Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 04.12.2006, Az.: 1 Ws 555/06
Ablehnung einer vom Verteidiger wegen anderweitiger Terminsverpflichtung beantragten Terminsverlegung als Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens; Beschwerde gegen einen Beschluss über die Fortdauer einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 04.12.2006
- Aktenzeichen
- 1 Ws 555/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 28080
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2006:1204.1WS555.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg - 01.11.2006 - AZ: 51 StVK 85/06
Rechtsgrundlagen
- Art. 2 Abs. 1 GG
- Art. 20 Abs. 3 GG
- § 454 Abs. 1 S. 3 StPO
Fundstellen
- NStZ-RR 2007, 156-157 (Volltext mit amtl. LS)
- StV 2007, 427 (amtl. Leitsatz)
- StraFo 2007, 68-70 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Sexueller Missbrauch eines Kindes
hier: Fortdauer der Unterbringung
Amtlicher Leitsatz
Beantragt der Verteidiger eines in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten rechtzeitig und aus wichtigen Gründen die Verlegung des vor der Entscheidung über eine Fortdauer der Maßregel durchzuführenden Anhörungstermins, so ist diesem Antrag zu entsprechen, falls nicht gewichtige Gründe entgegenstehen. Die Verfahrenswidrigkeit einer danach unzulässigen in Abwesenheit des Verteidigers durchgeführten Anhörung wird nicht dadurch geheilt, dass dem Verteidiger nachträglich das Anhörungsprotokoll zugesandt und ihm Gelegenheit gegeben wird, dazu Stellung zu nehmen.
In dem Strafverfahren
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
am 4. Dezember 2006
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richterin am Oberlandesgericht ...
beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Oldenburg vom 1. November 2006 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und insoweit entstandene notwendige Auslagen des Verurteilten werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
Die 1. große Jugendkammer des Landgerichts Lüneburg hat den Verurteilten mit Urteil vom 8. Dezember 1999 des sexuellen Missbrauchs eines Kindes für schuldig erklärt, ihn zu einer Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seither befindet sich der Verurteilte im Maßregelvollzug.
Mit Beschluss vom 1. November 2006 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Oldenburg die Fortdauer der Unterbringung des Verurteilten beschlossen.
Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde des Verurteilten hat aus verfahrensrechtlichen Gründen zumindest vorläufig Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer.
Die Strafvollstreckungskammer hat bei ihrer Entscheidung den Anspruch des Verurteilten auf eine faire Verfahrensgestaltung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG - Rechtsstaatsprinzip) verletzt.
Der Verteidiger war berechtigt, an der Anhörung teilzunehmen, vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 454 Rdn. 36 m.w.Nachw..
Die Strafvollstreckungskammer ist aus dem Grundsatz des rechtsstaatlichen und fairen Verfahrens gehalten, über Anträge auf Verlegung eines anberaumten Termins zur Anhörung gemäß § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO wegen Verhinderung des Verteidigers nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der eigenen Terminsplanung, der Gesamtbelastung der Kammer und des Gebots der Verfahrensbeschleunigung, aber gerade auch mit Rücksicht auf das Interesse des Verurteilten auf eine effektive Verteidigung durch einen Rechtsanwalt zu entscheiden. Ist dem Verurteilten die Durchführung der mündlichen Anhörung wegen der Bedeutung der Sache oder auf Grund ihrer tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeit ohne seinen Verteidiger nicht zumutbar, wurde die Verlegung des Anhörungstermins rechtzeitig beantragt sowie auf gewichtige Gründe gestützt und sind gegenläufige öffentliche Interessen an der Effizienz des Verfahrens nicht erkennbar, stellt die Ablehnung einer vom Verteidiger wegen anderweitiger Terminsverpflichtung beantragten Terminsverlegung einen Verstoß gegen den Grundsatz fairen Verfahrens dar, vgl. OLG Frankfurt NStZRR 2004, 155.
Der Akteninhalt ergibt vorliegend folgenden Verfahrensverlauf:
Mit Schreiben vom 16. August 2006 wies Rechtsanwalt W..., der dem Verurteilten aus Anlass früherer Überprüfungen der Fortdauer der Unterbringung bereits beigeordnet worden war, auf die bevorstehende Überprüfung der Unterbringung hin. Er bat, dem Verurteilten wiederum beigeordnet zu werden, ihm den ärztlichen Bericht zur Verfügung zu stellen und frühzeitig mit ihm einen Anhörungstermin abzusprechen, damit es nicht zu Überschneidungen mit anderen Terminen komme. Am 29. September 2006 verfügte die Strafvollstreckungskammer den Anhörungstermin auf den 13. Oktober 2006 und die Ladung des Untergebrachten sowie des Rechtsanwalts W.... Mit Fax vom 11. Oktober 2006 teilte Rechtsanwalt W... der Strafvollstreckungskammer mit, er habe vom Untergebrachten den Termin zur Anhörung erfahren, indessen selbst keine Ladung erhalten. Auch sei bislang nicht über seinen Beiordnungsantrag entschieden. Den Termin am 13. Oktober 2006 könne er wegen eines anderweitigen Gerichtstermins nicht wahrnehmen. Er bitte deshalb - unter Mitteilung, dass er auch am 20. Oktober 2006 verhindert sei - um Terminsaufhebung und Absprache eines anderen Termins. Zugleich bat er darum, ihm vor dem Termin die Stellungnahme des Landeskrankenhauses zugänglich zu machen, damit er diese mit seinem Mandanten erörtern könne.
Im gleichwohl in Abwesenheit des Verteidigers durchgeführten Anhörungstermin am 13. Oktober 2006 ist dem Verurteilten Gelegenheit gegeben worden, sich zur Frage der Fortdauer der Unterbringung zu äußern. Er hat darauf die Verlegung des Termins erbeten, da sein Rechtsanwalt nicht rechtzeitig geladen bzw. nicht erschienen sei, und "er deshalb heute nichts sagen wolle".
Am selben Tag hat die Strafvollstreckungskammer dem Verurteilten Rechtsanwalt W... als Verteidiger beigeordnet und diesem per Fax vom 17. Oktober 2006 den Beiordnungsbeschluss, das Anhörungsprotokoll und die am 26. September 2006 beim Landgericht eingegangene ärztliche Stellungnahme des Landeskrankenhauses vom 12. September 2006 übersandt zwecks Gelegenheit, hierzu und zu der von der Staatsanwaltschaft beantragten Fortdauer der Unterbringung binnen zwei Wochen schriftlich Stellung zu nehmen. Zugleich hat die Strafvollstreckungskammer den Verteidiger darauf hingewiesen, ausweislich des Vermerks der Geschäftsstelle sei am 2. Oktober 2006 eine Terminsnachricht an ihn abgesandt worden. Eine Verschiebung des Anhörungstermins sei aus "organisatorischen Gründen" nicht in Betracht gekommen.
Unter dem 16. Oktober 2006 teilte der Verteidiger der Vollstreckungskammer mit, der Verurteilte habe ihn telefonisch unterrichtet, der Anhörungstermin habe stattgefunden. Er bat um förmliche Entscheidung über seine Beiordnung als Verteidiger und um Verlegung des Anhörungstermins.
Mit Schreiben vom 18. Oktober 2006, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, beantragte er, die Anhörung zu wiederholen und den Termin rechtzeitig mit ihm abzusprechen. Mit Schreiben vom 25. Oktober 2006 erklärte er, angesichts der ärztlichen Stellungnahme vom 12. September 2006 sehe er in medizinischer und auch rechtlicher Hinsicht erheblichen Erörterungsbedarf. Ihm sei nicht klar, ob das Landeskrankenhaus seinen Mandanten als behandlungsfähig ansehe und auch tatsächlich behandele und ob die Maßregel ausgesetzt oder beendet werden könne, wenn eine angemessene Heimunterbringung möglich sei.
Am 1 November 2006 erging der die Fortdauer der Unterbringung anordnende Beschluss der Strafvollstreckungskammer.
Dieser Verfahrensverlauf erlaubte es der Strafvollstreckungskammer nicht, von der Verlegung des Anhörungstermins abzusehen. In der Weigerung eines Betroffenen, sich im Anhörungstermin zu äußern, liegt zwar im Allgemeinen der Verzicht auf das Anhörungsrecht. Vorliegend kann aus dem Verhalten des Verurteilten indessen nicht auf einen Anhörungsverzicht geschlossen werden. Er hat ausdrücklich erklärt, wegen der Abwesenheit seines Verteidigers keine Erklärungen abgeben zu wollen. Dieser hatte zuvor ausdrücklich und rechtzeitig um Terminsverlegung gebeten. Zwar hat die Strafvollstreckungskammer dem Verteidiger Gelegenheit gegeben, nachträglich schriftlich zu der eingeholten Stellungnahme des Landeskrankenhauses, zum Antrag der Staatsanwaltschaft und zum Anhörungsprotokoll Stellung zu nehmen. Diese Verfahrensweise wird aber im vorliegenden Fall den oben genannten Grundsätzen nicht gerecht.
Das aus dem Grundsatz des Anspruchs auf ein faires Verfahren ableitbare Recht des Verurteilten auf wirksame Verteidigung und prozessuale Fürsorge geboten vorliegend eine Verlegung des Anhörungstermins. Der Verteidiger hatte rechtzeitig um eine Terminsabstimmung und vorbereitende Übersendung der ärztlichen Stellungnahme gebeten, ohne hierauf eine Antwort zu erhalten. Für den Verurteilten war die Frage der Fortdauer der Unterbringung von ganz erheblicher Bedeutung, zumal er sich bereits seit sechs Jahren im Maßregelvollzug befindet. Die Anwesenheit seines Verteidigers bei der Anhörung konnte wesentlichen Einfluss auf die Entscheidung des Gerichts besitzen. Soweit das Landgericht die Verlegung des Anhörungstermins unter dem pauschalen Hinweis auf nicht benannte "organisatorische Gründe" abgelehnt hat, fehlt es an der gebotenen Darlegung der einer Terminsverschiebung entgegenstehenden Hindernisse. Es ist auch nicht erkennbar, dass ein kurzfristiger Ausweichtermin nicht zur Verfügung gestanden oder eine Terminsverlegung der Belastung der Kammer oder ihrer Terminierung widersprochen oder aber zu einer wesentlichen Verfahrensverzögerung geführt hätte.
Bei der gebotenen Abwägung hätte deshalb dem Interesse des Verurteilten an der Teilnahme seines Verteidigers am Anhörungstermin der Vorrang gebührt. Es stellt daher eine nicht gerechtfertigte Verkürzung der prozessualen Rechte des Verurteilten dar, dass seinem Verteidiger lediglich die Gelegenheit einer nachträglichen schriftlichen Stellungnahme gegeben wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 467 StPO.