Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 15.06.2001, Az.: 3 B 1323/01
Beihilfe für einen Rollstuhl; Eingliederungshilfe zu einem Elektro-Rollstuhl ; Voraussetzungen eines Anspruchs auf Eingliederungshilfe
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 15.06.2001
- Aktenzeichen
- 3 B 1323/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 25219
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2001:0615.3B1323.01.0A
Rechtsgrundlagen
- § 39 BSHG
- § 40 Abs. 1 Nr. 2 BSHG
Verfahrensgegenstand
Sozialhilfe (Beihilfe für einen Rollstuhl),
Prozessführer
des Herrn P.
Proz.-Bev.:Rechtsanwälte Kroll und andere, Haarenfeld 52 c, 26129 Oldenburg,
Prozessgegner
die Stadt Oldenburg - Sozialamt -,
vertreten durch den Oberbürgermeister, Pferdemarkt 14, 26105 Oldenburg,
In der Verwaltungsrechtsache
hat das Verwaltungsgericht Oldenburg - 3. Kammer -
am 15. Juni 2001
beschlossen:
Tenor:
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller als Eingliederungshilfe zu einem Elektro-Rollstuhl Quickie P 200 zu verhelfen.
Die Hilfe kann in Form einer Sachleistung, gegebenenfalls leihweise, oder durch eine einmalige Beihilfe erfolgen.
Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässige Antrag des Antragstellers, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten zur Anschaffung des Elektro-Rollstuhls Quickie P 200 zu gewähren, hat in der im Tenor bezeichneten Weise Erfolg. Der Antragsteller hat sowohl die Eilbedürftigkeit der begehrten Regelung (Anordnungsgrund) als auch einen materiellen Anspruch auf die geltend gemachte Leistung (Anordnungsanspruch) glaubhaft gemacht (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2, 294 ZPO).
Der Anordnungsgrund ergibt sich daraus, dass dem Antragsteller im Hinblick auf die bei ihm bestehende fortschreitende Erkrankung sowie seine gegenwärtige Versorgung mit orthopädischen Hilfsmitteln das Zuwarten auf eine gerichtliche Entscheidung im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens nicht zumutbar ist. Einen Anspruch, im Rahmen der Eingliederungshilfe mit dem Rollstuhl Quickie P 200 versorgt zu werden, hat der Antragsteller nach §§ 39, 40 Abs. 1 Nr. 2 BSHG i.V.m.§§ 7, 10 Abs. 2, 4 VO zu § 47 BSHG (Eingliederungshilfe-VO) glaubhaft gemacht. Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG ist Personen, die nicht nur vorübergehend körperlich, geistig oder seelisch wesentlich behindert sind, Eingliederungshilfe zu gewähren. Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es nach § 39 Abs. 3 BSHG u.a., eine vorhandene Behinderung oder deren Folgen zu mildern und den Behinderten in die Gesellschaft einzugliedern (Satz 1). Hierzu gehört vor allem, dem Behinderten die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihm die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder ihn soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen. Gemäß § 39 Abs. 4 BSHG wird die Eingliederungshilfe gewährt, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, vor allem nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Als Maßnahme der Eingliederungshilfe kommt nach § 40 Abs. 1 Nr. 2 BSHG i.V.m. § 7 Eingliederungshilfe-VO die Versorgung mit einem motorisierten Krankenfahrzeug (Rollstuhl) in Betracht. Sofern ein Behinderter bereits versorgt ist, wird eine erneute Versorgung gewährt, wenn sie infolge der körperlichen Entwicklung des Behinderten notwendig oder wenn aus anderen Gründen das vorhandene Hilfsmittel ungeeignet oder unbrauchbar geworden ist, § 10 Abs. 4 Eingliederungshilfe-VO. Soweit im Einzelfall erforderlich, wird eine Doppelausstattung mit orthopädischen Hilfsmitteln gewährt, § 10 Abs. 2 Eingliederungshilfe-VO.
Die vorgenannten Voraussetzungen liegen hier vor. Der Antragsteller ist dem Kreis der nach § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG grundsätzlich eingliederungshilfeberechtigten Personen zuzurechnen. Der Antragsteller hat auch glaubhaft gemacht, dass die von ihm angestrebte Versorgung mit dem Rollstuhl Quickie P 200 (zusätzlich zum vorhandenen Sopour Easy) nach der Art und Schwere seiner Behinderung sowie seinen persönlichen Lebensumständen genügende Aussicht bietet, die Aufgabe der Eingliederungshilfe zu erfüllen (§ 39 Abs. 4 BSHG). Sie ist geeignet, seine Behinderung oder deren Folgen zumindest zu mildern (dass die Behinderung oder deren Folgen sogar beseitigt werden könnten, ist nach § 39 Abs. 3 Satz 1 BSHG nicht zwingend erforderlich). Wie sich nicht zuletzt aus der Erläuterung der durch § 39 Abs. 3 Satz 1 BSHG abschließend definierten Aufgabenstellung und Zielsetzung der Eingliederungshilfe durch die in § 39 Abs. 3 Satz 2 BSHG erwähnten Regelbeispiele ergibt, kann unter einer "Milderung einer vorhandenen Behinderung oder deren Folgen" nur eine objektiv feststellbare, längere Zeit anhaltende Besserung des Gesundheitszustandes verstanden werden, die eben dann die Rehabilitation des Behinderten in beruflicher oder sozialer Hinsicht oder wenigstens in gewissem Umfange eine Unabhängigkeit von Pflege ermöglicht. Eine bloße kurzfristige Linderung des Gesamtzustandes, insbesondere in subjektiver Hinsicht, genügt dagegen nicht, um den Tatbestand der Milderung im Sinne des § 39 Abs. 3 Satz 1 BSHG zu erfüllen (s. auch VG Oldenburg, Beschluss vom 04. April 2001 - 3 B 4106/00 - V.n.b.; vgl. Oestreicher/Schelter/Kunz, BSHG, Kommentar, Loseblattsammlung, Stand: September 2000, § 39 Rz. 21, m.w.N.; Mergler/Zink, BSHG, Kommentar, 4. Auflage,§ 39 Rz. 58, m.w.N.; möglicherweise a.A. Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, Kommentar, 15. Auflage, § 39 Rz. 33). Die Versorgung des Antragstellers mit dem Quickie P 200 verbessert seine Lage objektiv und länger anhaltend. Dies ergibt sich aus dem vom Gericht eingeholten Sachverständigengutachten.
Das Gericht hält die vom Sachverständigen im Erörterungstermin am 14. Juni 2001 gemachten Angaben für in sich schlüssig und überzeugend. Der Sachverständige ist Leiter der orthopädischen Versorgungsstelle Oldenburg und somit - was die Versorgung von behinderten Menschen mit orthopädischen Hilfsmitteln betrifft - sehr kompetent. Er hat den Antragsteller am 12. Juni 2001 in dessen Wohnung aufgesucht und den Antragsteller bei der Benutzung aller drei in Rede stehender Rollstühle (Supertrans, Sopour Easy und Quickie P 200) beobachten können. Der Sachverständige hat dargelegt, dass er die Versorgung des Antragstellers mit dem Elektro-Rollstuhl Supertrans zum gegenwärtigen Zeitpunkt für verfehlt hält. Zum einen aus medizinischer Sicht wegen der für den Antragsteller ungünstigen Sitzposition, zum anderen aufgrund der beim Antragsteller individuell vorhandenen Bedürfnisse. Zu letzteren führt er u.a. aus, dass der Antragsteller als junger aktiver Mensch für die Ausbildung in der Universität und in der Freizeit einen Rollstuhl benötige, welcher sowohl drinnen als auch draußen gleichermaßen einsetzbar sei. Dies gelte für den Quickie P 200, den er trotz anfänglicher Skepsis für die ideale Versorgung des Antragstellers halte. Der Supertrans hingegen sei ein Rollstuhl für draußen und - aufgrund seiner immensen technischen Möglichkeiten - für Personen, denen eine manuelle Steuerung ihres Rollstuhls nicht mehr möglich sei. Der Antragsteller verbringe seine Freizeit nichtüberwiegend damit, draußen längere Strecken zurückzulegen und sei auch noch in der Lage, seinen Rollstuhl manuell zu steuern. Er benötige ein kleines, wendiges, kompaktes und robustes Fahrzeug. Dies alles biete der Quickie P 200, nicht aber der Supertrans. Das Gericht folgt dem Gutachter auch hinsichtlich der Auffassung, dass der Antragsteller den Quickie P 200 neben dem Sopour Easy benötigt, um bei Ausfällen eines der Rollstühle stets über einen Elektrorollstuhl zu verfügen. Die Antragsgegnerin ist nach §§ 4 As. 2, 8 Abs. 1 BSHG berechtigt, dem Anspruch des Antragstellers in Form einer - gegebenenfalls leihweisen - Sachleistung zu entsprechen.
Dem geltend gemachten Anspruch steht auch nicht § 2 Abs. 1 BSHG entgegen. Zwar dürfte der Antragsteller aller Voraussicht nach einen vorrangigen Anspruch auf Versorgung mit dem Quickie P 200 auch gegen seinen Krankenversicherungsträger haben. Dieser hat die Leistung jedoch bereits abgelehnt und ist deshalb vom Antragsteller mit einem sozialgerichtlichen Verfahren angegangen worden (Az.: S 61 KR 67/10). Mit Hilfe dieses Verfahrens wird der Antragsteller seinen Anspruch zeitnah jedoch nicht realisieren können.
Letztlich stehen dem geltend gemachten Anspruch, welcher einkommensabhängig ist, auch nicht die Vorschriften der§§ 81 ff. BSHG entgegen. Der Antragsteller verfügt nichtüber ausreichendes Einkommen oder Vermögen. Er erhält von der Antragsgegnerin sogar laufende Hilfe zum Lebensunterhalt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1,§ 188 VwGO.
Wolter
Dr. Freericks