Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 19.09.2017, Az.: 11 U 10/17

Geltendmachung von Regressansprüchen des Kfz-Versicherers gegenüber dem berechtigten Fahrzeugführer

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
19.09.2017
Aktenzeichen
11 U 10/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 26542
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Göttingen - 25.01.2017 - AZ: 5 O 97/16

Fundstellen

  • NJW 2018, 8
  • NJW-RR 2018, 164-165
  • VRR 2018, 7-8
  • VuR 2018, 35
  • r+s 2018, 592-594
  • zfs 2018, 29-31

Amtlicher Leitsatz

1. Der Anspruchsübergang in § 86 Abs. 1 VVG betrifft keine Mitversicherten, sondern Dritte.

2. Der berechtigte Fahrzeugführer ist in der Kaskoversicherung mangels eines versicherten eigenen Sachinteresses nicht mitversicherte Person, sondern Dritter (Anschluss an BGH, Urteil vom 30.03.1965 - IV ZR 248/63 -).

3. Der Regressverzicht in A.2.15 AKB 2008 dient der Besserstellung des berechtigten Fahrzeugführers gegenüber der gesetzlichen Regelung des § 86 VVG, indem er die dem Fahrzeugführer aus der Kfz-Haftpflichtversicherung zustehende Privilegierung auf die Kaskoversicherung ausweitet.

4. Ein unerlaubtes Entfernen des berechtigten Fahrzeugführers vom Unfallort begründet nur dann eine Ausnahme vom Regressverzicht, wenn die Versicherungsbedingungen eine entsprechende Ausnahmeregelung beinhalten.

Tenor:

Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 25.01.2017 durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.

Gründe

I.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

1. Die Klägerin nimmt im Rahmen der gewillkürten Prozessstandschaft anstelle der K....AG (nachfolgend: K. AG) den Beklagten auf Regress in Anspruch und ist diesbezüglich prozessführungsbefugt.

Gewillkürte Prozessstandschaft ist die gerichtliche Geltendmachung fremder Rechte - in der Regel schuld- und sachenrechtlicher Ansprüche - im eigenen Namen aufgrund der Ermächtigung des Rechtsinhabers (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. A., vor § 50 Rn. 42). Außer der Ermächtigung durch den Rechtsinhaber muss bei der gewillkürten Prozessstandschaft beim Dritten (Prozessstandschafter) ein schutzwürdiges rechtliches Interesse an der Prozessführung bestehen. Zudem darf der Gegner durch die Prozessführung des rechtsfremden Dritten nicht unzumutbar in seinen schutzwürdigen Belangen beeinträchtigt sein (vgl. Zöller/Vollkommer, a. a. O., Rn. 44). Das schutzwürdige Eigeninteresse des Prozessstandschafters kann auch in einem wirtschaftlichen Interesse bestehen. Bejaht wurde ein solches von der Rechtsprechung bei der Prozessführung des Alleingesellschafters als Prozessstandschafter der GmbH, bei der Konzernmutter für die von ihr voll beherrschte Tochter-GmbH (vgl. BGH, Urteil vom 13.10.1994 - I ZR 99/92 -, juris Rn. 43 f.), bei einem eigenen Provisionsinteresse des Prozessstandschafters (vgl. BGH, Urteil vom 03.12.1987 - VII ZR 374/86 -, juris Rn. 12) und bei einer eigenen unternehmerischen Verbindung zwischen Prozessstandschafter und Rechtsinhaber (vgl. BGH, Urteil vom 31.07.2008 - I ZR 21/06 -, juris Rn. 54 f.).

Die K. AG hat die Klägerin durch Vollmacht vom 02.05.2011 unter anderem bevollmächtigt, im eigenen Namen Forderungen, darunter Regressforderungen aus Schadensfällen, einzuziehen und diese gerichtlich geltend zu machen. Zudem hat sie der Klägerin die im vorliegenden Fall für die Prozessführung erforderlichen Vertragsunterlagen überlassen, so dass sie offenkundig damit einverstanden ist, dass die Klägerin diesen Prozess führt. Das schutzwürdige rechtliche Interesse der Klägerin an der Prozessführung beruht darauf, dass sowohl sie als auch die K. AG Unternehmen der XY Versicherungsgruppe sind (vgl. OLG Braunschweig, Urteil vom 15.08.2013 - 8 U 57/12 und die Kfz-Versicherung Verbraucherinformation der K. AG, Stand: 01.07.2011, Anlage K 7a) und die Klägerin gegen Provision aufgrund der Vollmacht tätig wird. Berechtigte Belange des Beklagten werden dadurch nicht beeinträchtigt. Er wird durch die Rechtsverfolgung der Klägerin anstelle der K. AG weder in prozessualer noch in sonstiger Weise schlechter gestellt.

2. Indes kann die Klägerin vorliegend keinen Regressanspruch der K. AG gegen den Beklagten auf Zahlung von 10.618,34 EUR erfolgreich geltend machen.

a) Zwar hat der Beklagte am 09.06.2015 das bei der K. AG kaskoversicherte Leasingfahrzeug, einen LKW Iveco mit dem amtlichen Kennzeichen ...., beschädigt, indem er es gegen einen Poller gelenkt hat. Hierbei handelte es sich auch um einen Unfall i. S. v. A.2.3.2 der Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (nachfolgend: AKB; Stand Juli 2011) der K. AG, so dass diese grundsätzlich einstandspflichtig war.

Aufgrund dieses Unfalls hat die K. AG eine Reparaturrechnung der P. GmbH in Höhe der Klageforderung beglichen mit der Folge, dass etwaige Ersatzansprüche des Versicherungsnehmers Herrn R. bzw. der U. als Leasinggeberin und Fahrzeugeigentümerin gegen einen Dritten nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf die K. AG übergegangen sein könnten. Gemäß A.2.4 AKB gilt der Schutz der Kaskoversicherung sowohl für den Versicherungsnehmer als auch, wenn der Vertrag auch im Interesse einer weiteren Person abgeschlossen ist, für diese Person. Erfolgt die Finanzierung des versicherten Fahrzeugs durch einen Leasingvertrag, versichert der Leasingnehmer das Eigentümerinteresse des Leasinggebers, so dass eine Fremdversicherung zugunsten des Finanzierungsinstituts vorliegt. Bezüglich des Übergangs von Ersatzansprüchen stehen die im Rahmen einer Fremdversicherung versicherten Personen dem Versicherungsnehmer gleich. Es gehen also auf den Versicherer im Umfang seiner Versicherungsleistungen auch Ersatzansprüche des Mitversicherten über (BGH, Urteil vom 05.03.2008 - IV ZR 89/07 - juris Rn. 8). Versichert ist aber auch das Sachersatzinteresse des Versicherungsnehmers als Leasingnehmer, das darin besteht, dass er nach dem Leasingvertrag für Beschädigung und Verlust des Fahrzeugs haftet und daher Schadensersatzansprüchen des Leasinggebers ausgesetzt sein kann (vgl. BGH, Urteil vom 14.07.1993 - IV ZR 181/92 - juris Rn. 7).

Der Beklagte nutzte das versicherte Leasingfahrzeug zum Unfallzeitpunkt in Ausführung seiner Tätigkeit als Angestellter des Versicherungs- und Leasingnehmers. In einem derartigen Fall gehen nicht Ansprüche des Leasingnehmers (Arbeitgebers) auf den Versicherer über, sondern Ansprüche des mitversicherten Kreditinstituts als Fahrzeugeigentümer (vgl. Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung, 19. A., AKB A.2 Rn. 886).

b) Ob die U. als Eigentümerin des Fahrzeugs tatsächlich einen Anspruch gegen den Beklagten aus § 823 BGB hat, der nach § 86 Abs. 1 VVG auf die K. AG übergegangen ist, kann im vorliegenden Fall allerdings dahinstehen.

Dem Beklagten kommt zugute, dass ein Regress der K. AG gegen ihn ausgeschlossen ist. Er gebrauchte das versicherte Leasingfahrzeug mit Wissen und Willen des Versicherungsnehmers. Den Unfall verursachte er mithin als berechtigter Fahrer.

Gemäß A.2.15.1 AKB fordert die K. AG vom berechtigten Fahrzeugführer die Leistungen nicht zurück, wenn es zu einem Schaden kommt, es sei denn, der Fahrzeugführer hat den Schaden entweder infolge des Genusses alkoholischer Getränke bzw. anderer berauschender Mittel grob fahrlässig oder vorsätzlich herbeigeführt (vgl. A.2.15.2 und A.2.15.3 AKB). Nach den Feststellungen des Landgerichts bestanden keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines derartigen Ausnahmefalles.

Dass der Beklagte den Unfall zunächst nicht gemeldet hat und aufgrund dieses Vorfalles durch Strafbefehl des Amtsgerichts Paderborn vom 13.07.2015 wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB) mit einer Geldstrafe belegt wurde, schließt die Anwendbarkeit von A.2.15.1 AKB nicht aus. Ein derartiger Ausnahmefall vom Regressverzicht ist in A.2.15 AKB nicht enthalten. Die Regelung beinhaltet auch keine Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf weitere, unbenannte Ausnahmefälle. Die Ausnahmen vom Regressverzicht hat die K. AG in A.2.15.2 und A.2.15.3 AKB abschließend formuliert. Sie betreffen lediglich vorsätzliches Handeln und grob fahrlässiges Handeln aufgrund vorangegangenen Alkohol- und/oder Betäubungsmittelkonsums. Die K. AG hat dadurch die für sie günstigen Ausnahmen vom Regressverzicht sogar enger gefasst als in A.2.15 der Allgemeinen Musterbedingungen für die Kraftfahrtversicherung 2008 empfohlen wird. Dort ist in Satz 2 eine Ausnahme vom Verzicht bei jeglicher grober Fahrlässigkeit des Fahrers enthalten. Es bestehen daher im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke, die eine ergänzende Vertragsauslegung nach § 133 BGB dahin, dass auch ein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort eine Ausnahme vom Regressverzicht begründet, ermöglichen würde.

Eine Ausnahme vom Regressverzicht ergibt sich auch nicht aus den sonstigen Versicherungsbedingungen der K. AG. Zwar besteht nach E.1.1 AKB grundsätzlich die Verpflichtung, jedes Schadensereignis, das zu einer Leistung des Versicherers führen kann, innerhalb einer Woche anzuzeigen. Zudem besteht nach E.1.2 die Verpflichtung, unverzüglich dem Versicherer anzuzeigen, dass die Polizei, die Staatsanwaltschaft oder eine andere Behörde im Zusammenhang mit dem Schadensereignis ermittelt. Diese Obliegenheiten betreffen aber lediglich den Versicherungsnehmer bzw. nach F.1 AKB auch Mitversicherte. In der Kaskoversicherung ist der Fahrer aber - anders als in der Kfz-Haftpflichtversicherung, vgl. dazu A.1.2.c AKB - mangels eines versicherten eigenen Sachinteresses nicht mitversicherte Person, so dass er grundsätzlich wie ein beliebiger Dritter zu behandeln ist (vgl. BGH, Urteil vom 30.03.1965 - IV ZR 248/63 -, juris). Der Beklagte hat das kaskoversicherte Fahrzeug auf Weisung des Versicherungsnehmers, seines Arbeitgebers genutzt. Eigene Interessen am Fahrzeug hatte er nicht. Hinzu kommt, dass er weder am Abschluss des Versicherungsvertrages mitgewirkt hat noch sonstige Kenntnis von dessen Inhalt hatte. Ihm unter diesen Umständen vertragliche Obliegenheiten aufzuerlegen, würde dem Grundsatz der Privatautonomie widersprechen. Die Auffassung des Landgerichts Kiel (vgl. Urteil vom 19.03.1998 - 6 O 145/97 - VersR 1999, 1105), dass der Fahrer in der Kfz-Kaskoversicherung grundsätzlich mitversichert ist, trifft daher nicht zu (vgl. diesbezüglich auch die kritische Anmerkung zum Urteil von Brill, VersR 1999, 1538 [LG Kiel 19.03.1998 - 6 O 145/97]).

Dass der berechtigte Fahrer in der Kaskoversicherung nicht mitversichert ist, folgt aber auch aus A.2.15 AKB. Danach ist ein Regress gegen ihn grundsätzlich möglich, wogegen ein Regress gegen Mitversicherte prinzipiell nicht in Betracht kommt, weil sie in die durch den Vertrag gewährte Deckung einbezogen sind (vgl. Stiefel/Maier, a. a. O., AKB A.2 Rn. 874 f., AKB F Rn. 5). Dementsprechend betrifft der Anspruchsübergang in § 86 Abs. 1 VVG keine Mitversicherten, sondern Dritte, d. h. diejenigen, deren betroffenes Interesse nicht durch den Versicherungsvertrag versichert ist (vgl. Möller/Segger, Münchener Kommentar VVG, 2. A., § 86 Rn. 108).

Aus diesen Gründen scheidet auch eine sinngemäße Anwendung von E.1.1 und E.1.2 AKB aus. Der Beklagte profitiert als berechtigter Fahrer von A.2.15 AKB. Dieser Regressverzicht dient der Besserstellung des Fahrers gegenüber der gesetzlichen Regelung des § 86 VVG, indem er die dem Fahrer aus der Kfz-Haftpflichtversicherung zustehende Privilegierung auf die Kaskoversicherung ausweitet.

Selbst wenn der Fahrer als mitversicherte Person anzusehen wäre und eine Obliegenheit aus dem Versicherungsvertrag verletzt hätte, könnte er dennoch vom Versicherer nicht in Regress genommen werden, weil er in den Deckungsbereich des Vertrages einbezogen wäre. Der Versicherer wäre allenfalls von seiner Leistungspflicht gegenüber dem Anspruchsteller befreit (vgl. E.6.1 und F.3 AKB).

Sogar wenn der Beklagte als Repräsentant des Versicherungsnehmers anzusehen wäre - wovon vorliegend nicht auszugehen ist, weil keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beklagte als angestellter Fahrer befugt war, selbstständig in einem gewissen, nicht ganz unbedeutenden Umfang für den Versicherungsnehmer zu handeln (vgl. zu den Voraussetzungen BGH, Urteil vom 25.03.1992 - IV ZR 17/91 - juris Rn. 14 m. w. N. aus der Rechtsprechung) - wäre nicht er selbst einstandspflichtig, sondern es würde eine Zurechnung seines Verhaltens zu Lasten des Versicherungsnehmers nach § 47 VVG erfolgen.

3. Mangels entsprechender Hauptforderung kann die Klägerin auch nicht die Zahlung von Verzugs- und Prozesszinsen nach §§ 288, 291 BGB beanspruchen.

4. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Auch erfordern weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats als Berufungsgericht (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO).

II.

Der Klägerin wird Gelegenheit gegeben, binnen 3 Wochen Stellung zu nehmen oder die Berufung zurückzunehmen.