Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 23.09.2010, Az.: Ss 72/10

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
23.09.2010
Aktenzeichen
Ss 72/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 37017
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2010:0923.SS72.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Braunschweig - 23.02.2010

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 23. März 2010 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Übrigen wird die Revision verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Braunschweig zurückverwiesen.

Gründe

1

Soweit sich die Revision gegen den Rechtsfolgenausspruch richtet, ist sie begründet, im Übrigen bleibt sie ohne Erfolg.

2

I. Durch das angefochtene Urteil ist der Angeklagte wegen versuchten unerlaubten Erwerbs von Kokain kostenpflichtig zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Hierzu hat das Amtsgericht festgestellt, dass der Angeklagte in Braunschweig am 3. Dezember 2009 gegen 23.10 Uhr von einem unbekannt gebliebenen Schwarzafrikaner gegen Zahlung von 100,- € drei Kugeln einer Substanz mit einem Bruttogewicht von 3,28 Gramm erworben hat, von der er annahm, dass es sich um Kokain handelte, ohne dass mit Sicherheit festgestellt werden konnte, dass es sich hierbei tatsächlich um Kokain gehandelt hat. Hiergegen hat der Angeklagte unter Erhebung der Sachrüge Revision eingelegt und beantragt, "von einer Bestrafung abzusehen, hilfsweise das Verfahren einzustellen, hilfsweise nach § 59 StGB zu verfahren, hilfsweise (den Angeklagten) zu einer Geldstrafe von nicht mehr als 60 Tagessätzen zu verurteilen, hilfsweise das Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen". Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt wie erkannt.

3

II. Soweit sich die Revision gegen den Schuldspruch des angefochtenen Urteils richtet, war sie auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung des Verteidigers gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

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III. Soweit sich die Revision gegen den Rechtsfolgenausspruch wendet, konnte ihr der Erfolg nicht versagt bleiben. Denn die Ausführungen zur Rechtsfolgenseite weisen Lücken auf. Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 30. August 2010 u. a. folgendes ausgeführt:

5

"Das Amtsgericht hat sich zum einen nicht mit der Anwendbarkeit des § 29 Abs. 5 BtMG auseinander gesetzt. Diese Vorschrift ist als Strafzumessungsregel materielles Recht, das in der Revision auf die Sachrüge hin überprüft werden kann. Gibt ein Sachverhalt, bei dem ein Angeklagter Betäubungsmittel in geringen Mengen zum Eigenverbrauch erworben hat, Anlass, die Voraussetzungen der Strafzumessungsregel des § 29 Abs. 5 BtMG zu prüfen, so führt die Nichterörterung im Urteil auf die Revision hin zur Aufhebung des Urteils im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen (vgl. Körner, BtMG, 6. Auflage, § 29 Rdnr. 2124 m. w. N.).

6

Ausgehend von dem Zweck des § 29 Abs. 5 BtMG, der es ermöglichen soll, trotz des bestehenden öffentlichen Interesses an der Bekämpfung des Drogenmissbrauchs den Gelegenheitskonsumenten und Drogenprobierer vor Strafe und der Eintragung im Strafregister bzw. der damit verbundenen Diskriminierung zu bewahren (Körner, aaO., Rdnr. 2041), hätte das Amtsgericht Ausführungen zur Anwendbarkeit dieser Vorschrift machen müssen. Der Angeklagte gehörte zu dem Personenkreis, auf den die ratio dieser Vorschrift abzielt. Er erwarb die drei "Kügelchen" zum Eigenverbrauch. Ob sich sein Vorsatz auf den Erwerb einer "geringen Menge" im Sinne des § 29 Abs. 5 BtMG bezog, kann den Feststellungen jedoch nicht entnommen werden. Diese sind insoweit lückenhaft. Eine geringe Menge soll vorliegen, wenn maximal drei Konsumeinheiten erworben werden, wobei die Konsumeinheit nach der Einstiegsdosis zu bemessen ist. Davon ausgehend hat das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLGSt 1982 S. 62) die Obergrenze der geringen Menge für Kokain bei 300 mg gezogen. Dem gegenüber geht der BGH nicht von der Gewichtsmenge des Betäubungsmittels, sondern von der Wirkstoffmenge aus (BGH NStZ 1991 S. 591). Es obliegt dem Tatrichter deshalb grundsätzlich, konkrete Feststellungen zum Wirkstoffgehalt zu treffen oder aber, falls dies nicht möglich ist, von der für den Angeklagten günstigsten Qualität auszugehen (Körner, § 29 Rdnr. 2064). Auf dieser Grundlage hätte es Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten bezüglich der von ihm erworbenen Betäubungsmittelmenge bedurft. Nicht fernliegend erscheint die Annahme, dass der betäubungsmittelunerfahrene Angeklagte angesichts der drei Kügelchen auch von dem Erwerb von drei Konsumeinheiten ausgegangen sein könnte. Rückschlüsse auf sein Vorstellungsbild könnten sich aus der Höhe des Kaufpreises und der Feststellung der gesamten Menge der erworbenen Substanz ergeben. Diese ist im Urteil jedoch ebenfalls nicht bezeichnet worden. Die angegebene Menge von 3,38 g bezieht sich auf das Bruttogewicht, beinhaltet also das Gewicht der Verpackung. Es ist deshalb nicht einmal ausgeschlossen, dass der Angeklagte gar nicht mehr als 0,3 g Substanz erworben hat.

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Rechtsfehlerhaft erscheinen weiter die Ausführungen zur Verhängung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe unter dem Gesichtspunkt des § 47 StGB.

8

Das Amtsgericht hat nicht hinreichend dargelegt, dass besondere Umstände im Sinne dieser Vorschrift eine Freiheitsstrafe von weniger als sechs Monaten zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen. Eine Freiheitsstrafe unter 6 Monaten ist nur dann auszusprechen, wenn sich diese Sanktion aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist (vgl. BGH StV 2003 S. 485; Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 27.09.2006, 1 Ss 166/06 nach juris). In § 47 Abs. 1 StGB kommt nämlich die Entscheidung des Gesetzgebers zum Ausdruck, die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen nur als ultima ratio zuzulassen und gegenüber der Geldstrafe zurück zu drängen. Die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe setzt daher voraus, dass unter Beachtung dieses Regel-Ausnahme-Verhältnisses die Unverzichtbarkeit einer solchen Einwirkung im Rahmen einer eingehenden, gesonderten Begründung dargestellt wird. Aus dieser Begründung muss sich ergeben, aufgrund welcher konkreten Umstände sich die Tat oder der Täter derart von dem Durchschnitt solcher Taten oder dem durchschnittlichen Täter abhebt, dass eine Freiheitsstrafe ausnahmsweise unerlässlich ist (OLG Karlsruhe StV 2005, 275). Bei dem Gesichtspunkt der Verteidigung der Rechtsordnung kommt es darauf an, welche Bedeutung die Tat und Taten dieser Art für den Rechsgüterschutz haben, ob Wiederholungs- oder Nachahmungsgefahr bestehen und wie die Allgemeinheit auf eine Geldstrafe reagieren würde (Fischer, StGB, 57. Aufl., § 47 Rd. 9 m. w. N.). Der Begriff der "Unerlässlichkeit" ist dahingehend zu verstehen, dass Freiheitsstrafe nur dann verhängt werden kann, wenn auf sie nicht verzichtet werden kann. Dabei dürften Gesichtspunkte der Generalprävention nicht einseitig in den Vordergrund treten (Fischer, Rd. 10); bei geringfügigen Betäubungsmittledelikten darf deshalb auch nicht allein auf die Gefährlichkeit des Suchtstoffes abgestellt werden (Bay NJW 1996, 789). Dabei liegt die Unverzichtbarkeit der Verhängung einer Freiheitsstrafe um so ferner, je geringfügiger die konkrete Tatschuld ist Deshalb bedarf die Annahme von Unerlässlichkeit bei Ersttätern i. d. R. besonderer Begründung (Fischer, Rd. 11).. Vor diesem Hintergrund hat z. B. das HansOLG Hamburg entschieden (27.09.2006, 1 Ss 166/06), dass im Falle des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in geringer Menge zum Eigenkonsum das Übermaßverbot auch bei einschlägigen Vorstrafen und einer laufenden Bewährung die Verhängung einer maßvollen Geldstrafe gebieten kann. Angesichts der Feststellung, dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist, einsichtig erscheint und zur Tatzeit alkoholisiert war, wodurch seine Hemmschwelle herabgesetzt gewesen sein könnte - was das Amtsgericht allerdings nicht erörtert hat - dürfte allein der Umstand, dass es sich bei der Droge, auf deren Erwerb sich der Vorsatz des Angeklagten bezog, um Kokain handelt, nicht ausreichen, um bereits die Verhängung einer 2-monatigen Freiheitsstrafe zu begründen."

9

Dem tritt der Senat bei.

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IV. Wegen der genannten Rechtsfehler war das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen gemäß § 353 StPO aufzuheben und war die Sache im Umfang der Aufhebung gemäß § 354 Abs. 2 StPO an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Braunschweig zurückzuverweisen.

11

Die Entscheidung über die Kosten der Revision war dem Amtsgericht vorzubehalten, da derzeit der endgültige Erfolg des Rechtsmittels nicht abzusehen ist.