Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 08.04.2010, Az.: 8 U 131/09

Begriff der gemeinsamen Betriebsstätte i.S.v. § 106 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII); Gesamtschuldnerausgleich unter mehreren Schädigern

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
08.04.2010
Aktenzeichen
8 U 131/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 25057
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2010:0408.8U131.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Braunschweig - 26.06.2009 - AZ: 8 O 764/09

Redaktioneller Leitsatz

1. Der Fahrer eines Käufers von Waren, der in dessen Auftrag auf den Betriebshof des Lieferanten fährt, um dort Waren abzuholen, ist mit einem Staplerfahrer des Lieferanten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte i.S. von § 106 Abs. 3 SGB VII tätig.

2. Wird er durch den Staplerfahrer verletzt, so stellt sich dies als Ergebnis eines aufeinander bezogenen Handlungsablaufes und nicht als zufällige Begegnung dar mit der Folge, dass der Haftungsausschluss des§ 106 Abs. 3 3. Alt. SGB VII eingreift.

3. Auf diesen Haftungsausschluss kann sich auch der Geschäftsherr des Staplerfahrers gegenüber dem Schädiger berufen.

In dem Rechtsstreit

der Hofbrauhaus W GmbH, vertreten durch die Geschäftsführer Hanns-Bernd de W, Wilhelm K, Hans-Peter L, Thomas R, W Straße 39, 3 Braunschweig,

- Beklagten, Berufungsklägerin II und Berufungsbeklagten I -

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte K & W, hof 4 B, 3 Braunschweig,

Geschäftszeichen: 44/09 Wß/ma

g e g e n

Herrn Reinhard K, Straße 28, 3 Braunschweig,

- Kläger, Berufungsbeklagten II und Berufungskläger I -

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte Dr. M und Partner, markt 1, 3 Braunschweig,

Geschäftszeichen: 08/001925-814

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Dr. K, den Richter am Oberlandesgericht W und die Richterin am Oberlandesgericht H auf die mündliche Verhandlung vom 11. März 2010 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 26. Juni 2009 - 8 O 764/09 (083) - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf die Wertstufe bis 16.000,00 EUR festgesetzt. Der Streitwert erster Instanz wird in Abänderung der Streitwertfestsetzung in dem angefochtenen Urteil auf die Wertstufe bis 16.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1

(abgekürzt gem. §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO)

2

I. Die zulässige Berufung der Beklagten hat in vollem Umfang Erfolg. Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

3

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Feststellung, dass diese verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Vorfall vom 28. Juli 2008 auf dem Betriebsgelände der Beklagten zu bezahlen, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind (§§ 831, 823 Abs. 1, 840 Abs. 1 BGB). Es besteht auch kein Anspruch auf Ersatz der dem Kläger aufgrund seiner außergerichtlichen Vertretung entstandenen Rechtsanwaltskosten.

4

1. Zwar steht fest, dass der Kläger auf dem Betriebsgelände der Beklagten durch einen ihrer Mitarbeiter verletzt wurde, als dieser beim Wenden mit dem Gabelstapler aus Unachtsamkeit gegen den linken Oberschenkel und über den rechten Fuß des Klägers fuhr.

5

2. Die Haftung der Beklagten für den dem Kläger aus diesem Vorfall entstandenen Personenschaden ist jedoch nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses ausgeschlossen. Danach können in den Fällen, in denen zwischen mehreren Schädigern ein Gesamtschuldverhältnis besteht, Ansprüche des Geschädigten gegen einen Gesamtschuldner (Zweitschädiger) auf den Betrag beschränkt sein, der auf diesen im Innenverhältnis zu dem anderen Gesamtschuldner (Erstschädiger) endgültig entfiele, wenn die Schadensverteilung nach § 426 BGB nicht durch eine sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivilegierung des Erstschädigers gestört wäre (vgl. BGH VersR 2008, 642 ff., [BGH 22.01.2008 - VI ZR 17/07] BGH Z 157, 9 ff. und BGH VersR 2005, 1397 ff. [BGH 14.06.2005 - VI ZR 25/04]). Die Beschränkung der Haftung des Zweitschädigers beruht dabei auf dem Gedanken, dass einerseits die haftungsrechtliche Privilegierung nicht durch eine Heranziehung im Gesamtschuldnerausgleich unterlaufen werden soll, es aber andererseits bei Mitberücksichtigung des Grundes der Haftungsprivilegierung, nämlich der anderweitigen Absicherung des Geschädigten durch eine gesetzliche Unfallversicherung, nicht gerechtfertigt wäre, den Zweitschädiger den Schaden allein tragen zu lassen. Deshalb hat der Bundesgerichtshof den Zweitschädiger in solchen Fällen in Höhe des Verantwortungsteils freigestellt, der auf den Erstschädiger im Innenverhältnis entfiele, wenn man seine Haftungsprivilegierung hinweg denkt, wobei unter "Verantwortungsteil" die Zuständigkeit für die Schadensverhütung und damit der Eigenanteil des betreffenden Schädigers an der Schadensentstehung zu verstehen ist. In Anwendung dieser Grundsätze trägt dann, wenn auf der einen Seite nur eine Gefährdungshaftung oder eine Haftung aus vermutetem Verschulden vorliegt, im Innenverhältnis grundsätzlich derjenige den ganzen Schaden, der nachweislich schuldhaft gehandelt hat (vgl. BGH VersR 2008, 642 ff. Rdn. 12 [BGH 22.01.2008 - VI ZR 17/07]).

6

a) Diese Grundsätze finden auf den vorliegenden Fall Anwendung. Denkt man das Haftungsprivileg des § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII hinweg, so würde die Beklagte nach §§ 831, 823, 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldnerin aus vermutetem Auswahl- und Überwachungsverschulden für ihren Mitarbeiter haften, der den Kläger aus Unachtsamkeit mit dem Gabelstapler angefahren hat. Der Mitarbeiter der Beklagten selbst würde wegen fahrlässiger Körperverletzung gemäß §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, 840 Abs. 1 BGB, 229 StGB haften. Im Innenverhältnis zwischen der Beklagten und ihrem Mitarbeiter hätte dieser den Schaden allein zu tragen, weil dieser nachweislich schuldhaft gehandelt hat, während die Beklagte nur aus vermutetem Verschulden haftet. Dies beruht auf dem Gedanken, dass derjenige, der seinerseits eine Pflicht verletzt hat, sich im Innenverhältnis nicht mit Erfolg darauf berufen kann, in der Erfüllung eben dieser Pflicht nicht genügend überwacht worden zu sein (vgl. BGH Z 157, 9 ff. Rdn. 17).

7

b) Das Haftungsprivileg des § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII ist vorliegend erfüllt. Nach dieser Vorschrift gilt eine Haftungsprivilegierung für vorübergehende Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte. Verrichten Versicherte mehrerer Unternehmen - wie hier - vorübergehend betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte, gelten für die Ersatzpflicht der für die beteiligten Unternehmen Tätigen untereinander die §§ 104, 105 SGB VII. Nach § 105 Abs. 1 SGB VII sind Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebs verursachen, zum Ersatz des Personenschadens nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt haben. Nach der Rechtsprechung gilt die Haftungsprivilegierung im Sinne des § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII auch gegenüber dem geschädigten versicherten Unternehmer, der freiwillig oder kraft Satzung versichert ist (vgl. BGH VersR 2008, 1260 ff. Rdn. 10 [BGH 17.06.2008 - VI ZR 257/06] und 11).

8

aa) Der Kläger, der selbständiger Unternehmer ist, war im Unfallzeitpunkt Versicherter der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Berufsgenossenschaft für Handel und Warendistribution, Bremen, hat den Unfall des Klägers auch als Arbeitsunfall anerkannt. An diese Feststellung ist der Senat gebunden. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Mit der Einordnung als Arbeitsunfall und damit als Versicherungsfall (§ 7 Abs. 1 SGB VII) in einem unanfechtbaren Bescheid des Unfallversicherungsträgers ist auch für das Zivilverfahren bindend entschieden, dass der Geschädigte "Versicherter" der gesetzlichen Unfallversicherung war und dass ein Versicherungsfall vorliegt (vgl. BGH VersR 2008, 1260 ff. Rdn. 9 [BGH 17.06.2008 - VI ZR 257/06] und BAG NZA 2007, 262 ff.; vgl. auch nicht veröffentlichten Beschluss des 1. Zivilsenates des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 12. November 2009 - 1 U 64/08 -).

9

bb) Der Kläger und der als Gabelstaplerfahrer eingesetzte Mitarbeiter der Beklagten haben zum Unfallzeitpunkt auch eine vorübergehende betriebliche Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte ausgeübt.

10

Darunter sind betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen zu verstehen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinandergreifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt. Erforderlich ist ein bewusstes Miteinander im Arbeitslauf, das sich zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt. Die Tätigkeit der Mitwirkenden muss im faktischen Miteinander der Beteiligten aufeinander bezogen, miteinander verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet sein. Die notwendige Arbeitsverknüpfung kann im Einzelfall auch dann bestehen, wenn die von den Beschäftigten verschiedener Unternehmen vorzunehmenden Maßnahmen sich nicht sachlich ergänzen oder unterstützen, die gleichzeitige Ausführung der betreffenden Arbeiten wegen der räumlichen Nähe aber eine Verständigungüber den Arbeitsablauf erfordert und hierzu konkrete Absprachen getroffen werden, etwa wenn ein zeitliches und örtliches Nebeneinander dieser Tätigkeiten nur bei Einhaltung von besonderen beiderseitigen Vorsichtsmaßnahmen möglich ist und die Beteiligten solche vereinbaren (vgl. BGH VersR 2008, 1260 ff. Rdn. 19 [BGH 17.06.2008 - VI ZR 257/06] und BGH VersR 2008, 642 ff. Rdn. 13 [BGH 22.01.2008 - VI ZR 17/07]). Dabei ist eine "gemeinsame" Betriebsstätte nach allgemeinem Verständnis mehr als "dieselbe" Betriebsstätte. Das bloße Zusammentreffen von Risikosphären mehrerer Unternehmen erfüllt deshalb den Tatbestand der Norm nicht (vgl. BGH VersR 2004, 1604 f. Rdn. 9 [BGH 14.09.2004 - VI ZR 32/04]). Parallele Tätigkeiten, die sich beziehungslos nebeneinander vollziehen, genügen ebenso wenig wie eine bloße Arbeitsberührung. Erforderlich ist vielmehr eine gewisse Verbindung zwischen den Tätigkeiten des Schädigers und des Geschädigten in der konkreten Unfallsituation, die eine Bewertung als gemeinsame Betriebsstätte rechtfertigt. Das ist nur bei solchen betrieblichen Aktivitäten anzunehmen, die im faktischen Miteinander der Beteiligten aufeinander bezogen oder miteinander verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet sind (vgl. BGH, aaO.).

11

Danach ist eine vorübergehende Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte anzunehmen. Der Kläger und der Mitarbeiter der Beklagten trafen zum Unfallzeitpunkt nicht zufällig auf dem Betriebshof der Beklagten aufeinander, sondern deshalb, weil der Kläger Waren abholen und der Mitarbeiter der Beklagten an diesem Abholvorgang mitwirken wollte. Dabei ist - entgegen der Rechtsauffassung des Klägers - nicht allein der eigentliche Beladevorgang zu betrachten, sondern der gesamte Tätigkeitsbereich der Warendistribution und der Warenabholung, an dem beide Unternehmen beteiligt waren. Bei diesem Vorgang bestand die typische Gefahr, dass sich die Beteiligten "ablaufbedingt in die Quere kommen" (vgl. auch BGH VersR 2008, 1260 ff. Rdn. 20 [BGH 17.06.2008 - VI ZR 257/06]). Abzustellen ist nicht auf den üblichen Verlauf einer solchen Warenabholung und -verladung, sondern auf den konkreten Vorgang, bei dem es zu dem Unfall gekommen ist. Der Kläger hatte zum Zeitpunkt des Unfalls den Lkw bereits in die ihm zugewiesene Ladeposition gefahren, ihn für die Beladung bereit gemacht, die erforderlichen Liefer- und Ladepapiere in der Expedition abgeholt und diese dem Gabelstaplerfahrer der Beklagten übergeben. Nach dem Erhalt der Papiere beabsichtigte der Mitarbeiter der Beklagten, mit dem Gabelstapler loszufahren. Während des Wendevorganges fuhr er über den rechten Fuß des Klägers und gegen dessen linken Oberschenkel. Die Verletzung des Klägers stellt sich damit als das Ergebnis eines aufeinander bezogenen Handlungsablaufes dar und nicht als eine zufällige Begegnung. Der gesamte Abholvorgang war durch ein bewusstes Miteinander im Arbeitsablauf gekennzeichnet, wobei alle Beteiligten Sicherungsmaßregeln zu beachten hatten. Der Kläger hatte sein Fahrzeug zuvor auf der ihm zugewiesenen Ladefläche abgestellt, sich mithin an die Anweisungen des Personals der Beklagten gehalten, die letztlich der Absicherung des gesamten Vorganges der Warendistribution dienten.

12

cc) Es lag darüber hinaus eine Gefahrengemeinschaft vor, welche die Rechtfertigung für den Haftungsausschluss gemäß § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII bildet. Eine Gefahrengemeinschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass jeder der (in enger Berührung miteinander) Tätigen sowohl zum Schädiger als auch zum Geschädigten werden kann. Dies setzt nicht voraus, dass im konkreten Fall jeder der auf der Betriebsstätte Tätigen in gleicher Weise verletzt werden könnte. Es reicht die Möglichkeit aus, dass es durch das enge Zusammenwirken wechselseitig zu Verletzungen kommen kann (vgl. BGH VersR 2008, 642 ff. Rdn. 16 [BGH 22.01.2008 - VI ZR 17/07]). Demgemäß kann eine Gefahrengemeinschaft auch bestehen, wenn eine wechselseitige Gefährdung zwar eher fern liegt, aber auch nicht völlig ausgeschlossen ist (vgl. BGH, aaO.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Grundsätzlich bestand die Möglichkeit, dass auch der Kläger den Mitarbeiter der Beklagten beim Befahren des Hofes oder beim Beladevorgang, etwa durch versehentliches Zurücksetzen des Lkw, verletzte. Es ist nicht erforderlich, dass die gegenseitige Verletzungsmöglichkeit in der konkreten Situation bestand, in der sich der Unfall ereignete. So hat das Oberlandesgericht Karlsruhe eine vorübergehende Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte in einem Fall bejaht, in dem ein Unternehmer seinen Lkw zum Abladen von Waren bereitgestellt hatte, sich dann in die Betriebshalle begab, um die Lieferung anzumelden, und im Anschluss daran zu seinem Lkw zurückging, als der Gabelstaplerfahrer des anderen Unternehmens rückwärts aus der Halle herausfuhr, um beim Abladevorgang mitzuwirken, und den Unternehmer auf seinem Weg zum Lkw verletzte (vgl. OLG Karlsruhe VersR 2003, 506 [OLG Karlsruhe 24.05.2002 - 10 U 253/01]). Zur Begründung hat das Oberlandesgericht Karlsruhe ausgeführt, eine Zerlegung in Einzelakte sei bei einem länger andauernden vielschichtigen Arbeitsvorgang nicht angemessen. Vielmehr sei bei lebensnaher Betrachtungsweise auch eine Ortsveränderung zwischen zwei Arbeitsschritten, wie sie der verletzte Unternehmer vorgenommen habe, vom Gesamtvorgang und Zusammenwirken der beiden Betriebe erfasst. Dem schließt sich der Senat an. Die Aufspaltung eines nach der natürlichen Lebensauffassung zusammengehörigen Vorgangs in verschiedene Arbeitsschritte wäre letztlich willkürlich und würde dem Sinn der Haftungsprivilegierung nicht gerecht. Auf eine etwa geplante Mitwirkung des Klägers an dem Beladevorgang selbst kommt es daher nicht an.

13

dd) Der Annahme eines vollständigen Haftungsausschlusses der Beklagten gemäß § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII steht nicht entgegen, dass Schmerzensgeldansprüche von der gesetzlichen Unfallversicherung nicht befriedigt werden. Schmerzensgeldansprüche fallen unter den Begriff der immateriellen Schäden und sind damit Personenschäden im Sinne von §§ 104, 105 SGB VII, auf die § 106 Abs. 3 SGB VII verweist (vgl. BAG E 103, 92 ff. Rdn. 16 und Hessisches LAG, Urteil vom 12.08.2009 - 2 Sa 579/09, veröffentlicht in juris). Diese Regelung ist verfassungskonform (vgl. Hessisches LAG, aaO.).

14

Auch die vom Kläger weiter angeführten Ersatzansprüche, nämlich der Verdienstausfallschaden und der Haushaltsführungsschaden, sind Folge eines Personenschadens und damit gemäß §§ 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII von der Haftung ausgeschlossen. Unter Personenschäden im Sinne der §§ 104, 105 SGB i.V.m. § 106 Abs. 3 SGB VII fallen auch Vermögensbeeinträchtigungen wegen Verletzung oder Tötung des Versicherten (vgl. BAG E 103, 92 ff. Rdn. 16).

15

ee) Der Mitarbeiter der Beklagten hat den Unfall schließlich nicht vorsätzlich im Sinne der §§ 104 Abs. 1, 105 Abs. 1 SGB VII herbeigeführt. Dabei kann dahinstehen, ob der Gabelstaplerfahrer der Beklagten Sicherheitsvorschriften vorsätzlich missachtet hat. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, so würde dies die Annahme einer vorsätzlichen Unfallverursachung nicht rechtfertigen (vgl. dazu Hessisches LAG, aaO., Rdn. 20). Aus einem möglichen Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften ergibt sich nicht, dass damit auch die Unfallfolge, hier die Verletzung des Klägers, billigend in Kauf genommen wurde.

16

3. Da die Haftungsprivilegierung gemäß § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII eingreift, ist die Klage unbegründet. Dasselbe gilt für die Berufung des Klägers, mit der er eine Verurteilung der Beklagten zur Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren erstrebt. Weil die Beklagte dem Kläger aus dem Vorfall nicht auf Schadensersatz und Schmerzensgeld haftet, sind auch die dem Kläger in diesem Zusammenhang entstandenen Rechtsanwaltskosten nicht zu ersetzen.

17

Über den Hilfsantrag der Beklagten auf Aufhebung des angefochtenen Urteils und auf Zurückverweisung der Sache an das Landgericht war wegen der Begründetheit des Hauptantrages nicht mehr zu entscheiden.

18

II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

19

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

20

Der Streitwertfestsetzung für das Berufungsverfahren liegen§§ 3 und 4 ZPO zugrunde. Außergerichtliche Kosten wirken nicht streitwerterhöhend (vgl. Zöller-Herget, ZPO, 27. Aufl., § 4 Rdn. 13). Dies gilt auch dann, wenn sie - wie hier - neben der im Klagewege geltend gemachten Hauptforderung Gegenstand eines eigenen Antrags sind (vgl. BGH NJW-RR 2008, 374 f. [BGH 25.09.2007 - VI ZB 22/07]). Bei der Bemessung des Streitwertes ist der Senat von einer geschätzten Gesamtforderung des Klägers in Höhe von 20.000,00 EUR - vermindert um einen Feststellungsabschlag von 20 % - ausgegangen. Der Senat hat dabei die vom Kläger mit Schriftsatz vom 28.10.2009 (Seite 2, Bl. 86 d.A.) geäußerte Schadensersatz- und Schmerzensgelderwartung zugrunde gelegt.

21

Die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung in dem angefochtenen Urteil war nach Maßgabe der vorstehenden Ausführungen von Amts wegen abzuändern (§ 63 Abs. 3 GKG).