Amtsgericht Nordhorn
Urt. v. 11.06.2002, Az.: 3 C 285/02

Anspruch auf Schadensersatz aus einem Unfall im Straßenverkehr; Einordnung des Einsteigens und Aussteigens zum Betrieb eines Fahrzeugs; Umfang der Beweislast bei Geltendmachung der Unabwendbarkeit eines Unfalls; Aufklärungspflichten eines Taxifahrers hinsichtlich eventueller Unfallgefahren; Bestimmung der Verursachungsanteile und Verschuldensanteile der beteiligten Fahrzeugführer; Zurechnung des Verhaltens des Fahrgastes

Bibliographie

Gericht
AG Nordhorn
Datum
11.06.2002
Aktenzeichen
3 C 285/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 30246
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGNOHOR:2002:0611.3C285.02.0A

Fundstelle

  • DAR 2003, 78-79 (Volltext mit red. LS)

In dem Rechtsstreit
hat das Amtsgericht Nordhorn
auf die mündliche Verhandlung
vom 28.05.2002
durch
die Richterin Dr. Scharp
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.)

    Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 139,90 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 12.02.2002 zu zahlen.

    Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

  2. 2.)

    Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

  3. 3.)

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe

1

(Von der Darstellung des Tatbestands wird gem. § 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.)

2

Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.

3

Der Kläger hat gegen die Beklagten gem. §§ 7, 17, 18 StVG, § 3 PflVG einen Anspruch auf Ersatz von 139,90 EUR seines bei dem Unfall erlittenen unbestrittenen Schadens mit in Höhe von insgesamt 279,90 EUR.

4

Der Unfall ereignet sich bei dem Betrieb des von der Beklagten zu 2. geführten Fahrzeugs. Das Ein- und Aussteigen gehört zum Betrieb eines Fahrzeugs (vgl. AG Nordhorn Urteil vom 26.06.1989, Az. 3 C 66/89; OLG München VersR 1996, 1036; LG Hanau, Urteil vom 26.06.1990, Az. 2 S 94/90; Jagusch/Hentschel, § 7 StVG Rz. 8).

5

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat keiner der unfallbeteiligten Fahrzeugführer den Nachweis der Unabwendbarkeit gem. § 7 Abs. 2 StVG erbringen können. Wer sich nach § 7 Abs. 2 StVG entlasten will, muss die Unabwendbarkeit des Unfalls beweisen (vgl. Jagusch/Hentschel, § 7 StVG Rz. 31 m.w.N.). Von der Klägerin war eine Unabwendbarkeit nicht behauptet worden. Gleichfalls ist eine quotenmäßige Mithaftung der Beklagten nicht gem. § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen, da der Unfall nicht durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde, denn der Unfall wäre durch äußerst mögliche Sorgfalt der Beklagten zu 2. zu verhindern gewesen. Unabwendbar ist ein Ereignis nach § 7 Abs. 2 StVG, das Halter oder Fahrer auch durch äußerste Sorgfalt, Aufmerksamkeit und Geistesgegenwart nicht verhindern können, wobei Maßstab das Verhalten eines "Idealfahrers" ist, der vorsichtiger, aufmerksamer, umsichtiger und reaktionsschneller fährt als ein Durchschnittsfahrer, aber auch nicht den Unfall verhindern kann (vgl. Jagusch/Hentschel, § 7 Rz. 30 m.w.N. sowie OLG Brandenburg, VRS 102, 28 m.w.N.). Sofern der Beweispflichtige nicht den Beweis der dem Fahrer möglich gewesenen Sorgfalt oder den Beweis eines fehlenden ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Außerachtlassen der besonderen Sorgfalt und dem Unfall erbringt, scheitert die Entlastung (vgl. Jagusch/Hentschel, § 7 StVG Rz. 48).

6

Zwar ist es im Normalfall ohne besondere Veranlassung nicht Aufgabe des Taxifahrers, einen Fahrgast über seine Verpflichtungen aus der StVO zu belehren, nämlich dass er sich beim Ein- oder Aussteigen gem. § 14 Abs. 1 StVO so zu verhaften hat, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist (vgl. OLG München, a.a.O.; AG Köln VersR 1985, 398). Vorliegend hätte jedoch die Beklagte zu 2. als Taxifahrerin bei Berücksichtigung aller möglichen Gefahrenmomente über ihre Aufforderung hinaus, die Tür nicht zu öffnen, geeignete Vorkehrungen treffen müssen, damit der Fahrgast nicht unvermittelt aussteigt. Bei ihrer informatorischen Anhörung vor Gericht hat die Beklagte selber erklärt, dass der Fahrgast unabhängig von ihrer Aufforderung, teilweise die Tür geöffnet habe; "das sei bei ihm immer so eine Art Roulette gewesen".

7

Die gem. §§ 7 Abs. 1 i.V.m. 17 Abs. 1 StVG, 18 StVG gebotene Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrzeugführer führt unter Berücksichtigung der von beiden am Verkehrsunfall beteiligten Fahrzeuge ausgehenden Betriebsgefahr zu dem Ergebnis, dass die Beklagten den Schaden des Klägers zu 50 % zu tragen haben. Die Haftung der Beklagten aus § 7 Abs. 1 StVG war gem. § 17 Abs. 1 S. 2 StVG, § 18 StVG nach dem Gewicht der mitwirkenden Betriebsgefahren der PKW des Beklagten zu 1. und des Klägers zu kürzen. Nach Auffassung des Gerichts wird bei dieser vorzunehmenden und gebotenen Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile bzw. -beitrage eine Quote 50 % zu 50 % dem Unfallgeschehen gerecht.

8

Die Beklagten müssen sich das Verhalten des Fahrgastes im Rahmen ihrer Betriebsgefahr zurechnen lassen. Grundsätzlich besteht zwar keine Garantenpflicht eines Taxifahrers gegenüber einem Mit- oder Beifahrer (AG Nordhorn, a.a.O.; OLG München a.a.O.; vgl. Jagusch/Hentschel, § 14 StVO Rz. 7) Bei älteren Menschen, Kindern und erkennbar gebrechlichen oder hilflosen Personen besteht aber für den Fahrzeugführer die Verpflichtung, sich davon zu überzeugen, dass Fahrzeugtüren ohne Gefahr für den übrigen Verkehr geöffnet werden können (AG Nordhorn, a.a.O.). Dieser aus § 1 Abs. 2 StVG resultierenden Pflicht ist die Beklagte zu 2. nicht nachgekommen. Nach § 1 Abs. 2 StVO hat jeder Verkehrsteilnehmer sich so zu verhalten, dass keine Anderer geschädigt, gefährdet oder nach dem Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Da der Beklagte zu 2. bekannt war, dass der Fahrgast die Tür öffnet, ohne sich zu vergewissern, dass dadurch eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist, hätte sie geeignete Maßnahmen treffen müssen, um ein voreiliges Türöffnen zu verhindern.

9

Dem Verstoß der Beklagten zu 2. gegen die Pflicht aus § 1 Abs. 2 StVO, steht ein Verkehrsverstoß der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs ebenfalls gegen § 1 Abs. 2 StVO gegenüber. Wer an einem haltenden (Taxi-)Fahrzeug vorbeifährt, muss damit rechnen, dass daraus Fahrgäste aussteigen und die Türen öffnen. Der Vorbeifahrende muss deshalb darauf gefasst sein, entsprechend zu reagieren (vgl. OLG München, a.a.O.). So muss er zumindest einen solchen Seitenabstand zu dem Taxen Fahrzeug halten, dass ein geringes öffnen der Tür möglich bleibt. Gegebenenfalls muss der Vorbeifahrende seine Geschwindigkeit derart anpassen, dass er bei möglichen Gefahren durch Aussteigende rechtzeitig bremsen kann, oder gar vom Vorbeifahren ablassen.

10

Die Zeugin Alexy hat ausgesagt, dass das Taxenfahrzeug zu einem großen Teil links auf der Straße stand und auch auf der rechten Fahrbahnseite alle Parkboxen belegt waren. Andererseits hat die Zeugin bemerkt, dass im strömenden Regen mehrere Personen vor der Praxis standen, vor dem das Taxi angehalten hatte. Sie rechnete also damit, dass Personen in das Taxi einsteigen oder auch aussteigen werden.

11

Die Aussage der vernommenen Zeugin war insgesamt glaubhaft und sie selber auch glaubwürdig. Die Aussage war konstant und strukturgleich. Zudem schilderte sie Details und Randgeschehnisse, die für das eigentliche Geschehen ohne Bedeutung gewesen sind. Ebenso vermochte sie auf Nachfragen ihre Angaben widerspruchsfrei zu ergänzen. Allein aufgrund des Umstandes, dass es sich bei der Zeugin um die Ehefrau des Klägers handelte, vermochte das Gericht aufgrund ihrer glaubhaften Aussagen nicht an ihrer Glaubwürdigkeit zweifeln.

12

Der Anspruch auf die geltend gemachten Zinsen ergibt sich aus § 286, 284, 288 Abs. 1 BGB (i.V.m. Art. 229 § 5 und 7 EGBGB). Nach § 284 Abs. 3 BGB a.F. kommt ein Schuldner 30 Tage nach Zugang einer Zahlungsaufforderung in Verzug, sofern nicht der Schuldner die Leistung zuvor bereits ernsthaft und endgültig verweigert (vgl. Palandt-Heinrichs, § 284 a.F. Rz. 35). Die Beklagte zu 1. hat mit Schreiben vom 11.02.2002 jegliche Schadensersatzansprüche zurückgewiesen, so dass jedenfalls ab diesem Zeitpunkt Verzug eingetreten ist.

13

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.

14

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

Dr. Scharp Richterin