsplanes Nr. 9 ....

2

Der Campingplatz ... Platz liegt ca. 2 km nördlich des Ortes ... an der Ostsee. 1978 beschloß die Gemeindevertretung die Aufstellung eines Bebauungsplanes für ein ca. 1.200 × 500 m großes Gebiet nördlich des Oldenburger ... zu dem auch der Campingplatz ... gehört. In dem Entwurf des Bebauungsplanes, der in der Zeit vom 27. Dezember 1978 bis 30. Januar 1979 öffentlich ausgelegen hat, war an der Nordgrenze des Plangebiets, die sich mit der Nordgrenze des ... deckt, am Rand der Grundstücke der Antragsteller ein 5 m breiter Grünstreifen vorgesehen. Am 6. März 1979 beschloß die Gemeindevertretung ... den Bebauungsplan Nr. 9 für das Gebiet ... als Satzung. Der Landrat des Kreises Ostholstein genehmigte am 8. April 1980 Teil I des Bebauungsplanes u.a. unter der Auflage, daß die Eingrünung zwischen der nördlichen Plangebietsgrenze und dem SO-Campingplatz (...) mit mindestens 15 m Breite festgesetzt wird, um; eine Anpassung an den Flächennutzungsplan herbeizuführen. Die Gemeindevertretung beschloß am 8. Mai 1980 ohne erneute Auslegung u.a., diese Auflage in den Plan zu übernehmen. Die Bekanntmachung der Genehmigung von Teil I des Bebauungsplanes veröffentlichte das Amt Grube am 3. Oktober 1980 in den Lübecker Nachrichten. Der Bebauungsplan ist als Nr. 9 mit der Gebietsbezeichnung ... bezeichnet. Nach der Bekanntmachung liegt der Plan mit der Begründung vom 6. Oktober 1980 an in der Amtsaußenstelle in ... und in der Amts Verwaltung Grube während der Dienststunden auf Dauer öffentlich zu jedermanns Einsicht aus.

3

Am 6. Oktober 1981 haben die Antragsteller sinngemäß beantragt,

4

den am 8. April 1980 genehmigten und am 3. Oktober 1980 bekanntgemachten Bebauungsplan Nr. 9 - ... - der Gemeinde ... für nichtig zu erklären.

5

Die Antragsteller tragen vor, der bekanntgemachte Bebauungsplan entspreche nicht dem ausgelegten Entwurf, weil der Grünstreifen im Norden des ... Platzes verändert worden sei und außerdem der rechtskräftige Plan hinsichtlich der einzelnen Parzellen Strichlinien aufweise, die im ausgelegten Entwurf nicht vorhanden gewesen seien.

6

Die Antragsgegnerin beantragt,

7

den Antrag zurückzuweisen.

8

Sie entgegnet, der Grünstreifen im Norden des ... sei in Erfüllung der Auflage der Genehmigungsbehörde verbreitert worden. Die "Strichlinien" auf den Parzellen seien bereits im ausgelegten Entwurf des Bebauungsplanes enthalten gewesen.

9

Wegen des Sachverhalts im einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.

10

II.

Der Senat kann über den Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 6 Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem den Beteiligten Gelegenheit gegeben worden ist, zu den für die Gültigkeit des Bebauungsplanes entscheidenden Fragen Stellung zu nehmen.

11

Der Normenkontrollantrag ist nach § 47 Abs. 2 VwGO zulässig. Nach dieser Vorschrift kann jede natürliche oder juristische Person, die durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung einen Nachteil erlitten oder in absehbarer Zeit zu erwarten hat, den Antrag stellen. Die Antragsteller, die Eigentümer von Grundstücken im Planbereich sind, befürchten eine Einschränkung in der Ausnutzbarkeit ihrer Grundstücke, weil der Bebauungsplan auf ihren Grundstücken einen breiten Grüngürtel vorsieht. Das reicht als Nachteil aus.

12

Der Normenkontrollantrag ist auch begründet, weil die für die Wirksamkeit des Bebauungsplanes unentbehrliche Schlußbekanntmachung aus verschiedenen Gründen unwirksam ist. Die Genehmigung von Teil I des Bebauungsplanes ist durch Abdruck in den Lübecker Nachrichten vom 3. Oktober 1980 mit der Bezeichnung Bebauungsplan Nr. 9 ... bekanntgemacht worden. Ob die Bezeichnung ... das Plangebiet so kennzeichnet, daß dem an der Planung Interessierten dieses Interesse bewußt gemacht wird (Urt. d. Sen. v. 23.10.1975 - I OVG A 64/74 -, BRS 29 Nr. 16; BVerwG, Urt. v. 26.05.1978 - 4 C 9.77 -, DVBl 1978, 815), erscheint zweifelhaft. "Eine Bekanntmachung verfehlt ihren Sinn und damit auch ihre Aufgabe, wenn sie in ihrer Anstoßwirkung nicht einmal so weit vordringt, den - aus welchem Grunde immer - möglicherweise Interessierten bewußt zu machen, daß sie derart interessiert sind und deshalb erforderlichenfalls weitere Schritte unternehmen müssen, um ihr Interesse wahrnehmen zu können. Den sich daraus ergebenden Anforderungen genügt nicht die Bekanntmachung eines Planentwurfs oder eine Plangenehmigung, bei der der Plan einzig mit einer aus sich nichts besagenden Nummer bezeichnet wird; zumindest genügt sie diesen Anforderungen - selbst in kleinen Gemeinden und selbst dann, wenn von Eingeweihten entsprechende Schlußfolgerungen zu erwarten sein mögen - nicht verläßlich" (BVerwG, Urt. v. 26.05.1978 a.a.O.). Die Antragsgegnerin hat den Bebauungsplan zwar nicht nur mit einer Nummer gekennzeichnet, der Zusatz "Nord" trägt aber in aller Regel nicht zu einer ausreichenden Lokalisierung des Plangebietes bei. Zwar ist in Prospekten der Gemeinde ... auch ... erwähnt, aber eine ungefähre Abgrenzung des damit erfaßten Gebietes läßt sich den Prospekten nicht entnehmen. Ob ... eine geläufige abgrenzbare Gebietsbezeichnung darstellt, kann aber letztlich offenbleiben, weil der Landrat des Kreises Ostholstein nur Teil I des Bebauungsplanes ... genehmigt und das Amt dementsprechend nur die Genehmigung von Teil I des Bebauungsplanes bekanntgemacht hat. Selbst wenn der Zusatz ... eine gewisse Lokalisierung des Plangebietes erreicht, büßt er seine Anstoßfunktion durch den weiteren Zusatz "Teil I" wieder ein (vgl. Urt. d. Sen. v. 17.09.1979 - I OVG A 55/78 -, bestätigt durch BVerwG, Beschl. v. 17.01.1980 - 4 B 251.79 -).

13

Im Zusammenhang mit der Schlußbekanntmachung ist ein weiterer Fehler unterlaufen. § 12 BBauG 1976/1979 schreibt ausdrücklich vor, daß die Gemeinde "spätestens mit Wirksamwerden der Bekanntmachung" den Bebauungsplan mit Begründung zu jedermanns Einsicht bereitzuhalten hat. Die Antragsgegnerin hat die Genehmigung des Bebauungsplanes am Freitag, dem 3. Oktober 1980, in den Lübecker Nachrichten bekanntgemacht, aber den Bebauungsplan mit Begründung erst ab Montag, dem 6. Oktober 1980, zur Einsicht bereitgehalten. Da die Bekanntmachung in der Zeitung mit der Ausgabe der Zeitung, also am 3. Oktober 1980, bewirkt war (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BBauG, Stand Nov. 1981, § 12 RdNr. 21; Kohlhammer/Grauvogel, BBauG, Stand Jan. 1982, § 12 Anm. III 2 b bb), hätte der Bebauungsplan bereits am Freitag, dem 3. Oktober 1980, ausliegen müssen. Die Ansicht des BGH (Urt. v. 08.02.1971 - III ZR 28/70 -, DVBl 1971, 758[BGH 08.02.1971 - III ZR 28/70] mit abl. Anmerkung Schrödter/Schmaltz, S. 764 unter Nr. 4) zu § 12 BBauG 1960, eine Auslegung des Planes nach Wirksamwerden der Bekanntmachung führe nicht zur Unwirksamkeit des Planes, sondern schiebe nur das Inkrafttreten des Planes hinaus, kann zu § 12 BBauG 1976/79 nicht aufrechterhalten werden, denn der Wortlaut des § 12 BBauG 1979 ist insofern eindeutig (für Unwirksamkeit: Ernst/Zinkahn/Bielenberg § 12 Rdn. 28; Kohlhauer-Grauvogel, § 12 Anm. III 1 c bb; Schlichter/Stich/Tittel, BBauG, 3. Aufl. 1979, § 12 Rdn. 9: Das Problem, wann nach § 12 a.P. ein Plan in Kraft trat, wenn er erst nach seiner Bekanntmachung ausgelegt wurde, stelle sich nicht mehr). Dieser Fehler führt zur Unwirksamkeit des Bebauungsplanes, weil Fehler der Schlußbekanntmachung nach § 155 a Abs. 3 BBauG 1979 nicht durch Zeitablauf nach einer entsprechenden Bekanntmachung unbeachtlich werden. Die Verkündung eines Rechtssatzes genügt rechtsstaatlichen Anforderungen nur, wenn anstelle der vollständigen Bekanntmachung des Rechtssatzes dieser öffentlich ausgelegt bzw. zur Einsicht bereitgehalten wird und Ort und Zeit der Auslegung bzw. Einsichtsmöglichkeit bekanntgemacht wird. Die Bekanntmachung von Ort und Zeit der Auslegung bzw. "Bereithaltung" genügt nicht, weil sie den Inhalt des Bebauungsplanes nicht verlautbart. Da § 12 BBauG das Inkrafttreten des Bebauungsplanes auf den Zeitpunkt der Bekanntmachung festlegt, muß in diesem Zeitpunkt bereits der Plan zur Einsicht bereitgehalten werden. Das betont § 12 Satz 1 BBauG mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß der Bebauungsplan mit Begründung spätestens mit Wirksamwerden der Bekanntmachung zu jedermanns Einsicht bereitzuhalten ist.

14

Das Bauleitplanverfahren gibt dem Senat darüber hinaus Anlaß, auf folgenden weiteren Verfahrensfehler hinzuweisen:

15

Die Gemeinde hat nach der öffentlichen Auslegung des Bebauungsplanentwurfs auf Veranlassung der Genehmigungsbehörde den Grünstreifen an der Nordgrenze des Bebauungsplanes im Bereich der Grundstücke der Antragsteller von ca. 5 m auf 15 m verbreitert, ohne die Grundstückseigentümer zu beteiligen. Das widerspricht § 2 a Abs. 7 BBauG 1979, der eine "eingeschränkte Beteiligung" unter anderem der "von der Änderung betroffenen Grundstücke" vorsieht. Die Beteiligung der betroffenen Grundstückseigentümer entfällt entgegen der Ansicht der Antragsgegner nicht, weil der Entwurf des Bebauungsplanes ausgelegt worden ist. § 2 a Abs. 7 BBauG 1979 betrifft gerade Änderungen des Planentwurfs nach der öffentlichen Auslegung nach § 2 a Abs. 6 BBauG, die die Grundzüge der Planung nicht berühren (vgl. BT-Drucks. 8/2451 S. 16; Ernst/Zinkahn/Bielenberg, § 2 a Rdnr. 141; Kohlhammer/Grauvogel, § 2 a Rdnr. 65). Dabei spielt es keine Rolle, ob die Änderung durch Bedenken und Anregungen veranlaßt war oder durch Auflagen der Genehmigungsbehörde (vgl. auch Ernst/Zinkahn/Bielenberg, § 6 Rdn 22; Kohlhammer/Grauvogel, § 6 Rdnr. 14; Schrödter, BBauG, 4. Aufl. 1980, § 12 Rdn 2). Da der Bebauungsplan schon wegen der Fehler der Schlußbekanntmachung unwirksam ist, kann offenbleiben, ob der Verstoß gegen § 2 a Abs. 7 BBauG alleine nicht unbeachtlich geworden wäre, da die Antragsteller zwar am 6. Oktober 1980 den Normenkontrollantrag mit der entsprechenden Rüge bei Gericht gestellt haben, dieser Antrag der Gemeinde aber erst am 14. Oktober 1981 zugestellt worden ist.

16

Die Antragsgegnerin hat die Entscheidungsformel nach § 47 Abs. 6 VwGO ebenso zu veröffentlichen wie der Bebauungsplan bekanntzumachen wäre.

17

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Schilling Schmaltz Petter