Arbeitsgericht Emden
Urt. v. 14.10.1976, Az.: 1 Ca 408/76

Einwand des Rechtsmissbrauchs gegenüber einem Urlaubsabgeltungsanspruch bzw. dessen Geltendmachung; Fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses; Berücksichtigung des ranghohen Rechtsguts der Gesundheit des Arbeitnehmers

Bibliographie

Gericht
ArbG Emden
Datum
14.10.1976
Aktenzeichen
1 Ca 408/76
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1976, 16120
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:ARBGEMD:1976:1014.1CA408.76.0A

Fundstelle

  • NJW 1977, 2230-2231 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Forderung

In dem Rechtsstreit
...
hat das Arbeitsgericht in Emden
auf die mündliche Verhandlung vom 14.10.1976
durch
den Richter als Vertreter des Vorsitzenden und
die ehrenamtlichen Richter und als Beisitzer
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.)

    "Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 623,33 (i.W.: Sechshundertdreiundzwanzig 33/100 Deutsche Mark) brutto zu zahlen.

  2. 2.)

    Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

  3. 3.)

    Der Streitwert beträgt DM 623,33."

Tatbestand

1

Der Kläger war seit 1974 bei der Beklagten als Getränkefahrer beschäftigt. Zuletzt bezog er einen Wochenlohn von DM 340, -- brutto. Das Arbeitsverhältnis endete durch eine fristlose Kündigung der Beklagten in der zweiten Hälfte des Monates Juni 1976, nämlich nach Darstellung des Klägers am 28., nach Darstellung der Beklagten am 21.6.1976. Dem Kläger stand ein Jahresurlaub von 21 Werktagen zu. Für die Zeit seiner Beschäftigung bei der Beklagten im Jahre 1976 hat er keinen Urlaub erhalten.

2

Der Kläger begehrt von der Beklagten Urlaubsabgeltung für das Jahr 1976. Für die Zeit seiner Tätigkeit bei der Beklagten stünden ihm -von der Beklagten nicht bestritten- 10,5 Urlaubstage, aufgerundet also 11 Urlaubstage zu. Seinen Abgeltungsanspruch berechne er mit DM 623,33 brutto.

3

Der Kläger ist der Meinung, seinem Abgeltungsanspruch könne der Einwand des Rechtsmißbrauches nicht entgegengehalten werden. Dies sei rechtlich ausgeschlossen, da der Gesetzgeber die frühere Bestimmung des § 7 Absatz 4 Satz 2 des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) ersatzlos gestrichen habe. Bis zu dieser Streichung habe zwar ein Abgeltungsanspruch entfallen können, hernach aber nicht mehr. Darüberhinaus könnten die von der Beklagten erhobenen Vorwürfe auch den Rechtsmißbrauch seines Abgeltungsanspruches oder dessen Geltendmachung nicht begründen. Er räume allerdings ein, ab und zu verspätet zur Arbeit erschienen zu sein. Diese Verspätungen könnten aber ebensowenig wie die vereinzelten Fälle, in denen er im Dienst Alkohol zu sich genommen habe, den Vorwurf des Rechtsmißbrauches begründen.

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Der Kläger beantragt,

die Beklagten zu verurteilen, an den Kläger DM 623,33 brutto zu zahlen.

5

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

6

Sie ist der Auffassung, daß nach der Streichung des § 7 Absatz 2 Satz 2 des Bundesurlaubsgesetzes der frühere Rechtszustand wieder hergestellt worden sei und deshalb einem Urlaubsabgeltungsanspruch bzw. dessen Geltendmachung der Einwand des Rechtsmißbrauchs entgegengehalten werden könne. Dieser Einwand beruhe auf einem allgemeinen Prinzip. Der Kläger verhalte sich auch rechtsmißbräulich, denn ihm sei zu Recht fristlos gekündigt worden. Er habe am 31.5.1976 und am 16.6.1976 Alkohol während seiner Tätigkeit als Getränkefahrer zu sich genommen, und dies, obwohl ihm eine entsprechende Betriebsanweisung aus dem Jahre 1974 bekannt und diese auch von ihm gebilligt worden sei, wonach es unzulässig ist, im Dienst auch nur einen Tropfen Alkohol zu trinken. Außerdem sei der Kläger an mindestens 14 Tagen im Jahre 1976 zum Teil mit sehr erheblicher Verspätung zur Arbeit erschienene.

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Im übrigen wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien gergänzend Bezug genommen.

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Entscheidungsgründe Die Klage ist zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

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Dem Kläger steht der Anspruch auf Zahlung einer Urlaubsabgeltung dem Grunde nach zu. Dies ergibt sich aus § 7 Absatz 4 BUrlG, zuletzt geändert durch Artikel 2 § 2 Nr. 2 des Heimarbeitsänderungsgesetzes vom 29.10.1974 (BGBl 1974 I, 2879). Nach dieser Bestimmung ist ein Urlaubsanspruch abzugelten, wenn er wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Infolge der fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses konnte dem Kläger der Urlaub nicht mehr gewährt werden.

Gründe

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Diesem Anspruch selbst oder auch nur seiner Geltendmachung kann im vorliegenden Fall der Einwand des Rechtsmißbrauches nicht entgegengehalten werden. Entgegen der Meinung der Beklagten ist nach der Streichung des § 7 Absatz 4 S. 2 des Bundesurlaubsgesetzes der alte Rechtszustand vor Inkrafttreten des Bundesurlaubsgesetzes nicht wieder hergestellt worden. Diese Bestimmung lautete in ihrem hier interessierenden Teil wie folgt: "Das gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer durch eigenes Verschulden aus einem Grund entlassen worden ist, der eine fristlose Kündigung rechtfertigt, oder .....". Mit der Einführung jener Bestimmung hat der Gesetzgeber den vor Inkrafttreten des Bundesurlaubsgesetzes bestehenden Rechtszustand, wie er in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts festgestellt worden ist, als förmliches Gesetz festgeschrieben (vgl. Dersch-Neumann Bundesurlaubsgesetz 2. Auflage 1963 § 7 Rdn. 9 ff.; Siara, Betrieb 1975, 836 ff.; Meisel RdA 1975 S. 166 ff. 169 f.). Das Bundesarbeitsgericht hatte in mehreren Entscheidungen zu den vor dem Bundesurlaubsgesetz geltenden Landesurlaubsgesetzen festgestellt, daß ein Anspruch auf Zahlung einer Urlaubsabgeltung dann rechtsmißbraulich geltend gemacht werden, wenn -dahin läßt sich die Rechtssprechung zusammenfassen- das Arbeitsverhältnis aus einem Grunde gelöst worden ist, der den Arbeitgeber zur fristlosen Entlassung und Kündigung aus wichtigem Grunde berechtigten würde (vgl. BAG vom 26.6.1960 - 1 AZR 416/ 58 - AP Nr. 1 zu § 12 UrlG Schleswig-Holstein; BAG vom 4.5.1961 - 5 AZR 97/ 60- AP Nr. 4 zu § 5 UrlG NRW).

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Wenn der Gesetzgeber den vor Inkrafttreten des § 7 Abs. 4 S. 2 BUrlG a.F. bestehenden Rechtszustand durch die Streichung jener Bestimmung im Heimarbeit änderungsgesetz hätte wieder herstellen wollen, so hätte es einer Streichung dieser Bestimmung nicht bedurft. Gerade das aber hat der Gesetzgeber nicht gewollt. Angesichts dieses ausdrücklichen Willens des Gesetzgebers ist es unerheblich, ob er diese Entscheidung unter Umständen aus Gründen getroffen hat, die ihn zu einem solchen Schritt nicht genötigt hätten. Diese Auffassung wird von Meisel (aaO) und Siara (aaO) vertreten. Beide sind der Auffassung, daß der Anlaß zur Streichung des § 7 Absatz 4 Satz 2 BUrlG a.F., nämlich der Artikel 11 des Übereinkommens Nr. 132 der internationalen Arbeitsorganisation (abgedruckt bei Meisel aaO Seite 169), einen solchen Schritt nicht erfordert hätte. Dieser Betrachtungsweise kann nicht gefolgt werden. Sie bedeutet nämlich nichts anderes, als dem Gesetzgeber gleichsam einen Motivirrtum vorzuhalten und hierdurch den klaren Willen des Gesetzgebers zu umgehen. Vielmehr ist festzustellen, daß nach der Streichung des Satzes 2 in § 7 Abs. 4 BurG a.F. kein Raum mehr bleibt,

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der Geltendmachung eines Urlaubsabgeltungsanspruchs den Einwand des Rechtsmißbrauches dann entgegenzusetzen, wenn der Rechtsmißbrauch darauf beruhen soll, daß das Arbeitsverhältnis aus Gründen, die eine fristlose Kündigung rechtfertigen können oder sollen, geendet hat.

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Dem läßt sich auch nicht entgegenhalten, daß der Einwand des Rechtsmißbrauchs ein allgemeines Rechtsprinzip darstellt. Auch von allgemeinen Rechtsprinzipien gibt es Ausnahmen. Hiervon abgesehen stößt sich nicht nur beim Freizeitanspruch sondern auch beim Urlaubsabgeltungsabgeltungsanspruch jenes allgemeine Rechtsprinzip mit einem anderen, sehr ranghohen Rechtsgut, nämlich dem der Erhaltung der Gesundheit. Auch der Arbeitnehmer, dem zu Recht fristlos gekündigt worden ist, hat bis zur Kündigung regelmäßig seine Arbeitskraft aufgewendet. Erholungsurlaub, und zwar bezahlter Erholungsurlaub, soll von Gesetzes wegen gerade zur Erhaltung der Arbeitskraft und der Gesundheit gewährt werden. Dieser Gesetzeszweck wird nicht nur vereitelt, wenn der Freizeitanspruch entfallen könnte, sondern auch dann, wenn der Urlaubsabgeltungsanspruch entfällt. Einem fristlos entlassenen Arbeitnehmer ist es dann nämlich nicht mehr möglich, in gleicher Weise Urlaub zu machen, wie wenn er bezahlten Urlaub erhalten hätte. Die Urlaubsabgeltung hat aber gerade den Zweck, den Arbeitnehmer eben eine solche Urlaubsgestaltung trotz Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu ermöglichen.

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Da die Beklagte den Rechtsmißbrauch nur auf solche Tatsache stützte, die der Rechtfertigung der fristlosen Entlassung dienen sollen, kann dem Abgeltungsanspruch des Klägers der Einwand des Rechtsmißbrauches nach allem nicht entgegengesetzt werden.

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Der Zahlungsanspruch ist auch der Höhe nach begründet. Insoweit ist die Beklagte dem Klagevorbringen nicht entgegengetreten. Die Behauptung des Klägers, daß ihm 10,5 Urlaubstage, mithin 11 Urlaubstage zustehen würde, ist deshalb als unstreitig anzusehen. Bei einem Wochenbruttolohn von DM 340,-- und 11 Urlaubstagen beträgt die Urlaubsabgeltung entsprechend § 11 des Bundesurlaubsgesetzes bei einer 6-Tagewoche 623,33 DM brutto.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

17

Der Streitwert war gemäß den §§ 3 ZPO, 61 Absatz 2 ArbGG im Urteil festzusetzen.