Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 12.07.2006, Az.: 6 A 2968/04

Arbeitsplatzanalyse; Berufserkrankung; Berufskrankheit; Dauerschallpegel; Dienstunfall; Hörschaden; Lärmbelastung; Lärmschwerhörigkeit; Meldefrist; Rangierer; Unfallfürsorge; Zugbegleiter

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
12.07.2006
Aktenzeichen
6 A 2968/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 53305
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Anerkennung eines Hörschadens als Dienstunfall (Berufserkrankung, Lärmschwerhörigkeit) eines zunächst als Rangierer und später als Zugbegleiter tätigen Beamten der Deutschen Bundesbahn/Deutsche Bahn AG scheitert schon daran, dass er nicht einer dauerhaften Lärmbelastung oberhalb von 85 dB(A) ausgesetzt gewesen ist.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

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Der Kläger, ein Bundesbahnobersekretär - BOS (Zf) - a.D., begehrt die Anerkennung der angezeigten Berufskrankheit (Lärmschwerhörigkeit) als Dienstunfall nach § 31 Abs. 3 des Beamtenversorgungsgesetzes - BeamtVG -.

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Der am ... geborene Kläger ist gelernter Zimmermann und war von 1957 bis Anfang September 1962 in diesem Beruf bei verschiedenen Bauunternehmen tätig. In der Zeit vom 10. September 1962 bis 19. April 1963 beschäftigte die Deutsche Bundesbahn ihn als Gleisbauarbeiter mit lärmexponierten Gleisunterhaltungsarbeiten im Bereich der Bahnmeisterei .../... . Danach war er als Schrankenwärter bzw. Weichensteller in geschlossenen Räumen tätig. Am 1. Oktober 1969 ernannte ihn die Deutsche Bundesbahn zum Beamten. Vom 1. Januar 1971 bis zum 31. Dezember 1972 war der Kläger als Rangierer tätig. Dabei gab er zur Verständigung mit dem Lokführer mit einer Mundpfeife der Deutschen Bundesbahn je Schicht ca. 50 bis 100 Pfeifsignale. Vom 1. Januar 1973 bis zum 31. Dezember 1992 war der Kläger Zugbegleiter auf den Strecken B...-N... (B...) und B...-V...-V.... Bis 1985 begleitete er zusätzlich an 10 bis 15 Tagen pro Jahr Militärtransporte vom Hafen N... nach K... oder G... als Beimann des Triebfahrzeugführers. Als regulärer Zugbegleiter war er Lärm in Form von eigenen Signalpfiffen mit der Mundpfeife, des Zuklappens der Türen, des Dauertons der Türblockierung, der Laufgeräusche insbesondere an Wagenübergängen sowie des Motorgeräusches der Verbrennungstriebwagen ausgesetzt. Vom 1. Januar 1993 bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand mit Ablauf des 31. Juli 1997 war der Kläger als Prüfer im Reisezugdienst tätig und Signalpfiffen nicht mehr ausgesetzt.

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Unter dem 4. September 2001 zeigte das Evangelische Krankenhaus O... eine berufsbedingte Lärmschwerhörigkeit des Klägers an, die dieser auf seine Tätigkeit als Zugbegleiter zurückführe.

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Nachdem der Technischen Aufsichtsdienst (TAD) der Eisenbahn-Unfallkasse (EUK) die Arbeitsplatzanalyse vom 12. Februar 2002 erstellt hatte und der zuständige Arzt für den medizinischen Arbeitsschutz beim Beklagten Dr. R... hierzu am 27. Februar 2002 Stellung bezogen hatte, lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 11. März 2002 die Anerkennung der beiderseitigen Schwerhörigkeit des Klägers als Dienstunfall (Berufserkrankung) im Sinne von § 31 Abs. 3 BeamtVG ab. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, der Kläger sei während seiner als Beamter ausgeübten Tätigkeiten keiner überdurchschnittlichen Lärmbelastung im Sinne des Merkblattes zur Berufserkrankung Nr. 2301 (Lärmschwerhörigkeit) ausgesetzt gewesen. Aus arbeitsmedizinischer Sicht und unter Zugrundelegung der arbeitstechnischen Ermittlungen sei der Kläger nach dem 19. April 1963 bis zu seiner Pensionierung keiner gesundheitsgefährdenden Lärmbelastung oberhalb von 85 dB(A) ausgesetzt gewesen. Lediglich zuvor während seiner Tätigkeit als Gleisbauarbeiter in der Zeit vom 10. September 1962 bis zum 19. April 1963 ließen sich höhere Lärmpegel feststellen. Nach dem tonaudiometrischen Befund vom 4. September 2001 sei die Hochtonschwerhörigkeit im Übrigen nicht so ausgeprägt, dass sie ein entschädigungspflichtiges Maß erreiche, da die Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - unter 10 % liege.

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Unter dem 29. März 2003 legte der Kläger Widerspruch ein mit der Begründung, seine Lärmbelastungen als Rangierer und Zugführer insbesondere durch Signalpfiffe sei unzutreffend gewürdigt worden.

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Nachdem der Beklagte die ergänzenden Arbeitsanalysen des TAD der EUK vom 24. Juni 2002, 10. Juli 2003 und 24. Mai 2004 eingeholt hatte, wies sie den Widerspruch durch Bescheid vom 2. Juli 2004 zurück. Ergänzend führte er aus: Die ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit des Evangelischen Krankenhauses O... sei noch keine Feststellung über das Vorliegen einer Berufskrankheit. Vielmehr werde lediglich ein Verdacht auf Vorliegen einer Berufskrankheit geäußert, dem die Beamtenunfallfürsorge nachzugehen habe. Unter Berücksichtigung der ergänzenden Arbeitsplatzanalysen lasse sich eine Überschreitung des schichtbezogenen Beurteilungspegels von 85 dB(A) nicht feststellen. Dies gelte auch hinsichtlich der Angaben des Klägers zur Lärmhäufigkeit aufgrund eines (momentanen) Schallpegels einer Mundpfeife von 108 bis höchstens 130 dB(A). Die Signalpfiffe und die betriebsbedingten Zuggeräusche seien kein Impulslärm. Maßgeblich sei der ermittelte Dauerschallpegel des Arbeitstages.

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Der Kläger hat am 13. Juli 2004 Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Er trägt im Wesentlichen vor: Er könne die Anerkennung seines Hörschadens als Dienstunfall (Berufserkrankung Lärmschwerhörigkeit) verlangen. Die Voraussetzungen lägen nicht nur bei einem schichtbezogenen Beurteilungspegel oberhalb von 85 dB(A) vor, sondern auch wenn der Lärm gelegentlich den Höchstwert von mindestens 140 dB(A) erreiche bzw. überschreite oder bei Impulslärm. Der Momentanschallpegel einer Signalpfeife könne auch 140 dB(A) betragen, zumal der Beklagte selbst nach den Feststellungen des TAD von 130 dB(A) und die Fördergemeinschaft Gutes Hören von 120 dB(A), gemessen aus 1 m Entfernung, ausgingen. Die Arbeitsplatzanalyse des TAD vom 24. Mai 2004 lasse nicht erkennen, welcher dB(A)-Wert sich für seine Tätigkeit als Zugbegleiter bei zugestandenen 96 (statt 68) Lärmereignissen (= 24 Zughalte auf der Strecke B...-N...-B... in der Zeit von 1973 bis 1980) ergebe; immerhin gehe der TAD selbst in der Arbeitsplatzanalyse vom 10. Juli 2003 von schon 82 dB(A) bei 68 Lärmereignissen (= 17 Zughalten) aus. Die Arbeitsplatzanalyse vom 24. Mai 2004 lege auch nicht präzise den schichtbezogenen Beurteilungspegel für seine Tätigkeit als Rangierer (1. Januar 1971 bis 31. Dezember 1972) bei Anerkennung von 75 Signalpfiffen pro Schicht offen, sondern behaupte pauschal, dass 85 dB(A) nicht überschritten würden. Im Übrigen sei eine exponierte Lärmbelastung oberhalb von 85 dB(A) als Gleisbauer außer Betracht geblieben. Sein am 27. April 2005 beim Sozialgericht O... gegen die insoweit erfolgte Versagung der Anerkennung der Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit durch die EUK Frankfurt a.M. anhängig gemachtes Klageverfahren (S 7 U 111/05) ruhe derzeit. Richtigerweise sei während seiner Tätigkeit als Gleisbauer (10. September 1962 bis 19. April 1963), seiner Tätigkeit als Rangierer (1. Januar 1971 bis 31. Dezember 1972) bei durchschnittlich schichtbezogen 75 Signalpfiffen und seiner Tätigkeit als Zugbegleiter - bei zumindest in der Zeit von 1973 bis 1980 schichtbezogen 96 Lärmereignissen (= 24 Halte auf der Strecke B...-N...-B...) - der Grenzwert von 85 dB(A) überschritten gewesen.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 11. März 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, seine Lärmschwerhörigkeit als Dienstunfall (Berufserkrankung) nach § 31 Abs. 3 des Beamtenversorgungsgesetzes anzuerkennen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er bezieht sich auf die angefochtenen Bescheide, die zugrunde liegenden Arbeitsplatzanalysen, die Stellungnahme ihres zuständigen Arztes für medizinischen Arbeitsschutz und die ergänzende Stellungnahme des sachverständigen Zeugen Georg Naber vom 30. Juni 2006. Ergänzend führt sie aus: Hinsichtlich der beruflichen Lärmbelastung als Gleisbauarbeiter in der Zeit vom 10. September 1962 bis 30. September 1969 habe die EUK Frankfurt durch Bescheid vom 27. Dezember 2004 zutreffend die Anerkennung der Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung - BKV - abgelehnt. Eine ein- bis zweijährige Lärmarbeit verursache grundsätzlich keine Innenohrschwerhörigkeit, so dass die etwa siebenmonatige grenzüberschreitende Lärmbelastung des Klägers als Arbeitnehmer nicht die Anerkennung einer entsprechenden Berufskrankheit rechtfertige. Selbst unter Berücksichtigung der schlechtesten Voraussetzungen sei er auch in seiner Tätigkeit als Beamter zu keinem Zeitpunkt hörschädigendem Dauerlärm oberhalb von 85 dB(A) ausgesetzt gewesen. Die Geräusche, denen der Kläger beruflich ausgesetzt gewesen sei, seien Einzelschallereignisse, die nicht unter dem Begriff des Impulslärms fielen. Anhaltspunkte für einen noch höheren Momentanschallpegel der benutzten Mundpfeife gebe es nicht. Die Arbeitsplatzanalysen seien hinreichend präzise und ohne Widersprüche.

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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Gerichtsakte S 7 U 111/05 des Sozialgerichts O... und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.

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Die versagte Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit als Dienstunfall (Berufserkrankung) in den angefochtenen Bescheiden ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass seine beiderseitige Schwerhörigkeit als Folge langjähriger berufsbedingter Lärmbelastung im Dienst der Deutschen Bundesbahn/Deutsche Bahn AG (Berufskrankheit Lärmschwerhörigkeit) anerkannt wird.

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Die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Dienstunfalls in Form einer Berufskrankheit nach § 31 Abs. 3 des Beamtenversorgungsgesetzes - BeamtVG - i.V.m. § 1 der Verordnung zur Durchführung des § 31 BeamtVG vom 20. Juni 1977 (BGBl. I S. 1004) i.V.m. Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung - BKV - vom 8. Dezember 1976 (BGBl. I S. 3329, vgl. insoweit unverändert auch die Fassung vom 31. Oktober 1997, BGBl. I S. 2623, zuletzt geändert durch die Verordnung vom 5. September 2002, BGBl. I S. 3541) sind nicht erfüllt.

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In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist schon zweifelhaft, ob der Antrag auf Anerkennung eines Dienstunfalls (einer Berufskrankheit) fristgerecht gestellt worden ist. Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG sind Unfälle, aus denen Unfallfürsorgeansprüche nach diesem Gesetz entstehen können, innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach dem Eintritt des Unfalls bei dem Dienstvorgesetzten des Verletzen zu melden. Diese Frist gilt auch für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach § 31 Abs. 3 BeamtVG (OVG NW, Urteil vom 27. Mai 1998 - 12 A 6990/95 - Schütz, BeamtR ES/C II 3.1 Nr. 73; Hess. VGH, Beschluss vom 7. März 1995 - 1 UE 1098/92 - IÖD 1995, 236). Wann sie bei einer Berufskrankheit zu laufen beginnt, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Zum einen wird vertreten, dass maßgebend für den Fristbeginn wie auch beim Dienstunfall im engeren Sinn nur der objektive Zeitpunkt des Eintritts der Erkrankung sein könne, ohne dass es darauf ankomme, ob der Beamte objektiv erkannt habe oder habe erkennen können, dass er sich die Erkrankung als Berufskrankheit zugezogen habe (so Hess. VGH, aaO.; OVG Koblenz, Urteil vom 11. April 1990 - 2 A 102/89 - NVwZ-RR 1990, 626; Schütz, Beamtenrecht, § 45 BeamtVG Rdnr. 9). Die gegenteilige Meinung geht davon aus, dass die Frist des § 45 Abs. 1 BeamtVG bei Berufskrankheiten mit dem Zeitpunkt zu laufen beginne, indem der Beamte erkenne, dass er an einer solchen Krankheit leide (Fürst, GKÖD, § 45 BeamtVG Rdnr. 7; Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, Kommentar zum Bundesbeamtengesetz, § 45 BeamtVG Rdnr. 7 b). Das Bundesverwaltungsgericht tendiert in seinem Beschluss vom 15. September 1995 (- 2 B 46.95 - Buchholz 239.1 § 45 BeamtVG Nr. 3) zu einem Ingangsetzen der Ausschlussfrist mit dem Zeitpunkt, „in dem der Kläger die Schwerhörigkeit feststellte, von der er annehmen konnte, dass sie auf dienstliche Vorgänge... zurückzuführen sei“. Hier kann dahinstehen, welcher Meinung der Vorzug zu geben ist. Würde seine Angabe in der Anzeige vom 4. September 2001 zugrunde gelegt, die Beschwerden seien erstmals vor etwa 5 - 7 Jahren aufgetreten, hätte der Kläger die Meldefrist wohl in jedem Fall nicht eingehalten. Einer abschließenden Klärung bedurfte es aber nicht, weil jedenfalls die sachlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der Lärmschwerhörigkeit als Berufserkrankung fehlen.

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In materiell-rechtlicher Hinsicht ist die Kammer davon überzeugt, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung der Lärmschwerhörigkeit des Klägers als Dienstunfall (Berufskrankheit) nicht vorliegen, ohne dass es weiterer Aufklärung durch einen Sachverständigen bedurfte.

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Erkrankt ein Beamter, der nach der Art seiner dienstlichen Verrichtung der Gefahr der Erkrankung an bestimmten Krankheiten besonders ausgesetzt ist, an einer solcher Krankheit, so gilt dies nach § 31 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG als Dienstunfall, es sei denn, dass der Beamte sich diese Krankheit außerhalb des Dienstes zugezogen hat. Nach § 31 Abs. 3 Satz 3 BeamtVG bestimmt die Bundesregierung die in Betracht kommenden Krankheiten durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates. § 1 der Verordnung zur Durchführung des § 31 BeamtVG (Bestimmung von Krankheiten für beamtenrechtliche Unfallfürsorge) legt fest, dass als Krankheiten im Sinne des § 31 Abs. 3 BeamtVG die in der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung - BKV - in der jeweils geltenden Fassung genannten Krankheiten mit den dort im Einzelnen bezeichneten Maßnahmen bestimmt werden. Die Frage, ob eine Krankheit als Dienstunfall gilt, ist nach dem Recht zu beantworten, das in dem Zeitpunkt gegolten hat, in dem sich der Beamte die Krankheit zugezogen hat (OVG NW, Urteil vom 27. Mai 1998 - 12 A 6990/95 - a.a.O.). Der Frage, welche Fassung der Anlage 1 zur BKV hier genau anzuwenden ist, kommt keine Bedeutung zu, weil dort unter Nummer 2301 die Lärmschwerhörigkeit bereits zu dem Zeitpunkt enthalten war, als die dynamisch verweisende Verordnung vom 20. Juni 1977 in Kraft trat. Die als „Lärmschwerhörigkeit“ bezeichnete Berufskrankheit Nr. 2301 wurde mit der Umschreibung „durch Lärm verursachte Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit“ bereits durch die Zweite Verordnung über Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten vom 11. Februar 1929 (RGBl. I 1929, 27) unter Nr. 18 der Spalte II der Anlage eingeführt und zwar beschränkt auf Tätigkeiten in Betrieben der Metallverarbeitung und Metallbearbeitung. Ihre heute noch geltende Fassung hat die Berufskrankheit durch Verordnung zur Änderung der 7. BKV vom 8. Dezember 1976 (BGBl. I S. 3329) erhalten (vgl. BSG, Urteil vom 12. April 2005 - B 2 U 6/04 R - NZS 2006, 216).

20

Der Inhalt der in der BKV bezeichneten Berufskrankheiten ist anhand des in den Materialien dokumentierten Willens des Verordnungsgebers, der vom zuständigen Bundesministerium gegebenenfalls herausgegebenen Merkblätter (hier: Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 20. Juli 1977 sowie „Königssteiner-Merkblatt“ mit „Empfehlungen für die Begutachtung der beruflichen Lärmschwerhörigkeit“) unter Berücksichtigung des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft zu bestimmen. Danach bezeichnet die Berufskrankheit Nr. 2301 „Lärmschwerhörigkeit“ der Anlage 1 zur BKV die durch Dauerlärm am Arbeitsplatz hervorgerufene Schwerhörigkeit einschließlich der während einer derartigen Dauerlärmbelastung auftretenden Lärmspitzen (BSG, Urteil vom 12. April 2005 - B 2 U 6/04 R - NZS 2006, 216 m.w.N.). Nach den in den einschlägigen Merkblättern und der Fachliteratur wiedergegebenen wissenschaftlichen Erkenntnisse kann eine Lärmschwerhörigkeit nur durch langjährige Tätigkeit an einem lärmexponierten Arbeitsplatz entstehen, wobei erst ein Dauerlärm oberhalb von 90 dB(A) während des überwiegenden Teils der Arbeitszeit sich im Regelfall gehörschädigend auswirken kann. Bei darunter liegenden Beurteilungspegeln im Bereich zwischen 85 und 90 dB(A) kommt eine Lärmschädigung nur bei langjähriger Exposition oder außergewöhnlich großer individueller Gehörsensibilität in Betracht, wohingegen bei einer durchweg unter 85 dB(A) gelegenen Lärmexposition eine Lärmschwerhörigkeit auszuschließen ist (vgl. BSG, Urteil vom 12. April 2005 a.a.O.; Nds. LSG, Urteil vom 31. März 1998 - L 3 U 267/95 - juris; LSG Saarland, Urteil vom 20. Juli 2005 - L 2 U 116/02 -).

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Die Rechtsprechung hat im Hinblick auf die insoweit vorauszusetzende besondere Dienstbezogenheit der Krankheit folgende Grundsätze aufgestellt: Es wird nicht vorausgesetzt, dass die durch die Art der dienstlichen Verrichtung hervorgerufene Gefährdung generell den Dienstobliegenheiten anhaftet. Vielmehr genügt es, wenn die eintretende Gefährdung der konkreten dienstlichen Verrichtung ihrer Art nach eigentümlich ist, allerdings nur dann, wenn sich die Erkrankung als typische Folge des Dienstes darstellt. Maßgebend kommt es darauf an, ob die von dem Beamten zum Zeitpunkt der Erkrankung ausgeübte dienstliche Tätigkeit erfahrungsgemäß eine hohe Wahrscheinlichkeit der Erkrankung gerade an dieser Erkrankung in sich birgt (ständige Rechtsprechung des BVerwG, etwa Beschluss vom 15. Mai 1996 - 2 B 106.95 - juris). Es muss sich um eine Tätigkeit gehandelt haben, die erfahrungsgemäß eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Erkrankung infolge des Dienstes in sich birgt. Dabei kommt es nicht auf den generellen Inhalt der Dienstaufgaben, sondern darauf an, ob die konkret ausgeübte dienstliche Verrichtung ihrer Art nach und im Besonderen nach den zur fraglichen Zeit tatsächlich bestehenden Verhältnissen und Begleitumständen die besondere Gefährdung mit sich gebracht hat. Diese besondere Gefährdung muss für die dienstliche Verrichtung typisch und in erheblich höherem Maße als bei der übrigen Bevölkerung vorhanden sein. Es kommt auf die spezifische Tätigkeit, nicht aber die räumlichen Bedingungen an.

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Hiervon ausgehend war der Kläger nach den fundierten und nicht beanstandeten Feststellungen des TAD der EUK lediglich vom 10. September 1962 bis 19. April 1963 einem Dauerschallpegel größer als 85 dB(A) ausgesetzt, so dass von einer ausreichenden Lärmexposition während seiner Tätigkeiten als Beamter nicht ausgegangen werden kann. Insoweit kann auch dahin stehen, inwieweit diese Lärmexposition, der der Kläger als Gleisbauarbeiter durch Gleisunterhaltungsarbeiten ausgesetzt gewesen war, seiner späteren Beamtentätigkeit ab dem 1. Oktober 1969 dienstunfallfürsorgerechtlich zugerechnet werden kann.

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Eine weitere Beweiserhebung ist nur dann erforderlich, wenn Sachverständigengutachten erkennbar Mängel enthalten, etwa von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgehen, unlösbare Widersprüche aufweisen, Zweifel an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters bestehen oder dem Gutachter ein für die Beurteilung der Fachfrage erforderliches Fachwissen fehlt (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 6. Oktober 1987 - 9 C 12.87 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31; Nds. OVG, Beschluss vom 25. April 2002 - 5 LA 620/01 -). Gemessen daran sind die Arbeitsanalysen des TAD der EUK vom 12. Februar 2002, 24. Juni 2002, 10. Juli 2003 und 24. Mai 2004 unter Berücksichtigung der ergänzenden Erläuterungen des sachverständigen Zeugen N... in seiner Stellungnahme vom 30. Juni 2006 weder formell noch inhaltlich zu beanstanden, so dass es keiner weiteren Beweiserhebung durch Einholung eines anderen Sachverständigengutachtens bedurfte.

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An der fachlichen Kompetenz der tätig gewordenen Mitarbeiter des TAD besteht kein Zweifel. In seinen Erläuterungen vom 30. Juni 2006 hat der sachverständige Zeuge N... überzeugend belegt, dass und wie die Mitarbeiter des TAD ausgehend von den Angaben des Klägers und den übrigen bekannten Umständen zu seinen dienstlichen Einsätzen die Dauerlärmbelastung durch Signalpfiffe mit der Mundpfeife, Zuklappen der Türen, Dauertöne der Türblockierung, Laufgeräusche - insbesondere an Wagenübergängen - sowie Motorgeräusche der Verbrennungstriebwagen analysiert haben. Eingehend werden die zugrunde liegenden Lärmmessung der Messstelle Leipzig des Bahnumweltzentrums vom 7. März 2001 und die sie bestätigende lärmtechnischen Untersuchungen des Bahnumweltzentrums Kirchmöser vom 16. März 2005 dargestellt. Zweifel an der Unparteilichkeit der Mitarbeiter des TAD bestehen nicht. Sie sind Beschäftigte der EUK, die hinreichend unabhängig von dem Beklagten zu sehen. Zum Zeitpunkt der maßgeblichen Feststellungen gab es weder einen Antrag auf Anerkennung der Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit durch die EUK Frankfurt a.M., noch war der später gestellte Antrag (vgl. Verfahren vor dem SG O... - S 7 U 111/05 -) absehbar. Anders als der Kläger vermag die Kammer innere Widersprüche der benannten Arbeitsplatzanalysen - jedenfalls nach den ergänzenden Erläuterungen des sachverständigen Zeugen N... vom 30. Juni 2006 - nicht zu erkennen. Schon der zunächst befasste Arzt für den medizinischen Arbeitsschutz beim Beklagten Dr. R... hatte anlässlich seiner Stellungnahme vom 27. Februar 2002 keinerlei Bedenken aus fachlicher Sicht. In den ergänzenden Arbeitsplatzanalysen des TAD vom 24. Juni 2002, 10. Juli 2003 und 24. Mai 2004 wurden die weiteren tatsächlichen Angaben und Einwendungen des Klägers im Rahmen des Möglichen berücksichtigt. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Dauerbelastung durch Lärm durch verschiedene Faktoren und unterschiedliche Tätigkeiten im Nachhinein ohnehin nur modellhaft und typisierend bestimmen lässt. Beispielsweise wurde hinsichtlich des momentanen Schallpegels einer Mundpfeife ein Wert von 108 bis höchstens 130 dB(A) zugrunde gelegt. Anlass zu Beanstandungen und zur Annahme eines noch höheren Wertes bestehe nicht. Auch die vom Kläger benannte Fördergemeinschaft Gutes Hören legt in ihrem „ Lärmometer “einen momentanen Schallpegel von 120 dB(A), gemessen aus 1 m Entfernung, zugrunde. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass der Schallpegel im Kopfbereich des Pfeifenden noch höher als die zugestandenen 130 dB(A) liegen könnte, bestehen nach den ergänzenden Erläuterungen des sachverständigen Zeugen N... vom 30. Juni 2006 nicht. Anderenfalls hätte der Kläger auch bereits früher des öfteren über akute Hörbeschwerden klagen müssen. Bei einer vom Kläger behaupteten kurzzeitigen Belastung mit Schalldruckpegeln von 120 dB kommt es mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu einem akuten Lärmtrauma oder einem akustischen Unfall. Das bedeutet, dass die Hörminderung akut auftritt, sofort bemerkt wird und eine Behandlungsbedürftigkeit nach sich zieht (vgl. etwa VG Ansbach, Urteil vom 19. Oktober 2005 - AN 11 K 03.02595 - juris). Derartiges hatte der Kläger bislang nicht geklagt. In diesem Zusammenhang kann schließlich nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kläger insoweit nicht unvorbereitet oder gänzlich ungeschützt einem Fremdlärm ausgesetzt war, sondern selbst durch seine Pfiffe den Schallpegel bestimmen konnte.

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Obwohl in der Arbeitsplatzanalyse vom 24. Mai 2004 ein schichtbezogener Beurteilungspegel für die Tätigkeit des Klägers als Rangierer (1. Januar 1971 bis 31. Dezember 1972) bei Anerkennung von 75 Signalpfiffen pro Schicht zugrunde gelegt wurde, ermittelte der TAD keine Überschreitung des Wertes von 80 dB(A). Im Übrigen hat der sachverständige Zeuge N... hierzu plausible Erläuterungen in seiner Stellungnahme vom 30. Juni 2006 gegeben. Für eine außergewöhnlich hohe individuelle Gehörsensibilität des Klägers bestehen zudem keine gesicherten Anhaltspunkte. Auch die kurze Dauer dieser Lärmexposition von zwei Jahren legt eine weitere Aufklärung nicht nahe.

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Für die Tätigkeit des Klägers als Zugbegleiter legte der TAD in seiner Arbeitsplatzanalyse vom 24. Mai 2004 - jedenfalls für die Zeit von 1973 bis 1980 - 96 statt zunächst 68 Lärmereignisse (= 24 Zughalte auf der Strecke B...-N...-B...) zugrunde, ohne dass er eine Überschreitung des Wertes von 85 dB(A) feststellen konnte. Insoweit erläuterte der sachverständige Zeuge N... in seiner Stellungnahme vom 30. Juni 2006 plausibel, dass sich kein Widerspruch zu der früheren Annahme von 82 dB(A) bei 68 Lärmereignissen (= 17 Zughalten) in der Arbeitsplatzanalyse vom 10. Juli 2003 ergibt. Um den schichtbezogenen Lärmgrenzwert von 85 dB(A) zu erreichen, hätte es nämlich laut N... über 550 Pfiffe (von jeweils mindestens 1 Sekunde) - oder 250 Pfiffe und 250 Türschließgeräusche - pro Schicht bedurft. Die Erhöhung des Lärmpegels um 3 dB(A) wirke sich im Sinne einer Lärmverdoppelung aus, was hier abwegig sei.

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Da sich in den maßgeblichen Tätigkeiten mit Lärmbelastung als Beamter schon keine dauerhafte exponierte Lärmbelastung für die Anerkennung einer Berufskrankheit Lärmschwerhörigkeit ergab, durfte in der weiteren Betrachtung auch die zugestandene exponierte Lärmbelastung des Klägers aus der Zeit vom 10. September 1962 bis 19. April 1963 von den Mitarbeitern des TAD außer Betracht gelassen werden.

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Insgesamt gesehen erweisen sich die genannten Arbeitsplatzanalysen unter Berücksichtigung der ergänzenden Erläuterungen des sachverständigen Zeugen als schlüssig, widerspruchsfrei und fachkundig. Der Kläger hält dem nur seine subjektive Einschätzung, spekulative Annahmen und keine objektiv begründeten Umstände entgegen, so dass es keinen sachlichen Grund gibt, die Sachverständigenausführungen anzuzweifeln.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.