Amtsgericht Braunschweig
Urt. v. 08.07.2003, Az.: 119 C 1086/03
Allgemeine Geschäftsbedingungen; Auslegung; unklare Klausel
Bibliographie
- Gericht
- AG Braunschweig
- Datum
- 08.07.2003
- Aktenzeichen
- 119 C 1086/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 48339
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 5 AGBG
- § 9 AGBG
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann eine Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Klägerin als Nahverkehrsunternehmen macht gegen den Beklagten als ehemaligen Fahrgast einen Zahlungsanspruch geltend, der sich daraus ergeben soll, dass der Beklagte die Berechtigungskarte (ProfiCard) eines bevorzugten Fahrabonnements nicht fristgerecht an die Klägerin zurückgab.
Der Beklagte war Angestellter bei der Firma .... Im Rahmen dieses Anstellungsverhältnisses nahm der Beklagte an dem Großkundenabonnement des ... Verkehrsverbundes teil.
Im Rahmen dieses Abonnements erhielt die Firma ... Zeitfahrkarten für die Dauer eines Jahres zur Verteilung an ihre Mitarbeiter erhalten und händigte eine davon dem Beklagten aus, der auf einem Begleitschreiben den Erhalt und die Geltung der Allgemeinen Benutzungsbedingungen der Klägerin bestätigte und der dort als Kunde benannt wurde.
In dem Begleitschreiben heißt es u.a.: "Mir ist bekannt, dass ich die ProfiCard ... meinem Arbeitgeber zurückgeben muss mit Ablauf des Monats, in dem bzw. mit dem mein Arbeitsverhältnis endet ...
Falls die Rückgabe der ProfiCard nicht rechtzeitig erfolgt, gilt folgendes: Bis zur Rückgabe der Fahrkarte, längstens bis zum Ende der Geltungsdauer, wird für jeden angefangenen Monat ein Betrag in Höhe des jeweils geltenden monatlichen Fahrpreises einer allgemeinen Abonnementskarte für den HVV-Gesamtbereich an die ... fällig. Die Rückgabepflicht bleibt bestehen.
Bei Verlust der ProfiCard vor Rückgabefälligkeit erhalte ich gegen Gebühr eine Ersatzfahrkarte. ... Eine Verlusterklärung, die nicht umgehend oder erst nach Beendigung des Abonnements erfolgt, kann nicht berücksichtigt werden. ..."
Auf der dem Beklagten ausgehändigten ProfiCard stand: "Gültig in Verbindung mit einem Lichtbildausweis. Es gelten die Bestimmungen des HVV-Gemeinschaftstarifs."
In den Allgemeinen Benutzungsbedingungen für die ProfiCards der HVV-Großkundenabonnements ist unter Ziffer 5.5 u.a. folgende Regelung enthalten: "Kommt der Fahrgast seiner Rückgabe- bzw. Vorlageverpflichtung nicht rechtzeitig nach, wird er - außer für den Fall, dass er an der rechtzeitigen Rückgabe bzw. Vorlage der ProfiCard ohne eigenes Verschulden gehindert war - bis zum Ende des Monats, in dem die Rückgabe der ProfiCard erfolgt, längstens bis zum Ende der Geltungsdauer, als Fahrgast nach den Tarifbestimmungen des Allgemeinen Abonnements behandelt und zur Zahlung des jeweils danach geltenden monatlichen Fahrpreises einer Allgemeinen Abonnementskarte für den Gesamtbereich g... an die verpflichtet. ..."
Die an den Beklagten ausgehändigte Zeitfahrkarte hatte eine Gültigkeitsdauer bis 31.10.2002.
Der Beklagte schied am 31.12.2001 aus dem Arbeitsverhältnis mit der Firma ... aus.
Der Fahrpreis einer Allgemeinen Abonnements-Fahrkarte betrug für die Monate Januar bis einschließlich Juni 2002 jeweils 82,42 Euro sowie für die Monate Juli bis einschließlich Oktober 2002 jeweils 86,40 Euro.
Die Klägerin beansprucht für die Monate Januar bis Oktober 2002 unter Berufung auf die fehlende Rückgabe der ProfiCard durch den Beklagten unter Berufung auf ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Zahlung von Monatsbeiträgen in Höhe eines allgemeinen Abonnements.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 840,12 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte behauptet:
Er habe die Zeitfahrkarte am 17.12.2001 mit einfacher Post an die Firma ... zurück geschickt. Dort ist sie unstreitig nicht angekommen. Ebenso ist unstreitig geblieben, dass die Firma ... den Beklagten Anfang Januar 2002 aufforderte, die ProfiCard abzugeben, und der Beklagte daraufhin zunächst einen Nachforschungsauftrag bei der Deutschen Post AG erteilte.
Der Beklagte behauptet weiter:
Die zuständige Mitarbeiterin der Firma ... Frau ... habe dem Beklagten erklärt, er brauche keinen Nachforschungsauftrag zu erteilen, weil intern zwischen der Firma ... und dem für den Empfang zuständigen Industrieverband eine Verlustmeldung seitens der Firma ... gefertigt würde; die Angelegenheit würde mit der Verlusterklärung bereinigt. Mit Fax vom 08.01.2002 zeigte die Firma .... gegenüber dem IVH unstreitig den Verlust der Karte des Beklagten an. Eine weitere Verlusterklärung unterzeichnete der Beklagte unstreitig am 09.01.2002. Auch diese wurde von der Firma .... am 09.01.2002 an den IVH weitergeleitet.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der Klagschrift, der Klageerwiderungsschrift, der Schriftsätze der Klägerin vom 14.05.2003, 30.05.2003, 01.07.2003 und des Schriftsatzes des Beklagten vom 10.06.2003, jeweils nebst Anlagen, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Die Klägerin kann von dem Beklagten über den Zeitpunkt der Vertragsbeendigung hinaus kein Entgelt in Höhe einer allgemeinen Abonnementskarte verlangen. Die entsprechenden Regelungen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin, die unstreitig Vertragsbestandteil geworden sind, sind gem. §§ 5, 9 AGBG unwirksam.
Gem. § 5 AGBG gehen Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders. Auch im Individualprozess ist nach zutreffender Ansicht eine unklare Vertragsklausel am kundenfeindlichsten auszulegen und mit diesem Inhalt auf ihre Angemessenheit hin zu prüfen (Palandt, BGB, 61. Aufl. 2002, § 5 AGBG, Rdnr. 9 m.w.N.).
Die Unklarheit liegt im vorliegenden Fall darin, dass sich die maßgeblichen Bestimmungen der Klägerin widersprechen.
Gem. Ziffer 5.5 der Benutzungsbedingungen für die ProfiCards der HVV-Großkundenabonnements wird der Fahrgast nach den Tarifbestimmungen des Allgemeinen Abonnements behandelt, wenn er seiner Rückgabe- bzw. Vorlageverpflichtung (im Falle der Beendigung der Teilnahmeberechtigung) nicht rechtzeitig nachkommt. Ausdrücklich ausgenommen ist der Fall, dass der Fahrgast an der rechtzeitigen Rückgabe bzw. Vorlage der ProfiCard ohne eigenes Verschulden gehindert war.
In dem Begleitschreiben, dass der Beklagte bei Entgegennahme der ProfiCard ausgehändigt bekam und unterzeichnete, heißt es dagegen lediglich: "Falls die Rückgabe der ProfiCard nicht rechtzeitig erfolgt, gilt folgendes: Bis zur Rückgabe der Fahrkarte, längstens bis zum Ende der Geltungsdauer, wird für jeden angefangenen Monat ein Betrag in Höhe des jeweils geltenden monatlichen Fahrpreises einer allgemeinen Abonnementskarte für den HVV-Gesamtbereich an die S-Bahn ... GmbH fällig. Die Rückgabepflicht bleibt weiter bestehen." Ein ausdrücklicher Hinweis auf darauf, dass diese Weiterungen nur im Falle einer verschuldeten verspäteten oder ausbleibenden Rückgabe der Karte eintreten, fehlt indessen.
Nach herrschender Rechtsprechung beinhaltet die Formulierung "nicht rechtzeitig" nach verständiger Auslegung auch den Fall einer unverschuldeten Verspätung. Eine solche Klausel ist unwirksam, weil sie den anderen Vertragsteil unangemessen benachteiligt, indem vom gesetzlichen Leitbild der Vorschrift des § 339 BGB abgewichen wird, wonach eine Vertragsstrafe nur bei schuldhaftem Verhalten verwirkt sein kann (OLG Düsseldorf, Urteil vom 08.01.1998, aufgeführt bei JURIS unter Angabe der Fundstelle NZG 1998, S. 353 - 355; für den Fall der Vereinbarung einer verschuldensunabhängigen Verzugshaftung: BGH, Urteil vom 30.10.1985, aufgeführt bei JURIS unter Angabe der Fundstelle BGHZ 96, 182 ff.).
Im vorliegenden Fall enthalten demnach die beiden Klauseln voneinander abweichende Regelungen für den Fall der nicht rechtzeitigen Rückgabe der ProfiCard. Gem. dem Gebot der kundenfeindlichsten Auslegung ist die Regelung im Begleitschreiben der Klägerin zugrunde zu legen, wonach eine Vertragsstrafe auch verschuldensunabhängig begründet werden soll. Beide Klauseln sind damit unwirksam. Eine geltungserhaltene Reduktion - etwa im vorliegenden Fall eine Beschränkung der vertraglichen Regelungen auf ein Wirksambleiben von Ziffer 5.5 der Allgemeinen Benutzungsbedingungen der Klägerin - findet nicht statt.
Es ist nicht erkennbar, ob die von der Klägerseite vorgelegte bzw. zitierte Rechtsprechung auf einem identischen Sachverhalt beruht; insbesondere wird die o.g. Problematik in den Urteilen nicht behandelt.
Beide Klauseln verstoßen schließlich auch insoweit gegen § 9 AGBG, als der Fahrgast nach Ablauf des regulären Abonnements nur für den Fall der Rückgabe der Originalkarte aus dem Zwangsabonnement entlassen wird. Diese Regelung benachteiligt den Fahrgast unangemessen. Zwar hat die Klägerin ein nicht unerhebliches, berechtigtes Interesse daran, den Fahrgast zur Rückgabe der Originalproficard anzuhalten, um so eine missbräuchliche Verwendung der Karte abzuwenden. Vom Grundsatz her unterliegt die in ihren Bedingungen enthaltene Vertragsstrafenregelung daher auch keinen Bedenken. Gelingt dem Fahrgast jedoch der Nachweis, dass die Originalkarte unverschuldet verlorengegangen ist, so ist das diesen Umstand nicht berücksichtigende, weitere Anknüpfen des Zwangsabonnements an die Vorlage der Originalkarte von dem ursprünglichen Zweck der Regelung nicht länger gedeckt, und es tritt eine sachwidrige, insoweit verschuldensunabhängige Benachteiligung des Fahrgastes ein. Das Gericht hält daher die von Klägerseite vorgelegte Rechtsansicht des LG Stade vom 19.07.2000, wonach das trotz Verlustes der Karte weiterbestehende Zwangsabonnement seine rechtfertigende Ursache in dem Pflichtenverstoß der nicht rechtzeitigen Kartenrückgabe hat, für zu weitgehend. Schließlich profitiert die Klägerin bereits nicht unerheblich von ihrer vertraglichen Regelung, wonach sich ein preislich bevorzugtes Abonnement bei fehlender Rückgabe der ProfiCard automatisch quasi in ein teureres Zeitabonnement umwandelt. Diese Vergünstigung muss ihr Ende zumindest dann finden, wenn dem Fahrgast eine Rückgabe der Karte unverschuldet unmöglich geworden ist. Diesen Fall berücksichtigen die Bedingungen der Klägerin jedoch nicht.
Nach alledem kann die Klägerin aus ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen keine Zahlungsansprüche gegen den Beklagten herleiten, die an die nicht rechtzeitige Rückgabe der ProfiCard anknüpfen.
Ein solcher Anspruch steht der Klägerin auch nicht unter dem Gesichtspunkt vertraglicher Pflichtenverletzung (p.V.V.) zu.
Zwar hat der Beklagte auch dann gegen seine Pflicht zur Rückgabe der ProfiCard dadurch verstoßen, wenn er - wie von ihm behauptet - die ProfiCard mit einfachem Brief an seinen ehemaligen Arbeitgeber gesandt hat. Obwohl die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin keine Vorgabe hinsichtlich der Art und Weise der Rückgabe beinhalten, musste dem Beklagten bewusst sein, dass die Karte einen nicht unerheblichen Wert verkörpert; er hätte daher von sich aus im Wege förmlichen Zustellung der Kartensendung sicherstellen müssen, dass die Karte auch bei seinem Arbeitgeber ankommt (für den Fall der Rücksendung wertvoller Software siehe LG Lüneburg, Urt. v. 03.06.1988, NJW 1988, S. 2476, 2477 [LG Lüneburg 03.06.1988 - 4 S 25/88]).
Die Klägerin hätte jedoch einen ihr konkret entstandenen Schaden darlegen müssen. Dieser läge in einer missbräuchlichen Verwendung der Karte durch einen nicht berechtigten Dritten, da ein messbarer Materialwert der Karte nicht bestehen dürfte. Anhaltspunkte dafür hat die Klägerin jedoch nicht vorgetragen.
Mangels Vorliegen eines Anspruchs in der Hauptsache stehen der Klägerin auch keine Zinsansprüche gegen den Beklagten zu.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.