Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.08.1992, Az.: L 2 J 102/91
Berücksichtigung eines Unterhaltsanspruchs bei der Berechnung einer wiederaufgelebten Witwenrente; Unterhaltsfeststellung bei der Geschiedenenrente
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen
- Datum
- 19.08.1992
- Aktenzeichen
- L 2 J 102/91
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1992, 22292
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:1992:0819.L2J102.91.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 24.01.1991 - AZ: S 6 J 206/88
Rechtsgrundlagen
- § 1265 RVO
- § 1291 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 RVO
Fundstellen
- FamRZ 1993, 489-491 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW-RR 1993, 326-327 (Volltext mit amtl. LS)
Der 2. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle hat
auf die mündliche Verhandlung vom 19.08.1992
durch
den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht E
den Richter am Landessozialgericht Dr. H
den Richter am Landessozialgericht K sowie
die ehrenamtlichen Richter M ... W ... und
G ... T
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 24. Januar 1991 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, in welcher Höhe ein Unterhaltsanspruch der Klägerin bei der Berechnung ihrer wiederaufgelebten Witwenrente in Ansatz zu bringen ist.
Die im Jahre 1920 geborene Klägerin bezog seit dem 1. Juni 1966 Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen ersten Ehemannes O ... S ... Am 9. November 1973 heiratete sie erneut. Diese kinderlose Ehe wurde durch Urteil des Amtsgerichts N ... - Familiengericht - vom 2. Dezember 1986, rechtskräftig seit dem 20. Januar 1987, geschieden. Der Versorgungsausgleich wurde durchgeführt, weitere Scheidungsfolgen wurden nicht geregelt. Insbesondere ließen die damaligen Parteien die Höhe des der Klägerin zustehenden nachehelichen Unterhalts ausdrücklich bis zu dem Zeitpunkt offen, an dem die Höhe der von der Klägerin noch zu beantragenden wiederaufgelebten Witwenrente feststand.
Am 19. Dezember 1986 beantragte die Klägerin das Wiederaufleben der Witwenrente aus der Versicherung ihres ersten Ehemannes. Zu diesem Zeitpunkt verfügte der geschiedene zweite Ehemann der Klägerin als Rentner über ein Einkommen von 1.914,50 DM, das sich aus einem Altersruhegeld von 1.642,50 DM und einer Betriebsrente von monatlich 272,- DM zusammensetzte. Die Klägerin hatte nach ihren Angaben 470,- DM, ab 1. Februar 1987 infolge des Versorgungsausgleichs aus der zweiten Ehe Rente von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Höhe von 495,71 DM zur Vefügung. Der geschiedene Ehemann der Klägerin zahlte ihr auf freiwilliger Basis seit der Trennung monatlich 400,- DM.
Mit Bescheid vom 4. Mai 1987 gab die Beklagte dem Antrag statt; dabei berücksichtigte sie bei der Berechnung der wiederaufgelebten Witwenrente einen fiktiven Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihren geschiedenen Ehemann in Höhe von 650,- DM.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch, mit dem die Klägerin sich gegen die Höhe des angesetzten Unterhaltsbetrages wendet, hat die Beklagte mit Zustimmung der Klägerin als Klage an das Sozialgericht Hannover abgegeben. Im Verlaufe dieses Verfahrens machte sie eine Unterhaltsklage gegen ihren geschiedenen Ehemann anhängig. Nachdem das Familiengericht Prozeßkostenhilfe nur hinsichtlich eines über die freiwillig gezahlte Summe hinausgehenden Betrages von 103,87 DM gewährt hatte, einigten sich die damaligen Parteien in einem Unterhaltsvergleich vom 24. September 1987 auf eine monatliche Unterhaltszahlung von 484,-- DM an die Klägerin ab 1. Oktober 1987. Im sozialgerichtlichen Verfahren machte sie daraufhin geltend, nur dieser Betrag dürfe bei der Berechnung ihrer wiederaufgelebten Witwenrente zugrunde gelegt werden.
Mit Urteil vom 24. Januar 1991 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Gründen hat es im einzelnen ausgeführt, die wiederaufgelebte Witwenrente sei gegenüber neu erworbenen Unterhaltsansprüchen subsidiär. Eine von den früheren Eheleuten getroffene Unterhaltsvereinbarung könne nicht zu Lasten der Versichertengemeinschaft gehen. Vielmehr sei der nach dem Gesetz bestehen de Unterhaltsanspruch bei der Berechnung der wiederaufgelebten Witwenrente zu berücksichtigen. Unter diesen Umständen sei der von der Beklagten in Ansatz gebrachte Betrag von 650,- DM nicht zu beanstanden. Denn nach den Einkommensverhältnissen der Klägerin und ihres geschiedenen Ehemannes stehe ihr sogar ein höherer Unterhalt zu.
Gegen das ihr am 5. März 1991 zugestellte Urteil richtet sich die am 4. April 1991 eingelegte Berufung der Klägerin. Zur Begründung ihres Rechtsmittel führt sie aus, es habe für die außergerichtliche Regelung mit ihrem geschiedenen Ehemann und damit für einen teilweisen Verzicht auf den ihr zustehenden Unterhalt eine Reihe triftiger und verständlicher Gründe gegeben. So sei die gerichtliche Durchsetzung eines Unterhalts von 650,-- DM durchaus nicht sicher und insbesondere im Hinblick auf das fortgeschrittene Alter und seine damalige Krankheit fraglich gewesen.
Die Kägerin beantragt,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 24. Januar 1991 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 4. Mai 1987 zu ändern,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, die der Klägerin gewährte wiederaufgelebte Witwenrente unter Zugrundelegung eines Unterhaltsanspruchs von 484,- DM neu zu berechnen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Rentenakten der Beklagten und die Akten des Amtsgerichts H. ... - Familiengericht - Az: 612 F ... 2985/87 sind Gegenstand des Verfahrens gewesen.
Wegen der weiteern Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt des angefochtenen Urteils sowie der Prozeß- und Beiakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 143 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden und somit zulässig.
Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet.
Die Berücksichtigung eines Unterhaltsanspruchs der Klägerin in Höhe von 650,- DM bei der Berechnung der wiederaufgelebten Witwenrente ist nicht zu beanstanden.
Gemäß § 1291 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 2 Reichsversicherungsverordnung (RVO) ist auf eine wiederaufgelebte Witwenrente ein von der Witwe infolge der Auflösung ihrer neuen Ehe erworbener Versorgungs- , Unterhalts- oder Rentenanspruch anzurechnen. Die Witwe erhält mithin nach Auflösung der zweiten Ehe Versorgung aus der ersten Ehe nur, soweit ihre Versorgung aus der zweiten Ehe geringer ist. Der wiederaufgelebte Witwenrentenanspruch ist gegenüber dem in der zweiten Ehe erworbenen Unterhaltsanspruch subsidiär (ständige Rechtsprechung des BSG; vgl hierzu und zum Folgenden BSG SozR 2200 § 1291 RVO Nr 8). Bei der Ermittlung der Höhe des erworbenen Unterhaltsanspruchs hat die wiederaufgelebte Witwenrente entgegen der Auffassung der Klägerin außer Betracht zu bleiben. Auch dies ist eine Folge ihrer Subsidiärität; denn sie bewirkt, daß der Unterhaltsanspruch unabhängig von der wiederauflebenden Rente entsteht und besteht. Der Unterhaltsanspruch aus der zweiten Ehe der Klägerin ist daher völlig unabhängig von der Höhe der wiederauflebenden Witwenrente aus der ersten Ehe durchzusetzen. Durch das Wiederaufleben der Rentenansprüche aus der ersten Ehe und die Anrechnung der infolge Auflösung der zweiten Ehe erworbenen neuen Ansprüche soll die frühere Witwe nach Auflösung der zweiten Ehe finanziell nicht besser, aber auch nicht schlechter gestellt werden als vor ihrer Wiederverheiratung. Zugleich soll verhindert werden, daß ihre nach der zweiten Ehe neu erworbenen Unterhaltsansprüche zu Lasten der wiederauflebenden Ansprüche und damit zu Lasten der Versichertengemeinschaft verringert werden. Das aber würde eintreten, wenn die wiederauflebende Rente schon bei der Prüfung der Frage, ob nach Auflösung der zweiten Ehe eine Versorgungslücke vorhanden ist, berücksichtigt würde.
Der Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihren geschiedenen zweiten Ehemann ist deshalb ohne Rücksicht auf die wiederaufgelebte Witwenrente festzustellen. Das ist in dem Unterhaltsvergleich vom 24. September 1987 jedoch nicht geschehen. Wie sich aus der Klageschrift vom 31. August 1987, mit der ein Unterhalt von insgesamt 503,87 DM (400,-- DM freiwilliger Unterhalt; 103,87 DM zusätzlich eingeklagter Unterhalt) ergibt, ist bei der Klägerin neben dem Altersruhegeld aus eigener Versicherung auch die von der Beklagten mit dem angefochtenen Bescheid gewährte wiederaufgelebte Witwenrente von 385,65 DM als anrechenbares Einkommen der Klägerin berücksichtigt worden. Der Prozeßkostenhilfebeschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - H. ... vom 24. September 1987 (Az: 612 F 2985/87) hat der Klägerin entsprechend dem Antrag in der Klageschrift Prozeßkostenhilfe nur für den geltend gemachten, über die freiwillige Zahlung von 400,- DM hinausgehenden Unterhaltsanspruch von 103,87 DM monatlich bewilligt. Auch dieser Beschluß legt daher die wiederaufgelebte Witwenrente der Klägerin aus ihrer ersten Ehe als anrechenbares Einkommen zugrunde. Aus welchen Gründen der monatliche Unterhaltsanspruch der Klägerin im Unterhaltsvergleich vom 24. September 1987 weiterhin von insgesamt 503,87 DM auf 484,-- DM ermäßigt worden ist, hat sich infolge eines Anwaltswechsels bei der Klägerin nicht mehr feststellen lassen. Dies kann aber auch dahinstehen. Denn beide Beträge liegen deutlich unter dem Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihren zweiten Ehemann, wie er unter Berücksichtigung der Subsidiarität der wiederaufgelebten Witwenrente gegenüber diesem Unterhaltsanspruch tatsächlich besteht.
Die Berechnung dieses Unterhaltsanspruchs hat nach Auffassung des Senats nach zivilrechtlichen Maßstäben und damit nach der sog Differenzmethode zu erfolgen. Denn es handelt sich hier nicht - wie ua bei Unterhaltsansprüchen iS des § 1265 RVO - um einen fiktiven Anspruch, sondern um Unterhalt, der nötigenfalls durch Klage beim Amtsgericht - Familiengericht - durchzusetzen ist. Er ist folglich mit Hilfe der sog Düsseldorfer Tabelle (Stand: 01.01.1985, abgedruckt in FamRZ 1984, S 961 ff) festzustellen. Danach ist der Ehegattenunterhalt zwischen einem nichterwerbstätigen Unterhaltspflichtigen, wie es der geschiedene Ehemann der Klägerin als Rentner ist, und einer Berechtigten, die ebenfalls eine Rente erhält, zu ermitteln, indem 50% des Unterschiedsbetrages des anrechnungsfähigen Nettoeinkommens beider Ehegatten in Ansatz gebracht werden. Bei einem Einkommen des geschiedenen Ehemanns am 1. Januar 1987 von insgesamt 1.914,50 DM und der Klägerin von 470,-- DM bzw 495,91 DM ab 1. Februar 1987 errechnet sich ein Differenzbetrag von 1.444,50 DM oder 1.418,79 DM. Auch unter Berücksichtigung des Selbstbehalts des Unterhaltspflichtigen (910,- DM) ergibt sich damit ein Unterhaltsanspruch der Klägerin von 722,25 DM bzw 709,39 DM. Da die Berücksichtigung eines monatlichen Unterhalts von 650,-- DM durch die Beklagte noch unter den hier ermittelten Sätzen liegt, ist der angefochtene Bescheid nicht zu beanstanden.
Soweit das Bundessozialgericht mit Urteil vom 26. September 1975 (SozR 2200 § 1291 Nr 8) unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung zur (fiktiven) Unterhaltsfeststellung bei der Geschiedenenrente (vgl hierzu ua BSG SozR 2200 § 1265 Nr 4; Urteile vom 11.09.1991 - 5 RJ 75/90 - und vom 22.04.1992 - 5 RJ 72/91 - ) demgegenüber entschieden hat, daß der Unterhaltsanspruch der Klägerin auch hier nach der sog Anrechnungsmethode zu errechnen sei, hat der Senat dem nicht folgen können. Denn im Rahmen der wiederauflebenden Witwenrente kommt es nicht auf fiktive Ansprüche, sondern ganz konkret auf den Unterhalt an, der dem Berechtigten nach bürgerlich-rechtlichem Unterhaltsrecht gegen den geschiedenen zweiten Ehegatten tatsächlich zusteht und den er erforderlichenfalls im Klagewege geltend machen kann. Da die Familiengerichte die Höhe des nachehelichen Unterhalts nach der sog Differenzmethode errechnen (vgl BSG aaO), ist diese Methode auch hier anzuwenden.
Eine andere Beurteilung ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Unterhaltsverzicht (vgl hierzu BSG SozR 2200 § 1291 RVO Nrn 19, 25, 27). Denn ein verständlicher Grund im Sinne der Rechtsprechung für die Unterhaltsvereinbarung vom 24. September 1987, mit der die Klägerin sich mit einem monatlichen Unterhalt von 484,-- DM einverstanden erklärte, läßt sich nicht feststellen. Schon in der nichtöffentlichen Sitzung des Familiengerichts N vom 2. Dezember 1986 haben die Klägerin und ihr damaliger Ehemann übereinstimmend erklärt, daß der nacheheliche Unterhaltsanspruch noch nicht geregelt werden solle, da noch nicht bekannt sei, ob und in welcher Höhe die Witwenrente der Klägerin wiederauflebe. Dementsprechend hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin schon mit Schriftsatz vom 12. November 1986 bei der Beklagten angefragt, in welcher Höhe die Witwenrente wiederauflebe, um in der Lage zu sein, einen künftigen Unterhaltsanspruch der Klägerin zu berechnen. Folgerichtig ist in der Klageschrift vom 31. August 1987 und dieser folgend im Prozeßkostenhilfebeschluß vom 24. September 1987 und schließlich bei der Festsetzung der Höhe des Unterhalts in der Vereinbarung vom 24. September 1987 beim Einkommen der Klägerin auch, die wiederaufgelebte Witwenrente ersichtlich unzulässigerweise berücksichtigt worden.
Aus allem ergibt sich, daß die Klägerin nicht aus einem der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung genannten verständlichen Grund vergleichsweise auf einen Teil des ihr zustehenden Unterhalts verzichtet hat, sondern im Hinblick auf die wiederauflebenden Rentenleistungen. Dieser Beweggrund rechtfertigt aber gerade keine Minderung des Unterhaltsanspruchs.
Nach allem konnte die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision zugelassen, da er den auf die wiederauflebende Witwenrente anzurechnenden Unterhaltsanspruch nach zivilrechtlichen Maßstäben (sog Differenzmethode) berechnet hat und damit von der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 26. September 1975 (SozR 2200 § 1291 RVO Nr 8; sog Anrechnungsmethode) abweicht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG).