Arbeitsgericht Lüneburg
Urt. v. 18.05.2000, Az.: 2 Ca 726/00

Klage eines schwerbehinderten Arbeitnehmers (Tischlergeselle) gegen eine ausgesprochene Kündigung; Vorliegen von Gründen, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen (ärztliche Bescheinigung, in welcher es heißt, der Kläger sei aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, an laufenden Maschinen, auf Leitern und Podesten zu arbeiten, sowie ein Kraftfahrzeug zu führen), oder von dringenden betrieblichen Erfordernissen, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen als Voraussetzungen einer sozial gerechtfertigten Kündigung; Vorliegen der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung; Vorliegen eines unzulässigen Nachschiebens von Kündigungsgründen

Bibliographie

Gericht
ArbG Lüneburg
Datum
18.05.2000
Aktenzeichen
2 Ca 726/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 10021
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:ARBGLG:2000:0518.2CA726.00.0A

Fundstelle

  • NZA-RR 2000, 530-532 (Volltext mit red. LS)

In dem Rechtsstreitverfahren
hat das Arbeitsgericht in Lüneburg
auf die mündliche Verhandlung vom 18.05.2000
durch
den Richter am Arbeitsgericht ... als Vorsitzenden und
die ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Es wird festgestellt, dass die Kündigung der Beklagten vom 29.03.2000 zum 30.04.2000 unwirksam ist.

  2. 2.

    Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

  3. 3.

    Der Streitwert wird auf 13.332,00 DM festgesetzt.

Tatbestand

1

Der Kläger wurde am 01.08.1991 von der Beklagten, die regelmäßig mehr als 5 Arbeitnehmer im Sinne des § 23 KSchG beschäftigt, als Tischlergeselle eingestellt. Sein monatlicher Bruttoverdienst beläuft sich auf 4.444,56 DM. Er ist Schwerbehinderter i. S. d. § 1 SchwbhG.

2

Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 31.01.2000 - welches dem Gericht nicht vorliegt - bei der zuständigen Hauptfürsorgestelle die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Klägers beantragt hatte, wurde diesem Antrag durch Bescheid der Hauptfürsorgestelle vom 23.03.2000 (Bl. 13 bis 17 d. A.) stattgegeben. In diesem Bescheid heißt es u. a.:

"Im vorliegenden Fall wird arbeitgeberseits ein Sachverhalt vorgetragen, der allein im betrieblichen Bereich seine Ursache findet. Ein Zusammenhang zwischen dem vom Arbeitgeber geltend gemachten Kündigungsgrund und der bei Herrn ... anerkannter Behinderung wurde weder geltend gemacht, noch konnte ein solcher von der Hauptfürsorgestelle gesehen werden.

Die Hauptfürsorgestelle hält die von dem Arbeitgeber genannten betriebsbedingten Gründe nicht für vorgeschoben, um z. B. einen stärkeren Kündigungsschutz zu umgehen. Als Gründe werden die schlechte wirtschaftliche und finanzielle Lage des Betriebes und dadurch notwendig gewordenen Personalabbau genannt.

Bei der Entscheidung, ob die Zustimmung erteilt oder versagt werden soll, können vielmehr nur Erwägungen eine Rolle spielen, die sich speziell aus der Schwerbehindertenfürsorge herleiten. Rechtfertigen solche Erwägungen eine Versagung der Zustimmung nicht, so hat die behördliche Zustimmung dem Gekündigten diejenige Rechtsstellung zurückgegeben, die er hätte, wenn es keinen besonderen Kündigungsschutz für Schwerbehinderte gäbe.

Gründe, die allein in der Behinderung von Herrn ... liegen und die Versagung der Zustimmung rechtfertigen könnten, wurden von der Hauptfürsorgestelle nicht gesehen."

3

Durch Schreiben vom 29.03.2000 (Bl. 6 d. A.) kündigte sodann die Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis wegen Arbeitsmangels zum 30.04.2000.

4

Mit der am 17.04.2000 bei Gericht eingegangenen Klage macht der Kläger die Unwirksamkeit dieser Kündigung geltend.

5

Der Kläger bestreitet den von der Beklagten im Kündigungsschreiben behaupteten Arbeitsmangel und damit das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse. Zwar sei er während der Dauer des Anhörungsverfahrens vom 01. bis einschließlich 29.02.2000 in Kurzarbeit geschickt worden, jedoch habe er am 01.03.2000 seine Tätigkeit wieder aufgenommen. Hierbei habe er feststellen können, dass im März wieder in erheblichem Umfange Aufträge vorgelegen hätten, so dass bereits wieder Überstunden angefallen seien. Von einem Auftrags- oder Arbeitsmangel könne daher keine Rede sein.

6

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass die Kündigung der Beklagten vom 29.03.2000 zum 30.04.2000 unwirksam ist.

7

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Sie trägt vor, die Auftragslage sei für sie katastrophal. Dies sei ursprünglich der Anlass gewesen, eine Kündigung des Klägers ins Auge zu fassen. Hierbei sei festgestellt worden, dass der Kläger schwerbehindert sei. Dann habe sie den korrekten Verfahrensweg eingeschlagen und die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle eingeholt.

9

Zwischenzeitlich habe sie festgestellt, dass der Kläger aufgrund medizinischer/gesundheitlicher Umstände nicht in der Lage sei, den Beruf des Tischlers mit der Besonderheit des Bautischlers aber auch mit der Besonderheit des Möbeltischlers auszuüben.

10

Nur aufgrund berufsgenossenschaftlicher Bestimmungen sei sie verpflichtet gewesen, den Arbeitsmedizinischen Dienst einzuschalten, um die Arbeitsfähigkeit des Klägers in gesundheitlicher Hinsicht überprüfen zu lassen. Diese Untersuchung habe ausweislich des ärztlichen Attestes vom 24.03.2000 (Bl. 18 d. A.) ergeben, dass der Kläger nicht in der Lage sei, an laufenden Maschinen, auf Leitern und Podesten zu arbeiten, sowie ein Kraftfahrzeug zu führen.

11

Die Haupttätigkeit des Klägers bestehe darin, Fenster zu bauen und einzusetzen. Damit verbunden seien ständige Arbeiten an laufenden Maschinen und ein Arbeiten auf Leitern und/oder Gerüsten. Aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung könne und dürfe der Kläger nicht mehr als Bautischler arbeiten. Dies allein rechtfertige die dem Kläger gegenüber ausgesprochene Kündigung. Auf eine soziale Auswahl kommt es daher nicht mehr an.

12

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Gründe

13

Die Kündigung der Beklagten vom 29.03.2000 zum 30.04.2000 ist unwirksam, mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien über den letztgenannten Zeitpunkt hinaus fortbesteht.

14

Gemäß § 1 KSchG - dessen Bestimmungen auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien Anwendung finden - ist die Kündigung nämlich sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist.

15

Zwar hat die Beklagte im Anhörungsverfahren vor der Hauptfürsorgestelle dringende betriebliche Erfordernisse zur beabsichtigten Kündigung des Klägers vorgetragen, diese Begründung jedoch im vorliegenden Kündigungsschutzverfahren nicht weiter aufrecht erhalten, was u. a. aus der Formulierung im Schriftsatz vom 08.05.2000 (Bl. 10 d. A.) "Dies war ursprünglich der Anlass für die Beklagte, eine Kündigung des Klägers ins Auge zu fassen" hervorgeht. Daneben hat die Beklagte den noch im Kündigungsschreiben behaupteten Auftragsmangel weder im einzelnen dargelegt, noch unter Beweis gestellt, mit der Folge, dass sie sich auf dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 KSchG nicht berufen kann.

16

Vielmehr beruft sich die Beklagte nunmehr zur Begründung der dem Kläger gegenüber ausgesprochenen Kündigung auf eine ärztliche Bescheinigung vom 24.03.2000 (Bl. 18 d. A.), in welcher es heißt, der Kläger sei aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, an laufenden Maschinen, auf Leitern und Podesten zu arbeiten, sowie ein Kraftfahrzeug zu führen. Mithin trägt die Beklagte nunmehr personenbedingte Gründe vor, dabei liegt für eine Kündigung aus solchen Gründen jedoch die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle nicht vor, mit der Folge, dass die Kündigung mangels Zustimmung der Hauptfürsorgestelle unwirksam ist.

17

Zwar existiert eine Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers gemäß Bescheid vom 23.03.2000, jedoch kann die Beklagte sich auf diesen privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt, der erforderlich ist, um die Kündigung zu ermöglichen, vorliegend nicht stützen. Die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle ist nämlich Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Kündigung durch den Arbeitgeber und beinhaltet insoweit zunächst im Hinblick auf eine beabsichtigte Kündigung eine Sperrwirkung zu Gunsten des Arbeitnehmers. Der Wegfall dieser Sperrwirkung erfolgt durch die einzuholende Zustimmung der Hauptfürsorgestelle. Indes ist der Wegfall der Sperrwirkung stets an den Sachgrund der Kündigung gebunden. Daraus folgt, dass der Arbeitgeber, der die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zur Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers wegen eines bestimmten, von ihm vorgetragenen Kündigungsgrundes, erhalten hat, die nunmehr ausgesprochene Kündigung im Kündigungsschutzprozess nicht auf einem völlig anderen, bzw. neuen Kündigungssachverhalt stützen kann, da der Wegfall der Kündigungssperre nicht aufgrund der jetzt genannten Kündigungsgründe erfolgt ist.

18

Hierfür spricht insbesondere die Tatsache, dass die Entscheidung der Hauptfürsorgestelle, auch wenn sie nicht nichtig ist, unter bestimmten Voraussetzungen widerrufen oder zurückgenommen werden kann. Ein solcher Widerruf ist möglich, wenn die Hauptfürsorgestelle eine rechtmäßige Entscheidung außerhalb eines Rechtsbehelfsverfahrens beseitigen will. Rechtswidrig ist die Entscheidung z. B. dann, wenn sie auf einem Ermessensfehler oder unzutreffenden Angaben eines Beteiligten beruht (vgl. KR-Etzel, 5. Auflage §§ 15-20 SchwbG Rdnr. 111).

19

Vorliegend ist die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle, wie aus dem Bescheid vom 23.03.2000 deutlich ersichtlich, einzig und allein aufgrund der dortigen von der Beklagten vorgetragenen betrieblichen Gründe, nämlich Auftragsmangel, erfolgt. Von personenbedingten Gründen hingegen war zu keinem Zeitpunkt die Rede.

20

Dies wird insbesondere aus folgender Begründung der Hauptfürsorgestelle deutlich:

"Bei der Entscheidung, ob die Zustimmung erteilt oder versagt werden soll, können vielmehr nur Erwägungen eine Rolle spielen, die sich speziell aus der Schwerbehindertenfürsorge herleiten. Rechtfertigen solche Erwägungen eine Versagung der Zustimmung nicht, so hat die behördliche Zustimmung dem Gekündigten diejenige Rechtsstellung zurückzugeben, die er hätte, wenn es keinen besonderen Kündigungsschutz für Schwerbehinderte gäbe. Gründe, die allein in der Behinderung von Herrn ... liegen und die Versagung der Zustimmung rechtfertigen könnten, wurden von der Hauptfürsorgestelle nicht gesehen."

21

Hieraus folgt, dass die Hauptfürsorgestelle objektiv gesehen aufgrund unzutreffender Angaben der Beklagten - bezogen auf den nunmehr vorgetragenen Kündigungsgrund - eine rechtswidrige Entscheidung getroffen hat.

22

Schließlich ergibt sich die Unwirksamkeit der vorliegenden Kündigung auch aus der entsprechenden Anwendung der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zu § 102 BetrVG. Hiernach führen (bewußte) Fehlinformationen des Betriebsrates oder unrichtige und unvollständige Sachverhaltsangaben gegenüber dem Betriebsrat zur Unwirksamkeit der Kündigung (vgl. BAG NZA 1994, 311 und 1995, 678). Von einem unzulässigen Nachschieben von Kündigungsgründen wird dann ausgegangen, wenn der Arbeitgeber Tatsachen vorträgt, die dem bisherigen Vortrag erst das Gewicht eines kündigungsrechtlich erheblichen Grundes geben (BAG DB 1981, 1624). Schließlich muss der Betriebsrat bei einer wesentlichen Änderung des Kündigungssachverhaltes, nochmals Gelegenheit erhalten, die beabsichtigte Kündigung unter den geänderten Gegebenheiten zu überprüfen. Unterbleibt diese Anhörung, ist die Kündigung gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG rechtsunwirksam (BAG DB 1977, 2455).

23

Ausgehend davon, dass im Verfahren nach § 102 BetrVG bei der Kündigung eines nicht besonders geschützten Arbeitnehmers der Arbeitgeber den Betriebsrat lediglich (ordnungsgemäß) anhören muss, nicht jedoch dessen Zustimmung bedarf, während er für die beabsichtigte Kündigung eines schwerbehinderten Mitarbeiters, der einem besonderen Kündigungsschutz unterliegt, die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle benötigt, ist festzustellen, dass für das Verfahren vor der Hauptfürsorgestelle und die dort vorgetragenen Gründe, bzw. Kündigungssachverhalte zumindestens die gleichen von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien hinsichtlich eines ordnungsgemäßen Anhörungsverfahrens gelten müssen. Wenn also bei einer wesentlichen Änderung des Kündigungssachverhaltes der Betriebsrat nochmals Gelegenheit erhalten muss, die beabsichtigte Kündigung unter den geänderten Gegebenheiten zu überprüfen, so hätte vorliegend die Beklagte wegen des nunmehr vorgetragenen Kündigungsgrundes eine erneute Zustimmung der Hauptfürsorgestelle einholen müssen.

24

Hieraus folgt, dass der Arbeitgeber, der einem schwerbehinderten Mitarbeiter kündigt, sich im Kündigungsschutzverfahren grundsätzlich nur auf diejenigen Gründe berufen kann, die er auch gegenüber der Hauptfürsorgestelle vorgetragen hat, kann er jedenfalls trotz Vorliegen der Zustimmung die Kündigung nunmehr nicht auf einen völlig anderen Sachverhalt stützen.

25

Der Klage war daher stattzugeben.

26

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

27

Der Wert des Streitgegenstandes ist gemäß §§ 61 Abs. 1, 12 Abs. 7 ArbGG i. V. m. § 3 ZPO festgesetzt worden.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird auf 13.332,00 DM festgesetzt.