Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 07.04.2010, Az.: 3 U 26/09
Zulässigkeit der Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis eines BGB-Gesellschafters
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 07.04.2010
- Aktenzeichen
- 3 U 26/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 28143
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2010:0407.3U26.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Göttingen - 19.02.2009 - AZ: 8 O 312/08
Rechtsgrundlagen
- § 709 Abs. 1 BGB
- § 710 BGB
- § 712 Abs. 1 BGB
Fundstellen
- DStR 2010, 1686
- EWiR 2011, 181
- GWR 2010, 426
- NZG 2010, 1104-1106
- ZIP 2010, 2402-2404
Redaktioneller Leitsatz
Einem Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft kann ohne seine Zustimmung die Geschäftsführungsbefugnis nicht entzogen werden.
In dem Rechtsstreit
des Herrn Markus O,
breite 30 a, 3 Göttingen,
Beklagter und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. R, Dr. B, Sch, Landstr. 48, 3 Göttingen,
g e g e n
Herrn Stephan,
weg 5, 3 Göttingen,
Kläger und Berufungsbeklagter,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. K, Dr. B, Dr. K breite 1, 3 Rosdorf,
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig auf die mündliche Verhandlung vom 10. Februar 2010 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Sch, den Richter am Oberlandesgericht B und den Richter am Landgericht N
f ü r R e c h t e r k a n n t :
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 19. Februar 2009 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsrechtszuges.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird für die Berufungsinstanz auf 20.000,00 € und für die erste Instanz auf 34.000,00 € festgesetzt.
Gründe
A. Die Parteien sind Brüder und zu je 50 % an der Grundstücksgesellschaft "Markus & Stephan O - Landstraße 56 - 58" beteiligt. Gegenstand der Gesellschaft, die jährlich einen Gewinn von etwa 120.000,- € erzielt, ist die Verwaltung und Nutzung des im Namen der Gesellschaft bezeichneten Grundstücks.
Gemäß § 10 des Gesellschaftsvertrages kann jeder Gesellschafter die Gesellschaft mit einer Frist von einem Jahr zum Ende eines Kalenderjahres kündigen. Die Kündigung hat nicht die Auflösung der Gesellschaft, sondern lediglich das Ausscheiden des kündigenden Gesellschafters zur Folge.
In § 11 des Gesellschaftsvertrages ist geregelt, dass die Geschäftsführung und Vertretung durch alle Gesellschafter gemeinschaftlich erfolgt.
Nach § 18 Abs.1 des Gesellschaftsvertrages kann überdies ein Gesellschafter, in dessen Person ein wichtiger Grund vorliegt, der die übrigen Gesellschafter zur außerordentlichen Kündigung nach § 723 Abs. 1 S. 2 BGB berechtigen würde, aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Abs. 2 der genannten Vorschrift bestimmt, dass ein solcher wichtiger Grund insbesondere vorliegt, wenn ein Gesellschafter seine Vertragspflichten vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt.
Gem. § 17 Abs. 5 des Gesellschaftsvertrages steht dem ausscheidenden Gesellschafter ein Abfindungsbetrag zu, der nach Maßgabe einer auf den Stichtag des Ausscheidens aufzustellenden Auseinandersetzungsbilanz zu ermitteln ist. In dieser Bilanz sind die Vermögensgegenstände der Gesellschaft lediglich mit der Hälfte ihrer Verkehrswerte zu berücksichtigen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Gesellschaftsvertrages wird auf die Anlage K 2 verwiesen.
Mit Schreiben vom 06.06.2008 lud der Beklagte den Kläger für den 09.07.2008 zu einer Gesellschafterversammlung der GbR in die Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten ein. Das Schreiben vom 06.06.2008 wurde dem Beklagten am 09.06.2008 persönlich übergeben. Als Tagesordnungspunkt war u. a. die Entscheidung über die Abberufung des Klägers "als Geschäftsführer aus wichtigem Grund (§ 712 Abs. 1 BGB)" vorgesehen. Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Schreibens wird auf die Anlage K 4 verwiesen.
Am 08.07.2008 bat der Prozessbevollmächtigte des Klägers darum, die Gesellschafterversammlung auf den 14.07.2008 um 18:00 Uhr zu verlegen. Der Beklagte erklärte sich gegenüber dem Bevollmächtigten des Klägers mit der Terminsverlegung einverstanden und der Klägervertreter bestätigte den geänderten Termin mit Schreiben vom selben Tag (Anlage K 5) in Kenntnis des Versammlungsortes gegenüber dem Beklagtenvertreter.
Mit Faxschreiben vom 14.07.2008 (Anlage K6) rügte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten die ordnungsgemäße Einberufung der Gesellschafterversammlung und ließ mitteilen, dass er nicht erscheinen werde. Der Beklagte führte die Gesellschafterversammlung indes durch und beschloss mit seiner Stimme u. a. die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer (TOP 8). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll der Gesellschafterversammlung vom 14.07.2008 (Anlage K 8) verwiesen.
Der Kläger hat daraufhin Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit von insgesamt vier Gesellschafterbeschlüssen erhoben. Dabei handelte es sich neben jenem über die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer um Beschlüsse über die Feststellung der Einnahme-Überschuss Rechnung 2005 (TOP 3), die Entlastung der Geschäftsführung für das Jahr 2005 (TOP 4) und die Ermittlung des Überschusses der Einnahmen über die Werbungskosten für das Jahr 2006 (TOP 6).
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und festgestellt, dass die in der Gesellschafterversammlung zu den Tagesordnungspunkten 3, 4, 6 und 8 gefassten Beschlüsse unwirksam seien. Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, dass die Versammlung am 14.07.2008 nicht beschlussfähig gewesen sei. Denn § 16 Abs. 3 des Gesellschaftervertrages verlange Einstimmigkeit. Hinsichtlich des Tagesordnungspunktes 8 hat die Kammer außerdem die Auffassung vertreten, dass nach § 712 BGB nur die durch Gesellschaftsvertrag übertragene Geschäftsführungsbefugnis entzogen werden könne. Die Vorschrift erfasse nicht die kraft Gesetz (§ 709 BGB) bestehende gemeinschaftliche Geschäftsführungsbefugnis.
Gegen dieses Urteil, auf das wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, wendet sich der Beklagte mit seiner rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung, soweit es die Unwirksamkeit der Abberufung des Klägers betrifft. Er trägt vor:
§ 712 Abs.1 BGB sei anwendbar, weil den Parteien die Geschäftsführung durch § 11 des Gesellschaftsvertrages übertragen worden sei. Es liege mithin kein Fall gesetzlicher Gesamtgeschäftsführungsbefugnis vor.
Außerdem sei § 712 Abs. 1 BGB nicht auf die gemäß § 710 BGB zuvor übertragene Befugnis zur Geschäftsführung zu beschränken. Vielmehr könne auch die einem Gesellschafter gesetzlich zustehende Gesamtgeschäftsführungsbefugnis entzogen werden.
Die Rechtsform der GbR habe in den letzten Jahrzehnten eine strukturelle Annäherung an die Personenhandelsgesellschaften erfahren und die Außen-GbR sei seit fast einem Jahrzehnt als rechtsfähig anerkannt. Es seien deshalb keine sachlichen Gesichtspunkt ersichtlich, die die in § 712 Abs. 1 BGB getroffene und von § 117 HGB abweichende Differenzierung länger rechtfertigen könnten.
Wenn er dem Kläger nicht gemäß § 712 Abs. 1 BGB die Geschäftsführung entziehen könne, werde er gezwungen, diesen aus der Gesellschaft auszuschließen. Dies sei für den Kläger besonders hart, weil er nach dem Gesellschaftsvertrag (§ 17 Abs.5) im Falle seines Ausscheidens nur mit der Hälfte des auf seinen Anteil fallenden Verkehrswertes abgefunden werde.
Ein wichtiger Grund sei ebenfalls gegeben. Der Kläger habe in der Vergangenheit eine Vielzahl von Verfehlungen begangen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts Göttingen teilweise "aufzuheben" und die Klage insoweit abzuweisen, als festgestellt wird, dass der in der Gesellschafterversammlung der Grundstücksgesellschaft Markus & Stephan O - Weender straße 56 - 58" gefasste Beschluss zu dem Tagesordnungspunkt 8 (Ziff. 7.8 des Protokolls vom 14. Juli 2008) unwirksam ist.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er erwidert:
Nach dem klaren Wortlaut des § 712 Abs. 1 BGB könne lediglich eine im Gesellschaftsvertrag übertragene Befugnis zur Geschäftsführung entzogen werden. Außerdem hätte die Gesellschafterversammlung vom 14.07.2008 nicht in der Kanzlei des Beklagtenvertreters, sondern am Sitz der Gesellschaft und überdies in Abwesenheit des Beklagtenvertreters stattfinden müssen. Die Gesellschaft sei schließlich bei der Gesellschafterversammlung vom 14.07.2008 beschlussunfähig gewesen. Denn § 16 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrages bestimme, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt habe, dass sämtliche Beschlüsse durch alle Gesellschafter zu fassen seien.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.
B. Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg.
Die Abberufung des Klägers war unwirksam, weil die Parteien gemäß § 709 Abs.1 BGB gemeinschaftlich zur Geschäftsführung befugt waren, diese Befugnis zum Kernbereich der Mitgliedschaft gehört und ohne Zustimmung des Gesellschafters nicht entzogen werden kann. § 712 Abs.1 BGB gestattet die Entziehung der Geschäftsführung nur, wenn eine sog. "übertragene" Geschäftsführungsbefugnis i. S. d. § 710 S.1 BGB vorliegt; ein solcher Fall ist nicht gegeben.
Die vertragliche Regelung in § 11 des Gesellschaftsvertrags führt im Gegensatz zur Auffassung des Beklagten nicht zur Anwendung von § 710 S.1 BGB. Denn die Vorschrift setzt voraus, dass sich die Geschäftsführung durch Gesellschaftsvertrag auf einen Teil der Gesellschafter beschränkt wird (Münchner Kommentar/Ulmer/Schäfer, BGB, 5. Aufl., § 710 Rn.2; Palandt/Sprau, BGB, 68. Aufl., § 710 Rn.1). Das ergibt sich deutlich aus dem Wortlaut der Vorschrift, wonach die Übertragung zur Folge haben muss, dass die "übrigen Gesellschafter von der Geschäftsführung ausgeschlossen" sind. Die Regelung im Gesellschaftsvertrag wiederholt mithin nur deklaratorisch die gesetzliche Regelung.
§ 712 Abs.1 BGB ist nach zutreffender Ansicht weder im Wege der Auslegung noch durch Rechtsfortbildung auf Fälle der Gesamtgeschäftsführungsbefugnis i. S. d. § 709 BGB auszudehnen (Jauernig/Stürner, BGB, 13. Aufl. §§ 712, 713 Rn. 17; Palandt/Sprau, BGB, 68. Aufl. § 712 Rn. 1; RGRK/von Gamm, BGB, 12. Aufl. [1978] Rn. 1). Denn nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift kann nur eine "durch den Gesellschaftsvertrag übertragene" Befugnis zur Geschäftsführung entzogen werden.
Die Gegenauffassung (Münchner Kommentar/Ulmer/Schäfer, BGB, 5. Aufl. § 712 Rn. 4 ff.; Staudinger/Habermeyer BGB, 13. Bearb. [2003], § 712 Rn. 5) beruft sich auf ein gewandeltes Leitbild der Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Diese Fortentwicklung habe dazu geführt, dass die Außen-GbR heute rechtlich weitgehend den Personengesellschaften angenähert sei. Die GbR werde inzwischen als rechtsfähig angesehen und die Geschäftsführer hätten die Stellung eines Organs (Ulmer/Schäfer, aaO. Rn.5). Sachliche Gesichtspunkte für die Beschränkung des § 712 Abs.1 BGB auf die übertragene Befugnis seien nicht zu erkennen. Eine "erweiternde Anwendung" der Vorschrift auf Fälle gesetzlicher Gesamtgeschäftsführung sei vielmehr geboten, um eine vorzeitige Auflösung oder die ungleich härtere Ausschließung nach Maßgabe von § 737 BGB zu vermeiden (Ulmer/Schäfer, aaO. Rn.6).
Diese Argumente überzeugen nicht. Es mag zwar sein, dass sich die moderne Gesellschaft bürgerlichen Rechts in tatsächlicher Hinsicht häufig von dem Gesellschaftsbild abweicht, das dem historischen Gesetzgeber vor Augen war. Auch ist es zutreffend, dass die Außen-GbR im Wege der Rechtsfortbildung rechtlich der Personenhandelsgesellschaft angenähert wurde. Indes sind diese Erwägungen nicht geeignet, sich über den klaren Wortlaut von § 712 Abs.1 BGB hinwegzusetzen.
Dem Senat erschließt sich nicht, weshalb die Rechtsfähigkeit der Außen-GbR und die Organstellung der Geschäftsführer die Anwendung von § 712 Abs.1 BGB in Fällen gesetzlicher Gesamtgeschäftsführungsbefugnis gebieten soll. Sowohl die Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Außen-GbR als auch die Organstellung der Geschäftsführer sind ebenso mit einer am Wortlaut orientierten Auslegung von § 712 Abs.1 BGB vereinbar.
Neben dem eindeutigen Wortlaut, auf dessen herausgehobene Bedeutung bei der Gesetzesauslegung der Bundesgerichtshof mit Recht verwiesen hat (BGHZ 46, 74, 76), spricht auch die historische Auslegung gegen eine Anwendung von § 712 Abs.1 BGB auf Fälle gesetzlicher Gesamtgeschäftsführungsbefugnis. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte nur die über die gesetzliche Regelung "hinaus eingeräumte Befugnis zur Geschäftsführung" erfasst sein sollte (Motive zu dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, Bd. II. Recht der Schuldverhältnisse S. 606).
Die Anwendung von § 712 Abs. 1 BGB auf Fälle gesetzlicher Gesamtgeschäftsführungsbefugnis ist ferner aus systematischen Gründen abzulehnen. Denn die Anwendung von § 712 Abs. 1 BGB ergibt bei gesetzlicher Gesamtgeschäftsführungsbefugnis und besonders bei einer nur aus zwei Personen bestehenden Gesellschaft nur dann Sinn, wenn sich dadurch die Geschäftsführungsbefugnis auf den/die verbleibenden Gesellschafter konzentriert (so Münchner Kommentar/Ulmer/Schäfer, 5. Aufl., BGB § 712 Rn. 20). Die Abberufung eines Geschäftsführers gemäß § 712 Abs.1 BGB nach zuvor übertragener Geschäftsführung führt - darauf hat der Bundesgerichtshof zutreffend hingewiesen (BGH II ZR 67/06, Urt. v. 11.02.2008, juris, Rn. 12) - indes regelmäßig zur Anwendung der gesetzlichen Vorschrift des § 709 BGB: Der zuvor privilegierte Geschäftsführer bleibt mithin nach der Entziehung weiterhin - nun allerdings gemeinsam mit den übrigen Geschäftsführern - zur Geschäftsführung befugt. Es lassen sich aber keine Gründe dafür finden, weshalb ein Gesellschafter, dem eine übertragene Befugnis i. S. d. § 710 BGB wegen eines wichtigen Grundes entzogen wurde, durch das Fortbestehen der Gesamtgeschäftsführungsbefugnis besser gestellt sein sollte, als derjenige, der von Anfang an nur i. S. d. § 709 BGB befugt war.
Der Zweck von § 712 Abs.1 BGB spricht aus Sicht des Senats ebenfalls gegen eine erweiternde Anwendung der Vorschrift. Die Regelung dient erkennbar dazu, die Sonderstellung des durch die Übertragung (§ 710 S.1 BGB) privilegierten Geschäftsführers zu korrigieren und den Normalfall herbeizuführen; es geht nicht um einen Eingriff in die Gesamtgeschäftsführungsbefugnis.
Eine erweiterte Anwendung des § 712 Abs.1 BGB auf sämtliche Fälle der Geschäftsführung kann sich auch nicht auf die Befugnis des Richters zur Rechtsfortbildung stützen. Sie ist vielmehr schon deshalb unzulässig, weil § 712 Abs.1 BGB erkennbar als Ausnahmevorschrift konzipiert ist (singularia non sunt extensa). Darüber hinaus setzt sich eine erweiternde Anwendung von § 712 Abs.1 BGB nicht nur über den mit zunehmendem Alter der Kodifikation weniger bedeutsamen Willen des historischen Gesetzgebers hinweg, sondern missachtet auch den eindeutigen Wortlaut, den systematischen Zusammenhang sowie den objektiven Zweck der Vorschrift. Die Befugnis zu einer solchen Rechtsfortbildung contra legem besteht aber nicht unbegrenzt (BVerfG Beschluss vom 11.10.1978, 1 BvR 84/74, juris, Rn.27) und setzt zumindest voraus, dass ein dringendes Regelungsbedürfnis besteht und die Gesetzestreue des Richters gleichzeitig eine erhebliche Einbuße an Gerechtigkeit bedeuten würde (BVerfGE 34, 269, 290 ff. [BVerfG 14.02.1973 - 1 BvR 112/65]); beide Voraussetzungen sind nicht gegeben:
Der Senat kann schon keine mit besonderer Dringlichkeit zu schließende Gesetzeslücke erkennen. So gibt es durchaus noch Gesellschaften bürgerlichen Rechts, die zwar als Außengesellschaften am Rechtsverkehr teilnehmen, sich aber dennoch nicht gravierend von den Gesellschaften unterscheidet, die der historische Gesetzgeber vor Augen hatte. Andere Gesellschaften, die dem Leitbild des Gesetzgebers tatsächlich nicht mehr entsprechen, machen nach der Erfahrung des Senats häufig durch Gesellschaftsvertrag von § 710 S.1 BGB Gebrauch und beschränken die Geschäftsführung einvernehmlich auf ausgewählte Gesellschafter; auch in diesen Fällen steht § 712 Abs.1 BGB der Entziehung der Geschäftsführung nicht entgegen.
Wenn die erweiternde Anwendung von § 712 Abs.1 BGB schließlich damit begründet wird, dass einen Gesellschafter die Entziehung der Geschäftsführung weniger hart treffe als der bei einer Fortsetzungsklausel mögliche Ausschluss nach § 737 BGB, erscheint dies ebenfalls nur vordergründig richtig. Denn gerade der konkrete Fall einer aus zwei zerstrittenen Brüdern bestehenden Gesellschaft lässt Zweifel aufkommen, ob es dem von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Bruder wirklich zugemutet werden kann, in der Gesellschaft zu verbleiben und das Verhalten des Geschäftsführers als weniger einschneidende Maßnahme untätig beobachten zu müssen. Hart mag den Kläger bei einem Ausschluss allerdings die für ihn nachteilige Regelung in § 17 Abs.5 des Gesellschaftsvertrags treffen. Bei dieser Abfindungsvereinbarung handelt es sich jedoch um eine Besonderheit des zwischen den Parteien abgeschlossenen Gesellschaftsvertrages, so dass hiermit keine gesetzliche Regelungslücke begründet werden kann.
Eine deutliche Gerechtigkeitseinbuße, die es gebietet, die vermeintliche Lücke durch die Rechtsprechung zu schließen, ohne die Entscheidung des primär zuständigen Gesetzgebers abzuwarten, besteht ebenfalls nicht. Es stellt keine gravierende Beeinträchtigung eines Gesellschafters dar, wenn er nach aktuellem Recht auf die Kündigungsmöglichkeit (§ 723 BGB) oder bei einer Fortsetzungsklausel auf den Ausschluss nach § 737 BGB bzw. im Fall des Klägers nach § 18 des Gesellschaftsvertrages verwiesen wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs.1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war zuzulassen, weil die Frage, ob § 712 Abs. 1 BGB auch bei gesetzlicher Gesamtgeschäftsführungsbefugnis gilt, von grundsätzlicher Bedeutung ist. Sie ist von allgemeinem Interesse, in der Literatur umstritten und höchstrichterlich nicht geklärt.
Die Frage ist auch entscheidungserheblich. Die Unwirksamkeit des Beschlusses folgt im Gegensatz zur Auffassung des Landgerichts nicht aus § 16 Abs. 3 des Gesellschafsvertrages. Zwar sind nach dieser Bestimmung Entscheidungen einstimmig zu treffen. Dieses Erfordernis allein steht der Wirksamkeit des Beschlusses über die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis jedoch nicht entgegen, weil der Kläger als Betroffener vom Stimmrecht ausgeschlossen ist (vgl. OLG Köln, Urteil vom 16.08.2005, 3 U 7/05, juris, Rn. 20; Münchner Kommentar Ulmer/Schäfer, 5. Aufl., § 712 BGB Rn.13; Jauernig/Stürner,BGB, 13. Auf. §§" 712, 713 Rn. 17): In der Zweipersonengesellschaft genügte deshalb die Erklärung des Mitgesellschafters (Ulmer/Schäfer, aaO. Rn. 14). Auch ist anerkannt, dass ein beratungsbedürftiger Gesellschafter einen zur Verschwiegenheit verpflichteten Berater zur Gesellschafterversammlung hinzuziehen kann (BGH DB 2009, 1227, 1229). Dass die Gesellschafterversammlung in den Räumen des Prozessbevollmächtigten stattgefunden hat, kann der Kläger nicht rügen, nachdem der Klägervertreter mit Schriftsatz vom 08.07.2009 in Kenntnis des Versammlungsortes die Terminsverlegung betätigt hatte.
Auf der anderen Seite kann der angefochtene Beschluss über die Abberufung des Klägers nicht als ein den Gesellschaftsvertrag abändernder und - wegen der Abwesenheit des Klägers einstimmig gefasster - Beschluss über die Beschränkung der Geschäftsführung auf den Beklagten gemäß § 710 S.1 BGB angesehen werden. Die Befugnis zur Geschäftsführung gehört zum Kernbereich der Mitgliedschaft, so dass eine Änderung des Gesellschaftsvertrags nach § 710 BGB eine an § 182 BGB zu messende Zustimmung des Gesellschafters erfordert (Münchner Kommentar Ulmer/Schäfer, 5. Aufl. § 709 Rn.91, 93); daran fehlt es.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren war gemäß § 3 ZPO an dem Interesse des Klägers auszurichten, gemeinsam mit dem Beklagten die Geschäfte der GbR zu führen (BGH NJW-RR 1990, S. 1123, 1124 [BGH 28.05.1990 - II ZR 245/89]; NJW-RR 1995, 1502). Insoweit hielt der Senat einen Streitwert von 20.000,00 € für angemessen. Dies führt gem. § 63 Abs. 3 GKG zu einer entsprechenden Abänderung des erstinstanzlichen Streitwerts. Der Senat geht davon aus, dass der in zweiter Instanz allein noch streitgegenständliche Beschluss über die Abberufung des Klägers von der Kammer mit 6.000,- € bewertet worden ist; der erstinstanzliche Streitwert beträgt dann 34.000,00 €.