Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 08.09.2009, Az.: 1 Ws 493/09

Außervollzugsetzung eines Haftbefehls nach Vortäuschen von Verhandlungsunfähigkeit und Verurteilung zur Freiheitsstrafe von 4 Jahren 9 Monaten

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
08.09.2009
Aktenzeichen
1 Ws 493/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 23632
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2009:0908.1WS493.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - 01.09.2009 - AZ: 2 KLs 71/09

Amtlicher Leitsatz

Wird ein Angeklagter, der im Verlauf des Verfahrens eine Verhandlungsunfähigkeit vorgetäuscht hatte, durch ein mit der Revision anfechtbares Urteil zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt, so stehen für sich genommen weder die Strafhöhe als solche noch die Befürchtung, der Angeklagte werde künftig erneut in eine Verhandlungsunfähigkeit oder eine Haftunfähigkeit "fliehen", einer Aussetzung des Vollzugs der Untersuchungshaft entgegen.

Tenor:

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Oldenburg gegen den Beschluss des Landgerichts Oldenburg vom 1. September 2009, durch den der Haftbefehl des Landgerichts Oldenburg vom 12. August 2008 unter Auflagen außer Vollzug gesetzt worden ist, wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Tatbestand

1

Die große Strafkammer hatte gegen den Angeklagten einen auf die Haftgründe der Fluchtgefahr und der Wiederholungsgefahr gestützten Haftbefehl erlassen, diesen jedoch bei der Verkündung des auf 4 Jahre und 9 Monaten Freiheitsstrafe lautenden Urteils unter Auflagen außer Vollzug gesetzt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit der Beschwerde, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.

Gründe

2

......

3

Die zulässige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, der die Generalstaatsanwaltschaft nicht beigetreten ist, bleibt ohne Erfolg, denn das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Zweck der Untersuchungshaft durch weniger einschneidende Maßnahmen erreicht werden kann (§ 116 Abs. 1 StPO).

4

Die Generalstaatsanwaltschaft hat zu der Beschwerde wie folgt Stellung genommen:

5

"Der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Oldenburg dürfte ein Erfolg versagt bleiben. Die "Flucht in die Verhandlungsunfähigkeit" vermag den Vollzug des Haftbefehls gegenwärtig nicht weiter zu rechtfertigen, nachdem die Hauptverhandlung durchgeführt und mit Urteil beendet wurde. Dass eine - mögliche - Revision des Angeklagten zu einer neuen Hauptverhandlung nach Aufhebung und Zurückweisung durch den BGH führen wird, lässt sich derzeit nicht vorhersehen und es wäre somit reine Spekulation, dass der Angeklagte sich erneut in eine Verhandlungsunfähigkeit flüchten könnte.

6

Allein die Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten vermag die Invollzugsetzung des Haftbefehls vom 12.08.2008 aber nicht zu begründen. Vielmehr besteht ein rechtstaatlicher Anspruch jedes Verurteilten, sich dem Strafantritt nach Ladung freiwillig zu stellen, weil (1.) die freiwillige Stellung dem Inhaftierten Vergünstigungen im Strafvollzug bringt und (2.) der Verurteilte die Zeit vor dem Strafantritt zur Ordnung seiner persönlichen Verhältnisse nutzen soll (§ 27 Abs. 2 StVollstrO), worauf auch der Nichtabhilfebeschluss des LG Oldenburg zutreffend hinweist. Die Besorgnis der Staatsanwaltschaft als Strafvollstreckungsbehörde, dass der Angeklagte sich durch Krankheit alsbald in eine "Haftunfähigkeit" flüchten könnte oder neue Gründe für einen Strafausstand vorbringen könnte, sobald es "ernst" wird, ist aber ein nach vollstreckungsrechtlichen Vorgaben zu lösendes Problem. In diesem Zusammenhang kann die Staatsanwaltschaft - nach Rechtskraft der Entscheidung - eigene, effektive Maßnahmen zu Sicherstellung der Vollstreckung ergreifen. Jedenfalls reichen die derzeitigen Auflagen des Haftverschonungsbeschlusses aus, einem durch die Verurteilung begründeten Fluchtanreiz erfolgversprechend zu begegnen."

7

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an.