Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 28.02.1983, Az.: 6 A 69/82

Abbruchverfügung; Unterschreitung des seitlichen Grenzabstandes; Errichtung eines Anbaues

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
28.02.1983
Aktenzeichen
6 A 69/82
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1983, 12030
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1983:0228.6A69.82.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 28.05.1982 - AZ: 2 OS VG A 327/81

Verfahrensgegenstand

bauaufsichtlicher Verfügung.

Prozessführer

des Herrn ...

Prozessgegner

die Stadt ...,

Sonstige Beteiligte

1. ...

2. ..., beide wohnhaft ...

Der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Lüneburg hat
auf die Mündliche Verhandlung vom 28. Februar 1983 in Lüneburg
durch
die Richter an Oberverwaltungsgericht Dr. Lemmel und
Petter,
den Richter am Verwaltungsgericht Schönborn sowie
die ehrenamtlichen Richter von Hof und
Kampfer
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 2. Kammer Osnabrück - vom 28. Mai 1982 geändert.

Der Bescheid der Beklagten vom 15. Januar 1981 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung ... vom 4. September 1981 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 1.200,00 DM abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

1

I.

Der Kläger wendet sich gegen den ihm von der Beklagten aufgegebenen Rückbau eines Anbaues um 3 bis 6 cm.

2

Der Kläger und die Beigeladenen sind Eigentümer der beiden benachbarten Grundstücke ... und ... im Gebiet der Beklagten. Diese Grundstücke sind im nördlichen Bereich zur öffentlichen Straße hin mit Wohngebäuden und Garagen bebaut. Mit Bescheid vom 12. Juni 1979 erteilte die Beklagte dem Kläger die Genehmigung zur Errichtung eines zweigeschossigen Anbaues mit einer Grundfläche von 5,625 m × 5,865 m an das vorhandene Wohngebäude zum Grundstück der Beigeladenen hin. Hinsichtlich der Zweigeschossigkeit und der Überschreitung der hinteren Baugrenze um 4 m wurde eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. ... der Beklagten erteilt (s. Lageplan Beiakte B zu 6 OVG A 77/82). Durch Grünstricheintragung in den Lageplan und die Nebenbestimmung II 1.21 zur Baugenehmigung legte die Beklagte fest, daß der Anbau zur gemeinsamen Grundstücksgrenze mit den Beigeladenen einen Abstand von 3 m einzuhalten habe.

3

Diese Baugenehmigung, die von den Beigeladenen angefochten wird, ist mit Ausnahme einer ebenfalls darin genehmigten Garage Streitgegenstand in dem Verfahren des Senates 6 OVG A 77/82. Die Klage der Beigeladenen ist mit Urteil des Senats vom 28. Februar 1983 abgewiesen worden.

4

Nach einer vom Katasteramt ... am 1. Oktober 1980 vorgenommenen Einmessung des Anbaues beträgt dessen Abstand zur Grundstücksgrenze der Beigeladenen hin an der südöstlichen Ecke 2,94 m. Zur nordöstlichen Ecke hin vergrößert sich der Abstand auf 2,97 m. Die Entfernung zwischen den beiden Ecken beträgt 6,16 m. Bereits zuvor - Anfang April 1980 - übersandte das Katasteramt ... der Beklagten eine Einmessungsbescheinigung mit einer Anlage. In der Anlage ist angegeben, daß, obwohl die Verklinkerung an dem Anbau noch nicht vollständig angebracht war, der Anbau mit der südöstlichen Ecke nur einen seitlichen Grenzabstand von 2,94 m einhält. Die Mauer der Außenwand hat eine genehmigte Dicke von 36,5 cm. Sie besteht nach den Angaben des Klägers aus einem Innenmauerwerk mit einer Dicke von 24,5 cm, einer Luftschicht von 2 cm und einem Verblendmauerwerk mit einer Dicke von 10 cm.

5

Mit Bescheid vom 15. Januar 1981 forderte die Beklagte den Kläger auf, innerhalb von acht Wochen den erforderlichen Grenzabstand von 3 m zwischen dem Anbau und der östlichen Nachbargrenze durch Zurücksetzen der Verblendung entsprechend der erteilten Baugenehmigung herzustellen. Eine nachträgliche Genehmigung der Bauausführung, die zur Unterschreitung des erforderlichen Grenzabstandes geführt habe, sei nicht möglich. Von dem Erfordernis des einzuhaltenden Grenzabstandes könne auch keine Befreiung erteilt werden. Den gegen diese Verfügung eingelegten Widerspruch begründete der Kläger u.a. damit, daß nach seiner Auffassung die Unterschreitung des Grenzabstandes aufgrund der Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 4 NBauO zulässig sei. Bei der Errichtung von Bauwerken sei eine zentimetergenaue Einhaltung der geforderten Abstände nicht möglich. Der Aufwand und die Kosten für den Rückbau stünden in keinem Verhältnis zu der geringfügigen Unterschreitung. Bei einem Rückbau würde die vorhandene Wärmedämmung des Anbaues zerstört werden. Mit Bescheid vom 4. September 1981 wies die Bezirksregierung ... den Widerspruch als unbegründet zurück.

6

Nach Zustellung dieses Bescheides am 9. September 1981 hat der Kläger am 8. Oktober 1981 Klage erhoben.

7

Zur Begründung hat der Kläger sein bisheriges Vorbringen wiederholt. Zusätzlich hat er vorgetragen:

Aufgrund der geringfügigen Unterschreitung des vorgeschriebenen Grenzabstandes hätte ihm eine Befreiung von den Abstandsvorschriften erteilt werden müssen. Die Durchführung des Rückbaues würde ihm Kosten von über 20.000,00 DM verursachen.

8

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 15. Januar 1981 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung ... September 1981 aufzuheben.

9

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Sie hat geltend gemacht,

daß die vom Katasteramt vorgenommene Einmessung zeige, daß der vom Kläger errichtete Anbau nicht den erforderlichen Grenzabstand von 3 m einhalte. Eine Befreiung von dem geforderten Grenzabstand könne nicht erteilt werden, da die dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorlägen. Im Hinblick auf die Belange der Beigeladenen sei die Rückbauverfügung auch nicht unverhältnismäßig.

11

Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.

12

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 28. Mai 1982 als unbegründet abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf das Urteil verwiesen.

13

Der Kläger hat gegen das ihm am 5. Juli 1982 zugestellte Urteil am 30. Juli 1982 Berufung eingelegt.

14

Zur Begründung wiederholt er sein bisheriges Vorbringen. Zusätzlich führt er aus,

bei Errichtung des Anbaues sei er davon ausgegangen, daß der geforderte Grenzabstand eingehalten werde. Hiervon sei auch die Beklagte bis zur Durchführung der vom Katasteramt im Oktober 1980 vorgenommenen Einmessung ausgegangen.

15

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 2. Kammer Osnabrück - vom 28. Mai 1982 den Bescheid des Beklagten vom 15. Januar 1981 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung ... vom 4. September 1981 aufzuheben.

16

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

17

Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen in dem Urteil des Verwaltungsgerichts. Zusätzlich meint sie,

sie habe ihr Eingriffsermessen in richtiger Weise ausgeführt. Die relativ geringfügige Unterschreitung des seitlichen Grenzabstandes könne nicht hingenommen werden, weil dem Kläger bereits unter Dispenserteilung eine Ausnutzung seines Grundstückes in einem Maße genehmigt worden sei, die zu einer Belastung der Beigeladenen führe, auch wenn die Beigeladenen sich hiergegen; nicht mit Erfolg zur Wehr setzen könnten.

18

Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt und sich nicht zur Sache geäußert.

19

Wegen des Sachverhalts und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und auf die Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

20

II.

Die Berufung ist zulässig und begründet. Die Abbruchverfügung ist wegen eines Verstosses gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aufzuheben.

21

Als Rechtsgrundlage für die Verfügung kommt nur § 89 Abs. 1 Ziff. 2 NBauO in Betracht. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen anordnen, die zur Herstellung oder Sicherung rechtmäßiger Zustände erforderlich sind, wenn bauliche Anlagen dem Öffentlichen Baurecht widersprechen. Sie kann namentlich die Beseitigung von baulichen Anlagen oder Teilen baulicher Anlagen anordnen. Da die Beseitigungsanordnung im vorliegenden Fall zu einem Substanzeingriff führt, setzt sie voraus, daß die betreffende bauliche Anlage nicht genehmigt ist und Zeit ihres Bestehens rechtswidrig war. Diese Voraussetzungen sind zwar gegeben. Tatsächlich ist die östliche Außenmauer des Anbaues an der südöstlichen Ecke nur 2,94 m und dann fortlaufend zur nordöstlichen Ecke nur 2,97 m von der seitlichen Grundstücksgrenze entfernt. Dieser tatsächliche Abstand des Anbaues von der seitlichen Grundstücksgrenze ist während des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht zwischen den Beteiligten unstreitig geworden, er beruht auf dem Vermessungsergebnis des Katasteramtes .... Nach dem Inhalt der Baugenehmigung vom 12. Juni 1979 ist der Anbau jedoch mit einem seitlichen Grenzabstand von 3 m genehmigt Worden. Die Unterschreitung des seitlichen Grenzabstandes verstößt seit der Errichtung des Anbaues gegen § 7 Abs. 1 iVm Abs. 2 NBauO. Danach müssen oberirdische Gebäude von den Grenzen des Baugrundstückes einen Mindestabstand von 3 m einhalten. Die Ausnahmeregelung des § 7 Abs. 7 NBauO ist nicht einschlägig. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 7 Abs. 1 Satz 4 NBauO. Dort heißt es war.

22

Der Abstand darf auf volle 10 cm abgerundet werden.

23

Diese Abrundungsmöglichkeit bezieht sich jedoch nicht auf den Mindestabstand von 3 m in § 7 Abs. 2, 2. Halbsatz NBauO, sondern nur auf die Ermittlung des Regelabstandes von 1 H. Von dieser Ausnahme abgesehen, sind die in §§ 7 ff NBauO genannten Maße strikt einzuhalten. Die eindeutige Fassung der Vorschriften Über den Bauabstand und seine Meßbarkeit nach den im Gesetz festgelegten Größen macht es nicht möglich, geringfügige Unterschreitungen als nicht gegeben anzusehen (Beschl, d. Sen. v. 10.07.1980 - 6 OVG B 60/80 - m.w.N.). Abgesehen davon würde diese Abrundungsmöglichkeit bei ihrer Anwendbarkeit auf den Mindestabstand von 3 m dem Kläger auch nicht zum Erfolg verhelfen, da sie nach ihrem Wortlaut nur eine Abrundung, aber keine Aufrundung, wie es der Kläger offensichtlich möchte, zuläßt. Eine Abrundung würde dazu führen, daß der vom Kläger errichtete Anbau den seitlichen Mindestabstand von 3 m nicht nur um 3-6 cm, sondern sogar um 10 cm unterschreitet.

24

Wegen der Unterschreitung des seitlichen Grenzabstandes ist dem Kläger keine Befreiung zu erteilen, weil es bereits an den Voraussetzungen des § 86 NBauO fehlt. Der Kläger hätte ohne weiteres mit dem Anbau von der östlichen Grundstücksgrenze um weitere 3-6 cm entfernt bleiben können. Daß er irrtümlich den Abstand überschritten hat, rechtfertigt nach dem Wortlaut und auch dem Zweck des § 86 NBauO keine nachträgliche Befreiung.

25

Die Beklagte hat jedoch ihr Eingriffsermessen nicht zutreffend ausgeübt. Sie hat insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei ihrer Entscheidung nicht genügend beachtet. Beide Bausenate des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg haben zwar rechtsgrundsätzlich entschieden, daß gerade Grenzabstände genau einzuhalten sind. Das findet seinen Grund darin, daß in den Bauordnungen die Grenzabstände durch ein genaues Maß angegeben sind; dieses Maß darf grundsätzlich nicht manipuliert werden (Beschl, d. Sen. a.a.O. u. Beschl. d. 1. Sen. v. 21.07.1980 - 1 OVG A 407/79 -). Regelmäßig wird also bei einer Abweichung vom genehmigten Grenzabstand ein Abbruchsverlangen vom Ermessen der Behörde gedeckt sein. Die Ausübung des Eingriffsermessens setzt jedoch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen voraus. Zu berücksichtigen sind dabei das Interesse der Öffentlichkeit, illegales Bauen zu verhindern, das Interesse der Nachbarn, durch Grenzabstandsverletzungen nicht beeinträchtigt zu werden und endlich das Interesse des Bauherrn, jedenfalls dann keinen unverhältnismäßig hohen Schaden zu erleiden, wenn die Abweichung so gering ist, daß weder Belange der Öffentlichkeit noch der Nachbarschutz ernsthaft berührt werden (OVG Lüneburg, Urt. v. 15.06.1970 - I OVG A 73/69, Urt. v. 17.11.1970 - I OVG A 5/70 -, BRS 23 Nr. 198, Urt. v. 24.10.1974 - I OVG A 107/73 -, DVBl 1975, 915 [917 f] und Urt. v. 31.05.1978 - 1 OVG A 129/77 -).

26

Die Unterschreitung des Grenzabstandes von 3-6 cm ist geringfügig; sie beträgt um ein in der Bautechnik übliches Maß zu gebrauchen, weniger als 1/2 Stein. Derart geringfügige Abweichungen von weniger als einem halben Stein ergeben sich erfahrungsgemäß häufig beim Baugeschehen, sei es durch ein zu oberflächliches Ausmessen, sei es durch unachtsames Schütten der Betonfundamente oder ungenaues Aufmauern.

27

Solche geringfügigen Abweichungen bringen weder dem Kläger Vorteile noch den Beigeladenen spürbare Nachteile. Ein Interesse des Klägers, sein Haus bewußt um weniger als 1/2 Stein zu versetzen, ist nicht erkennbar; deswegen spricht auch das öffentliche Interesse insoweit nicht für einen Abbruch. Anders mag es dann liegen, wenn jemand bewußt den Bauwich verletzt. Schon um nicht für Dritte einen Anreiz zu schaffen, in gleicher Weise illegal zu bauen und den Bauwich zu verletzen, hat dann die Öffentlichkeit ein Interesse an der Wiederherstellung des baurechtmäßigen Zustandes. Für eine solche bewußte Verletzung des seitlichen Grenzabstandes durch den Kläger liegen jedoch keine Anhaltspunkte vor. Der Kläger hat unwidersprochen vorgetragen, daß er bei der Errichtung des Anbaues davon ausgegangen sei, daß der Anbau entsprechend der erteilten Baugenehmigung, also unter Einhaltung des seitlichen Grenzabstandes, errichtet werde. Er habe erst nach der durchgeführten Einmessung des Anbaues durch das Katasteramt ... mit Zustellung der Bauordnungsverfügung erfahren, daß der Anbau den seitlichen Grenzabstand nicht einhält.

28

Weiterhin ist nach der Auffassung des Senats eine wesentliche oder überhaupt spürbare Beeinträchtigung der Beigeladenen durch die geringfügige Unterschreitung des Grenzabstandes zu verneinen. Eine Abweichung von 3-6 cm auf einer Länge von 6,11 m ist optisch kaum wahrnehmbar, sondern allenfalls mit Hilfe eines Bandmaßes meßbar. Eine irgendwie geartete spürbare Beschränkung der Licht- und Luftzufuhr kann bei einer so geringen Abweichung nicht angenommen werden.

29

Demgegenüber würde aber dem Kläger nach seinen Angaben bei dem Abbruch ein Schaden von etwa 20.000,00 DM entstehen. Dies ist von den übrigen Verfahrensbeteiligten nicht ernsthaft bestritten worden. Der erstrebte Zweck, nämlich die genaue Einhaltung des Grenzabstandes, steht zu dem eingesetzten Mittel, nämlich der Anordnung, die Mauer um wenige Zentimeter zurückzuversetzen, wodurch ein Verlust von etwa 20.000,00 DM infolge des Abbruches entstehen würde, in keinem angemessenen Verhältnis. Weiterhin ist zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, daß die Beklagte bereits mit Übersendung des früheren Einmessungsergebnisses Anfang April 1980 gewußt hat oder zumindest hätte erkennen können, daß der Anbau den geforderten seitlichen Grenzabstand nicht einhält, Bereits in diesem Einmessungsergebnis ist vom Katasteramt ... festgestellt worden, daß die südöstliche Ecke des Anbaues nur einen seitlichen Grenzabstand von 2,94 m einhält. Zu diesem Zeitpunkt war das Außenmauerwerk zur seitlichen Grundstücksgrenze mit Ausnahme der südöstlichen Ecke noch nicht fertiggestellt. Aus der Zeichnung hätte die Beklagte bei Berücksichtigung des Inhaltes der erteilten Baugenehmigung erkennen können, daß der Anbau nach Fertigstellung den seitlichen Grenzabstand insgesamt nicht einhalten werde. Es wäre daher Aufgabe der Beklagten gewesen, den Kläger bereits zu diesem Zeitpunkt auf die Abweichung von der erteilten Baugenehmigung hinzuweisen und ggfs. bauordnungsrechtlich einzuschreiten, um dem Kläger die Möglichkeit zu eröffnen, seinen Schaden so gering wie möglich zu halten. Wenn die Beklagte dies nicht getan hat, sondern etwa ein 3/4 Jahr untätig geblieben ist und somit das Außenmauerwerk von dem Kläger in Unkenntnis von der Abweichung von der Baugenehmigung fertiggestellt worden ist, so wird angesichts der Geringfügigkeit der Unterschreitung des seitlichen Grenzabstandes die Unverhältnismäßig keit der Beseitigungsverfügung noch verstärkt. Daher hat die Beklagte ihr Eingriffsermessen unrichtig ausgeübt. Der Ermessenfehler muß somit zur Aufhebung der angefochtenen Ordnungsverfügung führen.

30

Eine andere Beurteilung ergibt sich bei Berücksichtigung der Tatsache, daß der Kläger die Baugenehmigung zur Errichtung des Anbaues nur aufgrund einer erteilten Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. ... der Beklagten erhalten hat, nicht. Die erteilte Befreiung bezieht sich auf die Zahl der Vollgeschosse sowie die Überschreitung der rückwärtigen zulässigen Bebauungstiefe. Diese Befreiungen stehen mit der versehentlich erfolgten Unterschreitung des seitlichen Grenzabstandes bei der Errichtung des Anbaues in keinem tatsächlichen Zusammenhang. Selbst wenn der Kläger eine Baumaßnahme aufgrund einer Baugenehmigung, die die Festsetzungen des Bebauungsplanes einhält, durchgeführt hätte, wäre es tatsächlich nicht ausgeschlossen, daß es ebenfalls zu einer geringfügigen Unterschreitung des seitlichen Grenzabstandes gekommen wäre.

31

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

32

Richter am Oberverwaltungsgericht Petter ist erkrankt und kann deshalb nicht unterschreiben

Streitwertbeschluss:

Beschluß

Der Wert des Streitgegenstandes wird für beide Rechtszüge auf je 4.000,00 DM (in Worten: viertausend Deutsche Mark) festgesetzt.

Richter am Oberverwaltungsgericht Petter ist erkrankt und kann deshalb nicht unterschreiben

Dr. Lemmel Dr. Lemmel Schönborn

Dr. Lemmel Dr. Lemmel Schönborn