Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 23.01.2006, Az.: Ss 446/05 (I 2)
Berücksichtigung von Vorstrafen bei der Strafzumessung; Berücksichtigung sehr weit zurückliegender Straftaten; Erfordernis der schuldangemessenen Strafzumessung; Beleidigung zum Nachteil einer Finanzbeamtin
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 23.01.2006
- Aktenzeichen
- Ss 446/05 (I 2)
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 10302
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2006:0123.SS446.05I2.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Aurich - 20.10.2005 - AZ: 12 Ns 142/05
Rechtsgrundlage
- § 46 StGB
Verfahrensgegenstand
Beleidigung
Amtlicher Leitsatz
Je länger eine Vorbestrafung zurückliegt, desto geringeres Gewicht besitzt sie bei der Strafzumessung. Sehr weit zurückliegenden Vorstrafen kommt, wenn sie nicht eine kontinuierliche Begehung von Straftaten zeigen, nur noch geringe Bedeutung zu für die gegenwärtige Festsetzung einer schuldangemessenen Strafe zu.
In der Strafsache
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
am 23. Januar 2006
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
nach Anhörung des Beschwerdeführers einstimmig - zu I. gemäß § 349 Abs. 4 StPO - und - zu II. gemäß § 349 Abs. 2 StPO auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft -
beschlossen:
Tenor:
- I.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 1. kleinen Strafkammer des Landgerichts Aurich vom 20. Oktober 2005 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen, die auch über die Kosten des Rechtsmittels zu entscheiden hat.
- II.
Im Übrigen wird die Revision des Angeklagten als unbegründet verworfen.
Gründe
Das Amtsgericht Leer hat den Angeklagten am 25. Mai 2005 wegen Beleidigung zum Nachteil einer Sachbearbeiterin des Finanzamtes Leer, die er in einem Schreiben vom 7. Dezember 2004 als "schwachsinnig dumm" bezeichnet hatte, zu einer Geldstrafe von 120 Tagesätzen zu je 15 EUR verurteilt.
Die hiergegen eingelegte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht mit Urteil vom 20. Oktober 2005 verworfen und gegen ihn auf die Berufung der Staatsanwaltschaft unter Abänderung des angefochtenen amtsgerichtlichen Urteils eine Freiheitsstrafe von drei Monaten verhängt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.
Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im erkannten Umfang und hat insoweit vorläufig Erfolg.
Hinsichtlich des Schuldspruchs ist die Revision unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO), da das anhand der Revisionsrechtfertigung geprüfte Urteil insoweit keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweist. Insbesondere lag - entgegen der Annahme der Revision - keine Wahrnehmung berechtigter Interessen vor, obwohl die beleidigende Äußerung in einem Streit des Angeklagten mit einer Behörde und insoweit sachbezogen erfolgte. Denn der Ausdruck "schwachsinnig dumm" ist bereits dem Bereich der unzulässigen Schmähkritik zuzurechnen, vgl. BVerfG NJW 2003, 3760.
Im Rechtsfolgenausspruch kann das Urteil indessen keinen Bestand haben. Zwar ist die Entscheidung über die Strafzumessung grundsätzlich Sache des Tatrichters. Dieser muss in Anwendung von § 46 StGB aufgrund des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen für und wider den Angeklagten sprechenden Umstände feststellen, bewerten und gegeneinander abwägen. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn dem Tatgericht dabei ein Rechtsfehler unterlaufen ist. Ein solcher ist vorliegend anhand der Urteilsgründe allerdings jedenfalls nicht auszuschließen.
Die Strafkammer hat zu Ungunsten des Angeklagten u.a. berücksichtigt, dass er durch gegen ihn erlassene Strafurteile von 1970 wegen Meineides, 1978 und 1988 wegen falscher Verdächtigung und 2001 wegen Betruges gegenüber dem Sozialamt zu einem besonneneren Umgang mit Behörden ermahnt worden und 1988 wegen Verleumdung in fünf Fällen, somit wegen einschlägiger Delikte, verurteilt worden sei. Die früheren Verurteilungen zu Geld und auch Freiheitsstrafen zeigten, dass ihn Geldstrafen nicht von der Begehung neuer Straftaten abzuhalten vermöchten, weshalb die Verhängung einer Freiheitsstrafe unerlässlich sei.
Zwar sind Vorbestrafungen eines Angeklagten regelmäßig gewichtige gegen ihn sprechende Umstände, die bei der Strafzumessung zu seinen Lasten zu berücksichtigen sind. Dabei ist allerdings zu beachten, wie lange die Vorstrafen zurückliegen. Je mehr dass der Fall ist, desto geringer wiegen in der Regel frühere Bestrafungen. Sehr weit zurückliegenden Vorverurteilungen kommt schließlich, jedenfalls wenn die zugrundeliegenden Straftaten nicht sehr schwer wiegen und auch keine ununterbrochene Kette strafbaren Verhaltens bilden, für eine schuldangemessene Bestrafung im jetzigen Zeitpunkt nur noch eine geringe Bedeutung zu. Deshalb ist bei einer strafschärfenden Berücksichtigung früherer Vorstrafen insbesondere auch darauf Bedacht zu nehmen, in welchem zeitlichen Ablauf diese erfolgt sind. Namentlich ist es zu berücksichtigen, wenn insoweit eine Zäsur erkennbar ist, also eine längere Zeit straffreier Führung vorliegt.
Diese aus dem Erfordernis der schuldangemessenen Strafzumessung gemäß § 46 StGB sich ergebenden Grundsätze hat das Landgericht ausweislich der Urteilsgründe nicht gebührend beachtet.
Die einschlägige Verurteilung wegen Verleumdung, auf die das Landgericht abgestellt hat, ist vor sehr langer Zeit, nämlich vor mehr als 17 Jahren erfolgt; die Verurteilung wegen Meineids liegt 35 Jahre zurück; die Bestrafungen wegen falscher Verdächtigung erfolgten vor mehr als 17 bzw. 27 Jahren. In den letzten 12 Jahren ist der Angeklagte nur einmal verurteilt worden, und zwar zu einer Freiheitsstrafe mit Strafaussetzung zur Bewährung.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht diese erheblichen Umstände bei der Strafzumessung nicht ausreichend bedacht hat.
Dies gilt auch hinsichtlich der Bejahung der Voraussetzung einer kurzen Freiheitsstrafe nach § 47 StGB. Auch insoweit wäre zudem zu beachten gewesen, dass die - im Kontext einer Sachauseinandersetzung stehende - Beleidigung nicht sehr schwer wiegt.
Das Urteil war deshalb im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen, die auch über die Kosten der Revision zu entscheiden hat.