Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 06.07.2010, Az.: Ws 163/10
Vergütung des Zeugenbeistands
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 06.07.2010
- Aktenzeichen
- Ws 163/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 28144
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2010:0706.WS163.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Göttingen - 03.06.2010 - AZ: 2 KLs 17/09
Redaktioneller Leitsatz
Der beigeordnete Zeugenbeistand übt eine Einzeltätigkeit i.S. von Nr. 4301 Nr. 4 VV-RVG aus und ist entsprechende zu vergüten.
Tenor:
Die Beschwerde des Rechtsanwalts Dr. R gegen den Beschluss des Landgerichts Göttingen vom 03. Juni 2010 wird zurückgewiesen.
Gründe
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
I. Der Beschwerdeführer, der dem Zeugen A gem. § 68 b StPO für den Hauptverhandlungstermin am 28. Jan. 2010 als Zeugenbeistand beigeordnet worden war, wendet sich gegen die Festsetzung der Vergütung vom 28. April 2010, in der ihm abweichend von seinem Antrag keine Verteidigergebühren, sondern lediglich Gebühren für eine Einzeltätigkeit zuerkannt worden sind. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Antrag vom 06. April 2010 und den Beschluss des Rechtspflegers vom 28. April 2010 Bezug genommen. Die Erinnerung des Beschwerdeführers gegen die Festsetzung hat das Landgericht unter Bezugnahme auf die Stellungnahme der Bezirksrevisorin des Landgerichts zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Rechtsanwalt mit seiner Beschwerde, die nicht begründet worden ist.
II. Die Beschwerde greift nicht durch.
1. Der Senat hat über die Beschwerde in der Besetzung mit drei Richtern zu entscheiden, weil die Kammer in voller Besetzung entschieden hat (§§ 56 Abs.2 S.1, 33 Abs.8 S.1 RVG). Dass das Verfahren nicht förmlich von dem grundsätzlich zuständigen Einzelrichter (§§ 56 Abs.2 S.1, 33 Abs.8 S.1 RVG) auf die Kammer übertragen worden ist, ist ausnahmsweise unschädlich. Vorliegend hatte eine Entscheidung durch die Kammer zu erfolgen, weil es sich vorliegend um eine Sache von grundsätzlicher Bedeutung handelt, da der Senat die Frage der Vergütung des Zeugenbeistandes nach § 68 b StPO noch nicht entschieden hat und diese von den Oberlandesgerichten unterschiedlich beurteilt wird.
2. a) Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere gemäß §§ 56 Abs.2, 33 Abs.3 S.1,3 RVG statthaft und fristgerecht eingelegt.
b) Die Beschwerde ist unbegründet.
Dem Beschwerdeführer steht für seine Tätigkeit als Beistand des Zeugen A die von dem Rechtspfleger festgesetzte Verfahrensgebühr in Höhe von 168,00 EUR gem. Nr. 4301 Ziffer 4 VV RVG nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer zu.
Auf den Beistand sind nach der Vorbemerkung 4 Abs.1 Teil 4 VV RVG die Vorschriften dieses Teils entsprechend anzuwenden. Umstritten ist, ob diese Verweisung im Fall der Beiordnung nach § 68 b StPO zur entsprechenden Anwendung von Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG (Gebühren des Verteidigers, Nr. 4100ff. VV RVG) oder zur Anwendung von Teil 4 Abschnitt 3 (Einzeltätigkeiten, hier Nr. 4301 Ziffer 4) führt.
aa) Nach lange verbreiteter Meinung war die Tätigkeit des Zeugenbeistands uneingeschränkt wie die eines Verteidiger zu vergüten (vgl. dazu Übersicht OLG Düsseldorf im Beschluss vom 05. Feb. 2009, III-3 Ws 451/08, Rn.11 auch m. weit. Nachweisen zur Lit., OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Sept. 2009, III-4 Ws 322/09, LS 2, beide zitiert nach juris).
bb) Nach anderer Ansicht ist in jedem Einzelfall konkret zu prüfen, wie die konkrete Tätigkeit des Beistandes zu qualifizieren ist (OLG Brandenburg, Beschluss vom 26. Feb. 2007, 1 Ws 23/07, Rn. 12 f.; ähnlich OLG Stuttgart, Beschluss vom 14. Nov. 2006, 1 Ws 331/06, Rn. 4f., beide zit. nach juris).
cc) In jüngerer Zeit überwiegt bei den Oberlandesgerichten - soweit ersichtlich - die Auffassung, dass einem Rechtsanwalt, der als Zeugenbeistand gem. § 68 b StPO für die Dauer der Vernehmung beigeordnet wurde, grundsätzlich nur eine Gebühr wegen einer Einzeltätigkeit nach Nr. 4301 Ziffer 4 VV RVG zusteht (OLG Hamburg, Beschluss vom 05. Mai 2010, 2 Ws 34/10, LS; OLG Hamm, Beschluss vom 14. Juli 2009, 2 Ws 159/09, LS, mit der sich der 2. Senat der Meinung der übrigen 4 Strafsenate des OLG Hamm anschließt, Rn. 7ff.; KG Berlin, Beschluss vom 07. Mai 2009, 1 Ws 47/09, Rn. 3; Thüring. OLG, Beschluss vom 09. Feb. 2009, 1 Ws 370/08, LS, Rn. 14; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05. Feb. 2009, III - 3 Ws 451/08, LS, Rn. 14ff. m. weit. Nachweisen zur Rspr. und Lit. (Rn. 13)).
Die Verweisung in der Vorbemerkung 4 Abs.1 zu Teil 4 RVG, wonach die Vorschriften dieses Teils entsprechend anzuwenden sind, erkläre zwar in Ermangelung einer Differenzierung grundsätzlich die gesamten Vorschriften des Teils 4 VV RVG für entsprechend anwendbar (vgl. nur OLG Hamburg, aaO., Rn.11 zit. nach juris). Eröffne die Vorbemerkung 4 Abs. 1 VV RVG demnach den Zugriff auf sämtliche Gebührentatbestände aus Teil 4 VV RVG, so gebiete jedoch Art. 3 Abs. 1 GG und die aus ihm abzuleitende Grundregel jeder Analogiebildung die entsprechende Anwendung derjenigen Vorschrift, die eine der Beistandsleistung gemäß § 68 b StPO am ehesten vergleichbare Tätigkeit erfasse. Das sei Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG, denn hier wie dort gehe es darum, den Betroffenen unter Beschränkung auf eine einzelne Vernehmung in der Wahrnehmung seiner Befugnisse zu unterstützen, wo seine schutzwürdigen Interessen dies erforderten (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05. Feb. 2009, aaO., Rn.19; OLG Hamburg, aaO., Rn.12, beide zit. nach juris).
Ausgangspunkt sei § 48 Abs.1 RVG, wonach sich sowohl hinsichtlich des Verteidigers als auch bezüglich sonstiger von Rechtsanwälten erbrachter Leistungen der Vergütungsanspruch nach den Beschlüssen bestimme, durch welche Prozesskostenhilfe bewilligt beziehungsweise der Rechtsanwalt beigeordnet oder bestellt worden ist. Für den beigeordneten Zeugenbeistand ergebe sich insoweit eine Beschränkung schon aus § 68 b S. 1 StPO, wonach der einem Zeugen unter den dort genannten Voraussetzungen beizuordnende Rechtsanwalt nur für die Dauer der Vernehmung beigeordnet werde. Die Beiordnung eines Zeugenbeistandes sei deshalb schon nach dem Gesetz auf die jeweilige Vernehmung zu begrenzen und mit deren Abschluss beendet (vgl. nur OLG Hamburg, aaO., Rn. 13, zit. nach juris). Werde eine nochmalige Vernehmung des Zeugen erforderlich, bedürfe es einer erneuten Entscheidung nach § 68 b StPO (vgl. OLG Düsseldorf, aaO., Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl., § 68 b Rn.5).
Die zeitliche und inhaltliche Beschränkung unterscheide die Beistandsleistung gemäß § 68 b StPO grundlegend von der in Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG erfassten Tätigkeit des Verteidigers, der sich umfassend in den Rechtsfall einarbeiten, eine Verteidigungsstrategie entwickeln und dem Betroffenen während der gesamten Hauptverhandlung beistehen müsse. Die Tätigkeit des Zeugenvernehmungsbeistands entspräche auch nicht derjenigen eines sog. Terminsvertreters, der dem Angeklagten anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers nur für einen Termin beigeordnet werde. Dessen Tätigkeit sei zwar in zeitlicher Hinsicht ähnlich begrenzt, unterliege aber keiner inhaltlichen Beschränkung. Während sich die Beistandsleistung gemäß § 68 b StPO auf die Wahrung der Zeugenrechte bei einer einzelnen Vernehmung beschränke, schulde der Terminsvertreter die umfassende Wahrnehmung der verfahrensmäßigen Rechte des Angeklagten in dem Termin unabhängig von dessen Gegenstand. Soweit diese Funktion es erfordere, sei er ebenso wie der verhinderte Verteidiger gehalten, Einsicht in die Verfahrensakten zu nehmen und sich anhand der Akten in den Rechtsfall einzuarbeiten. Dem Vernehmungsbeistand des Zeugen stehe demgegenüber allenfalls ein eingeschränktes Recht zur Akteneinsicht zu, weil er nicht mehr Befugnisse als der Zeuge selbst habe (vgl. nur OLG Düsseldorf aaO. Rn. 20f.). Aus demselben Grund "passe" auch nicht die Grundgebühr, die für die einmalige Einarbeitung in den Rechtsfall entstehe. Aufgabe des Zeugenbeistandes sei allein die Wahrnehmung der Zeugenrechte, einer Einarbeitung in den Rechtsfall bedürfe es dazu nicht und wäre dem Beistand - wie bereits ausgeführt - auch nicht möglich, da ihm ein wichtiges Instrument für die Einarbeitung, nämlich die uneingeschränkte Akteneinsicht nicht zur Verfügung stehe (Thüring. OLG, Beschuss vom 09. Feb. 2009, 1 Ws 370/08, Rn. 23 zit. nach juris).
Auch die Gesetzesmaterialien sprächen nicht gegen diese Auffassung. Zwar werde in dem Entwurf des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts vom 11. Nov. 2003 (BT-Drucksache 15/1971) zu Teil 4 ausgeführt, dass der Beistand eines Zeugen oder Sachverständigen die gleichen Gebühren wie ein Verteidiger erhalten solle. Es sei jedoch davon auszugehen, dass sich die beabsichtigte Gleichstellung von Verteidiger und Zeugenbeistand nur auf den Wahlbeistand beziehe und nicht auf den nach § 68 b StPO beigeordneten Beistand. Nur hinsichtlich des Wahlbeistandes träfe nämlich die weitere Erwägung in der Begründung des Gesetzentwurfes zu, dass die Gleichstellung auch deshalb sachgerecht sei, weil die Gebührenrahmen ausreichend Spielraum böten, dem konkreten Arbeitsaufwand des Rechtsanwaltes Rechnung zu tragen. Bei der Bestimmung der konkreten Gebühr müsse sich der Rechtsanwalt als Beistand an dem üblichen Aufwand eines Verteidigers in einem durchschnittlichen Verfahren messen lassen. Da nur für die Vergütung des Wahlbeistandes ein Gebührenrahmen heranzuziehen ist, gelte die Gleichstellung von Zeugenbeistand und Verteidiger nach den Gesetzesmaterialien deshalb auch nur für den Wahlbeistand (OLGHamburg, Beschluss vom 05. Mai 2010, Rn.24ff.; Thüring. OLG, aaO., Rn. 29 m.w.N. zit. nach juris).
Schließlich dürfte auch eine entsprechende Anwendung des ersten Abschnitts des Teils 4 VV RVG (Gebühren des Verteidigers) nicht dem Willen des Gesetzgebers zu einer aufwandsgerechten Vergütung entsprechen, da der Zeugenvernehmungsbeistand dann im Vergleich zum Vernehmungsbeistand eines Beschuldigten bei entsprechendem Aufwand ein Mehrfaches an Vergütung und im Vergleich zu dem die gesamte Last der Verteidigung tragenden Anwalt für einen Bruchteil des Aufwandes die gleiche Vergütung erhielte (OLG Düsseldorf, aaO., Rn. 34 zit. nach juris).
Dieser Argumentation schließt sich der Senat in vollem Umfang an.
III. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Gemäß § 56 Abs.2 S.2 und 3 RVG ist das Beschwerdeverfahren gebührenfrei und werden außergerichtliche Kosten nicht erstattet.