Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 09.03.2011, Az.: 6 W 1/11
Örtliche Zuständigkeit einer Ausländerbehörde für eine Aufenthaltsgestattung bei nachträglicher Feststellung der tatsächlichen Personalien eines Ausländers
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 09.03.2011
- Aktenzeichen
- 6 W 1/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 20461
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2011:0309.6W1.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Braunschweig - 02. 07. 2009 - AZ: 33 XIV 96/09 B
- LG Braunschweig - 23. 12. 2010 - AZ: 3 T 635/10
Rechtsgrundlage
- § 71 Abs. 7 S. 1 AsylVfG
Fundstelle
- InfAuslR 2011, 255-256
Verfahrensgegenstand
Tunesische Staatsangehörige Anis H., geboren am 29. Dezember 1979 in Tunis/ Tunesische Republik
alias : Nabil W., geboren am 29. Dezember 1979 in Oran bzw. Wahran/ Demokratische Volksrepublik Algerien,
In der Abschiebungshaftsache
...
hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
am 9. März 2011
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 23. Dezember 2010 wie folgt abgeändert:
- a.
Die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 2. Juli 2009 wird als unbegründet zurückgewiesen.
- b.
Auf den Antrag des Betroffenen wird festgestellt, dass seine Inhaftierung aufgrund des genannten Beschlusses des Amtsgerichts Braunschweig in der Zeit vom 2. Juli 2009, 16.00 Uhr, bis zum Erlass des Beschlusses des Amtsgerichts Braunschweig vom 3. Juli 2009 rechtswidrig war.
Im Übrigen wird der Feststellungsantrag des Betroffenen als unbegründet zurückgewiesen.
- 2.
Der Betroffene hat die Hälfte der Gerichtskosten der Verfahren der Beschwerde und der weiteren Beschwerde zu tragen. Die Antragstellerin hat dem Betroffenen die Hälfte der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung getätigten Auslagen zu erstatten.
- 3.
Dem Betroffenen wird für das Verfahren der weiteren Beschwerde Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Fahlbusch, Hannover, bewilligt.
Gründe
Die sofortige weitere Beschwerde hat teilweise Erfolg.
I.
Das Amtsgericht Braunschweig hat durch Beschluss vom 2. Juli 2009 die einstweilige Freiheitsentziehung des Betroffenen für maximal zwei Tage angeordnet. Noch an demselben Tag um 14.40 Uhr wurde der Betroffene festgenommen. Am 3. Juli 2009, 09.00 Uhr, ist der Betroffene dem Amtsgericht Braunschweig vorgeführt worden. Dieses hat gegen ihn Haft zur Sicherung seiner Abschiebung für maximal zwei Monate angeordnet. Am 7. August 2009 wurde der Betroffene nach einem am 23. Juli 2009 gescheiterten Abschiebeversuch nach Tunesien abgeschoben.
Gegen den erstgenannten Beschluss vom 2. Juli hat der Prozessbevollmächtigte des Betroffenen die sofortige Beschwerde eingelegt und beantragt festzustellen, dass die aufgrund dieses Beschlusses angeordnete Freiheitsentziehung rechtswidrig gewesen sei.
Das Landgericht hat durch den angefochtenen Beschluss die sofortige Beschwerde gegen den genannten Beschluss des Amtsgerichts vom 2. Juli 2009 als unbegründet verworfen. Außerdem hat es - ohne dies im Tenor zum Ausdruck zu bringen - festgestellt, dass nach der Festnahme des Betroffenen vom 2. Juli 2009, 14.40 Uhr, die am 3. Juli 2009 um 09.00 Uhr erfolgte Anhörung noch rechtzeitig gewesen und eine frühere Anhörung nicht möglich gewesen sei. Damit hat es incidenter den Feststellungsantrag des Betroffenen zurückgewiesen, dass die aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts vom 2. Juli 2009 angeordnete Freiheitsentziehung rechtswidrig gewesen sei.
Im Übrigen wird zum Sachverhalt und zur Begründung auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.
Hiergegen hat der Betroffene die sofortige weitere Beschwerde eingelegt und diese zum einen damit begründet, dass die Antragstellerin für die Stellung des Antrags auf einstweilige Freiheitsentziehung des Betroffenen nicht zuständig gewesen sei und deshalb der entsprechende Beschluss des Amtsgerichts rechtswidrig gewesen sei. Zum anderen sei der Betroffene nicht unverzüglich im Sinne des § 11 Abs. 2 S. 2, 2. Halbs. FEVG, also nicht an demselben Tag, richterlich angehört worden, sondern erst am darauffolgenden Tag. Auch insoweit sei die Inhaftierung des Betroffenen rechtswidrig gewesen.
II.
Soweit sich das Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Landgerichts über die sofortige Beschwerde gegen den Erlass des Beschlusses des Amtsgerichts vom 2. Juli 2009 richtet, bleibt es ohne Erfolg. Denn zu Recht ist das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass dem genannten Beschluss des Amtsgerichts ein Antrag einer zuständigen Behörde im Sinne des § 3 S. 1 FEVG zugrunde lag.
1. |
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Die Zuständigkeit der Antragstellerin, also der zentralen Aufnahme- und Ausländerbehörde Niedersachsen mit Standort Braunschweig, ergibt sich bereits aus § 71 Abs. 7 S. 1 AsylVfG. Nach dieser Vorschrift gilt die letzte räumliche Beschränkung aus dem früheren Asylverfahren, die sich auf Chemnitz, also den Standort der Beteiligten, bezieht, nur "solange keine andere Entscheidung ergeht", wie es in der Vorschrift heißt. Im vorliegenden Fall war dem Betroffenen nach den Feststellungen des Landgerichts aufgrund seines unter seinen Aliaspersonalien gestellten erneuten Asylantrags eine Aufenthaltsgestattung mit einer Gültigkeit von drei Monaten gewährt und ausgehändigt worden. Wird jedoch dem Folgeantragsteller eine Aufenthaltsgestattung erteilt, ist für die örtliche Zuständigkeit der Ausländerbehörde der entsprechend zugewiesene Aufenthaltsbereich maßgeblich (Renner/Bergmann, Ausländerrecht, 9. Auflage, § 71 AsylVfG, Rn. 39), so dass wegen der Aufenthaltsgestattung für den hiesigen (Braunschweiger) Bereich die Antragstellerin als Ausländerbehörde zuständig war. |
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2. |
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Aber auch für den Fall, dass diese Aufenthaltsgestattung nach Entdeckung der wahren Personalien des Betroffenen ihre Gültigkeit aus verwaltungsrechtlichen Gründen verloren haben sollte - insoweit ist vom Amts- bzw. Landgericht nichts festgestellt worden - ergibt sich die Zuständigkeit der Antragstellerin aufgrund der nachfolgenden Ausführungen aus § 71 Abs. 7 S. 2 AsylVfG. Diese Vorschrift enthält eine zusätzliche Zuständigkeit, die neben der Zuständigkeit nach Satz 1 der Vorschrift gilt. |
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a. |
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Zunächst ist die Zuständigkeit der Antragstellerin § 71 Abs. 7 S. 2 i.V.m. Abs. 5 S. 1 AsylVfG zu entnehmen. Dies gilt auch für den Fall, dass der Betroffene zwischenzeitlich das Bundesgebiet entgegen seinen Angaben nicht verlassen haben sollte, sondern nur in Deutschland untergetaucht ist. Die letztgenannte Vorschrift hat nämlich nur zur Voraussetzung, dass nach einer früher ergangenen Abschiebungsandrohung oder -anordnung ein Folgeantrag gestellt worden ist, der nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führt, ohne das der Ausländer zwischenzeitlich das Bundesgebiet verlassen haben muss. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor. Bereits im Jahre 2007 war nach Stellung des früheren Asylantrages eine Abschiebungsandrohung ergangen und vollziehbar geworden, außerdem hat der Betroffene (unter seinen Aliaspersonalien) einen erneuten Asylantrag, also einen Folgeantrag im Sinne der genannten Vorschrift gestellt. Dieser hat auch nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt. Vielmehr handelt es sich um einen sogenannten verdeckten Folgeantrag, der wegen der falschen Personalien nicht zu einem weiteren Asylverfahren führte; sondern die zu erfolgende Abschiebung stand fest und es musste nur noch darüber entschieden werden, wohin sie erfolgen sollte, wie der Vertreter der Antragstellerin im Termin vor dem Amtsgericht Braunschweig vom 3. Juli 2009 erklärte. Letzteres ist zwar vom Landgericht nicht festgestellt worden, jedoch kann der Senat im Rechtsbeschwerdeverfahren diese sich aus den Akten ergebende unstreitige Tatsache seiner Entscheidung zugrunde legen. |
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b. |
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Legt man den eigenen Vortrag des Betroffenen zugrunde, so liegen auch die Voraussetzungen des § 71 Abs. 7 S. 2 i.V.m. Abs. 6 AsylVfG vor. Denn nach seinen Angaben hielt er sich in der Zeit zwischen dem früheren Erlass der Abschiebungsandrohung und seiner im Juni 2009 erfolgten Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland in Frankreich auf. Damit hat er im Sinne des § 71 Abs. 6 S. 1 AsylVfG zwischenzeitlich das Bundesgebiet verlassen. Wie oben unter Buchstabe a. ausgeführt wurde, liegen auch die übrigen Voraussetzungen des in Absatz 6 der Vorschrift in Bezug genommenen Absatz 5 vor. |
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c.
III.
Soweit sich das Rechtsmittel gegen die (incidenter getroffene) Entscheidung des Landgerichts richtet, wonach der Antrag des Betroffenen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner aufgrund des oben genannten Beschlusses des Amtsgerichts erfolgten Inhaftierung zurückgewiesen wurde, hat es überwiegend Erfolg.
Der Verfolgte rügt zu Recht, dass seine Vorführung vor dem zuständigen Richter nach Maßgabe von § 11 Abs. 2 S. 2, 2. Halbs. FEVG nicht unverzüglich erfolgt ist. Denn nach der Festnahme des Betroffenen um 14.40 Uhr hätte noch ein Richter zur Verfügung stehen müssen, damit der Betroffene ihm noch an diesem Nachmittag und nicht erst am nächsten Morgen um 09.00 Uhr vorgeführt werden konnte. Ob tatsächlich zu jener Zeit noch ein Richter zur Verfügung stand, ist hierbei unerheblich. Jedenfalls für diese Zeit haben die Amtsgerichte durch geeignete Maßnahmen, etwa durch die Einrichtung eines Bereitschaftsdienstes, sicher zu stellen, dass ein aufgrund einer einstweiligen Anordnung Festgenommener noch beim Amtsgericht vorgeführt werden kann (§ 22c GVG; BVerfGE 105, 239 [BVerfG 15.05.2002 - 2 BvR 2292/00]; OLG Celle, Beschl. v. 22.12.2004 - 16 W 155/04 - zit. nach [...]).
Entgegen der Auffassung des Landgerichts stehen die "mit einer Vorführung in Zusammenhang stehenden organisatorischen Vorbereitungen" bei einer Festnahme nach 14.00 Uhr einer Anhörung noch am Nachmittag desselben Tages nicht entgegen (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 21.11.2006 - 22 W 77/06 - nicht veröffentlicht, dem ein vergleichbarer Fall zugrunde liegt). Das Landgericht kann sich für seine Auffassung auch nicht auf den Fall desOberlandesgerichts Celle, Beschl. v. 22.12.2004 - 16 W 155/04 - stützten, denn dort ist nur ausgeführt worden, dass bei einer Festnahme des Betroffenen bis 14.00 Uhr dieser dem Haftrichter an demselben Tage vorzuführen ist, indes ist diese Entscheidung nicht so zu verstehen, dass es bei einer Festnahme nach 14.00 Uhr immer ausreicht, dass die Vorführung erst am nächsten Tag erfolgt. Insoweit handelt es sich lediglich um eine auf den damaligen Fall abgestellte Einzelfallentscheidung.
Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass es "als organisatorischer Vorbereitung" der Stellung eines "endgültigen" Haftantrags durch die Ausländerbehörde gar nicht mehr bedurfte, da ein solcher Antrag, datierend vom 1. Juli 2009, bereits vorlag; insoweit nahm der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung vom 1. Juli 2009 bereits auf den zugleich vorgelegten "endgültigen" Antrag auf Anordnung der Abschiebungshaft Bezug.
Aufgrund der - gerichtsbekannten - engen räumlichen Verhältnisse zwischen der Polizeidienststelle in der Innenstadt Braunschweigs und dem Amtsgericht kann im vorliegenden Fall davon ausgegangen werden, dass die Vorführung für 16.00 Uhr desselben Tages unter Zuhilfenahme moderner Kommunikationsmittel hätte durchgeführt werden können. Für die Zeit davor war die Inhaftierung des Betroffenen aufgrund der obigen Ausführungen unter Ziffer II. rechtmäßig.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 3 S. 2, 14 Abs. 1 und 3, 15 Abs. 1, 16 FEVG, 13a Abs. 1 FGG.
V.
Da die sofortige weitere Beschwerde jedenfalls teilweise erfolgreich war, war dem Betroffenen auch für dieses Verfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des aus dem Rubrum ersichtlichen Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.